BFH Urteil v. - IV R 48/03 BStBl 2006 II S. 760

Ermittlung nicht abziehbarer betrieblicher Schuldzinsen in land- und forstwirtschaftlichem Betrieb

Leitsatz

Bei der Ermittlung der nicht abziehbaren Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a Satz 4 EStG i.d.F. des StBereinG 1999 sind —jedenfalls für die dem Veranlagungszeitraum 1999 zugrunde liegenden Wirtschaftsjahre 1998/99 und 1999/2000— auch Unterentnahmen aus Wirtschaftsjahren, die vor dem geendet haben, zu berücksichtigen (Anschluss an , BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504; gegen , BStBl I 2000, 588 Tz. 36).

Gesetze: EStG 1999 § 4 Abs. 4a Satz 4EStG 1999 § 52 Abs. 11 Satz 1

Instanzenzug: (EFG 2004, 174) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr (1999) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger ist Landwirt und ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für den Gewinnermittlungszeitraum vom 1. Mai bis 30. April (Wirtschaftsjahr für Grünlandbetriebe nach § 4a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 8c der Einkommensteuer-DurchführungsverordnungEStDV—).

Für das Wirtschaftsjahr 1998/99 errechnete der Kläger einen Gewinn in Höhe von 49 559,58 DM. Die Entnahmen in diesem Zeitraum betrugen 124 324,40 DM, worin auch der steuerfreie Entnahmewert für die Wohnung des Klägers zum mit 57 917 DM enthalten ist (§ 52 Abs. 15 Sätze 6 und 7 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1998 geltenden Fassung). Die Einlagen in diesem Wirtschaftsjahr betrugen 2 760 DM, so dass der Saldo aus Gewinn und Einlagen einerseits und Entnahmen andererseits ./. 72 004,82 DM beträgt (Wert inklusive steuerfreier Entnahme) bzw. ./. 14 780,82 DM, richtig: 14 087,82 DM (Wert ohne steuerfreie Entnahme). Die Zinsaufwendungen für das Wirtschaftsjahr 1998/99 betrugen 37 113,75 DM. Für das darauf folgende Wirtschaftsjahr 1999/2000 errechnete der Kläger einen Gewinn in Höhe von 83 362,19 DM. Die Einlagen betrugen 750 DM. Dem standen Entnahmen in Höhe von 73 616,63 DM gegenüber, so dass der Saldo für dieses Wirtschaftsjahr 10 495,56 DM beträgt. An Schuldzinsen wandte der Kläger im Wirtschaftsjahr 1999/2000 36 580,40 DM auf.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) ging bei der endgültigen Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr von Überentnahmen i.S. des § 4 Abs. 4a Satz 2 EStG in Höhe von 72 004,82 DM für das Wirtschaftsjahr 1998/99 und in Höhe von (72 004,82 ./. 10 495,56 =) 61 509,26 DM für das Wirtschaftsjahr 1999/2000 aus. Bei dem nach § 4 Abs. 4a Satz 4 (jetzt Satz 3) EStG anzuwendenden typisierten Zinssatz von 6 v.H. ergab sich hieraus ein Hinzurechnungsbetrag von 3 900 DM, der sich aus einem Teilbetrag von 1 440 DM (= 4/12 aus dem Gesamtbetrag der nach § 4 Abs. 4a EStG typisierten Zinsen von insgesamt 4 320,29 DM) für das Wirtschaftsjahr 1998/99 und einem weiteren Teilbetrag von 2 460 DM (= 8/12 der Zinshinzurechnung nach § 4 Abs. 4a EStG in Höhe von insgesamt 3 690,53 DM) für das Wirtschaftsjahr 1999/2000 zusammensetzte. Dementsprechend erhöhte das FA die Einkünfte des Klägers aus Land- und Forstwirtschaft für das Streitjahr von 72 093 DM um 3 900 DM auf 75 993 DM und erließ den angefochtenen Änderungsbescheid. Unterentnahmen des Klägers aus dem dem Wirtschaftsjahr 1998/99 vorangegangenen Wirtschaftsjahr 1997/98 wurden nicht berücksichtigt, obwohl in diesem Wirtschaftsjahr eine Grundstücksschenkung des Vaters zu einer Einlage von 475 025 DM geführt hatte, das Eigenkapital zum 933 718,17 DM betrug und trotz der Überentnahmen des Wirtschaftsjahres 1998/99 zum noch ein positives Kapitalkonto von 861 713,35 DM vorhanden war.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit der Begründung statt, bei Ermittlung der Über- und Unterentnahmen gemäß § 4 Abs. 4a EStG seien der Entnahmewert der bisher der Nutzungswertbesteuerung unterliegenden Wohnung nicht zu berücksichtigen, wohl aber die Unterentnahmen aus den dem vorangegangenen Wirtschaftsjahren anzusetzen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 174 veröffentlicht.

Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor:

1. Entgegen der Auffassung des FG könnten auch Zwangsentnahmen als Überentnahmen i.S. des § 4 Abs. 4a EStG in Betracht kommen. Auch diesen Vorgängen liege ein tatsächliches Verhalten des Steuerpflichtigen zu Grunde, der die steuerfreie Entnahme während der langen Übergangszeit versäumt habe und nun auf Grund dieser freien Entscheidung, die Wohnung „nicht zu entnehmen”, die Überführung in das Privatvermögen zum veranlasst habe. Auch eine teleologische Reduktion der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 11 EStG i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes (StBereinG) 1999 vom (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) —im Folgenden: EStG 1999— komme nicht in Betracht, weil dies zu einer Ausdehnung der Konsumgutregelungen gegenüber der Schuldzinsenabzugsbeschränkung führen würde, die nicht dem gesetzgeberischen Willen entspräche.

2. Mit der Auffassung, Unterentnahmen aus dem Wirtschaftsjahr 1997/98 seien den Überentnahmen des Wirtschaftsjahres 1998/99 gegenzurechnen, habe sich das FG ausdrücklich in Widerspruch zu Tz. 36 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom (BStBl I 2000, 588) gesetzt. Der Vorschlag des FG, der Praktikabilität dadurch Rechnung zu tragen, dass das bilanzierte Kapitalkonto des letzten vor dem abgelaufenen Jahres als Unter- bzw. Überentnahme des vorangegangenen Wirtschaftsjahres berücksichtigt werde, habe den Nachteil, dass damit nur für bilanzierende Steuerpflichtige, nicht aber für Steuerpflichtige mit Einnahmenüberschussrechnung eine Lösung gefunden werde. Der Gesetzgeber müsse aber darauf bedacht sein, gleiche Sachverhalte nicht unnötig zu differenzieren. Aus dem geltenden Gesetzeswortlaut lasse sich dieser Denkansatz nicht herleiten; er sei lediglich für eine gesetzliche Neuregelung erwägenswert.

Mit der Einführung des § 4 Abs. 4a EStG habe der Gesetzgeber eine radikale Systemumstellung vorgenommen, die ebenfalls für eine harte Zäsur spreche. Immerhin wirke sich die Nichtberücksichtigung früherer Über- und Unterentnahmen zu Gunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen aus. Auch dies spreche dafür, zum mit einem Bestand von 0 DM zu beginnen. Da die Ergänzung des § 52 Abs. 11 Satz 1 EStG 1999 durch den Satz 2 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2001) vom (BGBl I 2001, 3794, BStBl I 2002, 4) lediglich eine Klarstellung sei, handele es sich nur um eine „tatbestandliche Rückanknüpfung” im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und somit um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche sog. unechte Rückwirkung. Den Klägern habe auch kein schützenswertes Interesse am Fortbestand der unbeschränkten Abziehbarkeit betrieblicher Schuldzinsen oder an einer Berücksichtigung von Unterentnahmen in den Vorjahren zugestanden. Dem Gesetzgeber sei vielmehr ein weitgehender Gestaltungsspielraum eröffnet, den betrieblichen Schuldzinsenabzug einzuschränken.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Zu Recht hat das FG erkannt, dass Unterentnahmen des Klägers aus den vor dem endenden Wirtschaftsjahren bei der Ermittlung der nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Schuldzinsen zu berücksichtigen sind.

a) Nach § 4 Abs. 4a EStG 1999 sind Schuldzinsen nicht abziehbar, wenn „Überentnahmen getätigt” worden sind. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert ermittelt mit 6 v.H. der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen). Nach der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 11 EStG 1999 ist § 4 Abs. 4a EStG 1999 erstmals für das Wirtschaftsjahr anzuwenden, das nach dem endet (§ 52 Abs. 11 Satz 1 EStG 1999).

b) Wie der X. Senat des Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom X R 47/03 (BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504, unter II. 4. a) ausgeführt hat, lassen weder der Wortlaut von Satz 4 des § 4 Abs. 4a EStG 1999 noch der Sinn und Zweck dieser Regelung Raum für die Auslegung, Unterentnahmen aus vor dem endenden Wirtschaftsjahren hätten bei der Berechnung der nicht abziehbaren Schuldzinsen unberücksichtigt zu bleiben. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auslegung auch im Streitfall an und bezieht sich wegen der Einzelheiten auf die Ausführungen des X. Senats des BFH in BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504.

Entgegen der Auffassung des FA lässt sich aber auch den Anwendungsvorschriften des § 52 Abs. 11 Satz 1 EStG 1999 und des § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG i.d.F. des StÄndG 2001 die Rechtsfolge einer Außerachtlassung der Über- und Unterentnahmen vorangegangener, also vor dem endender Wirtschaftsjahre nicht entnehmen. Auch hierzu hat der X. Senat des BFH ausführlich Stellung genommen und insbesondere dargelegt, dass die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nur „klarstellende” Anordnung in Satz 2 des § 52 Abs. 11 EStG i.d.F. des StÄndG 2001, Über- und Unterentnahmen vor dem endender Wirtschaftsjahre unberücksichtigt zu lassen (Begründung zum Entwurf des StÄndG 2001 in BRDrucks 399/01, S. 48), mangels einer gesetzlich angeordneten Rückwirkung der Regelung für die Veranlagungszeiträume 1999 (Streitjahr) und 2000 nicht anzuwenden ist (BFH in BFHE 211, 227, BFH/NV 2006, 180, unter II. 4. b und c der Gründe). Es kann daher dahinstehen, ob es sich bei der Regelung —wie das FA meint— um eine verfassungsrechtlich zulässige unechte Rückwirkung bzw. eine tatbestandliche Rückanknüpfung handelt oder ob eine solche Regelung für die Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 —wovon der BFH in BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504, zu II. 4. c ausgeht— eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen beinhaltet.

c) Danach hat das FG zu Recht entschieden, dass Unterentnahmen aus den vor dem endenden Wirtschaftsjahren bei der Ermittlung der nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Schuldzinsen zu berücksichtigen sind. Da der Kläger seinen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt hat, konnte das FG auch aus dem Umstand, dass die Bilanz des Klägers zum ein positives Kapitalkonto aufwies, auf Unterentnahmen in den vor dem endenden Wirtschaftsjahren schließen (s. etwa Wendt, Finanz-Rundschau 2000, 417, 430). Dass diese vereinfachte Feststellung von Über- und Unterentnahmen bei einer Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht zu Gebote steht, kann —anders als das FA meint— nicht für die Verwaltungsauffassung sprechen, zum von einem „Startguthaben” in Höhe von 0 DM auszugehen. Berechnungsprobleme, die sich bei der auch sonst in vielerlei Hinsicht vom Bestandsvergleich abweichenden Einnahmenüberschussrechnung ergeben, sind erforderlichenfalls durch Schätzung des Entnahmepotentials zu lösen.

Nach den Feststellungen des FG jedenfalls überstieg das positive Kapitalkonto zum mit 933 718,17 DM den für das Wirtschaftsjahr 1998/99 ermittelten Betrag der Überentnahmen von 72 004,82 DM erheblich. Damit sind die Überentnahmen des dem Streitjahr zugrunde liegenden Wirtschaftsjahres 1998/99 ausgeglichen, so dass eine Hinzurechnung von Zinsen zum Gewinn dieses Wirtschaftsjahres entfällt.

2. Die vom FG ebenfalls und gar vorrangig entschiedene Frage, ob die vom Gesetz im Zusammenhang mit der Aufgabe der Nutzungswertbesteuerung vorgesehene Entnahmefiktion in § 52 Abs. 15 Satz 6 2. Alternative EStG bis 1998 als Entnahme i.S. des § 4 Abs. 4a EStG zu beurteilen und damit bei Ermittlung der Überentnahmen zu berücksichtigen ist, kann im Streitfall dahinstehen. Während das FA diese Frage bejaht hat und sich insoweit in Übereinstimmung mit der Auffassung des BMF in seinem unveröffentlichten Schreiben vom IV A 6 -S 2144- 86/01 befindet, hat das FG mit überzeugenden Gründen die Entnahmefiktion bei Ermittlung der Überentnahmen außer Acht gelassen (gl.A. Leingärtner/Kanzler, Besteuerung der Landwirte, Kap. 24, Rz. 73). Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG überstieg die Unterentnahme des Wirtschaftsjahres 1997/98 den für das Wirtschaftsjahr 1998/99 feststellbaren Betrag der Überentnahmen selbst dann, wenn der Wert für die Zwangsentnahme der Wohnung des Klägers angesetzt worden wäre, bei weitem.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 760
BB 2006 S. 2065 Nr. 38
BFH/NV 2006 S. 1957 Nr. 10
BStBl II 2006 S. 760 Nr. 18
DStRE 2006 S. 1439 Nr. 23
DStZ 2006 S. 641 Nr. 19
FR 2006 S. 975 Nr. 21
HFR 2006 S. 1207 Nr. 12
KÖSDI 2006 S. 15264 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 37/2006 S. 3086
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2007 S. 3782
SJ 2006 S. 24 Nr. 22
StB 2006 S. 402 Nr. 11
StBW 2006 S. 3 Nr. 19
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2006 S. 720
WPg 2007 S. 40 Nr. 1
XAAAB-97255