BGH Beschluss v. - 5 StR 31/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StGB § 63; StGB § 64; StGB § 64 Abs. 1

Gründe

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision bleibt zum Schuld- und Strafausspruch ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO), führt indes mit der Sachrüge zur Aufhebung der ablehnenden Entscheidung nach § 64 StGB (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO); auch nach Anfrage bei seinem Verteidiger hat der Angeklagte diesen Punkt nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

Der Schuldspruch unterliegt keinen durchgreifenden Bedenken. Die einleitend wiedergegebene Stellungnahme des Sachverständigen zur Frage noch erhaltener Schuldfähigkeit (UA S. 30) bezieht sich ersichtlich allein auf die Einsichtsfähigkeit; bezogen auf die Steuerungsfähigkeit wäre sie zu beanstanden, da bei hoher Alkoholisierung die Möglichkeit eines Vollrausches selbstverständlich nicht etwa regelmäßig auszuschließen ist. Die anschließenden einzelfallbezogenen Erwägungen zum Ausschluss eines Vollrausches, die im Ergebnis von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung im Einklang mit dem Sachverständigen geteilt wurden, sind indes nicht zu beanstanden und für sich allein tragfähig.

Auch Strafrahmenwahl und Strafzumessung begegnen keinen durchgreifenden Bedenken. Nach der eingehenden Auseinandersetzung des Schwurgerichts mit der eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit begründenden massiven Alkoholisierung des Angeklagten ist letztlich nicht zu besorgen, dass das Gericht verkannt haben könnte, dass die strafschärfend gewertete Nichtigkeit des Tatanlasses durch die Verminderung der Schuldfähigkeit bedingt ist und dem Angeklagten daher nicht uneingeschränkt angelastet werden durfte (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 33). Dass einer etwaigen zusätzlichen Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB strafmildernde Wirkung zukommen könnte, ist auszuschließen.

Allerdings kann die Ablehnung einer Maßregel nach § 64 StGB für sich keinen Bestand haben. Angesichts des Tatbildes der tödlichen Gewalttat des alkoholkranken, mit 3,47 ‰ massiv alkoholisierten Angeklagten gegen einen Trinkgenossen aufgrund nichtigsten Anlasses - Streit, ob das Opfer dem Angeklagten für diesen eingekaufte Zigaretten zu dessen etwa fünf Meter entfernter Parkbank zu bringen habe oder ob der Angeklagte sie sich abholen müsse - überbewerten Gericht und Sachverständiger bei der Verneinung einer Wiederholungsgefahr das Fehlen einschlägiger Vorbelastungen des Angeklagten; sie lassen unbeachtet, dass die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr allein durch die Anlasstat begründet werden kann und durch eine hangbedingte schwere Gewalttat regelmäßig hinreichend belegt wird (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 7). Der Senat vermag nicht der Wertung des Tatgerichts zu folgen, die Tat sei "auf eine spezielle Täter-Opfer-Konstellation in einer für den Angeklagten besonderen Ausnahmesituation zurückzuführen". Dem widerstreitet die an den Lebensumständen des Angeklagten gemessene Alltagssituation der im Trinkermilieu begangenen Tat.

Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es angesichts des bloßen Wertungsfehlers nicht. Da nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ein Ausmaß der Alkoholerkrankung des Angeklagten, bei dem die Voraussetzungen des § 63 StGB in Erwägung zu ziehen wären, ausscheidet, ein Hang im Sinne des § 64 StGB indes feststeht, wird das neue Tatgericht die ausstehende Maßregelentscheidung auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, namentlich auch zum Vorleben des Angeklagten, die lediglich durch weitere, ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzbar sind, zu treffen und dafür - erneut mit sachverständiger Hilfe - im Wesentlichen nur noch die Frage hinreichender Erfolgsaussicht einer Entziehungskur im Sinne von BVerfGE 91, 1 zu klären haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
IAAAB-95786

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