BGH Urteil v. - II ZR 193/02

Leitsatz

[1] a) Die von dem Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH im Einverständnis mit seinem einzigen Mitgesellschafter unterlassene Beaufsichtigung dieses Gesellschafters, der von Kunden der GmbH empfangene Schecks veruntreut, stellt keine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG dar.

b) Zur Tragweite eines Entlastungs- oder Generalbereinigungsbeschlusses im Hinblick auf ein Aufsichtsversäumnis des Geschäftsführers gegenüber dem Mehrheitsgesellschafter.

Gesetze: GmbHG § 43; GmbHG § 46 Nr. 6

Instanzenzug: LG Saarbrücken

Tatbestand

Der Kläger war Mandant der E. Steuerberatungs-GmbH. Ihr Alleingeschäftsführer war der Beklagte, der 5 % ihres Stammkapitals hielt. Die restlichen 95 % hielt der Gesellschafter W. B. , der - anders als der Beklagte - kein zugelassener Steuerberater war, aber den Kläger als Mandanten der GmbH betreute. Unter dem beschlossen die Gesellschafter "einstimmig" die Beendigung des Geschäftsführeramtes des Beklagten zum ; zugleich wurde ihm Entlastung erteilt mit dem Zusatz: "Er übernimmt keine Haftung für irgendwelche Angelegenheiten, die die GmbH betreffen bzw. betrafen. Dafür steht der Gesellschafter W. B. in Pflicht, was dieser mit seiner Unterschrift bestätigt". Unter dem anerkannte der Zeuge B. zu notarieller, vollstreckbarer Urkunde, dem Kläger aus ihm von diesem in der Zeit von März 1994 bis September 1997 übergebenen Schecks den Gesamtbetrag von 104.184,50 DM (nebst Zinsen) zu schulden. Mit Anwaltsschreiben vom nahm der Kläger den Beklagten auf Schadensersatz wegen vier dieser Schecks aus der Zeit von März bis September 1995 mit der Begründung in Anspruch, daß der Beklagte infolge Verletzung seiner Aufsichtspflicht als Geschäftsführer und verantwortlicher Steuerberater die Veruntreuung der zur Weiterleitung an das Finanzamt bestimmten Schecks durch den Gesellschafter B. ermöglicht habe. Im Juli 2000 erwirkte der Kläger gegen die inzwischen in Liquidation befindliche E. -GmbH einen Zahlungstitel wegen neun angeblich veruntreuter Schecks aus der Zeit vom bis in Höhe von insgesamt 75.336,50 DM (nebst Zinsen) und ließ daraufhin angebliche Schadensersatzansprüche der E. -GmbH i.L. gegen den Beklagten aus § 43 Abs. 2 GmbHG in entsprechender Höhe pfänden und sich zur Einziehung überweisen. Diese Ansprüche macht der Kläger - neben solchen aus eigenem Recht - im vorliegenden Rechtsstreit gegen den Beklagten geltend. Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Dagegen richtet sich die - zugelassene - Revision des Klägers.

Gründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Zutreffend ist das Berufungsgericht der Ansicht, daß Ersatzansprüche des Klägers aus übergegangenem Recht der E. -GmbH i.L. gegen den Beklagten als ihren ehemaligen Geschäftsführer wegen unterlassener Beaufsichtigung des Mitarbeiters und Mehrheitsgesellschafters B. nicht bestehen.

1. Die Klage scheitert insoweit bereits daran, daß in der von dem Beklagten in offensichtlichem Einverständnis mit seinem Mitgesellschafter B. unterlassenen Beaufsichtigung dieses Mitgesellschafters keine Pflichtverletzung des Beklagten gegenüber der E. -GmbH im Sinne von § 43 Abs. 2 GmbHG gesehen werden kann. Nach der Rechtsprechung des Senates wird der Wille einer GmbH im Verhältnis zu ihrem Geschäftsführer grundsätzlich durch denjenigen ihrer Gesellschafter repräsentiert (vgl. Sen.Urt. v. - II ZR 189/99, ZIP 2000, 493 m.w.N.); ein Handeln oder Unterlassen des Geschäftsführers im - auch stillschweigenden - Einverständnis mit sämtlichen Gesellschaftern (vgl. dazu Sen.Urt. v. - II ZR 122/98, ZIP 2000, 135 f. zu 1) stellt daher grundsätzlich keine (haftungsbegründende) Pflichtverletzung im Sinne von § 43 Abs. 2 GmbHG dar.

Die Klage aus übergegangenem Recht der E. -GmbH könnte selbst dann keinen Erfolg haben, wenn in den (angeblichen) Scheckveruntreuungen B. mit Rücksicht auf die Haftung der E. -GmbH für dieses Verhalten (§ 278 BGB) eine Auszahlung von Gesellschaftsvermögen an ihn zu sehen und dem Beklagten über die unterlassene Beaufsichtigung B. hinaus eine Mitwirkung an dieser Auszahlung zur Last zu legen wäre. Denn auch eine Auszahlung von Gesellschaftsvermögen stellt bei Einverständnis sämtlicher Gesellschafter keine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft dar, soweit die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter gegenüber der GmbH reicht (vgl. auch BGHZ 142, 92; Sen.Urt. v. - II ZR 107/01, ZIP 2002, 2128), also die Grenzen der §§ 30 f., 33, 43 Abs. 3, 64 Abs. 2 GmbHG oder des unabdingbaren Schutzes der GmbH vor existenzvernichtenden Eingriffen (vgl. dazu BGHZ 149, 10, 16; Sen.Urt. v. - II ZR 196/00, ZIP 2002, 848) nicht berührt werden. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, daß durch die zweckwidrige Verwendung der Schecks das Stammkapital der E. -GmbH i.S.v. § 30 GmbHG verletzt oder ihre wirtschaftliche Existenz bedroht wurde.

Offen ist zudem, inwieweit der Gesellschafter B. die Scheckbeträge zu eigenen oder für Zwecke der Gesellschaft verwendet hat. Im letzteren Fall wäre die E. -GmbH dadurch nicht geschädigt (vgl. Sen.Urt. v. - II ZR 260/92, ZIP 1994, 872).

2. Selbst wenn ursprünglich Schadensersatzansprüche der E. -GmbH bestanden hätten, wären diese jedenfalls dadurch erloschen, daß dem Beklagten durch den Gesellschafterbeschluß vom Entlastung für seine bisherige Geschäftsführertätigkeit erteilt und darüber hinaus - im Sinne einer sog. "Generalbereinigung" aus Anlaß des Ausscheidens des Beklagten als Geschäftsführer (vgl. dazu Senat, BGHZ 97, 382, 389; Urt. v. - II ZR 236/96, ZIP 1998, 332 f.) - auf jegliche Haftung des Beklagten gegenüber der E. -GmbH "für irgendwelche Angelegenheiten, die die GmbH betrafen", verzichtet wurde. Daß der Gesellschafter B. statt dessen die Haftung übernahm, ändert an dem Anspruchsverzicht gegenüber dem Beklagten nichts.

a) Wie sich aus § 46 Nr. 6, 8 GmbHG ergibt, ist es, solange nicht der Anwendungsbereich des § 43 Abs. 3 GmbHG betroffen ist, Sache der Gesellschafter, darüber zu befinden, ob ein Geschäftsführer wegen etwaiger Pflichtwidrigkeiten zur Rechenschaft gezogen oder ob auf Ansprüche gegen ihn durch Entlastungs- oder Generalbereinigungsbeschluß verzichtet werden soll (vgl. Sen.Urt. v. - II ZR 107/01, ZIP 2002, 2128 f.). Daß durch den Anspruchsverzicht das Vermögen der Gesellschaft und damit ihr Haftungsfonds im Verhältnis zu ihren Gläubigern geschmälert wird, nimmt das Gesetz hin, soweit nicht der Verzicht auf eine gemäß § 30 GmbHG verbotene Auszahlung an einen Gesellschaftergeschäftsführer hinausläuft (vgl. dazu BGHZ 122, 333, 338; krit. Roth/Altmeppen, GmbHG 4. Aufl. § 43 Rdn. 101 f.) oder gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG unverzichtbare Ersatzansprüche zum Gegenstand hat. Sind diese Grenzen zur Zeit des Haftungsverzichts gewahrt, so bleibt es bei dessen Wirksamkeit auch dann, wenn der Schadensersatzbetrag später zur Gläubigerbefriedigung benötigt würde (vgl. Sen.Urt. v. aaO, S. 2130).

b) Entgegen der Ansicht der Revision scheitert die Wirksamkeit des Entlastungsbeschlusses nicht daran, daß der Gesellschafter B. nicht Alleingesellschafter der E. -GmbH war und der an dem Beschluß mitwirkende Beklagte nach seinem Vortrag von den Verfehlungen seines Mitgesellschafters keine Kenntnis hatte. Denn es ging hier nicht um die Entlastung des Mitgesellschafters B. , sondern um diejenige des Beklagten. Da dieser gemäß § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG an sich kein Stimmrecht hatte, verkörperte der Mitgesellschafter B. den Willen der Gesellschafterversammlung.

c) Umgekehrt unterlag der Gesellschafter B. nicht deshalb einem Stimmverbot in erweiterter Auslegung des § 47 Abs. 4 GmbHG, weil er selbst die Verfehlungen begangen hatte, die der Beklagte nach dem Vortrag des Klägers pflichtwidrig nicht bemerkt haben soll. Der dem § 47 Abs. 4 GmbHG zugrundeliegende Gedanke, daß ein Gesellschafter nicht Richter in eigener Sache sein darf, erfaßt lediglich diejenigen Gesellschafter, welche eine Pflichtverletzung gemeinsam mit einem anderen begangen haben (vgl. BGHZ 97, 28, 34), weil und soweit das gemeinschaftliche Fehlverhalten in solchem Fall nur einheitlich beurteilt werden kann (BGHZ 108, 21, 25). Das gilt aber nicht, wenn - wie hier - einer vorsätzlichen Verfehlung eines Gesellschafters allenfalls ein Aufsichtsversäumnis des Geschäftsführers, mithin eine ganz andersartige Pflichtverletzung gegenübersteht. In dieser Hinsicht war der Gesellschafter B. bei dem Entlastungsbeschluß nicht Richter in eigener Sache. Davon abgesehen könnte eine gegen § 47 Abs. 4 GmbHG verstoßende Stimmrechtsausübung bei festgestelltem oder - wie hier - eindeutigem Beschlußergebnis ohnehin nur durch einen Gesellschafter im Wege fristgerechter Anfechtungsklage entsprechend § 246 Abs. 1 AktG geltend gemacht werden, nicht aber zur Nichtigkeit des Beschlusses entsprechend § 241 AktG führen (vgl. z.B. BGHZ 97, 28, 37).

d) Entgegen der Ansicht der Revision ist der Entlastungsbeschluß auch nicht wegen seines Inhalts entsprechend §§ 241 Nr. 4 AktG, 138 Abs. 1 BGB nichtig. Ein Entlastungsbeschluß ist selbst dann nicht nichtig, sondern nur anfechtbar, wenn sein Gegenstand ein eindeutiges und schwerwiegendes Fehlverhalten des Geschäftsleiters gegenüber der Gesellschaft ist (vgl. Sen.Urt. v. - II ZR 133/01, ZIP 2003, 387). Allerdings hat der Senat im Urteil vom (BGHZ 15, 382 ff.) entschieden, daß ein Entlastungsbeschluß nichtig ist, wenn er "seinem inneren Gehalt nach in einer sittenwidrigen Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Personen besteht". Ein solcher dem Beschluß immanenter und durch dessen Fassung verborgener Schädigungszweck (Senat aaO, S. 386) lag jedoch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts schon deshalb nicht vor, weil die Schadensersatzansprüche des Klägers gegenüber der E. -GmbH (i.V.m. § 278 BGB) wegen der angeblichen Scheckveruntreuungen zum Zeitpunkt des Entlastungsbeschlusses "zweifelsohne durchsetzbar gewesen wären". Hinzu kommt noch, daß nicht nur die Entlastung des Beklagten beschlossen wurde, sondern der Gesellschafter B. an dessen Stelle in die Haftung gegenüber der Gesellschaft eintrat und nicht vorgetragen ist, daß er schon damals absehbar zur Erfüllung seiner Schadensersatzpflicht nicht in der Lage sein würde.

Ebensowenig ist der Entlastungsbeschluß entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig. Er ist, wie das Berufungsgericht zutreffend feststellt, weder mit dem Wesen einer GmbH unvereinbar noch verletzt er durch seinen Inhalt spezielle Vorschriften, die - wie insbesondere die Regeln der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung - ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind.

II. Ansprüche des Klägers aus eigenem Recht gegenüber dem Beklagten hat das Berufungsgericht ebenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen.

1. Auf den Gesichtspunkt einer Vertreterhaftung des Beklagten wegen Inanspruchnahme eines persönlichen Vertrauens (vgl. dazu Senat, BGHZ 126, 181, 189) ist die Klage nach den Feststellungen des Berufungsgerichts schon in zweiter Instanz nicht mehr gestützt worden, nachdem das Landgericht eine derartige Haftung unter Hinweis auf das unstreitig über den Gesellschafter B. zustande gekommene Mandatsverhältnis verneint hatte. Die Revision erhebt insoweit keine Einwände.

2. Auch unter deliktsrechtlichen Gesichtspunkten ist die Klage zu Recht abgewiesen worden.

a) Eine vorsätzliche Schädigung des Klägers durch den Beklagten im Sinne von §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB ist nach den - insoweit von der Revision unbeanstandeten - Feststellungen des Berufungsgerichts nicht nachgewiesen. Entgegen der Ansicht der Revision läßt sich eine deliktische Außenhaftung des Beklagten gegenüber dem Kläger gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen angeblicher Verletzung seiner Aufsichts- und Kontrollpflichten auch nicht aus den Vorschriften über die eigenverantwortliche Ausübung des Steuerberaterberufes gemäß §§ 57 Abs. 1, 60 Abs. 1 Nr. 1, 72 Abs. 1 StBerG herleiten. Diese Vorschriften sind keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Staudinger/Hager, BGB 13. Bearb. § 823 Rdn. G 55; Gehre, StBerG 4. Aufl. § 57 Rdn. 4).

b) Etwaige deliktische Schadensersatzansprüche aus eigenem Recht des Klägers gegenüber dem Beklagten wären ohnehin gemäß § 852 Abs. 1 a.F. BGB verjährt, weil der Kläger früher als drei Jahre vor der klageweisen Geltendmachung dieser Ansprüche Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat. Eine entsprechende Kenntnis hatte der Kläger entsprechend den Feststellungen des Berufungsgerichts spätestens zum Zeitpunkt seines vorprozessualen Schreibens vom , in dem er den Beklagten zur Schadensersatzleistung aufforderte. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts beschränkte sich die Schadenskenntnis des Klägers zu diesem Zeitpunkt nicht auf die in dem Schreiben erwähnten vier Schecks. Vielmehr hatte der Kläger schon vorher Kenntnis von weiteren Scheckunterschlagungen erlangt, wie sich aus dem von dem Gesellschafter B. gegenüber dem Kläger abgegebenen notariellen Schuldanerkenntnis vom und den darin aufgeführten 11 Schecks ergibt. Soweit dort zum Teil andere Schecks als in der Klageschrift genannt sind, kommt es darauf nicht an, weil der Kläger sich durch einfache Nachfrage bei dem Finanzamt nach den dort eingegangenen Steuervorauszahlungen Klarheit über den Gesamtkomplex der Veruntreuungen hätte verschaffen können (vgl. BGHZ 133, 192, 198 f.). Entgegen der Ansicht der Revision wurde die dreijährige Verjährungsfrist durch die am bei Gericht eingereichte Klage nicht unterbrochen (§ 209 BGB a.F.). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, hat der Kläger im Rechtsstreit ursprünglich nur Ansprüche aus übergegangenem Recht der ESA-GmbH gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG gegenüber den Beklagten geltend gemacht und dazu auf den gegen sie erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschluß verwiesen. Deliktische Ansprüche aus eigenem Recht hat er erstmals mit Schriftsatz vom in den Rechtsstreit eingeführt. Da für den Umfang der Verjährungsunterbrechung nach § 209 Abs. 1 BGB a.F. der jeweils geltend gemachte prozessuale Streitgegenstand maßgebend ist (BGHZ 132, 240, 243 m.N.), Ansprüche aus eigenem und abgetretenem Recht aber unterschiedliche Streitgegenstände sind (vgl. Thomas/Putzo, ZPO 24. Aufl. Einl. II Rdn. 32; Zöller/Greger, ZPO 23. Aufl. § 260 Rdn. 1), wurde die Verjährungsfrist für die (deliktischen) Ansprüche des Klägers aus eigenem Recht durch die allein auf die gepfändeten angeblichen Ansprüche der E. -GmbH gestützte Klage nicht unterbrochen und war im Zeitpunkt erstmaliger Erhebung der Ansprüche des Klägers aus eigenem Recht bereits abgelaufen.

Fundstelle(n):
BB 2003 S. 1141 Nr. 22
DB 2003 S. 1107 Nr. 20
DStR 2003 S. 1309 Nr. 31
INF 2003 S. 613 Nr. 16
OAAAB-97809

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja