BGH Urteil v. - I ZR 303/02

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ADSp § 51a a.F.; ADSp § 54; BGB § 254; BGB § 254 Abs. 1; BGB § 254 Abs. 2 Satz 1

Instanzenzug: OLG Düsseldorf 18 U 124/99 vom

Tatbestand

Die Klägerin ist Transportversicherer der F. GmbH in München (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus übergegangenem und abgetretenem Recht wegen des Verlusts von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Versicherungsnehmerin stand in ständiger Geschäftsverbindung mit der Beklagten. In die Beförderungsverträge waren die Beförderungsbedingungen der Beklagten (Stand September 1996) einbezogen. Deren Nummer 10 lautete auszugsweise wie folgt:

"10 Haftung

... In den Fällen, in denen das WA oder das CMR-Abkommen nicht gelten, wird die Haftung von U. durch die vorliegenden Beförderungsbedingungen geregelt. U. haftet bei Verschulden für nachgewiesene direkte Schäden bis zu einer Höhe von ... DM 1.000,- pro Sendung ... oder bis zu dem nach § 54 ADSp ... ermittelten Erstattungsbetrag, je nachdem, welcher Betrag höher ist, es sei denn, der Versender hat, wie im Folgenden beschrieben, einen höheren Wert angegeben.

Die Wert- und Haftungsgrenze wird angehoben durch die korrekte Deklaration des Wertes der Sendung auf der Vorderseite des Frachtbriefs, und wenn der in der Tariftabelle aufgeführte Zuschlag entsprechend der Frankatur auf der Vorderseite des Frachtbriefs entrichtet wird. Diese Wertangabe gilt als Haftungsgrenze. Der Versender erklärt durch die Unterlassung der Wertangabe, dass sein Interesse an den Gütern die oben genannte Grundhaftung nicht übersteigt.

...

Vorstehende Haftungsbegrenzungen gelten nicht bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit von U. , seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen.

Sofern vom Versender nicht anders vorgeschrieben, kann U. die Wertzuschläge als Prämie für die Versicherung der Interessen des Versenders in seinem Namen an ein oder mehrere Versicherungsunternehmen weitergeben.

..."

Im Jahr 1997 beauftragte die Versicherungsnehmerin die Beklagte - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - mit dem Transport von vier Paketen, ohne hierbei eine Wertdeklaration vorzunehmen. Die Pakete enthielten Funktelefone oder Zubehör mit einem Wert von 1.990 DM (Fall 1), 21.840 DM (Fall 2), 8.750 DM (Fall 3) und 53.745 DM (Fall 5). Die Pakete gerieten bei der Beklagten in Verlust.

Die Klägerin regulierte den der Versicherungsnehmerin in diesen Fällen entstandenen Schaden unter Berücksichtigung der vereinbarten Selbstbeteiligung in Höhe von insgesamt umgerechnet 40.159,42 €.

Die von der Klägerin deswegen und wegen eines weiteren Schadensfalles (Fall 4) gegen die Beklagte erhobene Klage hatte vor dem Landgericht keinen Erfolg.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagte in den Fällen 1, 2, 3 und 5 antragsgemäß verurteilt.

Diese erstrebt mit ihrer - vom Senat beschränkt auf die Frage des Mitverschuldens zugelassenen - Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat die Klage in den Fällen 1, 2, 3 und 5 für begründet erachtet. Hierzu hat es ausgeführt:

Die wegen des Verlusts der vier Pakete geltend gemachten Schadensersatzansprüche seien gemäß § 51a ADSp a.F. i.V. mit Nummer 10 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten begründet. Die Beklagte könne sich nicht auf eine Haftungsbeschränkung berufen, weil sie keine oder nur unzureichende Schnittstellenkontrollen durchgeführt habe und daher vermutet werde, dass sie den Verlust der Pakete durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt habe. Die Schadensersatzansprüche der Versicherungsnehmerin seien mit der Schadensregulierung durch die Klägerin auf diese übergegangen.

Die Ansprüche seien nicht durch ein der Klägerin anzurechnendes Mitverschulden der Versicherungsnehmerin gemindert.

Eine Minderung gemäß § 254 BGB im Hinblick auf die unterlassene Wertdeklaration scheide aus, weil die Beklagte dazu im Einzelnen darzulegen und zu beweisen gehabt hätte, dass im Falle der Wertdeklaration bezogen auf den konkreten Laufweg der abhanden gekommenen Pakete ein lückenlos ineinander greifendes Kontroll- und Überwachungssystem zur Verfügung gestanden hätte und auch tatsächlich praktiziert worden wäre. Dies sei nach den eigenen Angaben der Beklagten nicht der Fall gewesen. Die Beklagte sehe nach den hinsichtlich ihrer allgemeinen Betriebsorganisation vorgelegten Unterlagen, auch bei wertdeklarierten Paketen keine Schnittstellenkontrollen zwischen dem Eingang der Warensendung im ersten Umschlagcenter und dem Eingang im Zustellcenter vor.

II. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dessen Annahme, die Klägerin müsse sich das Unterlassen der Wertdeklaration nicht als Mitverschulden der Versicherungsnehmerin anrechnen lassen, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Der Einwand des Mitverschuldens wegen unterlassener Wertdeklaration scheitert nicht bereits dann an der fehlenden Kausalität, wenn auch bei wertdeklarierten Sendungen ein Verlust nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Ein bei der Entstehung des Schadens mitwirkender Beitrag des Versenders kommt auch dann in Betracht, wenn bei wertdeklarierten Sendungen trotz sorgfältigerer Überwachung des Transportswegs noch Lücken bei den Schnittstellenkontrollen verbleiben und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Sendung gerade in diesem Bereich verloren gegangen ist und die Angabe des Wertes der Ware daher deren Verlust nicht verhindert hätte (vgl. , TranspR 2003, 317, 318 = VersR 2003, 1596; Urt. v. - I ZR 263/01, TranspR 2004, 399, 401). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich, wenn der Weg des Gutes im Falle einer Wertdeklaration weitergehend kontrolliert wird und daher im Verlustfall genauer nachzuvollziehen ist als bei einer nicht deklarierten Sendung, die Möglichkeiten der Beklagten erhöhen, die Vermutung, ein besonders krasser Pflichtenverstoß habe den Schadenseintritt verursacht, durch den Nachweis zu widerlegen, dass die Ware in einem gesicherten Bereich verloren gegangen ist (BGH TranspR 2003, 317, 318; TranspR 2004, 399, 401 f.).

2. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - bislang nicht geprüft, ob die unterlassene Wertangabe den Schaden mit verursacht hat, weil die Beklagte ihre Sorgfaltspflichten bei richtiger Wertangabe besser erfüllt hätte. Die Beklagte hat unter Vorlage eines Auszugs ihrer internen Arbeitsanweisung für Wertpakete vorgetragen, der Transportweg einer dem Wert nach deklarierten Sendung unterliege weiterreichenden Kontrollen als der Weg einer nicht wertdeklarierten Sendung. Diesem Vorbringen wird das Berufungsgericht in der wiedereröffneten Berufungsinstanz nachzugehen haben. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob auch Pakete mit einem Wert unter 5.000 DM - wie im Fall 1 - möglicherweise sorgfältiger behandelt worden wären.

Ebenso wenig hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus gleichfalls folgerichtig - Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Versicherungsnehmerin die sorgfältigere Behandlung von Wertpaketen durch die Beklagte kennen musste. Das Berufungsgericht wird dieser Frage unter Berücksichtigung der Nummer 10 der Beförderungsbedingungen der Beklagten nachzugehen haben. Es wird dabei zu berücksichtigen haben, dass die dortige Regelung dem Versender die Kenntnis vermittelt, dass die Beklagte nur bei einer Wertdeklaration über die in Nr. 10 genannte Haftungshöchstgrenze hinaus (1.000 DM oder Erstattungsbetrag nach § 54 ADSp a.F.) haften will. Bereits aus der versprochenen Haftung bis zum deklarierten Wert ergibt sich, dass die Beklagte alles daran setzen wird, Haftungsrisiken möglichst auszuschließen. Diese Haftung ist von der Zahlung eines Wertzuschlags nach der Tariftabelle der Beklagten abhängig. Die erhöhte Transportvergütung legt zusätzlich nahe, dass die Beklagte ihren Geschäftsbetrieb darauf ausgerichtet hat, wertdeklarierte Sendungen sorgfältiger zu behandeln. Dem steht nicht entgegen, dass Nr. 10 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten die Möglichkeit eröffnet, die Wertzuschläge als Prämie für eine Versicherung weiterzugeben. Ein verständiger Versender, der die Möglichkeit der Versendung von Wertpaketen gegen höhere Vergütung ebenso kennt wie die erhöhte Haftung der Beklagten in diesem Fall, wird davon ausgehen, dass die Beklagte bei der Beförderung von Wertpaketen erhöhte Sorgfalt aufwendet. Er wird zur Vermeidung eigenen Schadens den Wert der Sendung deklarieren, wenn dieser den in den Beförderungsbedingungen des Spediteurs genannten Haftungshöchstbetrag überschreitet.

3. Sollte ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB auch unter Berücksichtigung des zu vorstehend 2. Ausgeführten zu verneinen sein, wird sich das Berufungsgericht erneut auch mit dem Einwand des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB auseinanderzusetzen haben. Bei diesem kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber Kenntnis davon hatte oder hätte wissen müssen, dass der Frachtführer das Gut mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert der Sendung gekannt hätte. Den Auftraggeber trifft vielmehr eine allgemeine Obliegenheit, auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen, um seinem Vertragspartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Daran wird der Schädiger jedoch gehindert, wenn er über die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im Unklaren gelassen wird (vgl. , TranspR 2005, 311, 314 f.).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein ungewöhnlich hoher Schaden nicht erst bei einem Sendungswert oberhalb von 50.000 US-Dollar vor. Die Voraussetzung einer ungewöhnlichen Höhe des Schaden lässt sich nicht in einem bestimmten Betrag oder in einer bestimmten Wertrelation (etwa zwischen dem unmittelbar gefährdeten Gut und dem Gesamtschaden) angeben (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB [2005], § 254 Rdn. 75). Die Frage, ob ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, kann vielmehr regelmäßig nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei ist maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen (vgl. , NJW 2002, 2553, 2554; OLG Hamm NJW-RR 1998, 380; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, § 254 Rdn. 28). Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, welche Höhe Schäden erfahrungsgemäß - also nicht nur selten - erreichen. Da insoweit die Sicht des Schädigers maßgeblich ist, ist vor allem zu berücksichtigen, in welcher Höhe dieser, soweit für ihn die Möglichkeit einer vertraglichen Disposition besteht, Haftungsrisiken einerseits vertraglich eingeht und andererseits von vornherein auszuschließen bemüht ist. Angesichts dessen, dass hier in ersterer Hinsicht ein Betrag von 1.000 DM und in letzterer Hinsicht 50.000 US-Dollar im Raum stehen, liegt es aus der Sicht des Senats nahe, die Gefahr eines besonders hohen Schadens i.S. des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB in solchen Fällen anzunehmen, in denen der Wert der Sendung 5.000 €, also etwa den zehnfachen Betrag der Haftungshöchstgrenze gemäß Nr. 10 der Beförderungsbedingungen der Beklagten, übersteigt.

4. Die Haftungsabwägung nach § 254 BGB obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGHZ 149, 337, 355; BGH TranspR 2004, 399, 402).

Im Rahmen der Haftungsabwägung ist zu beachten, dass die Reichweite des bei wertdeklarierten Sendungen gesicherten Bereichs einen für die Bemessung der Haftungsquote relevanten Gesichtspunkt darstellt: Je größer der gesicherte Bereich ist, desto größer ist auch der Anteil des Mitverschuldens des Versenders, der durch das Unterlassen der Wertangabe den Transport der Ware außerhalb des gesicherten Bereichs veranlasst (BGH TranspR 2003, 317, 318).

Ferner ist der Wert der transportierten Ware von Bedeutung: Je höher der tatsächliche Wert der nicht wertdeklarierten Sendung ist, desto gewichtiger ist der in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende Schadensbeitrag. Denn je höher der Wert der zu transportierenden Sendung ist, desto offensichtlicher ist es, dass die Beförderung des Gutes eine besonders sorgfältige Behandlung durch den Spediteur erfordert, und desto größer ist das in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende Verschulden des Versenders gegen sich selbst.

III. Danach war das Berufungsurteil aufzuheben, soweit das Berufungsgericht ein Mitverschulden verneint hat. In diesem Umfang war die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
TAAAB-97171

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein