BGH Beschluss v. - IV ZR 72/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 544 Abs. 7; BGB § 2082; BGB § 2282 Abs. 3; BGB § 2283; BGB § 2287; BGB § 2330

Instanzenzug: LG Wiesbaden 10 O 176/00 vom OLG Frankfurt/Main 8 U 119/04 vom

Gründe

I. Die Klägerinnen nehmen die Beklagte aus § 2287 BGB im Wesentlichen auf Herausgabe von Grundstücken in Anspruch. Die Eltern der Beklagten errichteten am ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als alleinige Vorerben einsetzten und u.a. weiter bestimmten:

Als Nacherben setzen wir ein:

1) Unserer Tochter [Beklagte] soll aus dem Nachlass der Pflichtteil angeboten werden.

2) Unsere Nichte [Klägerin zu 2] soll ein Viertel des gesamten Nachlasses erhalten und

3) unsere Nichte [Klägerin zu 1] soll ebenfalls ein Viertel des gesamten Nachlasses erhalten.

Sollte unsere Tochter ihr Erbe (Pflicht-Anteil) jedoch nicht antreten, ...erhält jede Nichte die Hälfte des gesamten Nachlasses.

Die Mutter starb am . Der Vater schenkte der Beklagten mit notariellem Vertrag vom aus seinem nicht ererbten Vermögen die beiden Immobilien, deren Herausgabe die Klägerinnen verlangen, und übernahm die anfallende Schenkungsteuer. Er starb am .

Die Vorinstanzen legen das Testament dahin aus, dass die Klägerinnen von den Eltern der Beklagten wechselbezüglich und damit bindend je zur Hälfte als Nacherbinnen nach der Mutter der Beklagten und als Schlusserbinnen nach deren Vater eingesetzt worden sind. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Rückübertragung der Grundstücke Zug-um-Zug gegen Zahlung von 617.826,83 € verurteilt sowie festgestellt, dass die Beklagte von den Klägerinnen nicht die Zahlung der Schenkungsteuer aus dem Nachlass verlangen könne. Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II. Die Beschwerde ist zulässig und hat Erfolg. Die Beklagte macht mit Recht eine Verletzung ihres Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör geltend (Art. 103 Abs. 1 GG).

1. Die Beklagte hat unter Berufung auf ihren Ehemann als Zeugen vorgetragen, ihr Vater habe u.a. bei der Beurkundung der Schenkung am berichtet, er habe nie Anlass gehabt, die Klägerinnen - Nichten seiner Ehefrau - zu bedenken; er habe das gemeinschaftliche Testament nur unterschrieben, weil seine Ehefrau ihm gedroht habe, sich das Leben zu nehmen, wenn er nicht unterschreibe. Der Vater habe das Testament deshalb zwar nicht angefochten; das sei für die Frage, ob er die Schenkung gemäß § 2287 BGB mit Beeinträchtigungsabsicht und unter Missbrauch seiner lebzeitigen Verfügungsbefugnis vorgenommen habe, aber ohne Bedeutung (vgl. Soergel/M. Wolf, BGB 13. Aufl. § 2287 Rdn. 17; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl., § 25 V 5 d Fn. 131; J. Mayer in Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 4. Aufl. § 2287 Rdn. 42; Spellenberg NJW 1986, 2531, 2534 f., 2537). Die Klägerinnen haben dagegen vorgetragen, sie seien bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments anwesend gewesen; der Vater habe die Beklagte zunächst überhaupt nicht erwähnen wollen, weil sie seit Jahren den Kontakt zu den Eltern vermieden habe; erst auf den Vorschlag der Mutter hin hätten sich die Eltern ohne Druck einer Seite geeinigt, der Beklagten im Testament den Pflichtteil nach dem Tod des Längerlebenden anzubieten.

Eine Beweisaufnahme hat dazu nicht stattgefunden. Das Berufungsgericht meint, die Beklagte könne nicht nachweisen, dass ihr Vater zur Anfechtung des Testaments berechtigt gewesen sei. Es lasse sich nicht feststellen, dass er durch eine widerrechtliche Drohung zu dem gemeinschaftlichen Testament bewegt worden sei. Dabei könne offen bleiben, ob der Erblasser - wie die Beklagte vorgetragen habe - mit der Erbeinsetzung der Klägerinnen nur auf die Gefühle seiner kranken Ehefrau Rücksicht genommen habe. Auch wenn man von dem Vortrag der Beklagten ausgehe, lasse sich daraus keine widerrechtliche Drohung ableiten.

Darin liegt eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung (vgl. BVerfG NJW-RR 2001, 1006 f.; - VersR 2003, 127 unter II 3 c). Das Berufungsgericht geht ersichtlich und mit Recht von der Erheblichkeit des Beklagtenvortrags aus (§§ 123 Abs. 1, 2078 Abs. 2, 2281 BGB). Die Mutter der Beklagten soll mit ihrer Drohung bewusst den Zweck verfolgt haben, den Vater zur Abgabe seiner Willenserklärung zu veranlassen (zur Abgrenzung vgl. - FamRZ 1996, 605 unter 2). Dennoch hat das Berufungsgericht keine Beweisaufnahme durchgeführt. Das findet im Prozessrecht keine Stütze, sondern verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör. Soweit das Berufungsgericht meint, wenn der Vater der Beklagten das Testament wirklich nur unter dem psychischen Druck seiner Ehefrau unterzeichnet habe, hätte nichts näher gelegen, als das Testament durch notarielle Erklärung gemäß § 2282 Abs. 3 BGB anzufechten, kommt es darauf vom Ausgangspunkt des Berufungsgerichts her, wonach der zur Anfechtung berechtigte Erblasser, wenn er zum Nachteil des Vertragserben Vermögen verschenkt, weder seine lebzeitige Verfügungsbefugnis missbraucht noch in Beeinträchtigungsabsicht handelt, rechtlich nicht an. Die Schenkung ist hier auch innerhalb der seit dem Ende der behaupteten Zwangslage, d.h. seit dem Tod der Mutter, laufenden Anfechtungsfrist (§§ 124 Abs. 2, 2283 Abs. 2 BGB) erfolgt. Das Berufungsgericht wird deshalb die Beweisaufnahme nachzuholen haben.

2. Im Übrigen greifen die Rügen der Beklagten gegen die Anwendung von § 2287 BGB (und damit auch gegen die Feststellung des Berufungsurteils, die Beklagte könne von den Klägerinnen nicht Freistellung von der Schenkungsteuer verlangen,) nicht durch:

a) Das Berufungsgericht geht zwar nicht auf den Vortrag der Beklagten ein, der Vater sei auch wegen eines Motivirrtums zur Anfechtung des Testaments berechtigt gewesen (§§ 2078 Abs. 2, 2281 BGB). Nach Darstellung der Beklagten hatte er sich über die Vorgänge bei Entstehung des Testaments so aufgeregt, dass er mit den Klägerinnen nichts mehr zu tun haben wollte. Das Berufungsgericht hebt mit Recht hervor, dieser Vortrag weise darauf hin, dass dem Erblasser schon bei Testamentserrichtung klar gewesen sei, welche Auswirkungen seine Erklärung hatte. Mithin ist eine sich erst nachträglich als falsch erweisende Vorstellung des Vaters nicht schlüssig vorgetragen. Außerdem wäre die Anfechtungsfrist der §§ 2082, 2283 BGB im Zeitpunkt der Schenkung bereits abgelaufen gewesen, die bindende Wirkung des gemeinschaftlichen Testaments insofern also endgültig geworden.

b) Das Berufungsgericht ist hinsichtlich der Schenkung an die Beklagte von einem Sinneswandel des Vaters gegenüber dem Testament ausgegangen. Dabei hielt es für nahe liegend, dass auch der Vater seinen Nachlass zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung auf die Klägerinnen habe übertragen wollen, da die Eltern in den letzten acht Jahren zuvor überhaupt keinen ernsthaften Kontakt zu der Beklagten gehabt und angenommen hätten, dass diese sogar den Pflichtteil ausschlagen könnte. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht nicht ausdrücklich erwogen, dass sich der Vater nach dem Tod seiner Ehefrau bei einem Rechtsanwalt wegen des Testaments erkundigt und die Auskunft erhalten habe, die Beklagte sei neben den Klägerinnen zur Hälfte als Schlusserbin eingesetzt worden.

Daraus ergibt sich aber nicht, dass der Vater subjektiv ohne Benachteiligungsabsicht gehandelt habe, wie die Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht. Das Anwaltsschreiben nennt als Anlass für die erteilte Auskunft eine Frage des Vaters, ob eine Änderung des Testaments zugunsten der Beklagten "wirklich noch zulässig" sei. Im Anschluss an die Auskunft, die Beklagte sei neben den Klägerinnen zur Hälfte eingesetzt, ist in dem Schreiben vermerkt, der Vater habe erklärt, damit seien seine Sorgen zerstreut. Damit bestätigt das Anwaltsschreiben, dass der Vater, der als Mitautor des Testaments selbst am besten wissen musste, welche Anordnungen von Todes wegen die Eltern hatten treffen wollen, ursprünglich gerade nicht von einer Miterbenstellung der Beklagten ausgegangen ist. Er hat vielmehr wegen des bei ihm eingetretenen Sinneswandels den Rat des Anwalts gesucht, um einen Ausweg zu finden. Im Übrigen kann es nicht darauf ankommen, welche subjektiven Vorstellungen der Erblasser vom Umfang seiner erbvertraglichen Bindung hat, wenn nicht die am Schutz des Vertragserben orientierte Auslegung und Anwendung von § 2287 BGB gefährdet werden soll (BGHZ 83, 44, 51).

3. Für das weitere Verfahren gibt der Senat folgende Hinweise:

a) Sollte die Beklagte ihre Behauptung, der Vater habe das gemeinschaftliche Testament aufgrund einer widerrechtlichen Drohung der Mutter unterschrieben, nicht beweisen können, bleibt für den dann gegebenen Anspruch aus § 2287 BGB der Pflichtteil der Beklagten zu berücksichtigen. Insoweit macht die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht geltend, dass die Frage, ob die Klägerinnen Herausgabe der geschenkten Immobilien Zug-um-Zug gegen Zahlung des Pflichtteils oder aber nur Zahlung des Betrages verlangen können, um den der Wert dieser Grundstücke den Pflichtteilsanspruch übersteigt, danach zu beantworten ist, ob der Wert des Geschenks überwiegend herausgegeben werden muss oder im Hinblick auf den Pflichtteil überwiegend der Beklagten gebührt (vgl. BGHZ 77, 264, 271 f.; 88, 269, 272 f.; MünchKomm-BGB/Musielak, 4. Aufl. § 2287 Rdn. 22; Soergel/M. Wolf, aaO § 2287 Rdn. 25; Staudinger/Kanzleiter, BGB [1998] § 2287 Rdn. 26). Dieser für die gemischte Schenkung entwickelte Grundsatz gilt gleichermaßen, wenn der vom Erblasser übertragene Gegenstand dem Empfänger nicht im Hinblick auf eine Gegenleistung, sondern auf seinen Pflichtteilsanspruch zum überwiegenden Teil endgültig zusteht. Bisher ist das Berufungsgericht von einem Pflichtteilsanspruch der Beklagten nach ihrem Vater in Höhe von 722.988,34 € ausgegangen; den Wert der beiden geschenkten Immobilien hat es mit dem Landgericht auf (1,75 Mio. und 775.000 DM =) 1.291.012 € angesetzt. Danach können die Klägerinnen nur den Differenzbetrag beanspruchen. Bei einer solchen Sachlage stehen den Klägerinnen die Nutzungen, die die Beklagte nach dem Tod ihres Vaters aus den geschenkten Grundstücken gezogen hat, nicht zu.

b) Hinsichtlich der Eigentumswohnung, die die Eltern der Beklagten am den Eheleuten E. geschenkt haben, hat das Berufungsgericht einen Pflichtteilsergänzungsanspruch der Beklagten verneint, weil die Eltern mit der Schenkung einer sittlichen Pflicht nachgekommen seien (§ 2330 BGB). Das Berufungsgericht hat angenommen, einer in erster Instanz unstreitig gebliebenen Darstellung der Frau E. sei zu entnehmen, dass diese über 40 Jahre lang im Haushalt der Eltern der Beklagten "überobligationsmäßige" Hilfeleistungen erbracht und aufgrund des über Jahrzehnte gewachsenen Vertrauensverhältnisses eine besondere Stellung im Haushalt eingenommen habe. Das Alter und die Erkrankung der Eltern der Beklagten machten deren Wunsch erklärlich, die Eheleute E. in räumlicher Nähe zu wissen. Dem hält die Beklagte entgegen, von keiner Seite sei behauptet worden, dass auch der Ehemann E. wesentliche Dienstleistungen erbracht habe; im Hinblick auf Frau E. sei in erster Instanz unter Beweisantritt vorgetragen worden, sie habe ihre Arbeitsstunden aufgeschrieben und sei dafür entlohnt worden. Mit diesem Vorbringen setzt sich das Berufungsgericht nicht auseinander.

Das kann aber auf sich beruhen. Denn auch der Sachverhalt, von dem das Berufungsgericht ausgegangen ist, rechtfertigt die Anwendung von § 2330 BGB nicht. Für die Frage, ob eine belohnende Schenkung, die auf Kosten des Pflichtteilsberechtigten geht, sittlich geboten ist, kommt es nicht allein auf Gründe für die Dankbarkeit des Schenkers an, wie sie im Berufungsurteil genannt werden, sondern wesentlich auch darauf, ob Gesichtspunkte der Versorgung des Beschenkten, etwa eine Notlage infolge der für den Schenker erbrachten Leistungen, das Ausbleiben einer solchen Belohnung als sittlich anstößig erscheinen ließe (vgl. insbesondere IVa ZR 125/84 - FamRZ 1986, 1079, 1080; ebenso zu § 534 BGB - NJW 2000, 3488 unter I). Dazu lassen sich dem Berufungsurteil und auch der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Erklärung der Frau E. keine Anhaltspunkte entnehmen.

c) Soweit es schließlich um den Pflichtteilsanspruch der Beklagten nach ihrer vorverstorbenen Mutter geht, hat sich das Berufungsgericht hinsichtlich der Bewertung des Einfamilienhauses in der M. straße dem Landgericht angeschlossen. Das Landgericht ist auf der Grundlage der nach Ergänzung seines ursprünglichen Gutachtens als überzeugend angesehenen Ausführungen des Gerichtssachverständigen von einem Verkehrswert zwischen 693.000 DM und 757.000 DM ausgegangen (nach Abzug von 25.000 DM wegen Nässeschäden sowie 275.000 DM Instandhaltungskosten). Da aber das von den Klägerinnen vorgelegte Privatgutachten (nach Abzug von 50.000 DM wegen Feuchtigkeitsschäden und 51.600 DM für Abbruchkosten) zu einem Verkehrswert von 850.000 DM gelangt, hat das Landgericht diesen, gegenüber dem Gerichtsgutachten höheren Wert zugrunde gelegt, weil er von den Klägerinnen eingeräumt worden sei. Mit den Einwänden der Beklagten, die einen über 850.000 DM hinausgehenden Wert für angemessen hält, hat sich das Berufungsgericht nur teilweise auseinandergesetzt. Nicht berücksichtigt hat das Berufungsgericht den unter Beweis gestellten Vortrag, der Feuchtigkeitsschaden in Höhe von 50.000 DM sei zum maßgebenden Zeitpunkt des Todes der Mutter noch nicht vorhanden gewesen; außerdem sei ein Abzug von Abbruchkosten nicht gerechtfertigt, weil das Haus nicht abgebrochen, sondern verkauft worden sei. Auf beide Positionen kam es indessen nicht mehr an, wenn man - wie das Landgericht und ihm folgend das Berufungsgericht - den Verkehrswert nach dem gerichtlichen Sachverständigengutachten bestimmt. Werden die beiden von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Positionen zu dem vom Gerichtsgutachter angenommenen Wert hinzu addiert, ergibt sich kein höherer als der von den Vorinstanzen angenommene Verkehrswert von 850.000 DM.

Fundstelle(n):
DAAAB-99450

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein