BGH Beschluss v. - II ZB 21/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 84; ZPO § 85 Abs. 2; ZPO § 87; ZPO § 574 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Das Landgericht München I hat die Klägerin, deren Klagebegehren ohne Erfolg blieb, im Wege der Widerklage durch Urteil vom verurteilt, an den Beklagten 344.849,23 € nebst Zinsen zu bezahlen. Das Urteil ist den im ersten Rechtszug tätigen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, den Rechtsanwälten B. D. R., am zugestellt worden. Eine weitere Zustellung des Urteils ist aufgrund ihrer Bestellungsanzeige vom an die Rechtsanwälte Bu., G. & Partner am bewirkt worden. Durch Schriftsatz vom haben die Rechtsanwälte Bu., G. & Partner als Vertreter der Klägerin in deren Namen Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sind am bei dem Oberlandesgericht eingegangen.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin ausgeführt: In der Kanzlei ihrer Bevollmächtigten werde die täglich eingehende Post von einer Empfangssekretärin geöffnet und mit dem Eingangsstempel versehen an den sachbearbeitenden Rechtsanwalt weitergeleitet. Die Sekretärin dieses Rechtsanwalts trage bei der Zustellung von Urteilen die Fristen für die Einlegung und Begründung der Berufung nebst entsprechender Vorfristen in den zentralen Fristenkalender der Kanzlei ein. Sämtliche Eintragungen würden von der Bürovorsteherin anhand der Schriftstücke kontrolliert und etwaige Fehler berichtigt. Die Frist für die Begründung der Berufung sei zutreffend auf den und eine Vorfrist auf den notiert worden. Wegen der am erfolgten (abermaligen) Zustellung des Urteils habe die Sekretärin des sachbearbeitenden Rechtsanwalts, E. P., angenommen, die auf den 7. Januar und notierten Fristen hätten sich erledigt und von einer Vorlage der Akte abgesehen. Bei einer Kontrolle des zentralen Fristenkalenders habe der sachbearbeitende Rechtsanwalt am festgestellt, daß sowohl die Vorfrist als auch die Berufungsbegründungsfrist nicht abgehakt worden seien.

Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

1. Der Rechtssache kommt entgegen der Auffassung der Klägerin keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, die sich allgemein, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (vgl. , NJW 2002, 3029). Das ist hier nicht der Fall.

a) Zustellungen haben in einem anhängigen Rechtsstreit an den für den Rechtszug bestellten Prozeßbevollmächtigten zu erfolgen (§ 172 Abs. 1 ZPO). Mehrere Prozeßbevollmächtigte sind nach § 84 ZPO berechtigt, sowohl gemeinschaftlich als auch einzeln die Partei zu vertreten. Infolge der Einzelvertretungsbefugnis genügt die Zustellung an einen von mehreren Prozeßbevollmächtigten (BGHZ 118, 312, 322; IVb ZB 567/80, NJW 1980, 2309 f.; BVerwG, NJW 1998, 3582). Deshalb ist für den Beginn des Laufs prozessualer Fristen die zeitlich erste Zustellung an einen der Prozeßbevollmächtigten - im Streitfall der - ausschlaggebend (BGHZ 112, 345, 347; , NJW 2003, 2100; BVerwG aaO; Musielak/Wolst, ZPO 3. Aufl. § 172 Rdn. 4).

b) Die Wirksamkeit der am erfolgten Urteilszustellung an die Rechtsanwälte B. D. R. wird durch die Bestellungsanzeige der Rechtsanwälte Bu., G. & Partner vom nicht berührt. Im Zeitpunkt der Urteilszustellung war die Bestellung der Rechtsanwälte B. D. R. nicht wirksam widerrufen. Für den Widerruf der Bestellung gilt § 87 ZPO sinngemäß. Danach muß gegenüber dem Gericht eindeutig angezeigt werden, daß die Prozeßvollmacht erloschen ist. In Anwaltsprozessen hat außerdem die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts hinzuzutreten. Die Anzeige kann zwar mit der Mitteilung des Erlöschens der früheren Vollmacht verknüpft werden. Eine schlichte Bestellungsanzeige bringt aber wegen der durch § 84 ZPO eröffneten Möglichkeit, mehrere Prozeßbevollmächtigte nebeneinander zu bestellen, nicht ohne weiteres den Widerruf der Bestellung des früheren Bevollmächtigten zum Ausdruck. In der Bestellung eines neuen Prozeßbevollmächtigten kann der Widerruf der Bestellung eines früheren Bevollmächtigten nur dann gesehen werden, wenn darin verlautbart wird, daß der neue Bevollmächtigte anstelle des früheren bestellt werden soll ( IVb ZB 567/80, NJW 1980, 2309; BSG, NJW 2001, 1598 f.; MünchKomm./v. Mettenheim, ZPO 2. Aufl. § 87 Rdn. 5). Von diesen Grundsätzen ist das Oberlandesgericht bei seiner Würdigung, daß die Bestellungsanzeige der Rechtsanwälte Bu., G. & Partner vom mangels jeder weiteren Erklärung nicht zugleich als Widerruf der Bestellung der bisherigen Bevollmächtigten zu deuten ist, ausgegangen. Die zur Prüfung gestellte Rechtsfrage ist mithin geklärt.

2. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) geboten. Die angefochtene Entscheidung, die der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung wegen eines ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschulden ihres Prozeßbevollmächtigten versagt, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

a) Der Rechtsanwalt muß durch seine Büroorganisation dafür Sorge tragen, daß die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders überprüft wird (, NJW-RR 1998, 1604; , NJW 1997, 2120 f.). Der Vortrag der Klägerin zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs läßt jede Schilderung dazu vermissen, daß eine abendliche Fristenkontrolle sichergestellt war. Bei Durchführung einer solchen Fristenkontrolle wäre mangels Streichung am die Nichterledigung der Vorfrist und am die Nichterledigung der Berufungsbegründungsfrist festgestellt worden.

b) Der Rechtsanwalt muß überdies organisatorische Vorkehrungen dagegen treffen, daß Büroangestellte eingetragene Fristen eigenmächtig abändern oder unbeachtet lassen (, NJW 1996, 1349 f.; , FamRZ 1991, 1173 f.; IVb ZB 73/89, VersR 1989, 1316). Dieser Verpflichtung hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nicht genügt, zumal die am erfolgte abermalige Zustellung des Urteils als außergewöhnliche Verfahrensgestaltung Veranlassung gab, auf die Beachtung der bereits eingetragenen Fristen besonders Bedacht zu nehmen (BGHZ 43, 148; , NJW 1991, 2082; BAG, NJW 1995, 3339 f.; BSG, NJW 1998, 1886).

3. Der Senat hat das Rubrum der Klägerin entsprechend dem bereits

erstinstanzlich zu den Akten gereichten Handelsregisterauszug berichtigt (§ 319 ZPO).

Fundstelle(n):
FAAAB-97611

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein