Leitsatz
[1] Einer mittellosen Partei darf nicht deshalb die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung versagt werden, weil sie das Prozeßkostenhilfegesuch erst kurz vor Ablauf der (verlängerten) Begründungsfrist eingereicht hat. Das gilt auch dann, wenn das Gesuch erst nach einem Mandatswechsel durch den neuen Prozeßbevollmächtigten gestellt wird und dieser seine weitere Tätigkeit von der Gewährung der Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht hat (im Anschl. an BGHZ 38, 376).
Gesetze: ZPO § 233 Ha; ZPO § 520 Abs. 2 Satz 3
Instanzenzug: LG Konstanz vom
Gründe
I. Der Kläger macht als Konkursverwalter einer GmbH (Gemeinschuldnerin) gegen den Beklagten zu 1 als deren ehemaligen Gesellschafter und die Beklagte zu 2 als Mitverpflichtete aus einem Darlehen Zahlungsansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung und Verstoßes gegen das Kapitalerhaltungsgebot geltend; der Beklagte zu 1 verlangt im Wege der Widerklage vom Kläger Schadensersatz.
Nachdem dem Kläger Prozeßkostenhilfe bewilligt worden war, hat das Landgericht Klage und Widerklage abgewiesen. Gegen das ihnen am zugestellte Landgerichtsurteil haben die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers - die mit ihm in überörtlicher Sozietät verbundenen Rechtsanwälte E. und Partner - fristgerecht am Berufung eingelegt und zugleich angezeigt, daß sie den Kläger auch in der Berufungsinstanz vertreten. Auf ihren Antrag vom wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum verlängert; die Beklagten widersprachen daraufhin vorsorglich einer weiteren Fristverlängerung. Am zeigte Rechtsanwalt Dr. Er. als Mitglied der Sozietät B. und Partner die Vertretung des Klägers im Berufungsrechtszug an und teilte zugleich die Beendigung des Mandats der früheren Bevollmächtigten mit; außerdem beantragte er - formal ordnungsgemäß - Prozeßkostenhilfe für den Kläger, wobei er darauf hinwies, zur Übernahme des Mandats nur unter der Voraussetzung ihrer Bewilligung bereit zu sein. Ein gleichzeitig gestelltes Gesuch um weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wurde im Hinblick auf die fehlende Zustimmung der Beklagten am zurückgewiesen. Nachdem dem Kläger durch Beschluß des Berufungsgerichts vom Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Er. bewilligt worden war, hat dieser durch Schriftsatz vom fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich die Berufung begründet. Der Beklagte zu 1 hat mit am bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Anschlußberufung gegen das Landgerichtsurteil eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag in den Beschlußgründen zurückgewiesen; zugleich hat es die Kosten des Berufungsverfahrens dem Kläger und in der Annahme, der Beklagte zu 1 habe die Frist zur Anschließung versäumt, diesem nach Maßgabe des anteiligen Mißerfolgs ihrer wechselseitigen Rechtsmittel auferlegt.
Gegen diesen Beschluß wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, mit der er sein Berufungsbegehren weiterverfolgt.
II. Die fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO) und auch im übrigen zulässig. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts geboten (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil der Kläger ohne sein Verschulden gehindert war, seine Berufung innerhalb der bis zum verlängerten Berufungsbegründungsfrist zu begründen (§ 233 ZPO).
1. Das Berufungsgericht hat seine gegenteilige Auffassung im wesentlichen darauf gestützt, daß der Kläger - zumal selbst Rechtsanwalt - gehalten gewesen sei, das ihm bekannte Hindernis der Mittellosigkeit durch rechtzeitige Stellung eines Prozeßkostenhilfeantrags schon während des Laufs der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist auszuräumen, so daß es noch innerhalb der verlängerten Frist hätte beschieden und damit ein Wiedereinsetzungsverfahren hätte vermieden werden können. Das Untätigbleiben bis zum Anwaltswechsel wie auch die Beendigung des Mandats seiner ursprünglichen Bevollmächtigten legten ein Verschulden an der Fristversäumung unbeschadet der Mittellosigkeit nahe.
2. Diese Auffassung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Durch die Überspannung der zeitlichen Anforderungen bewirkt sie für die im Sinne des § 114 ZPO arme Partei eine unzumutbare Verkürzung der jedem Rechtsmittelkläger eingeräumten Möglichkeit zur eingehenden Überlegung und sorgfältigen Begründung des Rechtsmittels. Damit hat das Oberlandesgericht dem Kläger die Durchführung des Berufungsverfahrens in einer von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweichenden Weise unzulässig erschwert und so dessen Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) verletzt.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine unbemittelte Partei, für die ein Anwalt zwar formularmäßig Berufung eingelegt hat, ohne sie zu begründen, die aber keinen Prozeßbevollmächtigten hat, der gewillt ist, für sie weiter tätig zu werden, selbst am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist noch ein Prozeßkostenhilfegesuch einreichen mit der Folge, daß die Berufung nicht deshalb verworfen werden darf, weil innerhalb der Begründungsfrist noch keine Berufungsbegründung eingereicht wurde (st.Rspr. seit BGHZ 38, 376, 377 f.; , BGH-Report 2004, 623 f.). Maßgebliche Erwägung für diese Rechtsprechung ist, daß die Begründungsfrist auch dem mittellosen Rechtsmittelkläger die Möglichkeit sorgfältiger Begründung geben soll. Da die mittellose Partei häufig nur aufgrund eines eingehend vorbereiteten und begründeten Gesuchs mit einer Bewilligung der Prozeßkostenhilfe rechnen kann, würde für sie im Ergebnis diese Frist unzumutbar abgekürzt, wenn sie gezwungen wäre, das mit einer Begründung versehene Prozeßkostenhilfegesuch so zeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zu stellen, daß der beigeordnete Rechtsanwalt in der Lage ist, vor Fristablauf tätig zu werden und das Rechtsmittel zu begründen. Eine Abkürzung der Überlegungsfrist für die unbemittelte Partei läßt sich um so weniger rechtfertigen, als die Gerichte wegen ihrer starken Belastung in der Regel gar nicht in der Lage sind, selbst über ein frühzeitig gestelltes Prozeßkostenhilfegesuch rechtzeitig vor Ablauf der Frist zu entscheiden. Vor allem aber würde es zu erheblicher Rechtsunklarheit und -unsicherheit führen, wenn die Gerichte für die Einreichung des Prozeßkostenhilfegesuchs je nach der Lage des Einzelfalls unterschiedliche Fristen berechnen würden; das Gebot der Rechtssicherheit erfordert es daher, - ebenso wie bei der Rechtsmitteleinlegung (vgl. dazu: BGHZ 16, 1, 3 f.) - auf eine solche besondere Frist für die Beantragung der Prozeßkostenhilfe ganz zu verzichten und der unbemittelten Partei zu gestatten, ihr Gesuch bis zum Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist einzureichen (BGHZ 38, 376, 378).
Von diesen höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsätzen ist das Berufungsgericht in unzulässiger Weise schon dadurch abgewichen, daß es den Kläger trotz der Verlängerung der Begründungsfrist für verpflichtet gehalten hat, den Prozeßkostenhilfeantrag bereits innerhalb der gesetzlichen Frist des § 520 Abs. 2 ZPO zu stellen, um so frühzeitig das Hindernis der Mittellosigkeit zu beheben und ein Wiedereinsetzungsverfahren zu vermeiden. Mit dieser Vorverlagerung der Pflicht zur Einleitung des Prozeßkostenhilfeverfahrens werden die vorstehenden Rechtsprechungsgrundsätze durchbrochen und wird die betreffende mittellose Partei schlechter gestellt als ein nicht auf Prozeßkostenhilfe angewiesener Rechtsmittelkläger.
b) Die vorliegende Besonderheit des Mandatswechsels innerhalb des Laufes der verlängerten Frist beseitigt die Ursächlichkeit (vgl. dazu auch , NJW 1999, 3271) der Mittellosigkeit für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht und rechtfertigt deshalb keine Abweichung von dem genannten höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsatz.
Das Berufungsgericht geht - insoweit zutreffend - selbst davon aus, daß die (unverschuldete) Mittellosigkeit der vom Kläger verwalteten Vermögensmasse (§ 116 ZPO) dafür ursächlich geworden ist, daß die Berufungsbegründung durch ihren jetzigen zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. Er. erst nach Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist erfolgen konnte, weil dieser - in zulässiger Weise - die Mandatsübernahme von der Gewährung der von ihm beantragten Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht hatte. Soweit das Berufungsgericht dem Kläger hingegen ein Untätigbleiben bis zum Anwaltswechsel sowie die Beendigung des seinen früheren Bevollmächtigten erteilten Mandats als verschuldete Umstände anlasten will, die die unverschuldete Ursächlichkeit der Mittellosigkeit für die Fristversäumung ausschließen, ist dies - wie ausgeführt - von Rechtsirrtum beeinflußt.
Darauf, daß das Berufungsgericht sich mit dem angefochtenen Beschluß zu seiner dem Prozeßkostenhilfegesuch stattgebenden Entscheidung in Widerspruch gesetzt hat, weil es die Frage der Wiedereinsetzungsvoraussetzungen im Rahmen der Bewilligung bejaht haben muß, kommt es nicht mehr an.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAB-97592
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja