BGH Urteil v. - 2 StR 34/06

Leitsatz

[1] Zur Berücksichtigung von Untersuchungshaft als Strafzumessungstatsache.

Gesetze: StGB § 46 Abs. 2

Instanzenzug: LG Darmstadt vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, die sichergestellten Betäubungsmittel, Verpackungsmaterialien, vier Mobiltelefone der Marken Nokia und Samsung, ein Ladegerät und den VW Golf IV TDI, amtliches Kennzeichen , eingezogen sowie den Verfall in Höhe von 670,81 Euro angeordnet. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Gegen die Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sach- und auf eine Verfahrensrüge gestützten Revision. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft ist auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt; sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel des Angeklagten bleibt erfolglos, dasjenige der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg.

Der Angeklagte ließ in der Zeit vom bis zum in sechs Fällen von dem Lkw-Fahrer E. in einer an dessen Tankauflieger befestigten Kiste jeweils zwischen 60 und 120 kg Haschisch - insgesamt 537,81 kg mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 11,2 % Tetrahydrocannabinol (THC) - zum Weiterverkauf aus Spanien in das Industriegebiet von Dietzenbach transportieren. Das Landgericht hat als Einzelstrafen für das Handeltreiben mit 120 kg Haschisch in zwei Fällen Freiheitsstrafen von jeweils vier Jahren (Einsatzstrafe), für die weiteren vier Fälle des Handeltreibens jeweils eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt.

I.

1. Die Revision des Angeklagten zeigt mit der Sachrüge keinen Rechtsfehler des Urteils auf. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch und der Strafausspruch enthält keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers.

2. Auch die Verfahrensrüge der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts, § 338 Nr. 1 StPO, § 21 g GVG, ist unbegründet. Die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache den Einwand erhoben, dass der interne Geschäftsverteilungsplan der 12. Strafkammer des Landgerichts Darmstadt für das Jahr 2004 keine Regelung enthalte, welcher Beisitzer in Fällen der Besetzung mit zwei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 2 1. Alt. GVG) in der Hauptverhandlung mitzuwirken habe. Darüber hinaus wird mit der Revision vorgetragen, dass die Vertretungsregelung im Fall der Überlastung eines Beisitzers zu unbestimmt sei.

Der interne Geschäftsverteilungsplan der 12. Strafkammer des Landgerichts Darmstadt lautet wie folgt:

"...

2. Die Mitwirkung der beiden Beisitzer innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung als Berichterstatter in den bei der 12. Strafkammer anhängigen Strafsachen wird wie folgt festgelegt:

a) Richter Happel ist Berichterstatter in den Verfahren, in denen die letzte Zahl des Aktenzeichens ungerade ist.

b) Richterin Sachs ist Berichterstatterin in den Verfahren, in denen die letzte Zahl des Aktenzeichens gerade ist.

..."

Eine ausdrückliche Regelung, dass in den Fällen, in denen die Strafkammer - wie hier - gemäß § 76 Abs. 2 GVG die Verhandlung mit zwei Berufsrichtern beschließt, außer dem Vorsitzenden der Berichterstatter an der Hauptverhandlung teilnimmt, enthält der Geschäftsverteilungsplan nicht; einer solchen bedurfte es auch nicht. Es versteht sich von selbst, dass bei einer Verhandlung mit zwei Berufsrichtern neben dem Vorsitzenden der Berichterstatter an der Hauptverhandlung teilnimmt. Der Berichterstatter bereitet die Verhandlung anhand der Akten vor und schreibt nach der Verhandlung das Urteil. Eine Regelung, wonach von mehreren Berufsrichtern einer Strafkammer einer zum Berichterstatter bestellt würde, bei einer Zweierbesetzung nach § 76 Abs. 2 GVG aber ein anderer (außer dem Vorsitzenden) an der Hauptverhandlung teilnähme, wäre widersinnig. Die Mitwirkung des Berichterstatters bei Besetzungsreduzierung in der Hauptverhandlung lässt sich zwanglos auch der Formulierung unter Ziffer 2 des kammerinternen Geschäftsverteilungsplans entnehmen. Darin wird die Mitwirkung der beiden Beisitzer innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung als Berichterstatter festgelegt. Aus dieser Formulierung folgt ohne weiteres, dass der Berichterstatter immer an der Hauptverhandlung teilnimmt.

Soweit der Angeklagte mit der Revision weitere Mängel des kammerinternen Geschäftsverteilungsplans geltend macht, ist diese Beanstandung präkludiert. Nach § 222 b Abs. 1 Satz 3 StPO sind alle Beanstandungen in der Hauptverhandlung gleichzeitig vorzubringen (BGHSt 44, 328, 336).

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Kammer hat dem Angeklagten zugute gehalten, dass er 14 Monate in Untersuchungshaft verbracht hat und durch die Einziehung seiner Mobiltelefone und des Pkw Golf einen wirtschaftlichen Verlust erlitten hat.

1. Die Revision macht zu Recht geltend, dass die Verbüßung von Untersuchungshaft grundsätzlich nicht zu einer Strafmilderung führt (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 18, 20; BGH NStZ 2005, 212; NStZ-RR 2005, 168, 169; wistra 2001, 105; BGH bei Detter NStZ 2005, 500; Urteile vom - 5 StR 197/04 - und vom - 1 StR 565/00; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 72; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 434; Tolksdorf in Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 753, 756; a. A. zur Berücksichtigung der Untersuchungshaft bei der Strafrahmenwahl BGH StV 1993, 245). Zwar sind überdurchschnittliche Belastungen, die dem Täter durch das Verfahren als solches entstehen, bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten durchaus zu berücksichtigen (vgl. Schäfer a.a.O.) Dass der Täter in der zur Verhandlung anstehenden Sache Untersuchungshaft erlitten hat, ist bei der Verhängung einer Freiheitsstrafe aber regelmäßig ohne Bedeutung, denn die Untersuchungshaft wird nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Untersuchungshaft kann deshalb allenfalls dann mildernde Wirkung zukommen, wenn keine ohnehin zu verbüßende Freiheitsstrafe verhängt wird oder wenn besondere Umstände hinzutreten. Der Vollzug von (anrechenbarer) Untersuchungshaft stellt an sich keinen Nachteil für den Angeklagten dar. Aber auch wenn eine Freiheitsstrafe (nur) deshalb zur Bewährung ausgesetzt werden kann, weil der Angeklagte durch den Vollzug der Untersuchungshaft hinreichend beeindruckt ist, verbietet sich eine zusätzliche mildernde Berücksichtigung bei der Bemessung der Strafhöhe (vgl. Schäfer a.a.O.).

Soweit der Bundesgerichtshof den Vollzug von Untersuchungshaft als strafmildernden Gesichtspunkt gebilligt hat, ist dies im Zusammenhang mit anderen Umständen geschehen, etwa einer überlangen Verfahrensdauer (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 18; Urteile vom - 1 StR 149/05 - und vom - 5 StR 499/04), besonderen persönlichen Verhältnissen (Urteil vom - 1 StR 565/00), einer den Angeklagten besonders belastenden Ungewissheit (Urteil vom - 1 StR 579/99) oder der Tatsache, dass der noch nie inhaftierte Angeklagte durch die Untersuchungshaft besonders zu beeindrucken war (Urteil vom - 5 StR 683/93). Weitere mit dem Vollzug der Untersuchungshaft verbundene besondere Nachteile für einen Angeklagten können beispielsweise das Auftreten einer Haftpsychose sein (vgl. BGH StV 1984, 151), bei einem Ausländer ohne familiäre Bindung in Deutschland oder bei fehlenden Kenntnissen der deutschen oder einer sonst verbreiteten Sprache ein daraus folgender Mangel sozialer Kontakte, oder Haftbedingungen, die über die üblicherweise mit Untersuchungshaft verbundenen Beeinträchtigungen hinaus besondere Erschwernisse enthalten (vgl. Senatsurteil vom - 2 StR 296/05). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft mildernd bei der Strafzumessung berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden. Daran fehlt es hier. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die insgesamt milden Strafen auf der fehlerhaften Wertung der Untersuchungshaft beruhen.

2. Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, der Pkw VW Golf sei fehlerhaft nicht gemäß § 73 a StGB für verfallen erklärt worden, was bei der Strafzumessung nicht mildernd zu berücksichtigen gewesen wäre, kann der Senat die Rechtsfrage, ob der Verfall der Einziehung vorgeht, wenn die Voraussetzungen beider Rechtsinstitute vorliegen, offenlassen. Der Generalbundesanwalt hat für den konkreten Fall zutreffend dargelegt, dass sich ausreichende Anhaltspunkte für die Behauptung, der Pkw sei mit Gewinnen aus Betäubungsmitteldelikten erworben worden, aus den Urteilsgründen nicht ergeben. Gegen einen Erwerb mit Gewinnen aus den abgeurteilten Taten könnte sprechen, dass der Antrag auf Kraftfahrtversicherung für das Fahrzeug vom datiert, der erste dem Angeklagten zur Last gelegte Haschischtransport aber am stattfand. Auch die Voraussetzungen des erweiterten Verfalls, § 73 d StGB, sind im Urteil nicht belegt. Zwar war der Angeklagte seit dem Jahr 2000 fast durchgehend arbeitslos; es ist aber nicht festgestellt, wann er das Fahrzeug zu welchem Kaufpreis angeschafft hat.

3. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft ist zu verwerfen, weil die Urteilsgründe hinsichtlich der Anordnung der Einziehung und des Verfalls keinen Rechtsfehler erkennen lassen.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass es rechtlich nicht unbedenklich ist, zu Lasten des Angeklagten zu werten, dass er die Geschäfte allein aus finanziellen Erwägungen heraus betrieben habe (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Handeltreiben 1 und 2; BGH NStZ 2000, 137).

Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 2645 Nr. 36
wistra 2006 S. 378 Nr. 10
XAAAB-95314

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