Leitsatz
[1] Für die Klage auf Auszahlung einer nach DDR-Recht festgesetzten, jedoch nicht geleisteten (steckengebliebenen) Enteignungsentschädigung ist der Zivilrechtsweg gegeben.
Gesetze: GVG § 13; GG Art. 14 Ia
Instanzenzug:
Gründe
I.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die "O. " D. B. - und P. -Gesellschaft mit beschränkter Haftung, war Eigentümerin des Grundstücks N. -Sraße 10-16 in B. . Durch Inanspruchnahmebescheide vom wurde das Grundstück nach dem Aufbaugesetz der ehemaligen DDR vom (GBl. I S. 965) mit Wirkung vom enteignet und in Volkseigentum überführt. Rechtsträger wurden teils das Staatliche Komitee für Rundfunk beim Ministerrat der DDR, teils der VEB Energiekombinat B. . Mit Feststellungsbescheid vom wurde auf der Grundlage des Entschädigungsgesetzes der DDR vom (GBl. I S. 209) für den Grundbesitz eine Entschädigung von zusammen 289.116 Mark festgesetzt. Weder eine Auszahlung dieses Betrags noch die Begründung von Schuldbuchforderungen ist erfolgt. 1994 wurde im Vermögenszuordnungsverfahren bestandskräftig festgestellt, daß Eigentümer des Grundstücks nunmehr die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als BGB-Gesellschaft zur gesamten Hand sind.
Die Klägerin beantragte erfolglos die Rückübertragung des Grundbesitzes nach dem Vermögensgesetz. Mit der vorliegenden Klage nimmt sie das Land B. auf Auskehrung der festgesetzten, im Verhältnis 2:1 umgestellten Entschädigungssumme nebst Zinsen in Anspruch, insgesamt auf Zahlung von 179.733,19 DM zuzüglich weiterer Zinsen. Das Landgericht hat auf die Rüge des Beklagten den ordentlichen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen. Die von der Klägerin erhobene Beschwerde hat das zurückgewiesen und darin die "weitere Beschwerde" zugelassen; der Beschluß ist der Klägerin am zugegangen. Gegen diese Entscheidung hat sie zunächst beim Kammergericht "weitere Beschwerde" und nach einem Hinweis des Senats am beim Bundesgerichtshof nochmals "Rechtsbeschwerde" eingelegt.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie des Bundesarbeitsgerichts ist die weitere Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG an einen obersten Gerichtshof des Bundes seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom (BGBl. I S. 1887) am eine Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 574 ff. ZPO oder jedenfalls als solche zu behandeln (BAG NJW 2002, 3725; 2003, 1069; - NJW-RR 2003, 277, 279, für BGHZ 152, 213 vorgesehen; - NJW 2003, 433, 434; Beschluß vom - VI ZB 41/02 - NJW 2003, 1192 f.; Senatsbeschluß vom - III ZB 91/02, Umdruck S. 6, für BGHZ bestimmt). Die im vorliegenden Fall erfolgte Zulassung der "weiteren Beschwerde" ist daher als Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) zu werten.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO beim Bundesgerichtshof eingegangen. Die Einlegungsfrist beginnt mit der Zustellung des angefochtenen Beschlusses. Eine Zustellung ist im Streitfall nach dem Akteninhalt jedoch nicht erfolgt. Die statt dessen verfügte formlose Mitteilung an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin konnte die Notfrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht in Lauf setzen. Auch eine Heilung nach dem hier bereits anwendbaren § 189 ZPO in der Fassung des Zustellungsreformgesetzes vom (BGBl. I S. 1206) setzt voraus, daß das Gericht mit Zustellungswillen gehandelt hat ( - NJW 2003, 1192, 1193), woran es im vorliegenden Fall fehlt. Das vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in der Beschwerdeschrift vom der Sache nach abgegebene Empfangsbekenntnis, die Entscheidung des Kammergerichts am "zugestellt" erhalten zu haben, vermag den mangelnden Zustellungswillen des Gerichts nicht zu ersetzen. Auf die weitere Frage, ob die Rechtsbeschwerde nicht wegen der seinerzeit unklaren Rechtslage zumindest in Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes als zulässig angesehen werden müßte (vgl. dazu , aaO), kommt es deswegen nicht an.
III.
Die danach zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Für den mit der Klage verfolgten Anspruch auf Zahlung einer Enteignungsentschädigung steht, auch wenn sich die Forderung materiell nach DDR-Recht richtet, nach Inkrafttreten des Grundgesetzes im Beitrittsgebiet (Art. 3 EV) gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG der Zivilrechtsweg offen.
1. Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG weist entsprechend der deutschen Rechtstradition Streitigkeiten wegen der Höhe einer Enteignungsentschädigung den ordentlichen Gerichten zu. Die Norm enthält damit eine prozessuale Sonderregelung, die in ihrem Anwendungsbereich die sonst begründete allgemeine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO verdrängt. Das betrifft zwar, wie der Zusammenhang mit den vorausgehenden materiellrechtlichen Bestimmungen über die Zulässigkeit von Enteignungen und den Umfang der zu zahlenden Entschädigung in den Sätzen 1 bis 3 des Art. 14 Abs. 3 GG ergibt, nur Enteignungen im engeren Sinn (dazu Ehlers in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn. 499 ff.); insofern ist Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG die prozessuale Ergänzung des in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG normierten Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung (BVerfGE 58, 300, 319). Hieraus folgt aber nicht, daß diese Sonderzuweisung ausschließlich für unter der Herrschaft des Grundgesetzes erfolgte und deswegen an ihm zu messende Enteignungen gelten könnte. Gegen ein derart enges Verständnis der in ihrem Wortlaut weit gefaßten und uneingeschränkten Zuständigkeitsbestimmung in Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG spricht wesentlich schon, daß hierdurch eine einheitliche Rechtsmaterie aufgespalten und die Gefahr widersprechender Entscheidungen begründet würde. Der Verfassungsgeber hat aber auch die Streitigkeiten über Enteignungsentschädigungen erkennbar im Anschluß an die entsprechende Regelung in Art. 153 Abs. 2 Satz 3 WRV insgesamt den ordentlichen Gerichten zuweisen wollen. Die für ihn maßgebenden Gründe, bei den Zivilgerichten sei ein besonderes Engagement für die Eigentümerinteressen zu erwarten und die bürgerlichen Rechte seien deswegen bei ihnen am besten gesichert, mögen inzwischen zwar rechtspolitisch überholt sein (Bryde in v. Münch/Kunig, GG-Kommentar, 5. Aufl., Art. 14 Rn. 96); sie bestimmen gleichwohl weiterhin den Inhalt der Norm. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof in älteren Entscheidungen auch keine Bedenken gesehen, auf der Grundlage des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für Ansprüche nach dem Reichsleistungsgesetz zu bejahen, obwohl in diesen Fallgestaltungen die Inanspruchnahme des Eigentums bereits vor Inkrafttreten des Grundgesetzes erfolgt war (BGHZ 4, 266, 271 ff.; 8, 344, 345 f.; ebenso BVerwGE 8, 226, 227). Die diesen Urteilen zugrundeliegenden Erwägungen gelten entsprechend für Entschädigungsansprüche wegen Enteignungen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes.
2. Nach diesen Maßstäben ist im Streitfall an der Zulässigkeit des Zivilrechtswegs nicht zu zweifeln. Die Klage betrifft selbst nach dem früheren DDR-Recht (Art. 16 DDR-Verfassung, § 14 Abs. 2 Aufbaugesetz) und erst recht nach heutigem Rechtsverständnis mit dem Entzug des Grundeigentums zugunsten anderer in einem förmlichen Verfahren eine Enteignung im klassischen Sinn. Auch der Umstand, daß das beklagte Land seine Verantwortlichkeit für die Zahlung der Entschädigung insgesamt in Frage stellt (s. hierzu auch Senatsurteil BGHZ 145, 145), steht nicht entgegen. Im Verfahren über die Höhe der Enteignungsentschädigung hat das Zivilgericht nach ständiger Rechtsprechung zugleich über den Grund des Anspruchs zu entscheiden (BGHZ 4, 266, 272 f.; 15, 268, 270; BVerwGE 39, 169, 171 ff.; ebenso etwa Papier in Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 646 f. m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
OAAAB-98295
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja