Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 213
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen diese Entscheidung wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihrer jeweils zu Gunsten des Angeklagten eingelegten Revision. Die jeweils auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel haben teilweise Erfolg und führen zur Aufhebung des Strafausspruchs.
I.
Das Landgericht hat seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
Nachdem im Dezember 2000 der gemeinsame Sohn J. geboren worden war, wurde die Ehefrau des Angeklagten im September 2001 erneut schwanger. Obgleich die Eheleute, er ein gelernter Krankenpfleger, sie eine Krankenschwester, sich so schnell kein zweites Kind gewünscht hatten, akzeptierten sie die Situation. Nachdem die Schwangerschaft zunächst unauffällig verlaufen war, stellte der betreuende Gynäkologe bei einer Vorsorgeuntersuchung im fünften oder sechsten Schwangerschaftsmonat vermehrtes Fruchtwasser sowie eine Übergröße des Fötus fest. Ein schwangerschaftsbedingter Diabetes konnte ausgeschlossen werden; jedoch glaubte der Angeklagte unabhängig hiervon, bei Ultraschalluntersuchungen eine Verformung des Kopfes festgestellt zu haben. Da jedoch der untersuchende Arzt insoweit keine Bedenken äußerte, maß auch der Angeklagte seinen Beobachtungen keine weitergehende Bedeutung zu.
Bei einer sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin durchgeführten weiteren Ultraschall-Untersuchung wurde von dem untersuchenden Arzt erstmals gegenüber dem Angeklagten und seiner Ehefrau geäußert, dass "mit dem Kind etwas nicht stimmen" würde, ohne dass er dies weiter erläuterte. Stattdessen riet er dem Ehepaar, weitere Untersuchungen in der Universitätsklinik E. durchführen zu lassen. Nach der daraufhin zeitnah am in E. durchgeführten sonografischen Untersuchung war der untersuchende Arzt zunächst nicht in der Lage, dem Ehepaar seine Diagnose mitzuteilen, sondern vertröstete sie mit dem Bemerken, dass noch weitere computergestützte Abklärungen erforderlich seien. Allerdings hatte der Angeklagte - wie auch schon bei der vorangegangenen Ultraschall-Unter-suchung - eine auffällige Gesichtsform bemerkt, ohne dass er seine Frau hierüber informierte. Am 17. oder wurde den Eheleuten dann durch ihren Arzt telefonisch mitgeteilt, dass die Untersuchungen in E. zu dem Ergebnis geführt hätten, dass das Kind an einem so genannten Apert-Syndrom leide. Noch während dieses Telefongesprächs nahm der Angeklagte ein medizinisches Lexikon zur Hand, in dem ein an einem voll ausgeprägten Apert-Syndrom erkranktes Kind abgebildet war. Sowohl der Angeklagte als auch seine Ehefrau waren von dieser aus ihrer Sicht grauenvollen Abbildung so beeindruckt, dass sie das Gespräch mit dem Gynäkologen nicht fortsetzen konnten und in Tränen ausbrachen. Bei einer wenige Tage später durchgeführten Beratung in der Universitätsklinik E. , an der neben dem die Ultraschall-Untersuchung durchführenden Oberarzt weitere Ärzte anderer Fachrichtungen teilnahmen, wurde dem Ehepaar mitgeteilt, dass bei ihrem Kind mit einer Schädelverformung im Sinne eines so genannten Turmschädels, einer Veränderung des Mittelgesichtes sowie Missbildungen an Händen und Füßen zu rechnen sei. Im Hinblick auf die Gesichtsverformungen seien kosmetische Operationen möglich; auch die Funktion von Händen und Füßen sei durch mehrere Operationen herstellbar. Diesem Gespräch konnten der Angeklagte und seine Ehefrau weder genaue Auskünfte zur Lebenserwartung des Kindes noch bezüglich möglicher geistiger Behinderungen entnehmen. Stattdessen wurde die Schädelverformung als nur auf den zweiten Blick sichtbar dargestellt. Den Hinweis, einer Entbindung im Geburtshaus in A. stünde nichts entgegen, werteten beide als ein Anzeichen dafür, dass die körperlichen Beeinträchtigungen ihres Kindes weniger gravierend sein würden. Dennoch blickte der Angeklagte dem Geburtstermin ohne Vorfreude entgegen. Der zunächst für das Kind vorgesehene Namen Josua ("Gott hilft") wurde von dem Angeklagten und seiner Ehefrau verworfen, weil er ihnen unpassend erschien. Ein neuer Name wurde von ihnen bis zum Geburtstermin nicht mehr ausgewählt.
Am wurde das spätere Tatopfer Ju. R. in Anwesenheit des Angeklagten im Geburtshaus geboren. Das Kind wies einen ausgeprägten so genannten Turmschädel mit einer hohen, deutlich nach vorn gewölbten Stirn, flachem Hinterkopf und einer seitlichen Abplattung des Kopfes auf. Beide Augäpfel traten deutlich hervor, der Augenabstand war vergrößert. An beiden Händen waren die Finger II bis V zusammengewachsen, ebenso waren die Zehen II bis V an beiden Füßen miteinander verwachsen. Teilweise hatten die verwachsenen Gliedmaßen eine durchgängige Nagelplatte, die nicht verwachsenen Gliedmaße waren durch eine so genannte Schwimmhaut verbunden. Hinzu kam, dass aufgrund der Deformation des Gesichtsschädels die Nasenatmung des Kindes deutlich eingeschränkt war, weshalb Ju. schwer atmete und deutlich hörbar röchelte. Der Angeklagte war über das aus seiner Sicht überaus hässliche Aussehen seines Kindes erschrocken und konnte dessen Anblick nicht ertragen. Er verließ wortlos den Geburtsraum und ließ seine Frau mit dem Neugeborenen zurück. Als er einige Zeit später zurückkam, hoffte er, die Nachricht zu erhalten, dass das Kind nicht lebensfähig sein würde. Als ihm der herbeigerufene Kindernotarzt zur Geburt gratulierte, empfand er dies als Hohn und fragte den Arzt im Gegenzug, ob er schon einmal ein derart hässliches Kind gesehen habe. Das Neugeborene wurde danach sogleich in eine Kinderklinik nach N. verlegt, während der Angeklagte und seine Frau nach Hause zurückkehrten.
In der Folge besuchten die Eheleute das Kind regelmäßig in der Kinderklinik. Der Angeklagte hatte jedoch weiterhin Schwierigkeiten, sich mit seiner Vaterrolle zu identifizieren. Unter anderem bat er die Krankenschwestern um eine Betreuung des Kindes, obgleich es so hässlich sei. Zwischenzeitlich hatten sich die Eheleute der Eltern-Initiative Apert-Syndrom angeschlossen und fühlten sich erstmals ergiebig informiert, nachdem sie schriftliches Informationsmaterial erhalten und vom Vorsitzenden der Initiative telefonisch beraten worden waren. Aufgrund der Auskunft, dass eine geistige Behinderung mit dem Apert-Syndrom nicht notwendig verbunden sei, dafür allerdings eine höhere Wahrscheinlichkeit als bei Kindern ohne eine solche Erkrankung bestehe, begann der Angeklagte Hoffnung zu schöpfen. Jedoch wurde bei einer weiteren Untersuchung festgestellt, dass bei Ju. kein Hirnbalken angelegt war (so genannte Balkenagenesie), weshalb eine normale intellektuelle Entwicklung nicht mehr wahrscheinlich war. Der Angeklagte und seine Ehefrau wurden hierüber am informiert. Der Angeklagte empfand diese Mitteilung als neuerlichen schweren Rückschlag und zweifelte an der Kompetenz der behandelnden Ärzte. Er setzte daraufhin eine Verlegung von Ju. in die Universitätsklinik W. durch. Dort wurden dem Kind, wie bereits schon in der Kinderklinik in N. , zur Erweiterung der verengten Nasenwege und zur Vermeidung von plötzlichen Atemstillständen (Apnoen), welche anfangs aufgetreten waren, Nasenröhrchen eingesetzt. Diese mussten mehrmals täglich abgesaugt werden, ansonsten war der Zustand des Kindes unauffällig. Der Angeklagte besuchte seinen Sohn täglich und versuchte seine Distanz zu überwinden. Er zwang sich, Ju. auf den Arm zu nehmen und ihn soweit als möglich zu versorgen. Dabei empfand er es als erleichternd, dass in der Klinik weitere Kinder mit gravierenden Missbildungen auf der Station waren, sodass er glaubte, sich vor deren Eltern für das Aussehen seines Sohnes nicht so sehr schämen zu müssen. Gleichwohl hielt er seinen Sohn mit Abstand für das hässlichste Kind in der Abteilung. Am wurde Ju. in gutem Allgemeinzustand und mit stabiler Atmungs- und Lungensituation entlassen.
Zuhause wurde das Kind, welches inzwischen auf Betreiben der Ehefrau den Namen Ju. erhalten hatte, im Wohnzimmer untergebracht, denn aufgrund der lauten Atemgeräusche störte es seinen Bruder J. . Es lag in einer Baby-Tragetasche, die auf einer Liege abgestellt war. Der zur Versorgung des Kindes erforderliche Aufwand unterschied sich gegenüber einem normal entwickelten Kind nur dadurch, dass die Atemröhrchen abgesaugt werden mussten und sich Ju. häufiger bei der Nahrungsaufnahme verschluckte oder nach der Mahlzeit übergeben musste. Zu Atemstillständen kam es allerdings in der Folgezeit nicht mehr. Der Angeklagte vermochte sich auch weiterhin nicht mit seinem Kind zu identifizieren und glaubte nach wie vor, sich für dessen Aussehen schämen zu müssen. Besuche von Freunden und Bekannten lehnte er so weit als möglich ab. Auf Nachfragen nach seinem Sohn reagierte er abweisend. Das kurz zuvor gemachte, ernsthafte Angebot seiner damals 48 Jahre alten Schwiegermutter, einer gelernten und erfahrenen Kinderkrankenschwester, Ju. zu versorgen, lehnte der Angeklagte ab, weil er den Ehrgeiz hatte, die entstandene Situation allein bewältigen und er eine Weggabe von Ju. als ein Abschieben von Verantwortung empfand. Die weitere Erwägung, Ju. in eine Pflegeeinrichtung zu geben, verwarf er unter Hinweis auf seine eigenen schlechten Erfahrungen in einem Kinderheim. An seine Ehefrau richtete er Schuldzuweisungen; sein Leben empfand er als entwertet. Dessen ungeachtet bemühte er sich gewissenhaft um die Pflege von Ju. und versuchte auch weiterhin, seiner sozialen Vaterrolle gerecht zu werden. Die Ehefrau litt unter zunehmender körperlicher Erschöpfung und den wachsenden Spannungen in der Ehe. Für ihr behindertes Kind empfand sie vornehmlich Mitleid. Als Ju. in der ersten Juliwoche zunehmend apathischer wirkte und aus ihrer Sicht nur noch wenig Nahrung zu sich nahm, verzweifelte sie. Spontan entschloss sie sich am dazu, ihren Ehemann auf dessen Arbeitsstelle anzurufen. Weinend legte sie ihm ihren Zustand offen, worauf der Angeklagte erstmals akut um den Fortbestand seiner Ehe fürchtete. Daraufhin sah sich der Angeklagte zum Handeln veranlasst und begann ernsthaft eine Tötung des Sohnes Ju. in Erwägung zu ziehen. Im Vordergrund stand dabei die Intention, sein Leben vor einer weiteren Entwertung zu schützen und seine gefährdete Ehe zu erhalten, aber es kam auch der Gedanke hinzu, seinem Sohn Ju. durch eine Tötung Qualen zu ersparen.
Nachdem am Abend des , zwei Tage nach dem verzweifelten Telefonanruf seiner Ehefrau, diese nun bei einem Telefonat auch ihrer Mutter gegenüber ihre Situation beklagte, fasste der Angeklagte den Entschluss, Ju. in dieser Nacht zu töten. Er hatte sich entschlossen, den Kopfausschnitt der Baby-Tragetasche durch aufgelegte Decken luftdicht zu verschließen. Er glaubte dadurch zu erreichen, dass der Junge das ausgeatmete Kohlendioxid wieder einatmet, dadurch in eine Art Narkose verfällt und dann verstirbt. Der Angeklagte hielt das für einen sanften Tod. Gegen 21.30 Uhr gingen die Eheleute gemeinsam zu Bett. Zu diesem Zeitpunkt stand die Tragetasche mit Ju. auf der Liege, wobei neben der Tragetasche ein so genanntes Babyphon stand, durch welches Geräusche des Kindes an das zugehörige Empfangsgerät am Kopfende des Bettes der Ehefrau übertragen werden konnten. Gemäß seinen Überlegungen stand der Angeklagte danach nochmals auf, vorgeblich um noch einmal nach dem Kind zu schauen. Sodann deckte er mit bereitliegenden Wolldecken die Tragetasche möglichst luftdicht ab und regelte die Empfindlichkeit des Babyphons so weit herunter, dass keine Geräusche mehr ins elterliche Schlafzimmer übertragen werden konnten. Danach ging er erneut zu Bett und sagte zu seiner Frau, dass alles in Ordnung sei.
In der Folge erstickte Ju. durch die Anreicherung der eingeatmeten Luft mit Kohlendioxid und dem gleichzeitig sinkenden Sauerstoffanteil. Allerdings war entgegen der Auffassung des Angeklagten dieser Erstickungsvorgang qualvoll, weil die erfolgte Anreicherung der Atemluft mit Kohlendioxid zunächst zu einer Stimulation des Atemzentrums führte. Da Ju. zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits an einer chronischen Lungenentzündung litt und zusätzlich von einer Vorschädigung des Gehirns auszugehen war, trat der Tod möglicherweise bereits nach zwei Minuten ein. Als der Angeklagte gegen 3.00 Uhr morgens erwachte, begab er sich sogleich in das Wohnzimmer, entfernte die Decken und stellte den Tod des Kindes fest. Danach weckte er seine Ehefrau, welche ebenfalls erkannte, dass Ju. tot war. Aufgrund des apathischen Verhaltens des Kindes in der vorangegangenen Woche ging sie von einem natürlichen Tod aus. Der herbeigerufene Notarzt verständigte die Polizei, worauf die Eheleute als Zeugen vernommen wurden. Bei der am durchgeführten Obduktion wurden keine typischen Zeichen für eine Gewalteinwirkung festgestellt. Der Tod von Ju. R. schien als Folge eines Atemversagens bei schwerem Missbildungssyndrom und einer möglicherweise gleichzeitig vorliegenden entzündlichen Veränderung der Lunge erklärbar, worauf von weiteren Ermittlungen abgesehen und das Verfahren eingestellt wurde.
Ohne den Tod von Ju. R. wären in den ersten sechs Lebensmonaten voraussichtlich mehrere aufwändige Schädeloperationen notwendig geworden, um eine neue Gesichtsform herzustellen - unter anderem verbunden mit einer Lösung aller knöchernen Verbindungen im Bereich des Gesichtsschädels. Die miteinander verwachsenen Finger und Zehen hätten in weiteren Einzeloperationen voneinander getrennt werden müssen, wobei eine Beweglichkeit ab dem Grundgelenk hätte hergestellt werden können. So wären etwa 20 bis 30 Operationen in den ersten drei Lebensjahren erforderlich geworden. Die vorhandene Balkenagenesie hätte, da Hinweise auf weitere Hirnfehlbildungen vorlagen, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Intelligenzminderung zur Folge gehabt. Zudem bestand aufgrund der bereits chronischen Lungenentzündung mit deutlich verbreiterten Lungensepten und Hinweisen auf eine Störung des Atemzentrums eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen zu einem späteren Zeitpunkt eintretenden Tod aufgrund eines Rechtsherzversagens, sodass das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit nur das Kleinkindalter erreicht hätte.
Zwischen den Eheleuten kam es zunächst zu keinem intensiveren Gespräch über die Ursachen des Todes von Ju. . Der Angeklagte blieb gegenüber seiner Ehefrau sehr verschlossen und ließ eine erhebliche Verbitterung erkennen. Erst im Verlauf einer mehrtägigen Freizeitveranstaltung der evangelischen Freikirchen zum Jahreswechsel 2002/2003 sprach die Ehefrau den Angeklagten am Abend des auf sein verändertes äußeres Verhalten an. Daraufhin gestand er ihr seine Verantwortung für den Tod des gemeinsamen Kindes ein. Im Gegenzug teilte sie ihm mit, dass sie im Jahre 1998 einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt hatte und es sich nicht, wie von ihr damals angegeben, um eine Eileiterschwangerschaft gehandelt habe. In den folgenden sechs Monaten sprachen die Eheleute darüber nicht mehr. Im Sommer 2003 offenbarte der Angeklagte sich dann auch gegenüber seiner Schwiegereltern. Diese versicherten ihm vor dem Hintergrund ihrer religiösen Überzeugungen, dass sie ihn als Schwiegersohn nicht verstoßen würden; jedoch bestärkten sie ihn darin, dass er sich zu seiner Tat öffentlich bekennen und die gegenüber den Ermittlungsbehörden gemachten unrichtigen Angaben berichtigen müsse, da es ihm verboten sei zu lügen. Schließlich begab sich der Angeklagte am zur Kriminalpolizei in S. und räumte dort ein, seinen Sohn Ju. getötet zu haben. Auf die ihm nachdrücklich angebotene Hinzuziehung eines Rechtsanwalts verzichtete er mit der Begründung, er wünsche nicht, dass zu seinen Gunsten Tatsachen verfärbt würden.
Am wurde das dritte gemeinsame Kind geboren, welches ebenfalls behindert ist. Im Sommer 2004 entschlossen sich die Eheleute zum Umzug nach Rh. , um die Hilfe der Schwiegereltern in Anspruch nehmen zu können. Der Angeklagte gab in diesem Zusammenhang seine Tätigkeit als Krankenpfleger in N. auf und war danach im Außendienst für ein Sanitätshaus tätig, bevor er in dieser Sache in Untersuchungshaft genommen wurde.
II.
Soweit es den Schuldspruch betrifft, bleiben die Rechtsmittel des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Totschlags weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Mit ihren Angriffen gegen die getroffenen Feststellungen unternehmen die Revisionsführer lediglich den Versuch, die dem Tatrichter vorbehaltene Würdigung der erhobenen Beweise in Zweifel zu ziehen. Damit verkennen die Beschwerdeführer, dass die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen nicht zwingend zu sein brauchen; es genügt vielmehr, dass sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (st. Rspr.; BGHSt 10, 208, 209; 29, 18, 20; BGH NStZ 1998, 366, 368). Allein die von der Revision eingewandte theoretische Möglichkeit, dass Ju. R. in der Zeit zwischen dem Auflegen der Decken und der letztlich tödlich wirkenden Verknappung des Sauerstoffs in der Atemluft hiervon unabhängig an einem spontanen zentralen Atemversagen verstorben sein könnte, ändert hieran nichts. Die sachverständig beratene Kammer hat sich mit dieser theoretischen Möglichkeit auseinander gesetzt und ohne Rechtsfehler darauf abgestellt, dass es nach der Entlassung des Kindes aus der Klinik nach dem zu keinerlei Atemstillständen mehr gekommen ist (UA S. 38 f.). Allein das von der Ehefrau des Angeklagten wahrgenommene apathische Verhalten von Ju. in der Woche vor seinem Tod wird als Besonderheit geschildert; dem wurde jedoch von den Sachverständigen - auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Obduktion - offenbar keine Auswirkung im Hinblick auf ein mögliches spontanes zentrales Atemversagen zugemessen. Nicht zu beanstanden ist weiterhin, dass der Tatrichter die theoretische Möglichkeit für außerordentlich fern liegend hielt, eine für wahrscheinlich gehaltene Schädigung des Atemzentrums des Kindes, welche in diesem Fall bereits längere Zeit vorlag, habe am Abend des genau in dem Zeitraum einen spontanen zentralen Atemstillstand herbeigeführt, während die Tragetasche zur Einleitung des Erstickungsvorgangs vom Angeklagten abgedeckt worden war. Allenfalls könnte, worauf die Strafkammer ohne Rechtsfehler hingewiesen hat, infolge des eintretenden Kohlendioxidüberschusses ein auf der Schädigung des Atemzentrums beruhender Verschaltungsfehler zwischen Atemzentrum und Hirnstrukturen verursacht worden sein (UA S. 39), was jedoch auf dem Verhalten des Angeklagten beruhen würde und ihm damit zuzurechnen wäre.
III.
Demgegenüber begegnet der Strafausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Strafkammer hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass die eingeschränkte Lebenserwartung des Opfers oder dessen ganz erhebliche Behinderungen von vornherein als den Angeklagten etwa begünstigende Strafzumessungsumstände außer Betracht zu bleiben haben, weil die Absolutheit des strafrechtlichen Lebensschutzes derartige Bewertungen nicht zulässt (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG). Grundsätzlich sind deshalb auch die durch den gesundheitlichen Zustand des Opfers hervorgerufenen sozialen Lasten nicht als strafmildernde Umstände bei einer Tötungshandlung heranzuziehen; dies gilt in gleicher Weise für den Umstand, dass der getötete Sohn sich bereits in den ersten drei Lebensjahren einer größeren Zahl von schwierigen Operationen hätte unterziehen müssen.
Das Landgericht hat dann festgestellt, dass zu den Beweggründen des Angeklagten für seine Tat auch Mitleidserwägungen zählten, und dies zu seinen Gunsten berücksichtigt. Zudem hat die Kammer darauf abgehoben, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist, sich zum Tatzeitpunkt in einer tief greifenden Lebenskrise befand, aufgrund seiner familiären Situation und als Erstverbüßer erhöht strafempfindlich ist, die Taten eingeräumt und sich den Behörden gestellt hat, obgleich die Ermittlungen längst eingestellt waren und zu jenem Zeitpunkt kein Tatverdacht (mehr) bestand. Die auf diesen Erwägungen beruhende Straffindung ist danach ganz überwiegend von Milderungserwägungen gekennzeichnet. Allein die von der Strafkammer angesprochene "planvolle" Tatbegehung lässt einen straferhöhenden Umstand aufscheinen. Insgesamt hat das Landgericht daher rechtsfehlerfrei den gemilderten Strafrahmen des § 213 StGB seiner Strafzumessung zugrunde gelegt.
Hinsichtlich der näheren Bestimmung der Strafe hat das Landgericht unter Bezugnahme auf "den mittleren Bereich" des Strafrahmens auf die Freiheitsstrafe von sechs Jahren erkannt. Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass durch eine Einordnung der Tat anhand des rechnerischen Mittels des Strafrahmens die Gefahr einer Mathematisierung oder einer schematischen Vorgehensweise entsteht; solches ist jedoch dem Wesen der Strafzumessung grundsätzlich fremd (BGHSt 34, 345, 350 ff.; BGH NStZ-RR 1999, 101, 102; ). Vielmehr hat der Tatrichter die im Einzelfall zu beurteilende Tat ohne Bindung an weitere Fixpunkte als die Ober- und Untergrenze des Strafrahmens in den gefundenen Strafrahmen einzuordnen, wobei maßgeblich das Gesamtspektrum aller strafzumessungsrelevanten Umstände ist (Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 624 f.).
Weiterhin hat die Strafkammer zugunsten des Angeklagten eine "strukturell notstandsähnliche Situation" darin erkannt, dass dieser eine akute Gefährdung seiner Ehe zu erkennen glaubte und seinen Sohn auch deshalb getötet habe, um seine Ehe zu erhalten und seine Ehefrau zu "entlasten". Indes hat die Kammer die hiervon ausgehende strafmildernde Wirkung deswegen als erheblich gemindert angesehen, weil der Angeklagte das ernsthafte Angebot seiner Schwiegermutter, das Tatopfer zu pflegen, ausgeschlagen und es damit schuldhaft unterlassen habe, die als Notlage empfundene Situation zu entschärfen (UA S. 56 f.); denn angesichts seiner emotionalen Distanz zu seinem getöteten Sohn sei ihm ein Eingehen auf das Angebot seiner Schwiegermutter zumutbar gewesen. Allerdings wird die zur Relativierung dieses Strafmilderungsgrundes angeführte Ausschlagung des Angebots der Schwiegermutter des Angeklagten, das Kind zu pflegen, nicht näher bewertet. Aus den Feststellungen ergibt sich jedoch, dass der Angeklagte dieses Angebot zeitlich noch vor der Fassung des Tatentschlusses und zudem deswegen ablehnte, weil er den Ehrgeiz hatte, die entstandene Situation allein zu bewältigen und weil er die Weggabe des Sohnes an die in einem anderen Bundesland lebende Schwiegermutter als ein Abschieben von Verantwortung empfand. Er selbst war nur in seinen beiden ersten Lebensjahren von seinen Eltern betreut worden und hatte deshalb auch später in seiner Familie keinen Halt gefunden. Die Erwägung, seinen Sohn in eine Pflegeeinrichtung zu geben, verwarf er unter Hinweis auf seine eigenen negativen Erfahrungen in einem Kinderheim (UA S. 13); nach seinem Empfinden sei seine Heimunterbringung das Resultat eines unverzeihlichen Versagens seiner Eltern gewesen (UA S. 3). Diese weiteren, als solche nicht vorwerfbaren Umstände hätten in die Würdigung als mitbestimmende Gesichtspunkte einbezogen werden müssen.
Im Übrigen legen die Feststellungen des Tatrichters nahe, dass der Angeklagte offenbar grundsätzlich hohe moralische Anforderungen an sich richtet, auch wenn mit seinem Verhalten Nachteile für ihn selbst verbunden sein können. So hat er - wie die Kammer ausführt - die Tat eingeräumt und sich den Behörden gestellt, obgleich zum damaligen Zeitpunkt (mehr als 16 Monate nach der Tat) weder "gegen ihn persönlich" noch überhaupt ein Tatverdacht bezüglich einer Tötung des Kindes bestand. Vielmehr waren es letztlich Gewissens- und Glaubensgründe und der an ihn gerichtete Appell, dass er sich zu seiner Tat bekennen müsse und nicht lügen dürfe, die ihn zu der Selbstgestellung und seinem Geständnis veranlassten. Charakterisierend ist überdies, dass er bei seinem polizeilichen Geständnis die nachdrücklich angebotene Hinzuziehung eines Rechtsanwalts mit der Begründung ablehnte, er wünsche nicht, dass zu seinen Gunsten "Tatsachen verfärbt würden" (UA S. 19). Die hierdurch zutage getretenen Persönlichkeitszüge waren bei der Strafzumessung zu erwägen gewesen, vor allem im Hinblick auf die zum Nachteil des Angeklagten als schuldhaft bewertete (UA S. 56 f.) unterlassene Abwendung der strukturell notstandsähnlichen Lage. Denn auch hier wollte der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen gemäß seiner inneren Überzeugung die entstandene Situation allein bewältigen und seine Verantwortung nicht abschieben (UA S. 13). Damit liegt es nahe, dass die Problematik für den Angeklagten sich nur aufgrund der an sich selbst gestellten moralischen Anforderungen so krisenhaft im Sinne einer als Notlage empfundenen Situation zuspitzen konnte. Bei solchen außergewöhnlichen Umständen ist auf die Bewertung der Täterpersönlichkeit und der in ihr begründeten Tatursachen im Rahmen der Strafzumessung ein besonderes Gewicht zu legen; diese sind in solchen Ausnahmefällen im Urteil zu erörtern.
Danach erscheinen die konkreten Straffindungserwägungen als nicht in jeder Hinsicht erschöpfend (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer auf eine mildere Strafe erkannt hätte, wären von ihr die letztgenannten Umstände ausdrücklich bedacht worden. Der Strafausspruch war deshalb aufzuheben. Da es sich um Wertungsfehler und Erörterungsmängel handelt, können allerdings die zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen bestehen bleiben, wobei ergänzende Feststellungen, die nicht im Widerspruch zu den bisher getroffenen stehen, möglich bleiben.
Fundstelle(n):
WAAAB-95187
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