Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LAG Düsseldorf 13 Sa 691/03 vom ArbG Duisburg 5 Ca 3440/02 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Zuschuss zum Krankengeld auf einzelvertraglicher Grundlage.
Der Kläger ist seit 1964 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Im Arbeitsvertrag aus dem Jahre 1989 heißt es unter Ziff. 5:
"Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall erhalten Sie jeweils nach Beendigung der gesetzlichen Gehaltszahlungspflicht einen Nettoausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem höchsten Leistungssatz unserer Betriebskrankenkasse bzw. sonstiger Leistungsträger der Sozialversicherung und Ihrem unter Berücksichtigung der Pauschbeträge für Werbungskosten und Sonderausgaben ermittelten fiktiven Nettogehalt für die Dauer von
3 Mo. bei einer Werkszugehörigkeit bis zu 5 Jahren,
6 Mo. bei einer Werkszugehörigkeit über 5 bis zu 10 Jahren,
9 Mo. bei einer Werkszugehörigkeit über 10 bis zu 15 Jahren,
12 Mo. bei einer Werkszugehörigkeit über 15 Jahre."
Der Kläger war seit März 2002 mindestens bis April 2003 arbeitsunfähig krank. Von April bis Juli 2002 erhielt er von der Beklagten einen monatlichen Zuschuss zum Krankengeld in unterschiedlicher Höhe. Im Juli 2002 betrug der Zuschuss 270,84 Euro, errechnet aus der Differenz zwischen dem Krankengeld in Höhe von 2.108,00 Euro (31 Kalendertage x 68,00 Euro je Kalendertag) und dem fiktiven Nettogehalt des Klägers in Höhe von 2.378,84 Euro.
Im August 2002 ließ der Kläger seine Steuerklasse von bisher IV in V ändern, während seine Ehefrau von bisher IV in Steuerklasse III wechselte. Hierdurch verringerte sich das fiktive monatliche Nettogehalt des Klägers auf 1.798,24 Euro. Die Beklagte zahlte deshalb ab August 2002 keinen Zuschuss zum Krankengeld mehr.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für die Berechnung des Krankengeldzuschusses komme es auf die Verhältnisse zu Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit an. Eine spätere Änderung der Steuerklasse habe auf die Bestimmung des fiktiven Nettogehalts keine Auswirkungen. Anderenfalls könne der Arbeitnehmer die Lohnsteuerklasse rechtsmissbräuchlich zu Lasten des Arbeitgebers wechseln. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe mit Schreiben vom bestätigt, dass der einmal errechnete kalendertägliche Anspruch für die gesamte Bezugsdauer des Krankengeldes unabhängig von einer Änderung der Steuermerkmale des Mitarbeiters gegolten habe. Der Kläger hat gemeint, ihm stehe deshalb für den Zeitraum von August 2002 bis April 2003 monatlich 270,84 Euro zu.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 2.437,56 Euro zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Zuschuss zum Krankengeld solle die Lücke zwischen dem durch die Krankenkasse gezahlten Krankengeld und dem durchschnittlichen Nettoentgelt schließen. Nach der Änderung der Lohnsteuerklasse des Klägers ergebe sich kein Nettoausgleich mehr.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter und begehrt zusätzlich "5 % Zinsen über dem Basisdiskontsatz" ab dem .
Gründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht ab August 2002 kein Zuschuss zum Krankengeld mehr zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, Ziff. 5 des Arbeitsvertrags bedürfe der ergänzenden Auslegung. Angesichts der Eigentümlichkeiten des Steuer- und Sozialversicherungsrechts, die die Parteien nach Überzeugung der Kammer nicht bedacht hätten, müsse Berechnungsgrundlage für die jeweilige monatliche Zuzahlung das für das Kalenderjahr maßgebliche und über den Lohnsteuerjahresausgleich ermittelte Nettoeinkommen des Arbeitnehmers sein. Die Steuerklasse sei im Vertrag als Berechnungsfaktor nicht erwähnt. Sie sei als lediglich vorläufige und im Kalenderjahr zweimal beliebig veränderbare Grundlage des monatlichen Lohnsteuerabzugs hierfür ungeeignet. Das fiktive Nettoeinkommen werde erst auf Grund eines unanfechtbaren Einkommensteuerbescheids festgestellt. Das schließe missbräuchliche Gestaltungen durch Änderung der Steuerklasse von vorneherein aus. Zu berücksichtigen sei insbesondere der Progressionsvorbehalt des § 32b EStG, der wegen des Krankengeldes zur Anwendung eines besonderen Steuersatzes bei gemeinsamer Veranlagung der Ehegatten führe. Durch die Wahl der getrennten Veranlagung hätten es die Ehegatten jedoch, ggf. noch im Einspruchsverfahren, in der Hand, eine niedrigere Steuerschuld herbeizuführen. Die hiernach maßgebliche Berechnungsgrundlage des Nettoeinkommens des Klägers einschließlich einer etwaigen getrennten Veranlagung sei weder bekannt noch vorgetragen. Deshalb fehle es an einem Anspruchselement für die Forderung des Klägers.
II. Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu folgen. Doch bestehen gegen die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, das "ermittelte fiktive Nettogehalt" gemäß Ziff. 5 des Arbeitsvertrags ergebe sich erst aus der bestandskräftigen Festsetzung der Einkommensteuer, durchgreifende Bedenken. Für diese Auslegung finden sich keine Anhaltspunkte in der Vertragsregelung. Es erscheint widersprüchlich und verletzt die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB, wenn das Landesarbeitsgericht einerseits eine ergänzende Vertragsauslegung vornimmt, andererseits aber die Begründung des Arbeitsgerichts als weitgehend zutreffend bezeichnet. Der Kläger kann schon nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck von Ziff. 5 des Arbeitsvertrags keine Zahlung verlangen.
1. Der Anspruch auf den "Nettoausgleich" besteht für einzelne Monate. Das spricht dafür, das "fiktive Nettogehalt" für diese Monate zu ermitteln und mit dem jeweiligen Leistungssatz aus der Sozialversicherung zu vergleichen. Unabhängig von den konkreten Verhältnissen des Kalenderjahres sind nur die "Pauschbeträge für Werbungskosten und Sonderausgaben" berücksichtigungsfähig. Damit wird die reale (nachträgliche) Betrachtung gerade vermieden. Demgemäss spricht der Vertrag ausdrücklich von einem "fiktiven" Nettogehalt.
2. Ziff. 5 des Arbeitsvertrags bietet keinerlei Anhaltspunkt dafür, maßgeblich für die gesamte Dauer der Zuzahlung solle der Nettoverdienst bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit sein. Vielmehr kann der Arbeitnehmer für bestimmte in Monaten bemessene Zeiträume Leistungen beanspruchen, die sein Einkommen insgesamt auf ein fiktives Nettogehalt anheben. Sein Nettomonatseinkommen soll also im Grundsatz dem Einkommen entsprechen, das er bei Weiterzahlung der vollen Vergütung ("netto") bezogen hätte. Damit wird für die Zuzahlung auf die jeweils maßgebenden Verhältnisse des Fälligkeitsmonats abgestellt. Eine Regelung entsprechend § 14 Abs. 1 Satz 2, 3 MuSchG enthält der Arbeitsvertrag gerade nicht. Die Zuzahlung bezweckt ebenso wie sonstige Zahlungen des Arbeitgebers zusätzlich zu Lohnersatzleistungen bis zur Höhe eines Nettoverdienstes, die jeweilige Einkommenssituation beizubehalten, wie wenn der Lohnanspruch weiter aufrecht erhalten würde.
3. Sinn und Zweck des Zuschusses liegen unstreitig darin, die Lücke zwischen Krankengeld und Nettoverdienst zu schließen (vgl. § 47 SGB V). Die Zahlung soll "bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall" "jeweils nach Beendigung der gesetzlichen Gehaltszahlungspflicht" (also nach Ablauf der Entgeltfortzahlung) erfolgen. Dem würde es widersprechen, wenn die Grundlage des Anspruchs regelmäßig erst Monate oder Jahre später ermittelt werden könnte. Es ist kaum anzunehmen, die Vertragsparteien hätten den Anspruch von der Durchführung eines Lohnsteuerjahresausgleichs, der Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung oder von Rechtsbehelfen gegen Steuerbescheide abhängig machen wollen. Der Vertrag enthält keinen Anhaltspunkt dafür, der Arbeitgeber habe zunächst nur Vorschüsse auf die Zuzahlungen zu leisten. Demgegenüber kann das monatliche Nettoeinkommen ohne weiteres jeweils ausgehend von dem maßgeblichen Bruttoverdienst und auf der Grundlage der in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Steuerklasse fiktiv festgestellt werden.
4. Wenn die Parteien auf ein fiktives Nettogehalt unter Berücksichtigung von Pauschbeträgen abstellen, kommt es ihnen offenbar nicht auf die "gerechteste" Lösung, sondern auf eine praktikable Regelung an. Es findet sich kein Hinweis dafür, dass die Besonderheiten des Steuerrechts eine Rolle spielen sollen. Vielmehr ändern sich Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht bisweilen rasch, während die arbeitsvertragliche Vereinbarung unabhängig hiervon langfristig gilt. Ein Zuschuss des Arbeitgebers unter Fortschreibung der bisherigen gewöhnlichen Verhältnisse ist relativ leicht zu ermitteln und gleicht den tatsächlichen monatlichen Einkommensverlust einigermaßen zuverlässig aus. Der Einkommensverlust bemisst sich nicht nach der Steuerklasse zu Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Vielmehr hat der Arbeitgeber die monatliche fiktive Nettovergütung entsprechend dem Lohnsteuerrecht nach der vom Arbeitnehmer vorgelegten Lohnsteuerkarte zu berechnen.
5. Auch sonst wird bei Ansprüchen des Arbeitnehmers, die sich nach der bisherigen oder einer fiktiven Nettovergütung richten, auf die in der Lohnsteuerkarte jeweils eingetragenen Steuermerkmale abgestellt (Zuschuss zum Krankengeld: - AP BAT-O § 37 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 2 b der Gründe; - 5 AZR 549/02 - AP SGB V § 47 Nr. 1, zu I 2 der Gründe; - 5 AZR 186/02 - zu I der Gründe; Zuschuss zum Mutterschaftsgeld: - BAGE 53, 217, 221; - 5 AZR 581/90 - AP MuSchG 1968 § 14 Nr. 10 = EzA MuSchG § 14 Nr. 10, zu 1 der Gründe; Aufstockungsbetrag während der Altersteilzeit: - AP ATG § 4 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 7, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu A II 1 der Gründe; Überbrückungsbeihilfe nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses: - AP TVG § 1 Tarifverträge: Deutsche Bahn Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 242 Rechtsmissbrauch Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Der Arbeitgeber ist aber nicht gehindert, der Wahl bzw. Änderung der Lohnsteuerklasse den Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegenzuhalten, wenn sie als solche zu missbilligen ist. Ein Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn für die Wahl oder Änderung der Lohnsteuerklasse kein sachlicher Grund besteht, diese vielmehr ausschließlich die Erhöhung des Zuschusses bezweckt, ohne steuerlich den tatsächlichen Einkommensverhältnissen zu entsprechen ( - aaO, S. 221 ff.; - 5 AZR 581/90 - aaO, zu 1 bis 4 der Gründe; - 9 AZR 554/02 - aaO, zu A II 2 der Gründe; - 9 AZR 605/02 - aaO). Auch bei der dem Streitfall zugrunde liegenden Vertragsklausel reichen diese Maßstäbe aus, um zu angemessenen Ergebnissen zu kommen.
6. Der Progressionsvorbehalt des § 32b EStG beeinflusst die Auslegung des Arbeitsvertrags nicht. Er gilt bei getrennter Veranlagung für den Ehegatten, der die Leistungen nach § 32b Abs. 1 EStG bezogen hat. In Einzelfällen mag sich bei getrennter Veranlagung insgesamt eine niedrigere Steuer als bei Zusammenveranlagung ergeben. Es ist aber nicht ersichtlich, was das für die Ermittlung des fiktiven Nettogehalts des Arbeitnehmers bedeuten soll. Erweist sich etwa, dass der das gesamte Kalenderjahr arbeitsunfähig kranke Arbeitnehmer kein zu versteuerndes Einkommen hat, müsste gleichwohl auf der Grundlage seines fiktiven Bruttogehalts und der gewöhnlichen Abzüge für den betreffenden Zeitraum ein fiktives Nettogehalt ermittelt werden. Die tatsächliche Steuerbelastung ist nach Ziff. 5 des Arbeitsvertrags eben nicht erheblich.
7. Das Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom gibt nur Auskunft über eine tatsächliche Praxis der Anspruchsberechnung ("kalendertäglicher Anspruch", "keine Neuberechnung"). Diese Praxis ist für den Anspruch nicht maßgebend. Die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung liegen nicht vor. Im Übrigen bleibt offen, welcher Fall einer Änderung der Steuermerkmale des Arbeitnehmers in dem bezeichneten Schreiben gemeint ist.
III. Durch die Änderung der Steuerklasse des Klägers ist dessen fiktives Nettogehalt unter den Betrag des Krankengeldes abgesunken. Der Kläger hat die entsprechende Berechnungsgrundlage zugestanden. Seit August 2002 gab es deshalb keine von der Beklagten auszugleichende Differenz mehr.
IV. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2004 S. 2645 Nr. 49
FAAAB-94348
1Für die Amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein