BAG Urteil v. - 4 AZR 573/02

Leitsatz

[1] Eine zeitliche Begrenzung der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG sieht das Gesetz nicht vor.

Gesetze: TVG § 4 Abs. 5; TVG § 3 Abs. 3; BGB § 39; BGB § 613a Abs. 1 Satz 2; GG Art. 9 Abs. 3; Manteltarifvertrag für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg vom § 15

Instanzenzug: ArbG Stuttgart 29 Ca 3877/01 vom LAG Baden-Württemberg 21 Sa 110/01 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf die Jahressonderzuwendung nach § 15 des Manteltarifvertrages für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg vom für das Jahr 2000 in Höhe eines tariflichen Monatsentgelts nach dem Stand von 1996 hat.

Die Beklagte ist eine Großbäckerei in der Rechtsform der GmbH & Co. KG, die bis zum Mitglied des Landesinnungsverbandes für das württembergische Bäckerhandwerk e.V. war. Diese hatte mit der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) den Manteltarifvertrag für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg (MTV) vom abgeschlossen. Dieser sieht in § 15 100 % eines tariflichen Monatsgehalts als Jahressonderzuwendung vor, wenn ein Arbeitnehmer nach zehnjähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit am 1. Dezember des laufenden Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht. Die Jahressonderzahlung ist mit der Entgeltabrechnung per 30. November auszuzahlen. Nach § 21 MTV sind alle gegenseitigen Ansprüche innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach ihrem Entstehen schriftlich geltend zu machen.

Der Manteltarifvertrag wurde von der Arbeitgeberseite am zum gekündigt. Zu einem Abschluss eines neuen Manteltarifvertrages ist es bislang nicht gekommen.

Außerdem war der MTV vom bis einschließlich allgemeinverbindlich.

Die Klägerin ist seit bei der Beklagten als 1. Verkäuferin beschäftigt. Sie ist seit April 1995 Mitglied der Gewerkschaft NGG und ließ mit Schreiben vom ihren Anspruch auf die tarifvertragliche Jahressonderzuwendung für das Jahr 2000 geltend machen. Die Beklagte wies den Anspruch zurück. Mit ihrer beim Arbeitsgericht am eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Anspruch unter Hinweis auf § 4 Abs. 5 TVG weiter. Der Gesetzeswortlaut spreche für eine unbegrenzte Bindung des Arbeitgebers an einen nachwirkenden Tarifvertrag auch bei seinem Austritt aus dem Arbeitgeberverband. Eine solche Bindung sei auch nicht unbillig, und zwar auch nicht im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG. Im Rahmen der Nachwirkung sei es dem Arbeitgeber sehr wohl möglich, entweder einen neuen Tarifvertrag abzuschließen, neu eintretende Arbeitnehmer anders zu behandeln oder vertragliche Änderungen mit den Arbeitnehmern zu vereinbaren. Der Arbeitgeber müsse deshalb durchaus nicht für alle Zeiten an die Regelungen eines bestimmten Tarifvertrages gebunden bleiben.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die tarifliche Jahressonderzahlung für das Jahr 2000 umgerechnet in Höhe von 1.587,05 Euro brutto sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank gemäß § 1 des Diskontsatzüberleitungsgesetzes vom seit zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht mehr an den MTV gebunden, weil dieser zum gekündigt worden und sie seit nicht mehr Mitglied des Landesinnungsverbandes sei, so dass sie sich wirksam aus der früheren Tarifgebundenheit gelöst habe. Eine Fortgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG sei nicht gegeben, weil der MTV zum außer Kraft getreten sei. Eine Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG bestehe nicht. Eine zeitlich unbegrenzte Nachwirkung widerspreche der Überbrückungsfunktion dieser Vorschrift. Auf Grund des Verhältnismäßigkeitsgebotes könne der Arbeitgeber nicht auf alle Zeiten tarifgebunden bleiben. In Anlehnung an § 39 Abs. 2 BGB könne allenfalls an eine zweijährige Bindungsdauer gedacht werden - ab Beendigung des Tarifvertrages -, anderenfalls habe § 4 Abs. 5 TVG - ungewollt - Sanktionscharakter. Setze § 4 Abs. 5 TVG nicht den Fortbestand der beiderseitigen Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien voraus, werde den Tarifvertragsparteien eine Rechtsetzungsbefugnis durch einen einmaligen Abschluss des Tarifvertrages übertragen, die die Tarifautonomie für alle Zeit ausschließen könne, weil es dann in der Hand einer Tarifvertragspartei sei, die Wirkungen eines Tarifvertrages durch Kündigung oder Vereinbarung einer Befristung verbunden mit der Verweigerung eines Neuabschlusses einseitig und für alle Zeit festzuschreiben. Der Sinn des Tarifvertragsgesetzes, die Tarifautonomie zu sichern, werde dabei in sein Gegenteil verkehrt. Auch die zugunsten des Arbeitgebers bestehende negative Koalitionsfreiheit werde dadurch ausgeschlossen, wenn ihm jede Möglichkeit genommen werde, sich der tarifvertraglichen Bindung sowie der Bindung durch die Mitgliedschaft bei einer der Tarifvertragsparteien - wieder - zu entziehen. Eine einfachgesetzliche Norm, die die Wirkungen der negativen Koalitionsfreiheit aufhebe, sei mit dem Regelungsgehalt der Vereinigungsfreiheit unvereinbar. Da die Klägerin den Anspruch auf die Jahressonderzuwendung auf einen Manteltarifvertrag stütze, der bereits am abgeschlossen worden sei, berufe sie sich auf eine Bindungsfrist von über neun Jahren, gerechnet bis zur Fälligkeit der geltend gemachten Jahressonderzahlung für das Jahr 2000. Ein Tarifvertrag mit einer solchen Bindungsdauer verstoße gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Die von der Klägerin geltend gemachte Nachwirkung des MTV sei ferner mit der Überbrückungsfunktion des § 4 Abs. 5 TVG unvereinbar. Bei Nichtabschluss eines Nachfolgetarifvertrages innerhalb eines absehbaren Zeitraumes werde einem bereits längst gekündigten Tarifvertrag über § 4 Abs. 5 TVG der Charakter einer unbegrenzt geltenden Norm verschafft. Der Arbeitgeber habe bei realistischer Betrachtung keine Möglichkeit, verschlechternde Arbeitsbedingungen individualrechtlich zu vereinbaren.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin Anspruch auf die geltend gemachte tarifliche Jahressonderzuwendung für das Jahr 2000 hat.

I. Der Anspruch ergibt sich aus § 15 MTV in der für 1996 geltenden Fassung iVm. § 3 Ziff. 4 des Lohn- und Gehaltstarifvertrages für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass bis zum der Manteltarifvertrag auf Grund beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend zwischen den Parteien galt (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

2. Nachdem der MTV von der Arbeitgeberseite am zum gekündigt worden war, trat mit Ablauf des die Nachwirkung iSd. § 4 Abs. 5 TVG ein.

Der Manteltarifvertrag hatte durch Kündigung sein Ende gefunden. Daraus folgt nicht, dass der Arbeitnehmer die sich aus dem Tarifvertrag ergebenden Ansprüche oder Rechte nicht mehr hat; vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 5 TVG angeordnet, dass die Normen des ausgelaufenen, weil, wie hier, durch Kündigung beendeten Tarifvertrages über den Beendigungszeitpunkt hinaus für die vom Tarifvertrag erfasst gewesenen Arbeitsverhältnisse weitergelten, "bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden". Grundlage der Weitergeltung ist nicht mehr der abgelaufene Tarifvertrag, sondern die gesetzliche Vorschrift (Senat - 4 AZR 218/74 - BAGE 27, 22 = AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 8 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 3). § 15 MTV hat damit seine unmittelbare, wenn auch nicht seine zwingende Geltung für das Arbeitsverhältnis der Parteien behalten und behält sie weiter.

3. Daran vermag der per erfolgte Austritt der Beklagten aus dem Landesinnungsverband für das württembergische Bäckerhandwerk e.V. nichts zu ändern. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

Die Nachwirkung des Tarifvertrages nach § 4 Abs. 5 TVG setzt den Fortbestand der beiderseitigen Mitgliedschaft der Arbeitsvertragsparteien in den tarifschließenden Verbänden nicht voraus. Eine unmittelbare zwingende Wirkung entfalten die Rechtsnormen eines Tarifvertrages nur bei beiderseitiger Tarifgebundenheit oder bei Allgemeinverbindlicherklärung, wie sie hier auch vorlag. Nach dem Ende der Tarifgebundenheit fehlt es an einer Legitimation für die bisherige Rechtsnormerstreckung auf die damals tarifunterworfenen Arbeitsverhältnisse. § 4 Abs. 5 TVG schafft deshalb einen Rechtsgrund für den Fortbestand des bisherigen Tarifinhalts zwischen den Arbeitsvertragsparteien bis zu einer anderen Abmachung. Auf Grund der gesetzlichen Regelung kommt es zu einer Erweiterung der Tarifgeltung (Senat - 4 AZR 218/74 - aaO), und zwar unabhängig davon, ob die beiderseitige Verbandsmitgliedschaft im Nachwirkungszeitraum fortbesteht.

Das zeigt folgende Kontrollüberlegung:

War der Tarifvertrag, wie hier der Manteltarifvertrag, für allgemeinverbindlich erklärt worden und besteht diese Allgemeinverbindlichkeit bis zu seinem Ende fort, was hier der Fall war - die Allgemeinverbindlichkeit endete mit Ablauf des -, so wirken die tarifvertraglichen Normen auch für die Arbeitsverhältnisse weiter, auf die der Tarifvertrag nur kraft seiner Allgemeinverbindlichkeit anwendbar war (Senat - 4 AZR 463/78 - AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 68). Dann aber macht es keinen Unterschied, wenn, die Allgemeinverbindlichkeit hinweggedacht, beiderseitige Tarifgebundenheit im Zeitpunkt des Endes des Tarifvertrages bestanden hat und erst im Nachwirkungszeitraum eine oder gar beide Tarifvertragsparteien den jeweiligen Verband verlassen.

a) Nun ist allerdings richtig, dass vertreten wird, Nachwirkung komme nach erfolgtem Verbandsaustritt nicht in Betracht (zB Löwisch/Rieble Tarifvertragsrecht 1992 § 4 Rn. 242 mwN). Das wird damit begründet, dass schon der Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG darauf hinweise, dass das Ende des Tarifvertrages eine feste zeitliche Grenze für deren Nachwirkung ohne Mitgliedschaft sei, und vor allem sei die Nachwirkung als zeitlich unbefristete Normwirkung nur durch die Mitgliedschaft legitimierbar. Da das Ende der Nachwirkung von einem neuen Tarifabschluss abhänge, sei sie ausgeschlossen, soweit ein neuer Tarifvertrag für die von der Nachwirkung betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gar nicht in Betracht komme. Insoweit könne die Nachwirkung keine Überbrückungsfunktion wahrnehmen. Trete der Normunterworfene im Nachwirkungszeitraum aus, ende die Nachwirkung mit Wirksamwerden des Austritts. Der Senat hat demgegenüber bereits mit Urteil vom (- 4 AZR 1062/94 - BAGE 82, 27 = AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 3 = EzA TVG § 3 Nr. 11) darauf verwiesen, dass die Normen des § 3 Abs. 3 TVG und des § 4 Abs. 5 TVG verschiedene Zwecke verfolgen: § 3 Abs. 3 TVG soll den Austritt aus dem Verband erschweren und somit dessen Schutz bezwecken. § 4 Abs. 5 TVG dient den Interessen der Arbeitsvertragsparteien - Arbeitgeber und Arbeitnehmer -, für die es wichtig ist, dass ihr Arbeitsverhältnis nach Beendigung des Tarifvertrages nicht inhaltsleer wird. Es liegt nicht nur im Normzweck der Nachwirkung, dem Arbeitgeber eine erleichterte Änderung zu Lasten der Arbeitnehmer zu verschaffen. Auch die Wirkung der Tarifnormen ist in beiden Vorschriften verschieden geregelt. § 3 Abs. 3 TVG ordnet für den Fall des Verbandsaustritts durch Aufrechterhaltung der Tarifgebundenheit die zwingende Weitergeltung des Tarifvertrages bis zu dessen Beendigung an. § 4 Abs. 5 TVG sieht die dispositive - also die durch eine neue Regelung wie einschlägiger Tarifvertrag, Abänderungsvertrag, Änderungskündigung änderbare - Weitergeltung der Tarifnormen nach Ablauf des Tarifvertrages vor. Diese rechtlich verschiedenen Wirkungen zeigen, dass § 3 Abs. 3 TVG nicht die speziellere Norm gegenüber § 4 Abs. 5 TVG ist. Bei Nachwirkung gelten die Normen des Tarifvertrages daher weiter, bis sie für das einzelne Arbeitsverhältnis verbindlich durch eine gerade für das konkrete Arbeitsverhältnis einschlägige andere Abmachung im genannten Sinne ersetzt werden.

Auch mit dem Einwand, im Nachwirkungszeitraum fehle es an einer Legitimation für die verlängerte Tarifgeltung, wenn der Normunterworfene im Nachwirkungszeitraum aus dem tarifschließenden Verband ausgetreten ist, hat sich der Senat in der genannten Entscheidung vom (- 4 AZR 1062/94 - BAGE 82, 27 = AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 3 = EzA TVG § 3 Nr. 11) nochmals auseinandergesetzt und wie bereits in der Entscheidung vom (- 4 AZR 555/93 - AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 14 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 17, zu II 3 b cc der Gründe) darauf verwiesen, dass die gesetzliche Regelung des § 4 Abs. 5 TVG den neuen und selbständigen Rechtsgrund für den Fortbestand des bisherigen Tarifinhalts zwischen den Arbeitsvertragsparteien bis zu einer anderen Abmachung schafft. Diese gesetzliche Regelung strebt einerseits einen Vertragsinhaltsschutz an und senkt andererseits die Normen von der Dispositionsebene der Tarifvertragsparteien auf die der Arbeitsvertragsparteien ab. In diesem Stadium wiegt die den Arbeitgeber treffende Beseitigungslast für die nachwirkenden Tarifnormen daher nicht schwerer als bei einer von ihm getroffenen einzelvertraglichen Vereinbarung.

b) Die Revision rügt, die vom Landesarbeitsgericht der Regelung des § 4 Abs. 5 TVG beigemessene unbegrenzte Dauer der Nachwirkung sei nicht interessengerecht. Sie verweist darauf, dass es zu einem neuen Tarifabschluss nicht gekommen sei. Die Tarifvertragsparteien würden keinen neuen Tarifvertrag abschließen. Die Beklagte habe durch ihren Verbandsaustritt im Nachwirkungszeitraum deutlich gemacht, dass sie in Zukunft keine Tarifgebundenheit mehr wünsche. Die Beklagte sei als Arbeitgeberin nicht mehr tarifgebunden. Die Überbrückungsfunktion, die § 4 Abs. 5 dem beendeten Manteltarifvertrag zuerkenne, gehe also ins Leere.

Damit greift die Revision auf Oetker zurück, der in seiner Anmerkung zu den Urteilen des Senats vom und (- 4 AZR 339/91 - AP TVG § 3 Nr. 13 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 14 und - 4 AZR 211/91 - BAGE 69, 119 = AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 22 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 15, zu Ziff. IV S. 28 f.) "die ´ewige´ Nachwirkung" angesprochen und jedenfalls dann für eine teleologische Reduktion des § 4 Abs. 5 TVG plädiert hat, wenn diese "Bestimmung" die bisherige tarifliche Strukturierung des Arbeitsverhältnisses auf Dauer aufrechterhalten würde, was gegeben sei, wenn die Tarifvertragsparteien die Materie nicht mehr regeln wollten und der Arbeitgeber für eine abweichende Regelung auf die Zustimmung Dritter (gemeint der Arbeitnehmer, des Betriebsrats, der Arbeitsgerichtsbarkeit bei Änderungskündigung) angewiesen sei und diese nicht erreichbar sei, ohne einen zeitlichen Rahmen zu nennen. Den zeitlichen Rahmen haben andere unter Hinweis auf § 39 Abs. 2 BGB auf zwei Jahre nach Ablauf des Tarifvertrages begrenzt (vgl. Wiedemann/Oetker TVG § 3 Rn. 69), wiederum andere wollen den Nachwirkungszeitraum auf ein Jahr beschränken, arg. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB (Diller/Bauer DB 1993, 1085, 1089; Rieble Flucht aus dem Tarifvertrag und ihre Behinderung durch die gesetzliche Weitergeltung in: Bitburger Gespräche Jahrbuch 1998 S. 109, 115 betreffend § 3 Abs. 3 TVG; ders. Arbeitsmarkt und Wettbewerb Rn. 1557). Auch dem ist nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass die von Oetker beschriebene Situation nicht vom Landesarbeitsgericht festgestellt ist - es steht weder fest, dass die Tarifvertragsparteien oder ihre Nachfolgeorganisationen keinen Manteltarifvertrag mehr schließen werden, noch, dass die Beklagte mit Änderungswünschen hinsichtlich der Arbeitsverträge mit den von der Nachwirkung des Manteltarifvertrages noch erfassten Arbeitnehmern endgültig gescheitert ist und dass Änderungskündigungen insoweit ausgesprochen wurden und von der Arbeitsgerichtsbarkeit für unwirksam erklärt wurden; das Landesarbeitsgericht hat vielmehr darauf hingewiesen, es sei nicht weiter vorgetragen, welche Versuche die Beklagte unternommen gehabt habe, eine betriebseinheitliche Änderung der Arbeitsbedingungen einvernehmlich oder durch Änderungskündigung herbeizuführen -, hat der Erste Senat im Lichte der Überbrückungsfunktion des § 4 Abs. 5 TVG lediglich für den Fall Zweifel an einer unbegrenzten Nachwirkung geäußert, wenn diese Nachwirkung nur durch einen Tarifvertrag beseitigt werden kann, der seinerseits möglicherweise erst durch Kampfmaßnahmen erzwungen werden müsste ( - 1 ABR 84/87 - BAGE 64, 368 = AP GG Art. 9 Nr. 57 = EzA TVG § 4 Druckindustrie Nr. 20, zu B V 3 b 2. Abs. aE der Gründe). Im konkreten Fall ging es um nachwirkende Betriebsnormen, die nur durch eine einheitliche Regelung abgelöst werden können, in der Regel also durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung (vgl. Erster Senat aaO 1. Abs. aE der Gründe). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Auch wenn die Beklagte wegen ihres Austritts aus dem Landesinnungsverband an einen neuen Manteltarifvertrag nicht gebunden wäre, blieben die Möglichkeiten der Allgemeinverbindlicherklärung eines neuen Manteltarifvertrages sowie der einzelarbeitsvertraglichen Änderung und der Änderungskündigung sowie kollektivrechtlich des Abschlusses eines Firmen(mantel)tarifvertrages.

Daher kann von dem Fehlen einer Überbrückungsfunktion im vorliegenden Fall so nicht gesprochen werden, zumal selbst Gegner der Nachwirkungslehre des Bundesarbeitsgerichts einräumen, dass sich Tarifvertragsverhandlungen hinziehen können - bei komplizierten Tarifverträgen mitunter jahrelang - (Löwisch/Rieble aaO Rn. 220). Für angestrebte Vertragsänderungen im gegenseitigen Einvernehmen oder durch Änderungskündigung gilt im Ergebnis nichts anderes.

c) Entgegen der Auffassung der Revision verstößt die potentielle unbegrenzte Nachwirkung auch nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG. Nach Schwab (BB 1994, 781, 782) steht der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG Art. 9 Abs. 3 GG entgegen. Auch die nur unmittelbare, aber nicht zwingende Tarifgeltung bedürfe der Legitimation durch die Verbandsmitgliedschaft und diese bestehe über die Dauer der Mitgliedschaft hinaus nur insoweit, als der Verband vor dem Austritt des Arbeitgebers die verbindliche Regelung einer bestimmten (Mindest-)Laufzeit des Tarifvertrages herbeigeführt habe, die im Zeitpunkt des "Endes" des Tarifvertrages in jedem Fall abgelaufen sei. Eine obendrein potentiell unbefristete weitere Tarifgeltung sei mit der negativen Koalitionsfreiheit nicht vereinbar.

Bauer/Diller (DB 1993, 1085, 1088) führen aus, der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG liege auf der Hand. Art. 9 Abs. 3 GG garantiere auch die negative Koalitionsfreiheit, also die Freiheit, Verbänden nicht beitreten zu müssen. Die negative Koalitionsfreiheit sei nur dann gewahrt, wenn sich ein Arbeitgeber unter zumutbaren Bedingungen von tariflichen Bindungen wieder lösen könne.

Bei Gamillscheg (Kollektives Arbeitsrecht Bd. I § 18 VII S. 873) heißt es lediglich, nicht stets komme es zu einer anderen Abmachung. Für diesen Fall werde zuweilen vorgeschlagen, die nachwirkende Norm nach einer gewissen Zeit enden zu lassen.

Stein (Tarifvertragsrecht 1997 Rn. 136 f. S. 66 f.) führt aus, eine zeitliche Begrenzung der Nachwirkung sei vom Gesetz nicht vorgesehen. Dieser Zustand werde als problematisch insbesondere überall dort angesehen, wo eine abweichende Vereinbarung nur durch Tarifvertrag, dagegen durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung, wenn überhaupt, lediglich unter erheblichen Schwierigkeiten möglich sei. Angesichts der singulären "Überbrückungsfunktion" des § 4 Abs. 5 sei der Versuch, eine generelle feste zeitliche Begrenzung durch die entsprechende Anwendung anderer arbeitsrechtlicher Normen zu gewinnen, von vornherein ausgeschlossen. Es kämen allenfalls Lösungen für einzelne Problemfelder in Betracht, sofern man den durch § 4 Abs. 5 TVG geschaffenen Zustand für veränderungsbedürftig halte.

Der Senat hat demgegenüber zutreffend daraufhin gewiesen, dass durch die Nachwirkung von Tarifnormen nicht in die Koalitionsfreiheit, Art. 9 Abs. 3 GG, des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin eingegriffen wird. Durch das Bestehen von lediglich nachwirkenden Tarifnormen wird kein unzulässiger Druck auf die Entscheidung des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin ausgeübt, die Mitgliedschaft einer Arbeitgeberkoalition (wieder) zu erwerben oder ihr fernzubleiben (Senat - 4 AZR 555/93 - AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 14 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 17, zu II 4 b der Gründe).

Das Bundesverfassungsgericht hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Nachwirkungslehre des Bundesarbeitsgerichts zurückgewiesen ( - 1 BvR 945/00 - AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 36 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 29). Es hat entschieden, es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass ein Arbeitgeber an einen lediglich nachwirkenden Tarifvertrag trotz Austritts aus dem Arbeitgeberverband gebunden bleibt. Die negative Koalitionsfreiheit eines von der Nachwirkung eines Tarifvertrages erfassten Arbeitgebers wird durch die Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG nicht unmittelbar berührt. Sie kann allenfalls mittelbar dadurch betroffen sein, dass der Arbeitgeber sich von dem Verband gelöst hat, die von dem Verband ausgehandelten Tarifverträge aber nach wie vor für ihn gelten. Dies führt aber nicht zu einer Verletzung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG. Im Stadium der Nachwirkung können ehemals zwingend und unmittelbar geltende Tarifbestimmungen jederzeit durch einzelarbeitsvertragliche oder kollektive Vereinbarungen ersetzt werden. Es geht allein darum, das ausgetretene Verbandsmitglied gegenüber den Arbeitsvertragsparteien an den tariflichen Bestimmungen festzuhalten, die für es kraft Tarifgebundenheit gegolten haben, bis eine neue Abmachung getroffen ist. Der Arbeitgeber hat es in der Hand, die Nachwirkung dadurch zu beseitigen, dass er mit den bei ihm beschäftigten, unter die Nachwirkung fallenden Arbeitnehmer unter Einsatz seiner Verhandlungsmacht anderweitige Abmachungen trifft, einen Firmentarifvertrag schließt oder Änderungskündigungen durchsetzt (vgl. Däubler/Bepler TVG § 4 Rn. 881).

Das hat dazu geführt, dass auf die Frage der "ewigen Nachwirkung" oder "Endlosbindung" oder "dauerhaften Verfestigung" (vgl. Rossmann NZA 1999, 1252, 1254) gar nicht mehr eingegangen wird (vgl. Däubler/Bepler aaO Rn. 863 ff.).

d) Dass es um eine tarifliche Jahressonderzuwendung geht, die nicht unmittelbar das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung betreffe, ist unzutreffend. Die Jahressonderzuwendung betrifft das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Zwar mögen bei ihrer Einführung auch andere Motive eine Rolle gespielt haben, wie Betriebstreue, was sich aus § 15 MTV unschwer ergibt. Dass es sich aber letztlich um Entgelt für erbrachte Leistung handelt, zeigt zB die Zwölftelung in § 15 Ziff. 4 MTV.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
DB 2004 S. 881 Nr. 16
BAAAB-94144

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