BGH Beschluss v. - I ZB 38/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 238 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4

Instanzenzug:

Gründe

I. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen. Das Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am in einer Ausfertigung zugestellt worden, bei der am rechten Seitenrand einzelne Buchstaben und teilweise auch ganze Wörter fehlten. Die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, denen eine in gleicher Weise mängelbehaftete Urteilsausfertigung zugestellt worden ist, haben diese unter Hinweis auf den Mangel an das Landgericht zurückgereicht. Dessen Geschäftsstelle hat daraufhin beiden Parteien eine berichtigte Ausfertigung des Urteils vom zugestellt. Das beigefügte Begleitschreiben vom endete mit dem Hinweis, daß die zuerst erteilte fehlerhafte Ausfertigung als gegenstandslos betrachtet werden könne.

Die Klägerin, der die berichtigte Ausfertigung am förmlich zugestellt worden ist, hat gegen das Urteil am Montag, den Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom , der an diesem Tag als Faxschreiben beim Berufungsgericht eingegangen ist, begründet. Der Vorsitzende des Berufungssenats hat die Klägerin darauf hingewiesen, daß hinsichtlich der Wahrung der Berufungsbegründungsfrist Bedenken bestünden. Die Klägerin hat daraufhin mit am beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Mit Beschluß vom hat das Berufungsgericht der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung versagt und deren Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II. Das Berufungsgericht hat die Berufung für unzulässig erachtet, weil sie nicht innerhalb der schon durch die erste Zustellung des angefochtenen Urteils am in Lauf gesetzten Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten begründet worden sei und auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keinen Erfolg habe. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Zustellung einer berichtigungsbedürftigen Urteilsausfertigung setze die an sie geknüpften Notfristen im Fall der späteren Zustellung einer berichtigten Ausfertigung nur dann nicht in Lauf, wenn erst die Berichtigung eine Beschwer erkennbar mache oder die Mängel insgesamt so schwerwiegend oder essentiell seien, daß die unberichtigte Fassung der Partei keine taugliche Grundlage für die Entschließung biete, ob ein Rechtsmittel einzulegen sei. Ein solcher Fall sei hier nicht gegeben. Die für die Beurteilung, ob überhaupt ein rechtsmittelfähiges Urteil vorliege, erforderlichen Formalien des Urteils seien völlig beanstandungsfrei. Der Tenor sei trotz des Fehlens von Buchstaben leicht, zweifelsfrei und vollständig verständlich. Das Verständnis des Tatbestands und der Entscheidungsgründe sei zwar stellenweise wegen der fehlenden Buchstaben erschwert, aber selbst an diesen Stellen keineswegs vereitelt. Der Umstand, daß die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die fehlerhafte Ausfertigung in ihrem Entschuldigungsschreiben als gegenstandslos bezeichnet habe, habe die wirksame und den Fristenlauf auslösende Zustellung nicht ungeschehen machen können. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unbegründet, weil der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin bei der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist schuldhaft gehandelt habe. Diesem hätte es oblegen, beim Verfassen der Berufungsschrift die Berechnung der in der Akte von der Kanzleiangestellten vermerkten Fristen zu überprüfen. Eine solche Prüfung hätte entweder zur Klärung der Rechtslage oder zumindest zu Zweifeln an der (fehlerhaften) Fristberechnung geführt. Bei der dann gebotenen Wahl des sichersten Weges wäre entweder die Berufungsbegründungsfrist eingehalten oder rechtzeitig ein Antrag auf Verlängerung der Frist gestellt worden.

III. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 ZPO).

IV. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt.

1. Das Berufungsgericht hat mit Recht und von der Rechtsbeschwerde unangegriffen angenommen, daß das Fehlen von Buchstaben und (kurzen) Wörtern das Verständnis des Tatbestands und der Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils zwar stellenweise erschwert, aber nicht vereitelt und daher die Wirksamkeit der am erfolgten ersten Zustellung unberührt gelassen habe (vgl. , NJW-RR 2000, 1665, 1666; Beschl. v. - XII ZB 75/00, NJW 2001, 1653, 1654, jeweils m.w.N.).

2. Der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht kein der Klägerin zurechenbares Verschulden (§ 85 Abs. 2 ZPO) ihres Prozeßbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist entgegen.

Mit seiner gegenteiligen Ansicht überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin. Dessen irrige Annahme, erst die zweite Zustellung habe die Berufungsbegründungsfrist in Lauf gesetzt, weil die erste Zustellung unwirksam gewesen sei, ist in erster Linie durch die vom Gericht veranlaßte erneute Zustellung des Urteils ausgelöst worden. Ein solcher Irrtum gereicht ihm nicht zum Verschulden. Die erneute Zustellung des Urteils mußte den Eindruck erwecken, das Gericht habe die erste Zustellung als unwirksam angesehen, da nur in diesem Fall Veranlassung bestand, das Urteil nochmals zuzustellen. Wenn aber das Gericht eine zweite Zustellung als notwendig ansah, durfte der Anwalt darauf vertrauen, daß es sich bei der erneuten Zustellung um eine sinnvolle Maßnahme handelte, und davon ausgehen, daß erst diese Zustellung die Berufungsbegründungsfrist in Lauf gesetzt hat (vgl. , VersR 1995, 680, 681).

Dies gilt hier um so mehr, als die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bei der zweiten Zustellung in einem Begleitschreiben ausdrücklich bat, die Mängel der ersten Ausfertigung zu entschuldigen, und dazu erklärte, die zuerst erteilte Ausfertigung könne als gegenstandslos betrachtet werden. Mit Rücksicht auf die Zuständigkeit eines Urkundsbeamten im Bereich der Zustellung konnte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin auf diese Erklärung in gleicher Weise vertrauen wie auf eine durch einen Richter veranlaßte Erklärung über die Wirksamkeit einer Zustellung (vgl. BGH VersR 1995, 680, 681).

Die erneute Zustellung des landgerichtlichen Urteils ist nicht durch den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin veranlaßt worden, sondern durch den Prozeßbevollmächtigten der Gegenpartei. Es ist nicht einmal ersichtlich, daß dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin das Schreiben des Beklagtenvertreters mitgeteilt worden ist, mit dem dieser die ihm zuerst zugestellte Urteilsausfertigung zurückgereicht und um die Übersendung eines vollständigen Urteils gebeten hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt der vorliegende Fall deshalb anders als der Sachverhalt, über den der V. Zivilsenat des , NJW-RR 2000, 1665 f.) entschieden hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW-RR 2005 S. 1658 Nr. 23
ZAAAB-96628

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein