BAG Urteil v. - 6 AZR 552/02

Leitsatz

[1] Eine Vereinbarung, nach der ein Bewerber um die Stelle eines Flugzeugführers die Kosten für den Erwerb einer hierfür erforderlichen Musterberechtigung ganz oder anteilig trägt, soweit er vor Ablauf von drei Jahren nach Beginn des Arbeitsverhältnisses kündigt, kann den Anforderungen einer auf § 242 BGB zu stützenden Inhaltskontrolle genügen.

Gesetze: GG Art. 12 Abs. 1; BGB § 242; LuftPersV § 66; LuftPersV § 70 Abs. 2; LuftPersV § 17 Abs. 2

Instanzenzug: ArbG Köln 9 Ca 1103/01 vom LAG Köln 9 Sa 1301/01 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erstattung von Ausbildungskosten, die der Kläger zum Erwerb der Musterberechtigung für den Flugzeugtyp Fokker F-27 aufgewendet hat.

Der Kläger war bei der Beklagten auf Grund schriftlichen Arbeitsvertrags vom als Flugzeugführer auf dem Flugzeugmuster Fokker F-27 in der Zeit vom bis zum beschäftigt. Im Arbeitsvertrag heißt es:

"Präambel:

Die WDL stellt grundsätzlich nur Flugzeugführer (Kapitäne und Copiloten) mit entsprechend in der Lizenz (ATPL) eingetragener Musterberechtigung auf dem Flugzeugtyp Fokker F27 ein.

Da der Angestellte noch nicht im Besitz der Musterberechtigung als Verantwortlicher Flugzeugführer (Kapitän) für den Flugzeugtyp Fokker F27 ist, wird der mit heutigem Datum geschlossene Angestelltenvertrag erst mit Vorlage der Lizenz, in der die Musterberechtigung als Verantwortlicher Flugzeugführer (Kapitän) eingetragen ist, wirksam, sofern die Vorlage innerhalb von 2,5 Monaten erfolgt.

...

§ 9

...

3. Ausschlussfristen

Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

...

§ 15

Sollte der Angestellte die Musterberechtigung für den Flugzeugtyp Fokker F27 als Verantwortlicher Flugzeugführer im Rahmen eines von diesem Angestelltenvertrag getrennten Ausbildungsvertrages erworben und den Betrag von DM 34.000,00 vollständig bezahlt haben, so verpflichtet sich die WDL, dem Angestellten diesen Betrag nach den im folgenden weiter aufgeführten Regelungen zurückzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis nach Ablauf von drei Jahren noch besteht. Gleiches gilt, falls der Angestellte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, seine Lizenz aufrechtzuerhalten oder wenn WDL dem Angestellten aus Gründen kündigt, die er nicht zu vertreten hat.

Die Rückzahlung der Ausbildungskosten wird auf drei Jahre verteilt gewährt. Darüberhinaus steht dem Angestellten keine Rückzahlung von Kosten mehr zu.

Die Rückzahlung der Ausbildungskosten wird jeweils in Höhe eines Drittels der gesamten Ausbildungskosten nach jeweils jährlicher Zugehörigkeit zur WDL fällig.

Sollte der Angestellte vor Ablauf des jeweiligen Zugehörigkeitsjahres aus der WDL ausscheiden, so steht ihm diese Rückzahlung der Ausbildungskosten nur für das vollendete jeweilige Beschäftigungsjahr zu. Eine anteilige Anrechnung bzw. Zahlung scheidet aus."

Zum Erwerb der Musterberechtigung für den Flugzeugtyp Fokker F-27 schloss der Kläger mit der RWL German Flight Academy GmbH & Co. KG (RWL) einen Ausbildungsvertrag. Die RWL ließ einen Teil der Ausbildung von der Beklagten durchführen. Der Kläger finanzierte die Ausbildungskosten in Höhe von 34.000,00 DM durch ein von der Beklagten vermitteltes Bankdarlehen. Nach dem Erwerb der Musterberechtigung wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien zum in Vollzug gesetzt. Am nahm die Beklagte vereinbarungsgemäß eine Sondertilgung des Darlehens in Höhe von 11.350,00 DM (5.803,16 Euro) vor und zahlte die anfallenden Zinsen.

Der Kläger kündigte am das Arbeitsverhältnis zum . Mit der Klage begehrt er die Erstattung der von ihm verauslagten restlichen Ausbildungskosten.

Der Kläger ist der Ansicht, er sei nicht verpflichtet, die Ausbildungskosten für den Erwerb der Musterberechtigung zu tragen. Die in § 15 des Arbeitsvertrags getroffene Erstattungsabrede bezwecke eine übermäßig lange Bindung. Sie zwinge ihn dazu, das Arbeitsverhältnis mindestens drei Jahre fortzuführen, um eine Erstattung der von ihm verauslagten Ausbildungskosten erreichen zu können. Allenfalls sei eine einjährige Bindung zulässig.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

die Beklagte zu verurteilen, an ihn netto 34.000,00 DM (17.383,92 Euro) abzüglich 11.350,00 DM (5.803,16 Euro) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom (BGBl. I S. 1242) seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, eine Anspruchsgrundlage für das Zahlungsbegehren sei nicht ersichtlich. Der Kläger habe die Ausbildung auf eigene Kosten und aus eigenem Antrieb absolviert, um hierdurch die für den Beginn des Arbeitsverhältnisses erforderliche fliegerische Qualifikation zu erwerben. Die vereinbarte Bindungsdauer beschränke seine Berufsfreiheit nicht im Übermaß. Mit dem Erwerb der Musterberechtigung für den Flugzeugtyp Fokker F-27 habe er Kläger erstmalig eine Pilotenlizenz der Gruppe Verkehrsflugzeuge erhalten. Im Übrigen sei der Anspruch auch nicht innerhalb der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist geltend gemacht worden. Soweit die beanstandete Klausel geltungserhaltend auf eine Bindungsfrist von einem Jahr zu reduzieren sei, hätte der Kläger nach Ablauf dieser Frist sein Zahlungsverlangen binnen zwei Monaten schriftlich geltend machen müssen.

Die Vorinstanzen habe die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz der von ihm aufgewandten restlichen Ausbildungskosten in Höhe von 11.580,76 Euro. Die Vereinbarung der Parteien über die Erstattung der Ausbildungskosten ist wirksam. Ob der Anspruch des Klägers nach der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist entsprechend der Auffassung des Landesarbeitsgerichts verfallen ist, braucht deshalb nicht entschieden zu werden.

1. Die vorliegende Vertragsgestaltung unterscheidet sich von der Vereinbarung einer Rückzahlungsklausel über die Erstattung einer vom Arbeitgeber vorfinanzierten und erst bei einem vorzeitigen Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis zu zahlenden Ausbildung dadurch, dass zunächst der Arbeitnehmer die Kosten der Ausbildung trägt und sich die Kostentragungspflicht während des festgelegten Bindungszeitraums zeitanteilig auf den Arbeitgeber verlagert. In beiden Fällen wird eine Bindungswirkung dadurch erzeugt, dass dem Arbeitnehmer im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf des festgelegten Zeitraums finanzielle Nachteile entstehen, sei es, dass er dem Arbeitgeber die verauslagten Ausbildungskosten zu erstatten hat, sei es, dass er den Erstattungsanspruch hinsichtlich der von ihm selbst aufgewandten Ausbildungskosten verliert. Die Höhe der wirtschaftlichen Belastung des Arbeitnehmers im Falle des vorzeitigen Ausscheidens fällt bei eigener Aufwendung der Ausbildungskosten und jährlich ansteigendem Erstattungsanspruch nicht anders aus als bei Übernahme der Ausbildungskosten durch den Arbeitgeber und einer jährlich sich vermindernden Rückzahlungspflicht. Danach verfolgen beide Vertragskonstruktionen den einheitlichen Zweck, den Arbeitnehmer während des vereinbarten Zeitraums an den Betrieb zu binden. Im Hinblick darauf, dass beide Vertragsgestaltungen in wirtschaftlicher Hinsicht eine gleichartige Verteilung der Kostenlast bewirken und damit eine vergleichbare Bindungswirkung erzeugen liegt es nahe, die zur Inhaltskontrolle von Rückzahlungsklauseln entwickelten Grundsätze auch auf eine Vertragsgestaltung der vorliegenden Art zu übertragen.

2. Ob deshalb der Vertrag der Parteien - wie der Kläger meint - dahin auszulegen ist, dass ihm bereits nach einjährigem Verbleib bei dem Beklagten ein Zahlungsanspruch im Umfang des noch nicht getilgten Darlehens oder ein solcher auf Freistellung von der verbliebenen Darlehensverbindlichkeit zusteht, muss nicht entschieden werden. Die Rückzahlungsvereinbarung der Parteien ist wirksam. Sie hält einer Inhaltskontrolle am Maßstab des § 242 BGB stand.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. - 5 AZR 339/92 - BAGE 76, 155; - 6 AZR 539/01 - AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 32 = EzA BGB 2002 § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) sind einzelvertragliche Vereinbarungen grundsätzlich zulässig, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Ausnahmsweise können derartige Zahlungsverpflichtungen, die an eine vom Arbeitnehmer zu verantwortenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, unter dem Gesichtspunkt einer übermäßigen Beeinträchtigung der arbeitsplatzbezogenen Berufswahlfreiheit des Arbeitnehmers (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) gegen Treu und Glauben verstoßen. Das ist nicht der Fall, wenn die Kostentragungspflicht bei verständiger Betrachtung einerseits einem billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entspricht und der Arbeitnehmer mit der Fortbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Beteiligung an den Ausbildungskosten erhalten hat und ihm der Kostenbeteiligung nach Treu und Glauben zumutbar ist. Die für den Arbeitnehmer tragbaren Bindungen sind auf Grund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Dabei kommt es ua. auf die Dauer der Bindung, den Umfang der Fortbildungsmaßnahme, die Höhe des Rückzahlungsbetrags und dessen Abwicklung an ( - aaO).

aa) Das Interesse des Arbeitgebers, der für die Ausbildung seines Arbeitnehmers Kosten aufwendet, geht dahin, die vom Arbeitnehmer erworbene Qualifikation möglichst langfristig für den Betrieb nutzen zu können. Es gestattet dem Arbeitgeber grundsätzlich, als Ausgleich für seine finanziellen Aufwendungen von dem sich abkehrenden Arbeitnehmer, die Kosten der Fortbildung abhängig von dessen Verweildauer im Betrieb zurückzuverlangen oder sich nur in diesem Umfang an den Kosten zu beteiligen.

bb) Auf Seiten des Arbeitnehmers geht das Interesse dahin, durch die Ausbildung die eigenen Arbeitsmarktchancen zu verbessern und sich gegenüber dem Arbeitgeber nur in einem solchen Umfang zu binden, wie das im Verhältnis zu dessen Aufwendungen angemessen ist. Danach kann eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers nur wirksam vereinbart werden, wenn er durch die Ausbildung überhaupt einen geldwerten Vorteil erlangt. Eine Kostenbeteiligung ist ihm um so eher zuzumuten, je größer der mit der Fortbildung verbundene berufliche Vorteil für ihn ist. Dieser kann darin bestehen, dass der Arbeitnehmer eine Ausbildung erhält, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder im Bereich des bisherigen Arbeitgebers berufliche Möglichkeiten eröffnet, die ihm zuvor verschlossen waren. Auch Fortbildungsmaßnahmen können für einen Arbeitnehmer von geldwertem Vorteil sein, sei es, dass er bei seinem bisherigen Arbeitgeber die Voraussetzungen einer höheren Vergütung erfüllt oder sich die erworbenen Kenntnisse auch anderweitig nutzbar machen lassen. Demgegenüber scheidet eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers in der Regel aus, wenn die Fortbildung nur innerbetrieblich von Nutzen ist oder lediglich der Auffrischung vorhandener Kenntnisse oder der Anpassung dieser Kenntnisse an vom Arbeitgeber veranlasste neuere betriebliche Gegebenheiten dient ( - BAGE 76, 155; - 6 AZR 539/01 - AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 32 = EzA BGB 2002 § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

cc) Gleichwohl müssen die Vorteile der Ausbildung und die Dauer der Bindung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts richtet sich der zulässige Umfang der Bindungsdauer in erster Linie nach der Dauer der Aus- oder Fortbildungsmaßnahme. Sie ist sowohl bestimmend für die Höhe der Arbeitgeberaufwendungen und damit dessen Bedarf am Schutz seiner Investitionen als auch für die Qualität der erworbenen Qualifikation und damit verbundene Erhöhung der beruflichen Chancen des Arbeitnehmers ( - 5 AZR 158/00 - BAGE 100, 13, zu I 2 b bb der Gründe).

dd) Der Arbeitnehmer kann auch nur an den durch die Ausbildung tatsächlich entstandenen Kosten beteiligt werden. Obergrenze ist in jedem Fall der vereinbarte Betrag ( - BAGE 100, 13).

b) Ausgehend davon hält die vorliegende Vereinbarung einer Inhaltskontrolle am Maßstab des § 242 BGB stand; § 307 BGB nF ist im vorliegenden Fall gem. Art. 229 § 5 EGBGB nicht anwendbar.

aa) Die Beklagte benötigt Flugzeugführer, die berechtigt sind, die von ihr verwendeten Fluggeräte zu fliegen. Ihr berechtigtes Interesse geht dahin, Arbeitnehmer einzusetzen, die eine entsprechende vertragliche Arbeitsleistung ohne weiteres erbringen können. Beteiligt sie sich dennoch an den Kosten einer hierfür notwendigen Ausbildung, geht ihr Interesse jedenfalls dahin, einen über Leistung und Gegenleistung hinausgehenden Aufwand zu verringern (vgl. - BAGE 100, 13).

bb) Der Kläger hat durch den Erwerb der Musterberechtigung als Pilot für den Flugzeugtyp Fokker F-27 berufliche Vorteile erlangt, die eine Kostenbeteiligung dem Grunde nach rechtfertigen kann. Bei der Musterberechtigung handelt es sich um einen anerkannten Qualifikationsnachweis. Sie ist auf Grund öffentlich-rechtlicher Regelung (§ 66 LuftPersV aF) Voraussetzung für die Tätigkeit als Flugzeugführer auf dem jeweiligen Muster ist ( - BAGE 76, 155, zu A V 1 der Gründe; Hanau/Stoffels Beteiligung von Arbeitnehmern an den Kosten der beruflichen Fortbildung S. 23; Schmid/Roßmann Das Arbeitsverhältnis der Besatzungsmitglieder in Luftfahrtunternehmen Rn. 272). Der Inhaber einer Musterberechtigung kann diese grundsätzlich auch bei jedem anderen Arbeitgeber nutzen. Der Erwerb der Musterberechtigung kann daher nicht mit einer nur dem Arbeitgeber dienenden Einweisung auf das Arbeitsgerät gleichgesetzt werden (vgl. hierzu - BAGE 100, 13).

cc) Die Berufsfreiheit des Klägers wird auf Grund der vereinbarten dreijährigen Bindungsdauer nicht unverhältnismäßig beschränkt.

(1) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beurteilt die zulässige Bindungsintensität anhand der Fortbildungsdauer und der Qualität der erworbenen Qualifikation. Danach kann bei einer Ausbildungsdauer von bis zu zwei Monaten im Regelfall höchstens eine einjährige Bindung vereinbart werden (vgl. - 5 AZR 279/93 - BAGE 75, 215). Obwohl die Dauer der Fortbildung ein starkes Indiz für die Qualität der erworbenen Qualifikation ist, kann auch bei kürzerer Ausbildung eine verhältnismäßig lange Bindung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber ganz erhebliche Mittel aufwendet oder die Teilnahme an der Fortbildung dem Arbeitnehmer überdurchschnittlich große Vorteile bringt ( - aaO). Die Bemessung der Bindungsfrist nach der Dauer der jeweiligen Bildungsmaßnahme beruht danach nicht auf rechnerischen Gesetzmäßigkeiten, sondern auf richterrechtlich entwickelten Regelwerten, die einzelfallbezogenen Abweichungen zugänglich sind ( - AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 32 = EzA BGB 2002 § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu 3 der Gründe).

(2) Allerdings hat der Fünfte Senat des - 5 AZR 339/92 - BAGE 76, 155) in einem Fall, in dem der Arbeitnehmer in einem laufenden Arbeitsverhältnis eine weitere Musterberechtigung erworben hat, den Rechtssatz aufgestellt, dass wegen der Besonderheiten der Musterberechtigungen - insbesondere deren gegenständlichen Begrenzung - unabhängig von deren Art und der vom Arbeitgeber aufgewandten Kosten regelmäßig nur eine Bindungsdauer von einem Jahr zulässig ist. Ob an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten ist, bedarf keiner Entscheidung. Sie betrifft nicht den Erwerb einer Musterberechtigung als Voraussetzung für die Begründung des Arbeitsverhältnisses. Allein die Besonderheiten von Musterberechtigungen rechtfertigen in einem solchen Fall keine generelle Beschränkung der zulässigen Bindungsdauer auf ein Jahr.

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass trotz einer relativ kurzen Ausbildungszeit von etwa zwei Monaten vergleichsweise hohe Kosten anfallen und der Kläger durch den Erwerb der Musterberechtigung einen höheren Qualifikationsgrad erreicht, mit der Folge, dass der verhältnismäßig kurzen Fortbildungsdauer keine allein ausschlaggebende Indizfunktion hinsichtlich der Höhe der Ausbildungskosten und der Qualität der erworbenen Qualifikation zukommt (vgl. - BAGE 100, 13). Vor allem aber liegt der berufliche Vorteil, den der Kläger durch den Erwerb der Musterberechtigung als Pilot für den Flugzeugtyp Fokker F-27 erlangt hat, in der Einstellung selbst. Zuvor verfügte der Kläger über keine Musterberechtigung. Erst durch den Erwerb der Musterberechtigung hat er die in der Präambel des Arbeitsvertrags festgelegte aufschiebende Bedingung des Arbeitsverhältnisses erfüllt.

(3) Der Erwerb der Musterberechtigung ist keine auf die besonderen Anforderungen eines bestimmten Arbeitgebers zugeschnittene betriebliche Einarbeitung. Der Kläger kann die mit der Musterberechtigung erworbene Qualifikation auch bei anderen Fluggesellschaften einsetzen. Die hohen Ausbildungskosten steigern seinen Marktwert für diejenigen Fluggesellschaften, die über Fluggeräte desselben Flugzeugmusters verfügen. Auch soweit es sich nach Angaben des Klägers um ein wenig verbreitetes Flugzeugmuster handelt, bleibt der Vorteil, dass er im Falle einer - wenn auch geringeren - Nachfrage nach Piloten für diesen Flugzeugtyp einer entsprechend geringeren Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist und die bereits erworbene Musterberechtigung als besondere Qualifikation einsetzen kann, die dem neuen Arbeitgeber die ansonsten anfallenden hohen Ausbildungskosten für einen Ersterwerb der Musterberechtigung erspart. Der Flugzeugtyp Fokker F-27 wird unstreitig weiterhin von mehreren Fluggesellschaften eingesetzt. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise genügt es, dass sich für den Kläger überhaupt entsprechende Einsatzmöglichkeiten als Pilot bei anderen Arbeitgebern eröffnen (vgl. - BAGE 100, 13, zu I 2 d bb der Gründe). Hinzu kommt, dass der Kläger infolge des erstmaligen Erwerbs einer Musterberechtigung der Gruppe Verkehrsflugzeuge mit einer Höchstmasse von mehr als 5,7 t einen höheren Qualifikationsgrad erreicht und seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich erhöht. Bei dem Flugzeugtyp Fokker F-27 handelt es sich nach den nicht bestrittenen Ausführungen der Beklagten - ebenso wie bei dem Nachfolgermodell F-50 - um eine sog. "Einsteigermaschine". Faktisch ermöglicht regelmäßig erst eine ausreichende Flugerfahrung auf einem solchen kleineren Flugzeug, Musterberechtigungen für größere Verkehrsflugzeuge zu erwerben (vgl. - BAGE 100, 13, zu I 2 d cc der Gründe). Dem Kläger wurde damit infolge des Erwerbs der Musterberechtigung auch eine kontinuierliche Berufsentwicklung ermöglicht. Das kommt nicht zuletzt auch in der zwischen den Parteien vereinbarten Steigerung des Grundgehalts von 3.000,00 DM auf 5.000,00 DM nach Ablauf der Probezeit, innerhalb derer der Kläger als verantwortlicher Flugzeugführer nur eingeschränkt eingesetzt werden durfte, zum Ausdruck. Weiter ist zu berücksichtigten, dass eine einmal erworbene Musterberechtigung auch dann nicht völlig an Wert verliert, wenn ihre Gültigkeitsdauer mangels Verlängerung abgelaufen ist. Die Aufrechterhaltung des wesentlichen Werts der Berechtigung trotz der zeitlichen Begrenzung der Gültigkeitsdauer folgt daraus, dass sowohl zur Verlängerung als auch zur Erneuerung der Erlaubnis und der Musterberechtigung - neben einer Mindestanzahl von Flugstunden - nur die erfolgreiche Absolvierung eines Überprüfungsfluges oder die Überprüfung auf einem anerkannten Flugübungsgerät erforderlich ist (§ 17 Abs. 2, § 70 Abs. 2 LuftPersV aF). Auch wenn sich der Luftfahrzeugführer zur Erneuerung einer seit längerer Zeit abgelaufenen Musterberechtigung mit dem Muster wieder intensiv theoretisch und praktisch vertraut machen muss (vgl. - aaO), ist der Aufwand für die Absolvierung eines Überprüfungsfluges zur Verlängerung oder Erneuerung der Musterberechtigung - auch und gerade in finanzieller Hinsicht - weitaus geringer als für den erstmaligen Erwerb der Musterberechtigung. Auf diesen Gesichtspunkt hat auch der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts nunmehr in seiner Entscheidung vom (- 5 AZR 158/00 - BAGE 100, 13, zu I 2 d cc der Gründe) zur Zulässigkeit einer unbedingten Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers hingewiesen und in einem vergleichbaren Fall eine dreijährige Bindung für wirksam gehalten.

dd) Der Kläger hat die RWL vertragsgemäß 34.000,00 DM für die Ausbildung entrichtet. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die RWL in kollusivem Zusammenwirken mit der Beklagten für die Ausbildung für einen überhöhten Preis verlangt hat, sind nicht ersichtlich. Auf die vom Kläger vorgelegte Rechnung eines anderen Absolventen über einen Betrag von 18.000,00 DM zum Erwerb der Musterberechtigung für das Flugzeugmuster Fokker F-27 hat die Beklagte mit Schriftsatz vom unwidersprochen vorgetragen, dass die Rechnung die Ausbildung eines Co-Piloten auf dem Flugzeugmuster Fokker F-27 betraf und nur die Hälfte der vom Kläger absolvierten Simulator-Stunden durchgeführt werden mussten. Die vom Kläger mit Schriftsatz vom vorgelegte Broschüre eines anderen Ausbildungsunternehmens weist einen Kurspreis von 42.500,00 Euro für eine Crew (zwei Piloten) und damit Ausbildungskosten von 21.250,00 Euro je Pilot aus. Die Beklagte hat ihrerseits die Zusammensetzung in der Anlage zum Schriftsatz vom im Einzelnen aufgeschlüsselt. Dem ist der Kläger durch konkreten Sachvortrag nicht entgegengetreten.

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 1860 Nr. 34
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2008 S. 3697
CAAAB-94537

1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse Nein