Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: BGB § 133; BGB § 157; BGB § 315 Abs. 3; GG Art. 5 Abs. 3; LPVG NW § 72 Abs. 1 Nr. 4; LPVG NW § 72 Abs. 3 Nr. 5
Instanzenzug: ArbG Bielefeld 3 Ca 3623/01 vom LAG Hamm 11 (5) Sa 919/02 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Umfang der Lehrverpflichtung des Klägers.
Der Kläger ist Diplompsychologe. Er ist seit dem bei dem beklagten Land als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld am Oberstufenkolleg beschäftigt. Hierbei handelt es sich um eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität und eine staatliche Versuchsschule mit dem Ziel, die gymnasiale Oberstufe mit Teilen des universitären Grundstudiums zu verbinden. Auf Grund dieser Besonderheiten, die zu erheblichen Zweifelsfragen über den Umfang der Lehrverpflichtung führten, schlossen die Parteien erst am einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Dort heißt es in § 3:
"Die Ausbildungsverpflichtung beträgt gemäß Erlaß des MWF vom - III C 2-6226/022 - bei Vollzeitbeschäftigten 14 Wochenstunden, bezogen auf ein Ausbildungsjahr mit 40 Unterrichtswochen. Bei Teilzeitbeschäftigten verringert sich die Ausbildungsverpflichtung entsprechend."
In der Anlage zum Arbeitsvertrag, die nach § 2 des Arbeitsvertrags dessen Bestandteil ist, heißt es:
"Änderungen im Rahmen der Aufgabenstellung eines wissenschaftlichen Mitarbeiters bleiben vorbehalten."
Das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des beklagten Landes vereinbarte im März 2001 mit dem Rektor der Universität Bielefeld, dem wissenschaftlichen Leiter des Oberstufenkollegs und dem Leiter des Oberstufenkollegs ein "Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung des Oberstufenkollegs Bielefeld". Dadurch reduziert sich die Ausbildungsdauer von vier auf drei Jahre. Die wöchentliche Ausbildungszeit der Kollegiaten wurde von 24 auf durchschnittlich 30 Stunden erhöht. Das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des beklagten Landes erhöhte mit Erlass vom die Lehrverpflichtung der Lehrenden am Oberstufenkolleg auf 18 Wochenstunden bezogen auf ein Schuljahr mit 40 Wochenstunden, wobei 1,2 Wochenstunden je Lehrendenstelle für die Wahrnehmung der Funktionen der Schulleitung und weiterer Ermäßigungsbedarfe gewährt wurden. Unter Bezugnahme auf diesen Erlass teilte der Rektor der Universität dem Kläger mit Schreiben vom mit, dass seine Lehrverpflichtung ab dem 18 Stunden beträgt und seine sonstigen Dienstaufgaben, insbesondere in Forschung und Entwicklung, in entsprechendem Umfang reduziert sind. Auf Grund der Berücksichtigung der Ermäßigung von 1,2 Wochenstunden erhöhte sich die Lehrverpflichtung des Klägers damit auf 16,8 Stunden wöchentlich. Grundlage der Änderung des Unterrichtskontingents war die Entscheidung, zunächst 20 und später fünf weitere Planstellen des Oberstufenkollegs nicht wieder zu besetzen.
Der Kläger ist der Ansicht, nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung habe er lediglich eine Lehrverpflichtung von 14 Wochenstunden zu erfüllen. Das beklagte Land habe eine Erhöhung des Lehrdeputats nicht kraft Direktionsrechts anordnen können, sondern sei hierfür auf eine vertragliche Vereinbarung oder den Ausspruch einer Änderungskündigung angewiesen. Im Übrigen widerspreche die zeitliche Anhebung der Lehrverpflichtung auch billigem Ermessen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass die Ausbildungsverpflichtung des Klägers über den hinaus 14 Wochenstunden, bezogen auf ein Ausbildungsjahr mit 40 Unterrichtswochen, beträgt.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen vertraglichen Anspruch darauf, nur 14 Wochenstunden unterrichten zu müssen.
1. Der Umfang der Unterrichtsverpflichtung des Klägers ist in § 3 des Arbeitsvertrags nicht fest vereinbart, sondern steht unter einem Änderungsvorbehalt.
a) Die im Arbeitsvertrag der Parteien vom enthaltenen Erklärungen sind typische Willenserklärungen, die vom Senat in der Revisionsinstanz unbeschränkt und selbstständig ausgelegt werden können (st. Rspr. -, zu II 1 der Gründe; - 5 AZR 637/98 - BAGE 93, 212, zu I 3 b der Gründe; - 4 AZR 14/99 - BAGE 93, 328, zu II 3 b aa der Gründe, jeweils mwN). Der Vertrag hat formularmäßigen Charakter und wird vom beklagten Land für eine Vielzahl von wissenschaftlichen Mitarbeitern verwendet, die im Angestelltenverhältnis am Oberstufenkolleg tätig sind. Daher unterliegt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung. Dieser hält sie stand.
b) Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war ( -, zu II 2 der Gründe; - 6 AZR 434/00 - AP BBiG § 10 Nr. 10 = EzA BBiG § 10 Nr. 6, zu I 3 der Gründe; - 10 AZR 323/01 - EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 110, zu II 1 b der Gründe mwN).
c) Danach ist § 3 Arbeitsvertrag ein bloßer Hinweis auf die zur Zeit des Abschlusses des Arbeitsvertrags geltende Erlasslage hinsichtlich des Umfangs der Unterrichtsverpflichtung. Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Regelung. Das Landesarbeitsgericht erkennt insoweit zutreffend, dass sich § 3 Arbeitsvertrag nicht auf die Angabe "die Ausbildungsverpflichtung beträgt 14 Wochenstunden" beschränkt, sondern auch einen Bezug auf den Erlass des MWF vom bezieht. Eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung bestätigt dieses Ergebnis. Dem beklagten Land ging es beim Abschluss des Arbeitsvertrags erkennbar darum, einheitliche Bedingungen für alle Lehrenden am Oberstufenkolleg zu schaffen und den Besonderheiten der Tätigkeit eines wissenschaftlichen Mitarbeiters am Oberstufenkolleg gegenüber derjenigen eines Lehrers im schulischen Bereich gerecht zu werden. Insoweit wäre es widersprüchlich, eine bestimmte Erlasslage vertraglich festzuschreiben mit der Folge, dass für nach In-Kraft-Treten eines Erlasses eintretende Arbeitnehmer eine gegenüber dem Kläger abweichende Unterrichtsverpflichtung gelten würde und künftige Veränderungen im Unterrichtsdeputat der Lehrer nicht zum Tragen kommen könnten. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Umfang einer Lehrverpflichtung typischerweise durch Verwaltungsvorschrift (Verordnung, Erlass) geregelt wird. Hierdurch kann Veränderungen im Tatsächlichen, zB einem Rückgang oder Ansteigen von Schülerzahlen oder haushaltsrechtlichen Erwägungen, Rechnung getragen werden. Auch deshalb konnte der Kläger § 3 Arbeitsvertrag nicht dahingehend verstehen, das beklagte Land wolle ausnahmsweise eine bestimmte Erlasslage festschreiben und für die Zukunft darauf verzichten, die Unterrichtsverpflichtung den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen.
2. Die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung auf mehr als 14 Wochenstunden bei gleichzeitiger Ermäßigung seiner Forschungstätigkeiten entspricht billigem Ermessen (§ 315 Abs. 3 BGB/§ 106 GewO).
a) Das beklagte Land hat nicht die Gesamtarbeitszeit des Klägers verlängert, sondern die von ihm nach dem Arbeitsvertrag zu erfüllenden Aufgaben zeitlich neu gewichtet. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Ob dies geschehen ist, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle und ist auch in der Revisionsinstanz uneingeschränkt nachprüfbar ( - EzBAT § 15 BAT Lektoren Nr. 1, zu III der Gründe).
b) Die Grenzen billigen Ermessens sind bei der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts gewahrt worden. Auf Grund der haushaltsrechtlichen Entscheidung, zunächst 20 und später fünf weitere Planstellen des Oberstufenkollegs nicht weiter zu besetzen, ergibt sich ein gestiegener Unterrichtsbedarf in Bezug auf die verbliebenen Lehrkräfte. Hinsichtlich der Frage, wie diesem gestiegenen Unterrichtsbedarf Rechnung getragen werden kann, steht dem beklagten Land eine Einschätzungsprärogative zu ( - AP BAT § 2 SR 2l Nr. 16, zu II 2 a der Gründe). Das beklagte Land hat prognostiziert, dass nach Heraufsetzung der Lehrverpflichtung auf 18 Wochenstunden sich für das erste Unterrichtsjahr zwar ein Überhang von 10,1 Stellen ergibt, der sich aber schon für das darauffolgende Jahr auf 5,6 Stellen verringert. Diesen Überhang erkannte es als notwendig, um einen im Bereich der Kernfächer durch Pensionierungen und durch die Umsetzung der neuen Ausbildungsordnung über den oben genannten Ansatz hinausgehenden fachspezifischen Bedarf zu decken. Ferner erschien dem beklagten Land in Bezug auf unvorhersehbare Ereignisse (Erkrankungen, Beurlaubungen) eine maßvolle Personalreserve sinnvoll. Im Hinblick darauf, dass die Festlegung des Unterrichtskontingents regelmäßig für einen längeren Zeitraum (für mehrere Jahre) erfolgt, führt der vom beklagten Land prognostizierte Überhang von 10,1 Stellen im ersten Jahr nicht zwingend dazu, dass insoweit die Unterrichtsverpflichtung hätte weniger stark erhöht werden müssen.
Das beklagte Land hat auch die Interessen des Klägers angemessen berücksichtigt. Erstmals wurde ihm für die Wahrnehmung von Gremienaufgaben und sonstigen Funktionen eine feststehende Entlastung von 1,2 Unterrichtsstunden gewährt. Durch die Verringerung der Forschungsaufgaben ist ferner sichergestellt, dass die wöchentliche Gesamtarbeitszeit von 38,5 Stunden nicht überschritten wird. Ferner verbleibt noch ausreichend Zeit für Forschungstätigkeiten zumal die Möglichkeit besteht, durch Teilnahme an gesonderten anzumeldenden Forschungsprojekten den Umfang der Lehrverpflichtung zu reduzieren. Ob und inwieweit sich der Kläger als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Oberstufenkollegs im Streit über den zeitlichen Umfang einer Lehrverpflichtung auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG berufen kann, muss allerdings nicht entschieden werden. Das beklagte Land hätte dieses Grundrecht bei der Ausübung des Direktionsrechts hinreichend beachtet. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit wäre allenfalls betroffen, wenn die Lehrverpflichtung von 18 Wochenstunden bezogen auf die geschuldete Arbeitsleistung so umfangreich wäre, dass auf die Durchführung von Forschungsaufgaben keine nennenswerte Arbeitszeit mehr entfiele. Dem Kläger verbleibt aber nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts - auch gerade bei Nutzung des Forschungspools - ausreichend Zeit für Forschungszwecke.
3. Das Landesarbeitsgericht hat auch richtig erkannt, dass die Maßnahme nicht nach § 72 LPVG NW mitbestimmungspflichtig war. Eine wesentliche Änderung des Arbeitsvertrags iSv. § 72 Abs. 1 Nr. 4 LPVG NW läge nur vor, wenn die Maßnahme einer vertraglichen Vereinbarung bedurft hätte. Das ist nicht der Fall. Die Maßnahme ist auch nicht nach § 72 Abs. 3 Nr. 5 LPVG NW mitbestimmungspflichtig. Durch die Erhöhung des Unterrichtsdeputats des Klägers änderte das beklagte Land nicht die Arbeitsorganisation. Die Aufgaben des Klägers wurden nicht - auch nur teilweise - auf andere Arbeitnehmer umverteilt. Eine bloße Änderung der Gewichtung einzelner (Teil-) Tätigkeiten des Arbeitnehmers ist keine beteiligungspflichtige Änderung der Arbeitsorganisation.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
RAAAB-94506
1Für die Amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein