Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: AEntG § 1; AEntG § 1a; BRTV-Bau § 8; VTV idF v.
Instanzenzug: ArbG München 38 Ca 11705/01 vom LAG München 9 Sa 281/02 vom
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) als Bürgin für Urlaubskassenbeiträge in Anspruch.
Der Kläger ist Rechtsträger einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den Vorschriften des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV-Bau) in Verbindung mit den Tarifvorschriften über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich geregelten Urlaubsvergütung zu sichern. Hierfür erhebt er Beiträge der Bauarbeitgeber. Der durch Änderungstarifvertrag vom mit Wirkung zum neu gefasste VTV sowie der durch Änderungstarifvertrag vom selben Tag geänderte BRTV-Bau sind allgemeinverbindlich (AVE vom , BAnz. Nr. 61 vom ).
Die Beklagte hat ihren Sitz in M. Sie betreibt ein Unternehmen des Bauhauptgewerbes. In den Jahren 2000 und 2001 war sie als Generalbauunternehmerin mit der Erbringung von Bauleistungen in M beauftragt. Zur Erfüllung dieses Auftrags bediente sie sich des kroatischen Bauunternehmens P als Subunternehmerin für Rohbauarbeiten. Das kroatische Unternehmen setzte hierfür in der Zeit von Juli 2000 bis Januar 2001 ausschließlich aus Kroatien entsandte gewerbliche Arbeitnehmer ein, die es namentlich mit der Anzahl ihrer jeweiligen Arbeitstage dem zuständigen Landesarbeitsamt meldete. Das kroatische Unternehmen erstattete dem Kläger weder die für die Bemessung des Beitrags vorgeschriebenen Meldungen noch leistete es Beiträge.
Mit der im Juni 2001 vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte unter Berufung auf § 1a AEntG als Bürgin auf Zahlung von Beiträgen in Anspruch genommen. Deren Höhe hat er auf der Grundlage der von dem kroatischen Bauunternehmen dem Landesarbeitsamt gemeldeten Daten und dem Mindestlohn ermittelt. Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht München verwiesen.
Der Kläger hat beantragt
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 11.338,34 Euro nebst 9,26 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat im Wesentlichen geltend gemacht, § 1a AEntG sei verfassungswidrig. Durch die gesetzlich bestimmte Bürgenhaftung werde unzulässig in die unternehmerische Freiheit von Bauarbeitgebern eingegriffen. Die europarechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit werde verletzt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben mit der Maßgabe, dass die Beklagte auf die Hauptforderung "5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit zu zahlen habe". Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.
Gründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, die verlangten Beitragszahlungen an den Kläger zu leisten.
I. Die Ansprüche des Klägers beruhen auf den Tarifbestimmungen des § 8 Nr. 15 BRTV-Bau iVm. §§ 5 f. VTV/2000, die das Urlaubskassenverfahren des Baugewerbes regeln. Sie sind auf das Rechtsverhältnis zwischen der Urlaubskasse und der kroatischen Subunternehmerin der Beklagten nach § 1 Abs. 3 iVm. Abs. 1 AEntG anzuwenden. Für die danach begründeten Beitragsschulden der Subunternehmerin hat die Beklagte nach § 1a AEntG als Bürgin einzustehen.
1. Nach § 1 Abs. 3 iVm. § 1 Abs. 1 AEntG werden die Rechtsnormen eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags des Bauhauptgewerbes oder Baunebengewerbes iSd. §§ 1 und 2 BaubetriebeVO auch auf ein Arbeitsverhältnis erstreckt, das zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmern besteht. Die Erstreckung setzt voraus, dass der ausländische Arbeitgeber in seinem Betrieb überwiegend Bauleistungen iSd. § 211 Abs. 1 SGB III erbringt. Dann hat der ausländische Arbeitgeber ebenso wie ein inländischer Arbeitgeber den im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmern mindestens die am Arbeitsort geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen zu gewähren, soweit die Dauer des Erholungsurlaubs, das Urlaubsentgelt oder ein zusätzliches Urlaubsgeld betroffen sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AEntG).
a) Die tatsächlichen Voraussetzungen der Erstreckung liegen nach den von der Beklagten nicht angegriffenen und damit das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 559 Abs. 2 ZPO) vor. Die Subunternehmerin der Beklagten befasst sich mit Roharbeiten. Sie unterliegt daher der BaubetriebeVO. Als in Kroatien ansässiges Bauunternehmen beschäftigt sie auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von ihr aus Kroatien entsandte Arbeitnehmer. Der Kläger ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien errichtet. Er zieht dazu ua. zur Sicherstellung der tariflichen Urlaubsansprüche im Baugewerbe nach § 8 Nr. 15 BRTV-Bau iVm. §§ 1 ff. VTV Beiträge ein und gewährt Leistungen.
b) § 1 AEntG ist rechtswirksam. Das hat der Senat bereits mehrfach entschieden. Die Entscheidungen betreffen Bauunternehmen mit Sitz in Polen, in Rumänien und in der Slowakei ( - 9 AZR 405/00 - und - 9 AZR 439/01 - BAGE 101, 357 und BAGE 102,1; - 9 AZR 406/00 - DB 2003, 2287; vgl. auch Urteil vom - 9 AZR 343/03 - betr. Portugal). Inländische und ausländische Bauarbeitgeber werden gleich behandelt. Auch inländische Bauarbeitgeber können die Anwendung der nach § 1 AEntG zwingenden tariflichen Bestimmungen nicht durch Bindung an einen für den Betrieb an sich tarifrechtlich geltenden, spezielleren Tarifvertrag vermeiden. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat auf Anfrage des erkennenden Senats vom (- 9 AZR 478/02 -) mit Beschluss vom seine gegenteilige Auffassung ( - AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 28 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 17) aufgegeben.
c) Wie der Senat erkannt hat, sind die durch § 1 AEntG erstreckten Tarifnormen rechtswirksam. Sie verstoßen weder gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen den Unabdingbarkeitsgrundsatz in § 13 Abs. 2 BUrlG oder die Regelungen des Datenschutzes ( - 9 AZR 405/00 - und - 9 AZR 439/01 - BAGE 101, 357 und BAGE 102, 1; - 9 AZR 406/00 - DB 2003, 2287).
Die kroatische Subunternehmerin der Beklagten war danach verpflichtet, am Beitragsverfahren teilzunehmen und schuldet dem Kläger nach § 18 VTV die Abführung von Urlaubskassenbeiträgen. Sie betragen für die Monate Juli 2000 bis Januar 2001 einschließlich rechnerisch unstreitig insgesamt 11.383,34 Euro.
2. Für diese Beitragsschuld hat die Beklagte nach § 1a AEntG einzustehen. Die Vorschrift ist rechtswirksam. Sie verstößt weder gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsausübungsfreiheit. Europarechtliche Bestimmungen sind ebenfalls nicht verletzt.
a) Der allgemeine Gleichheitssatz ist nicht verletzt. Die Bürgenhaftung trifft jeden Bauarbeitgeber, der sich zur Erledigung der ihm erteilten Aufträge eines Subunternehmers bedient. Sie differenziert nicht nach dessen Sitz im In- oder Ausland.
b) Die in der Vorschrift bestimmte Bürgenhaftung des Generalbauunternehmers greift in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein. Der Eingriff ist aber durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt.
aa) Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat § 1a AEntG bereits als verfassungsgemäß beurteilt ( - 5 AZR 617/01 (A) - AP AEntG § 1a Nr. 1 = EzA AEntG § 1a Nr. 1). Die Entscheidung betrifft die Einstandspflicht des Generalbauunternehmers für den vom ausländischen Subunternehmer geschuldeten Mindestlohn.
bb) Für die Bürgenhaftung wegen der an die Urlaubskasse der Bauwirtschaft abzuführenden Sozialkassenbeiträge tritt der Neunte Senat der Rechtsprechung des Fünften Senats ausdrücklich bei.
(1) Die Bürgenhaftung nach § 1a AEntG berührt die Berufsfreiheit des auftraggebenden Unternehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG. Im eigenen Interesse muss er darauf achten, dass seine Nachunternehmer die nach § 1 AEntG geltenden zwingenden Bestimmungen einhalten, um nicht die von diesen geschuldeten Beiträge selbst abführen zu müssen. Über die Begründung der Haftungsfolgen wird mithin seine Berufsfreiheit beeinflusst. Eine solche Regelung ist nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nur zulässig, wenn die in das Grundrecht eingreifende Norm durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Intensität des jeweiligen Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht ( und 48/87 - BVerfGE 81, 156; - BVerfGE 99, 202). Diesen Anforderungen wird die Vorschrift gerecht.
(2) Die Bürgenhaftung dient der Durchsetzung des § 1 AEntG und damit der Sicherstellung der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer. Der Nachunternehmer, der sich um eine Auftragsvergabe bewirbt, wird angehalten, den Generalbauunternehmer von seiner Seriosität und Gesetzestreue zu überzeugen. Im Gegenzug wird der Generalbauunternehmer zu einer sorgfältigen Auswahl der Subunternehmer veranlasst. Die Bürgenhaftung soll zugleich in Deutschland mehr Arbeitsplätze schaffen und Schwarzarbeit entgegenwirken (BT-Drucks. 14/45 Seite 17). Sie richtet sich gegen "Schmutzkonkurrenz" durch schlechtere Arbeitsbedingungen und dient dem Schutz kleiner Betriebe, die in der Vergangenheit vom Markt gedrängt worden sind, damit zugleich dem Schutz der in Deutschland nach Maßgabe der "hier" geltenden Bestimmungen tätigen Arbeitnehmer. Sie sollen nicht durch Arbeitnehmer verdrängt werden, die bereit sind, zu Arbeitsbedingungen tätig zu werden, die das zwingende Urlaubsrecht unterschreiten.
(3) Die Beklagte macht demgegenüber geltend, zwar achte "selbstverständlich" jeder Generalbauunternehmer darauf, nur seriöse Subunternehmer zu beauftragen. Vor kriminellen Machenschaften könne sich aber niemand schützen. Die gesetzgeberische Sicht sei deshalb "blauäugig". Dem stimmt der Senat nicht zu.
Der Gesetzgeber hatte zu entscheiden, ob das Risiko einer gesetzwidrigen Vorenthaltung der geschuldeten Beiträge dem Generalbauunternehmer zugeordnet wird oder dem Arbeitnehmer und der die Urlaubsansprüche sichernden tariflichen Einrichtung. Die Entscheidung, dieses Risiko dem Generalbauunternehmer aufzubürden, hält sich im Rahmen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Gegen "Machenschaften" des Subunternehmers kann er sich durch Kontrollmaßnahmen und Einbehaltungen vom Werklohn schützen. Die gesetzliche Regelung folgt insoweit dem Verursachungsprinzip. Denn der Generalbauunternehmer setzt die Ursache, wenn er zur Erledigung seiner baulichen Arbeiten einen Nachunternehmer beauftragt, der die nach § 1 AEntG iVm. mit den einschlägigen Tarifverträgen begründeten Zahlungspflichten nicht erfüllt.
Es ist auch nicht unverhältnismäßig, dass die Haftung verschuldensunabhängig ist und der Generalbauunternehmer auf Grund seiner gesetzlichen Stellung eines Bürgen mit Ausschluss der Einrede der Vorausklage (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB) unmittelbar vom Kläger in Anspruch genommen werden kann. Diese Regelung rechtfertigt sich aus der Verantwortung des Generalbauunternehmers für die getroffene Vergabeentscheidung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Generalbauunternehmer bei seinem Schuldner Rückgriff nehmen und sich etwa durch Einbehaltungen vom Werklohn vorsorgliche Sicherheiten verschaffen kann.
II. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nach Art. 234 EG ist nicht erforderlich. Die Frage einer Vereinbarkeit des § 1a AEntG mit Art. 49 EG (ex-Art. 59 EG-Vertrag) stellt sich hier nicht. Art. 49 betrifft den "freien Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedsstaaten". Als Bauunternehmen mit Sitz in einem Land, das nicht Mitglied der EU ist, wird die kroatische Streitverkündete hiervon nicht erfasst. Das gilt auch hinsichtlich der EG Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG vom ABl. EG Nr. L 18/1). Sie gilt nach Art. 1 Abs. 1 nur für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedsstaat. Sie führt in den Erwägungsgründen unter Ziff. 20 aus, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, die den Zugang von Dienstleistungserbringern aus Drittländern betreffen, blieben "unberührt". Die Mitgliedsstaaten sind damit frei in der Entscheidung, ob und welche Maßnahmen sie für Drittländer treffen. Der Vorlagebeschluss des Fünften Senats ( - 5 AZR 617/01 - AP AEntG § 1a Nr. 1 = EzA AEntG § 1a Nr. 1) ist nicht einschlägig. Er betrifft ein in Portugal, also in einem Mitgliedsstaat ansässiges Bauunternehmen. Die Frage, ob § 1a AEntG geeignet ist, die Erbringung von Dienstleistungen für in anderen Mitgliedsstaaten ansässige Unternehmen zu behindern, stellt sich hier nicht.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IAAAB-94976
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