Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 296a; ZPO § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3; ZPO § 529 Abs. 1; ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 529 Abs. 2; ZPO § 529 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 531 Abs. 2
Instanzenzug:
Tatbestand
Der Kläger betreibt unter der Bezeichnung "T. Immobilien" ein Maklerunternehmen. Er nimmt als Rechtsnachfolger der "T. Immobilien GbR" die Beklagte auf Zahlung von 163.903,02 € an Maklerprovisionen nebst Zinsen in Anspruch. Der Kläger hat behauptet, die ursprünglich anspruchsberechtigte Gesellschaft bürgerlichen Rechts sei am aufgelöst worden. Hierbei sei zwischen den Gesellschaftern vereinbart worden, daß sämtliche Forderungen auf ihn übergingen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung seine Anspruchsberechtigung nicht unter Beweis gestellt habe, das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Für die Beklagte ist in der mündlichen Verhandlung über die Revision niemand erschienen. Der Kläger hat den Erlaß eines Versäumnisurteils beantragt.
Gründe
Über die Revision des Klägers ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht die Entscheidung jedoch nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf der Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstands (vgl. BGHZ 37, 79, 81).
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Feststellung, daß der Kläger hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen seiner Aktivlegitimation beweislos geblieben sei, sei im Rahmen der eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeiten im Berufungsverfahren nicht zu beanstanden.
Der Kläger habe zwar bereits in der Klagebegründung seinen ehemaligen Mitgesellschafter H. als Zeugen dafür benannt, daß eine Abtretung der eingeklagten Ansprüche an ihn tatsächlich vereinbart worden sei. Einen etwaigen Verfahrensfehler des Landgerichts (unterlassene Vernehmung des Zeugen) könne das Berufungsgericht aber gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht prüfen, da der Kläger diesen Mangel in seiner Berufungsbegründung nicht gerügt habe.
Den ferner vom Kläger verspätet - nach Ablauf der vom Landgericht für das schriftliche Verfahren bestimmten Frist - zusammen mit der Kopie einer Gesellschaftervereinbarung eingereichten Schriftsatz vom habe das Landgericht wegen § 296a ZPO nicht mehr berücksichtigen dürfen. Auch die Voraussetzungen für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hätten nicht vorgelegen. Daß der Einzelrichter dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers eine Verwertung des Schriftsatzes zugesichert habe, wie von diesem vorgetragen, sei nicht bewiesen. Die Darlegungen und Beweismittel in jenem Schriftsatz seien daher neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO und mangels Vorliegens eines der dort genannten Ausnahmetatbestände vom Berufungsgericht nicht mehr zu berücksichtigen.
II.
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Es mag dahinstehen, ob das Landgericht wegen des nachgereichten Schriftsatzes vom zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet war, wie die Revision geltend macht. Das Berufungsgericht durfte jedenfalls den nach seinen unangegriffenen Feststellungen erstinstanzlich vom Kläger für die Abtretung der Klageforderung an ihn angebotenen Zeugenbeweis nicht deshalb ablehnen, weil der Kläger das Übergehen seines Beweisantrags in der Berufungsbegründung nicht gerügt hatte. Der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts ergibt sich insofern nicht aus § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO, sondern allein aus § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Das hat der Bundesgerichtshof inzwischen - nach Erlaß des Berufungsurteils - entschieden (Urteil vom - V ZR 257/03 - NJW 2004, 1876, 1877 ff., für BGHZ bestimmt). Der erkennende Senat schließt sich dem an.
Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Festgestellt in diesem Sinne sind auch Tatsachen, die das erstinstanzliche Gericht seiner Entscheidung ohne Prüfung ihrer Wahrheit in freier Beweiswürdigung zugrunde gelegt hat, etwa, weil sie nicht bestritten seien oder - wie hier - die beweisbelastete Partei für das von ihr behauptete Gegenteil keinen hinreichenden Beweis angeboten habe (vgl. - NJW 2004, 2152, 2153, für BGHZ vorgesehen). Anhaltspunkte, die die Bindung des Berufungsgerichts entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern bei der Ermittlung des Sachverhalts ergeben (Begründung zum Regierungsentwurf eines Zivilprozeßreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722 S. 100; aaO S. 1876; Urteil vom aaO; Urteil vom - VI ZR 199/03 - Umdruck S. 6 f.; Urteil vom - VI ZR 230/03 - Umdruck S. 8 f.; jeweils m.w.N.), hier das Übersehen des vom Kläger ordnungsgemäß angetretenen Zeugenbeweises.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dafür eine formale Berufungsrüge in der Begründung der Berufung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO nicht erforderlich. Die Vorschrift regelt lediglich eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels, beschränkt aber nicht die inhaltliche Überprüfung des angefochtenen Urteils. Das ergibt sich auch nicht aus § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Nach den Gesetzesmaterialien hat das Berufungsgericht Zweifeln an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen selbst dann nachzugehen, wenn es sie unabhängig vom Parteivortrag aufgrund lediglich bei ihm gerichtskundiger Tatsachen gewonnen hat (BT-Drucks. 14/4722 aaO). Dann kann und muß das Berufungsgericht jedoch erst recht konkrete Anhaltspunkte berücksichtigen, die ihre Grundlage im erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien haben, ohne Rücksicht darauf, ob der Berufungskläger diesen Mangel zum Gegenstand einer Berufungsrüge gemacht hat. Für die Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils ist darum ausschließlich § 529 Abs. 1 ZPO und nicht § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO maßgebend; eine Vermischung mit der in § 529 Abs. 2 ZPO geregelten Rechtsfehlerkontrolle darf selbst dann nicht stattfinden, wenn die zu Zweifeln Anlaß gebenden Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil zugleich auf einem Verfahrensmangel beruhen ( aaO S. 1878 m.w.N., auch zu der Gegenmeinung; abweichend auch OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 139 f.).
III.
Hiernach kann das Berufungsurteil nicht bestehenbleiben. Die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Klageansprüche an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstelle(n):
MAAAB-98611
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein