BAG Urteil v. - 5 AZR 422/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ArbZG § 2; ArbZG § 6 Abs. 5; BGB § 262

Instanzenzug: ArbG Paderborn 1 (3) Ca 1724/99 vom LAG Hamm 8 Sa 1289/01 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revision noch über die Verpflichtung der Beklagten, eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage für geleistete Nachtarbeit zu gewähren.

Der Kläger ist seit 1994 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Obst und Gemüse verarbeitenden Industrie, als Lebensmitteltechniker beschäftigt. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden. In ihrem Betrieb besteht ein Mehrschichtsystem. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer beträgt 45 Stunden.

Der ursprüngliche Arbeitsvertrag der Parteien verpflichtete den Kläger, auf Anforderung der Beklagten im Ein-, Zwei- oder Dreischichtsystem zu arbeiten. Von 1996 bis zum betrug das monatliche Bruttofestgehalt des Klägers 4.700,00 DM, danach 5.000,00 DM. Besondere Regelungen zum Ausgleich von Nachtarbeit enthielt der Arbeitsvertrag nicht. Im Jahre 2001 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag, der eine Nachtschichtzulage in Höhe von 25 % vorsieht.

Die Beklagte beschäftigte den Kläger in Wechselschicht und setzte ihn während der Nachtschichten als Schichtleiter ein. Von 1997 bis 1999 leistete der Kläger in 679 Schichten insgesamt 4.413,5 Stunden Nachtarbeit, ohne dass die Beklagte hierfür einen Ausgleich leistete.

Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage, die der Beklagten am zugestellt worden ist, hat der Kläger zuletzt einen finanziellen Ausgleich für die von ihm in den Jahren 1997 bis 1999 während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden und alternativ einen Ausgleich in Form von bezahlten freien Tagen begehrt. Er hat die Ansicht vertreten, ein Ausgleich in Höhe von 25 % der Vergütung oder nach Wahl der Beklagten im Umfang von 25 % der Arbeitszeit sei angemessen.

Der Kläger hat in der Berufungsinstanz beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn nach ihrer Wahl als Ausgleich für die geleistete Nachtarbeit 14.126,30 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent vom verbleibenden Nettobetrag für die Zeit vom bis zum sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins auf den Bruttobetrag seit dem zu zahlen oder 122,6 freie Arbeitstage zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat zunächst geltend gemacht, der gesetzlich vorgesehene Ausgleich für Nachtarbeit sei durch den Arbeitsvertrag ausgeschlossen. Jedenfalls müsse der Umfang des Freizeitausgleichs nicht der Höhe des Zuschlags entsprechen. Erfolge der Ausgleich durch die Gewährung freier Tage, sei ein bezahlter freier Tag für 90 geleistete Nachtarbeitsstunden ausreichend und angemessen.

Das Arbeitsgericht hat dem in erster Instanz gestellten Zahlungsantrag für die Jahre 1997 bis 1999 stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und entsprechend dem erweiterten Klageantrag entschieden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte lediglich gegen den Umfang der Freizeitgewährung, nämlich soweit das Landesarbeitsgericht dem Kläger alternativ mehr als 50 Arbeitstage Freizeitausgleich zugesprochen hat.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Beklagte dem Kläger 122,6 bezahlte freie Arbeitstage gewähren muss, wenn sie den Freizeitausgleich wählt.

1. Gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer bei Fehlen einer tariflichen Regelung für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.

Der Kläger war Nachtarbeitnehmer. Er hatte auf Grund der Arbeitszeitgestaltung Nachtarbeit in Wechselschicht zu leisten (§ 2 Abs. 5 Nr. 1 ArbZG). Außerdem leistete er im Kalenderjahr an mindestens 48 Tagen Nachtarbeit (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 ArbZG). Nach § 2 Abs. 4 ArbZG ist Nachtarbeit jede Arbeit, die mehr als zwei Stunden der Nachtzeit, nämlich der Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr (§ 2 Abs. 3 ArbZG) umfasst.

Danach hat die Beklagte dem Kläger für die geleisteten Nachtarbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage alternativ zu dem bereits rechtskräftig zugesprochenen angemessenen Zuschlag auf das Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.

2. Der Anspruch auf den angemessenen Freizeitausgleich besteht weiterhin.

a) Der Arbeitgeber kann wählen, ob er den Ausgleichsanspruch des § 6 Abs. 5 ArbZG durch Zahlung von Geld, durch bezahlte Freistellung oder durch eine Kombination von beidem erfüllt. Die gesetzlich begründete Wahlschuld (§ 262 BGB) konkretisiert sich auf eine der geschuldeten Leistungen erst dann, wenn der Schuldner das ihm zustehende Wahlrecht nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ausübt ( - BAGE 102, 309, 311, zu A II 1 der Gründe). Eine solche Wahl hat die Beklagte bisher nicht getroffen.

b) Das Wahlrecht der Beklagten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil Zahlungen geleistet hat. Das erstinstanzliche Urteil hat eine Zahlungsverpflichtung ausgesprochen, ohne ein Wahlrecht zu gewähren. Die Beklagte war zur Zahlung gezwungen, wollte sie Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vermeiden (§ 62 Abs. 1 ArbGG).

c) Der Umstand, dass die Beklagte mit dem Kläger im Jahre 2001 einen Arbeitsvertrag geschlossen hat, der eine Ausgleichsleistung in Höhe von 25 % des Bruttostundenverdienstes für Nachtarbeit vorsieht, hat entgegen der Ansicht des Klägers auf das Wahlrecht der Beklagten keinen Einfluss. Diese Regelung des Arbeitsvertrags bezieht sich nur auf die Zukunft. Eine Wirkung für die Vergangenheit kommt ihr nicht zu.

d) Das Wahlrecht der Beklagten ist nicht infolge Zeitablaufs erloschen. Unerheblich ist, dass der Kläger die Nachtarbeit bereits im Zeitraum von 1997 bis 1999 leistete und die Beklagte den Anspruch auf Ausgleichsleistungen bisher nicht erfüllt hat. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht, kann die Beklagte den Kläger zum Ausgleich der Nachtarbeit weiterhin bezahlt von der Arbeitspflicht freistellen (vgl. - BAGE 102, 309, 312, zu A II 2 a der Gründe).

3. Das Landesarbeitsgericht hat einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % zugesprochen. Diese Entscheidung ist von den Parteien nicht angegriffen worden und deshalb rechtskräftig. Auch die Verurteilung, alternativ einen bezahlten Freizeitausgleich zu gewähren, ist rechtskräftig, soweit das Landesarbeitsgericht zur Gewährung von 50 freien Arbeitstagen verurteilt hat. Die Beklagte macht nicht mehr geltend, das vereinbarte Festgehalt habe die gesetzlichen Zuschläge pauschal enthalten (vgl. - AP ArbZG § 6 Nr. 5 = EzA ArbZG § 6 Nr. 5, zu I 3 a der Gründe) und ein Freizeitausgleich werde deshalb nicht geschuldet.

4. Der angemessene Umfang der bezahlten Freizeit beträgt 25 % der geleisteten Nachtarbeitsstunden.

a) Über die Angemessenheit des Nachtarbeitszuschlags von 25 % hat das Landesarbeitsgericht im Streitfall rechtskräftig entschieden. Die Angemessenheit in Höhe von 25 % entspricht der bisherigen Rechtsprechung ( - AP ArbZG § 6 Nr. 5 = EzA ArbZG § 6 Nr. 5, zu I 4 der Gründe) und wird von der Beklagten nicht mehr bestritten. Es geht deshalb ausschließlich um die Frage, ob die angemessene Zahl bezahlter freier Tage der Höhe des Zuschlags entspricht oder unabhängig hiervon festzusetzen ist.

b) § 6 Abs. 5 ArbZG stellt die Möglichkeit der Zahlung und der Freizeitgewährung gleichwertig nebeneinander. Ein Vorrang des Freizeitausgleichs besteht nicht. Das spricht dafür, die Angemessenheit nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen (so schon zu § 15 Abs. 2 AZO: - AP AZO § 15 Nr. 11, zu 3 d der Gründe; für gleiche Grundsätze auch Baeck/Deutsch ArbZG 2. Aufl. § 6 Rn. 85; ähnlich Buschmann/Ulber ArbZG 4. Aufl. § 6 Rn. 29). Der Umfang der Ausgleichsverpflichtung soll nicht davon abhängen, für welche Art des Ausgleichs sich der Arbeitgeber entscheidet. Sein Wahlrecht macht nur Sinn, wenn sich die jeweiligen Leistungen nach ihrem Wert grundsätzlich entsprechen. Anderenfalls wäre der Arbeitgeber von vornherein in erster Linie auf die für ihn günstigere Alternative verwiesen. Vielmehr muss der Anspruch auf freie Tage geeignet sein, der Nachtarbeit im Rahmen des Gesetzeszweckes Beschränkungen aufzuerlegen, denen nicht ohne weiteres eine deutlich geringere Wirkung als den alternativ zu leistenden Zuschlägen zukommt.

c) Gleichwertige Leistungen in diesem Sinne liegen allein bei einem gleichen prozentualen Aufschlag in Geld oder Zeit vor. Vergütung und Arbeitszeit entsprechen sich auf Grund des vertraglichen Synallagmas. Der Freizeitausgleich ist für den Arbeitgeber entgegen der Auffassung der Beklagten nicht stets teurer. Vielmehr kann der Arbeitgeber die bezahlte Freistellung während der Tagschichten gewähren; er braucht dann für einen ersatzweise beschäftigten Arbeitnehmer keinen weiteren Ausgleich zu erbringen. Auch kann er unter Umständen geringer bezahlte Arbeitnehmer einsetzen oder den Freizeitausgleich zur Flexibilisierung der betrieblichen Arbeitszeit nutzen.

d) Deshalb kann nicht auf die von der Beklagten aufgegriffenen Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren (vgl. hierzu: - BAGE 102, 309, 320, zu B I 5 e der Gründe) abgestellt werden. Danach ergäbe sich ein Zeitausgleich im Umfang von zehn Prozent oder weniger (vgl. auch Anzinger/Koberski ArbZG 2. Aufl. § 6 Rn. 81; Zmarzlik/Anzinger ArbZG § 6 Rn. 58; Rauschenberg in Hk-ArbZG 2. Aufl. § 6 Rn. 111; Schliemann in Schliemann/Meyer Arbeitszeitrecht 2. Aufl. Rn. 476; Schliemann ArbZG Stand August 2005 § 6 Rn. 86; Neumann/Biebl ArbZG 14. Aufl. § 6 Rn. 24 ff.). Zwar ist anzunehmen, der Arbeitgeber werde einen solchen Zeitausgleich verstärkt wählen; das könnte dem Gesundheitsschutz zugute kommen (vgl. Küttner/Reinecke Personalbuch 2004 Nachtarbeit Rn. 7). Mit einem Vergütungszuschlag in Höhe von 25 % lässt sich ein derart geringer Freizeitausgleich aber nicht vereinbaren.

5. Der Anspruch ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch der Höhe nach gerechtfertigt. Der Kläger leistete in den Jahren 1997 bis 1999 679 Nachtschichten mit insgesamt 4.413,5 Nachtarbeitsstunden. Unter Zugrundelegung einer neunstündigen Arbeitsschicht ergibt sich ein Freistellungsanspruch im Umfang von 122,6 Arbeitstagen.

II. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
DB 2006 S. 843 Nr. 15
DAAAB-94327

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein