BGH Urteil v. - I ZR 72/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: HGB § 425 Abs. 1; HGB § 425 Abs. 2; HGB § 435; BGB § 254; BGB § 254 Abs. 1; BGB § 254 Abs. 2 Satz 1; BGB § 398

Instanzenzug: LG Düsseldorf 35 O 112/00 vom OLG Düsseldorf 18 U 206/01 vom

Tatbestand

Die Klägerin ist Transportversicherungs-Assekuradeur der V. Versicherung AG, die ihrerseits führender Transportversicherer der S. Handels GmbH (im Folgenden: Versicherungsnehmerin) ist. Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem Recht wegen des Verlusts von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Versicherungsnehmerin stand in ständiger Geschäftsbeziehung mit der Beklagten. Im Februar 1999 beauftragte sie die Beklagte mit dem Inlandstransport einer Sendung im Wert von umgerechnet 34.932,48 €, ohne diesen Wert zu deklarieren. Das Paket ging im Gewahrsamsbereich der Beklagten verloren. Die Versicherungsnehmerin trat ihre Rechte aus dem Schadensfall an die V. Versicherung AG und diese ihrerseits an die Klägerin ab.

Das Landgericht hat der Klage nur in Höhe der in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten vereinbarten Haftungshöchstgrenze von 1.000 DM stattgegeben.

Die Berufung der Klägerin hat zur Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von weiteren 34.421,19 € nebst Zinsen geführt.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin den geltend gemachten Schadensersatzanspruch in voller Höhe zuerkannt. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Beklagte unterliege als Fixkostenspediteurin für den in ihrem Gewahrsamsbereich eingetretenen Verlust der Frachtführerhaftung gemäß § 425 Abs. 1 HGB und hafte, da der Verzicht auf Schnittstellenkontrollen den Vorwurf leichtfertigen Handelns rechtfertige, summenmäßig unbeschränkt. Der Wert des in Verlust geratenen Pakets stehe aufgrund der vorgelegten Handelsrechnung sowie der Einvernahme der Zeugen G. , L. und B. fest.

Die Klägerin brauche sich wegen der unterbliebenen Wertdeklaration kein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin anrechnen zu lassen. Im Rahmen des § 254 BGB hätte die Beklagte darzulegen und zu beweisen gehabt, dass im Falle der Wertdeklaration für den konkreten Laufweg des abhanden gekommenen Pakets ein lückenlos ineinander greifendes Kontroll- und Überwachungssystem zur Verfügung gestanden habe und auch tatsächlich praktiziert worden sei. Hierzu habe die Beklagte nichts vorgetragen.

II. Die Revision hat Erfolg, soweit das Berufungsgericht ein den Klageanspruch minderndes Mitverschulden der Klägerin verneint hat. Sie führt in diesem Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Im Übrigen ist die Revision zurückzuweisen.

1. Zu Recht und von der Revision unangegriffen hat das Berufungsgericht der Klägerin dem Grunde nach Schadensersatz für den Verlust des Transportgutes gemäß § 425 Abs. 1, §§ 435 HGB, 398 BGB zugesprochen. Nach den getroffenen Feststellungen führt die Beklagte keine Schnittstellenkontrollen durch. Das begründet den Vorwurf eines leichtfertigen Verhaltens (st. Rspr.; vgl. BGHZ 158, 322, 327 ff.; , TranspR 2004, 399, 401; Urt. v. - I ZR 276/02, TranspR 2005, 208, 209). Ebenfalls zutreffend und von der Revision auch nicht angegriffen worden sind die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Wert des in Verlust geratenen Pakets der Versicherungsnehmerin.

2. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin müsse sich keinen mitwirkenden Schadensbeitrag der Versicherungsnehmerin anrechnen lassen.

a) Gemäß § 425 Abs. 2 HGB hängen die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes davon ab, inwieweit bei der Entstehung des Schadens ein Verhalten des Absenders mitgewirkt hat. § 425 Abs. 2 HGB greift den Rechtsgedanken des § 254 BGB auf und fasst alle Fälle mitwirkenden Verhaltens des Ersatzberechtigten in einer Vorschrift zusammen (Begründung zum Regierungsentwurf des Transportrechtsreformgesetzes, BT-Drucks. 13/8445, S. 60). Ein mitwirkender Schadensbeitrag des Versenders kann sich daraus ergeben, dass er eine Wertdeklaration unterlassen oder von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens abgesehen hat. Die zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am zu § 254 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB ergangenen Senatsentscheidungen sind ohne inhaltliche Änderungen auf § 425 Abs. 2 HGB übertragbar (, Tz 11 m.w.N.).

b) Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat aber zu Unrecht einen schadensursächlich gewordenen Mitverursachungsbeitrag der Versicherungsnehmerin verneint. Der Einwand des Mitverschuldens wegen unterlassener Wertdeklaration scheitert nicht bereits dann an der fehlenden Kausalität, wenn auch bei wertdeklarierten Sendungen ein Verlust nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Ein bei der Entstehung des Schadens mitwirkender Beitrag des Versenders kommt auch dann in Betracht, wenn bei wertdeklarierten Sendungen trotz sorgfältigerer Überwachung des Transportwegs noch Lücken bei den Schnittstellenkontrollen verbleiben und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Sendung gerade in diesem Bereich verloren gegangen ist und die Angabe des Wertes der Ware daher deren Verlust nicht verhindert hätte (vgl. , TranspR 2003, 317, 318 = VersR 2003, 1596; BGH TranspR 2004, 399, 401). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich, wenn der Weg des Gutes im Falle einer Wertdeklaration weitergehend kontrolliert wird und daher im Verlustfall genauer nachzuvollziehen ist als bei einer nicht deklarierten Sendung, die Möglichkeiten der Beklagten erhöhen, die Vermutung, ein besonders krasser Pflichtenverstoß habe den Schadenseintritt verursacht, durch den Nachweis zu widerlegen, dass die Ware in einem gesicherten Bereich verloren gegangen ist (BGH TranspR 2003, 317, 318; TranspR 2004, 399, 401 f.).

3. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - bislang nicht geprüft, ob die unterlassene Wertangabe den Schaden mitverursacht hat, weil die Beklagte bei richtiger Wertangabe ihre Sorgfaltspflichten besser erfüllt hätte. Dies wird es im wiedereröffneten Berufungsverfahren auf der Grundlage der Allgemeinen Organisationsbeschreibung der Beklagten nachzuholen haben.

Ebenso wenig hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus gleichfalls folgerichtig - bislang geprüft, ob die Versicherungsnehmerin die sorgfältigere Behandlung von Wertpaketen durch die Beklagte kannte oder immerhin kennen musste. Das Berufungsgericht wird dieser Frage unter Berücksichtigung der Nummer 10 der Beförderungsbedingungen der Beklagten nachzugehen haben. Es wird dabei zu berücksichtigen haben, dass die dortige Regelung dem Versender die Kenntnis vermittelt, dass die Beklagte nur bei einer Wertdeklaration über die in Nr. 10 genannte Haftungshöchstgrenze hinaus (1.000 DM oder Erstattungsbetrag nach § 54 ADSp a.F.) haften will. Bereits aus der versprochenen Haftung bis zum deklarierten Wert ergibt sich, dass die Beklagte alles daran setzen wird, Haftungsrisiken möglichst auszuschließen. Diese Haftung ist von der Zahlung eines Wertzuschlags nach der Tariftabelle der Beklagten abhängig. Die erhöhte Transportvergütung legt zusätzlich nahe, dass die Beklagte ihren Geschäftsbetrieb darauf ausgerichtet hat, wertdeklarierte Sendungen sorgfältiger zu behandeln. Dem steht nicht entgegen, dass Nr. 10 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten die Möglichkeit eröffnet, die Wertzuschläge als Prämie für eine Versicherung weiterzugeben. Ein verständiger Versender, der die Möglichkeit der Versendung von Wertpaketen gegen höhere Vergütung ebenso kennt wie die erhöhte Haftung der Beklagten in diesem Fall, wird davon ausgehen, dass die Beklagte bei der Beförderung von Wertpaketen erhöhte Sorgfalt aufwendet. Er wird zur Vermeidung eines eigenen Schadens den Wert der Sendung deklarieren, wenn dieser den in den Beförderungsbedingungen des Spediteurs genannten Haftungshöchstbetrag überschreitet.

4. Sollte ein Mitverschulden unter Berücksichtigung des zu vorstehend 3. Ausgeführten zu verneinen sein, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob die Versicherungsnehmerin als Auftraggeber es zumindest unterlassen hat, die Beklagte auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die diese weder kannte noch kennen musste. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber Kenntnis davon hatte oder hätte wissen müssen, dass der Frachtführer das Gut mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert der Sendung gekannt hätte. Den Auftraggeber trifft vielmehr eine allgemeine Obliegenheit, auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen, um seinem Vertragspartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Daran wird der Schädiger jedoch gehindert, wenn er über die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im Unklaren gelassen wird (vgl. , TranspR 2005, 311, 314 f.).

Entgegen der vom Berufungsgericht in anderen Urteilen geäußerten Auffassung liegt ein ungewöhnlich hoher Schaden nicht erst bei einem Wert der Sendung oberhalb von 50.000 US-Dollar vor. Die Voraussetzung einer ungewöhnlichen Höhe des Schaden lässt sich nicht in einem bestimmten Betrag oder in einer bestimmten Wertrelation (etwa zwischen dem unmittelbar gefährdeten Gut und dem Gesamtschaden) angeben (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB [2005], § 254 Rdn. 75). Die Frage, ob ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, kann vielmehr regelmäßig nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei ist maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen (vgl. , NJW 2002, 2553, 2554; OLG Hamm NJW-RR 1998, 380; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, § 254 Rdn. 28). Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, welche Höhe Schäden erfahrungsgemäß - also nicht nur selten - erreichen. Da insoweit die Sicht des Schädigers maßgeblich ist, ist vor allem zu berücksichtigen, in welcher Höhe dieser, soweit für ihn die Möglichkeit einer vertraglichen Disposition besteht, Haftungsrisiken einerseits vertraglich eingeht und andererseits von vornherein auszuschließen bemüht ist. Angesichts dessen, dass hier in ersterer Hinsicht ein Betrag von 1.000 DM und in letzterer Hinsicht 50.000 US-Dollar im Raum stehen, liegt es aus der Sicht des Senats nahe, die Gefahr eines besonders hohen Schadens i.S. des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB in solchen Fällen anzunehmen, in denen der Wert der Sendung 5.000 €, also etwa den zehnfachen Betrag der Haftungshöchstgrenze gemäß Nr. 10 der Beförderungsbedingungen der Beklagten, übersteigt.

5. Die Haftungsabwägung nach § 254 BGB obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGHZ 149, 337, 355; BGH TranspR 2004, 399, 402).

Im Rahmen der Haftungsabwägung ist zu beachten, dass die Reichweite des bei wertdeklarierten Sendungen gesicherten Bereichs einen für die Bemessung der Haftungsquote relevanten Gesichtspunkt darstellt: Je größer der gesicherte Bereich ist, desto größer ist auch der Anteil des Mitverschuldens des Versenders, der durch das Unterlassen der Wertangabe den Transport der Ware außerhalb des gesicherten Bereichs veranlasst (BGH TranspR 2003, 317, 318).

Ferner ist der Wert der transportierten Ware von Bedeutung: Je höher der tatsächliche Wert der nicht wertdeklarierten Sendung ist, desto gewichtiger ist der in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende Schadensbeitrag. Denn je höher der Wert der zu transportierenden Sendung ist, desto offensichtlicher ist es, dass die Beförderung des Gutes eine besonders sorgfältige Behandlung durch den Spediteur erfordert, und desto größer ist das in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende Verschulden des Versenders gegen sich selbst.

III. Danach war das Berufungsurteil aufzuheben, soweit das Berufungsgericht ein Mitverschulden verneint hat. In diesem Umfang war die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im Übrigen war das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Fundstelle(n):
SAAAB-97342

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein