BGH Urteil v. - III ZR 361/03

Leitsatz

[1] Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Strafgefangenen ein Anspruch auf Entschädigung in Geld wegen menschenunwürdiger Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt zustehen kann.

Gesetze: BGB § 839 Fi; GG Art. 1

Instanzenzug: OLG Celle vom LG Hannover

Tatbestand

Der Kläger verbüßte eine Freiheitsstrafe in der JVA Amberg. Am wurde er für eine Besuchszusammenführung in die JVA Bielefeld-Brackwede 1 verlegt. Vom 10. bis befand er sich als sogenannter Durchgangsgefangener in der Transportabteilung der JVA Hannover. Er war in einem 16 qm großen Haftraum mit vier weiteren Gefangenen untergebracht. Der Raum war mit einem Etagenbett, drei Einzelbetten, fünf Stühlen, zwei Tischen und zwei Spinden ausgestattet. Ein Waschbecken und eine Toilette waren mit einem Sichtschutz abgetrennt. Die Inhaftierten durften den Haftraum täglich für eine Stunde zum Hofgang verlassen.

Auf Antrag des Klägers stellte die Strafvollstreckungskammer des die Rechtswidrigkeit der Unterbringung fest. Die gemeinsame Unterbringung von fünf Gefangenen in einem nachts verschlossenen, 16 qm großen Haftraum bei Abtrennung der Toilette nur mit einem Sichtschutz sei unzulässig und verstoße gegen das Gebot menschenwürdiger Unterbringung.

Im vorliegenden Amtshaftungsprozeß nimmt der Kläger das beklagte Land auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung (mindestens 200 €) in Anspruch. Das Landgericht (StV 2003, 568 mit Anm. Lesting) hat ihm 200 € nebst Zinsen zugesprochen; das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Beide Vorinstanzen haben festgestellt, daß die Unterbringung des Klägers gemeinsam mit vier weiteren Gefangenen in dem viel zu kleinen Haftraum rechtswidrig gewesen ist sowie gegen das Gebot der menschenwürdigen Behandlung Strafgefangener verstieß und daß die zuständigen Amtsträger des beklagten Landes dadurch eine schuldhafte Amtspflichtverletzung gegenüber dem Kläger begangen haben.

a) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß die rechtskräftige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer im Verfahren nach § 109 StVollzG, die die Rechtswidrigkeit der Unterbringung des Klägers festgestellt hat, auch für den jetzigen Amtshaftungsprozeß Bindungswirkung entfaltet. Es gelten insoweit die gleichen Grundsätze, die der Senat für die Bindungswirkung einer im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG ergangenen Entscheidung des Strafsenats eines Oberlandesgerichts entwickelt hat (Senatsurteil vom - III ZR 15/93 = NJW 1994, 1950; s. auch Staudinger/Wurm, BGB 13. Bearb. [2002] § 839 Rn. 439, 440).

b) Die tatrichterliche Würdigung, daß durch die Art und Weise der Unterbringung die Menschenwürde der betreffenden Strafgefangenen verletzt wurde, läßt Rechtsfehler nicht erkennen und wird auch von der Revisionserwiderung des beklagten Landes nicht angegriffen.

c) Ebenso ist den Vorinstanzen darin zu folgen, daß die Amtsträger des beklagten Landes auch ein Verschulden trifft. Dabei ist nicht nur auf die an Ort und Stelle zuständigen Justizbediensteten abzustellen, sondern auch darauf, daß das beklagte Land sich nach seinem Sachvortrag in einer Notsituation befand, weil die Transportabteilung der Justizvollzugsanstalt in dem hier interessierenden Zeitraum mit mehr als 90 Gefangenen belegt war, obwohl sie nur über 47 Einzelhafträume (inkl. vier Sicherheitszellen) und zehn Gemeinschaftshafträume verfügte. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der danach bestehende erhebliche Mangel an Einzelhaftplätzen keinen hinreichenden Grund dafür darstellt, geltendes Recht zu unterlaufen. Insoweit ist zumindest der Vorwurf eines Organisationsverschuldens begründet, das dem beklagten Land auch dann zuzurechnen ist, wenn die tätig gewordenen Beamten selbst subjektiv nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben (Staudinger/Wurm aaO Rn. 228).

2. Das Berufungsgericht läßt jedoch - im Gegensatz zum Landgericht - den hieraus hergeleiteten Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) daran scheitern, daß unter den hier vorliegenden besonderen Umständen des Falles die Zuerkennung einer Entschädigung für die zweitägige Unterbringung in dem gemeinschaftlichen Haftraum aus Gründen der Billigkeit weder unter dem Gesichtspunkt der Ausgleichs- noch der Genugtuungsfunktion geboten sei. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

a) Der geltend gemachte Schaden des Klägers ist einerseits kein Vermögensschaden, andererseits jedoch auch kein (bloßes) Schmerzensgeld im Sinne des hier noch anwendbaren § 847 BGB a.F. Es geht vielmehr um den Ausgleich einer Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) und des aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Für die Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist anerkannt, daß es sich im eigentlichen Sinne nicht um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB a.F. (jetzt: § 253 Abs. 2 BGB n.F.) handelt, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zurückgeht. Die Zubilligung einer Geldentschädigung beruht auf dem Gedanken, daß ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktionen blieben mit der Folge, daß der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund (BGHZ 128, 1, 15 m.w.N.; BVerfG NJW 2000, 2187 f).

b) Die Revision rügt, das Berufungsgericht verkenne mit seinen Erwägungen, daß die von Verfassungs wegen unantastbare Menschenwürde einer Abwägung mit anderen Interessen oder Verfassungswerten nicht zugänglich sei. Die Würde des Menschen sei nach Art. 1 Abs. 1 GG unantastbar und absolut geschützt. Die Berücksichtigung der Dauer und der Intensität des Eingriffs in Art. 1 Abs. 1 GG führe im Ergebnis zur Aufgabe des Grundrechtsschutzes und zur Preisgabe der Würde des Menschen. Sie würde bedeuten, daß kurze, wenig intensive Eingriffe zulässig seien.

Damit verkennt die Revision, daß zwischen der Feststellung einer Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG einerseits und der Zuerkennung einer Geldentschädigung andererseits kein zwingendes Junktim besteht.

aa) Zwar trifft es zu, daß dem Recht auf Achtung der Menschenwürde in der Verfassung ein Höchstwert zukommt; es ist das tragende Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, daß dann, wenn das Recht eines Strafgefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde durch menschenunwürdige Unterbringung verletzt wird, die Zulässigkeit eines Rechtsschutzbegehrens auf nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Unterbringung nicht davon abhängen kann, ob dies nur vorübergehend geschehen war (BVerfG NJW 2002, 2699 f; 2002, 2700 f; 1993, 3190 f). Dem Gefangenen muß das Recht zustehen, diese Rechtsverletzungen mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen des Strafvollzugsgesetzes (§§ 108 ff) anzugreifen. Diesen Weg hat der Kläger hier auch erfolgreich beschritten.

bb) Die solchermaßen festgestellte Menschenrechtsverletzung fordert indessen nicht in jedem Fall eine zusätzliche Wiedergutmachung durch Geldentschädigung. Der Senat sieht vielmehr keine durchgreifenden Bedenken dagegen, einen Anspruch auf Geldentschädigung von dem weiteren Erfordernis abhängig zu machen, daß die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Dies hängt - insoweit nicht anders als beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht, auch wenn die Erheblichkeitsschwelle bei Verletzungen der Menschenwürde generell niedriger anzusetzen ist - insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlaß und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGHZ 128, 1, 12).

cc) Auch im Anwendungsbereich der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ist anerkannt, daß eine - eine Wiedergutmachung durch Geldersatz nach Art. 41 EMRK fordernde - unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nur und erst vorliegt, wenn sie ein Mindestmaß an Schwere erreicht. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, wie beispielsweise der Dauer der Behandlung, ihren physischen oder psychischen Folgen oder von Geschlecht, Alter oder Gesundheitszustand des Opfers (EGMR, Urteil vom [Raninen ./. Finnland], ÖIM Newsletter [NL] 1998/1/7; Urteil vom [Peers ./. Griechenland], Nr. 28524/95 Slg. 2001 Sec. III, 277 f, 294 ff Rn. 67-79; vgl. auch EKMR in der Sache Brincat ./. Italien, Beschwerde Nr. 13867/88; mitgeteilt von Strasser, EuGRZ 1993, 425, 426). Im übrigen kann auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein dem Anliegen des Rechtsmittelführers Rechnung tragendes Urteil selbst eine ausreichend gerechte Entschädigung darstellen, so daß eine weitergehende Entschädigung in Geld für den erlittenen immateriellen Schaden nicht mehr geboten ist (vgl. Nikolova ./. Bulgarien, Urteil vom , NL 1999/2/8).

c) Das Berufungsgericht führt aus, die räumlichen Verhältnisse, unter denen der Kläger untergebracht gewesen sei, seien zwar menschenunwürdig (Art. 1 GG) gewesen. Jedoch mache der Kläger selbst nicht geltend, daß der - nur zwei Tage andauernde - rechtswidrige Zustand ihn seelisch oder körperlich nachhaltig belastet habe. Vielmehr habe der Kläger über die mit den räumlichen Verhältnissen unvermeidlich verbundenen Belästigungen und Unannehmlichkeiten hinaus keine Beeinträchtigungen seines körperlichen oder seelischen Wohles erlitten. Dem Mißstand habe zudem keine schikanöse Absicht, sondern eine akute, aus der Überbelegung resultierende Zwangslage zugrunde gelegen. Eingriffsintensität und Verschulden seien insgesamt als gering zu bewerten. Zudem habe der Kläger bereits durch die von der Strafvollstreckungskammer getroffene Feststellung der Rechtswidrigkeit Schutz und Genugtuung erfahren.

d) Diese Feststellungen sind weder nach ihrem Inhalt noch nach den ihnen zugrundeliegenden Beurteilungskriterien - in die das Berufungsgericht auch das Organisationsverschulden des beklagten Landes (s.o. 1. b) einbezogen hat - revisionsrechtlich zu beanstanden. Die Revision setzt bei ihrer abweichenden Beurteilung lediglich in unzulässiger Weise ihre eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts, ohne Verfahrens- oder materielle Rechtsfehler aufzeigen zu können.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
UAAAB-98711

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja