BAG Urteil v. - 4 AZR 367/02

Leitsatz

[1] 1. Eine Revisionsbegründung ist nicht schon deshalb unzulässig, weil sie vor der Zustellung des Berufungsurteils erstellt worden ist.

2. Auch eine vor Zustellung des Berufungsurteils erstellte Revisionsbegründung muß aber eine hinreichende Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils enthalten, für die sich aus dem Prozeßablauf, insbesondere aus der mündlichen Verhandlung hinreichend verläßliche Anhaltspunkte ergeben können.

Gesetze: TVG § 1 ; Vergütungstarifvertrag Nr. 2 für die Mitarbeiter des Bordpersonals der Lufthansa CityLine GmbH vom § 4 Abs. 5; Vergütungstarifvertrag Nr. 1 für die Mitarbeiter des Cockpitpersonals der Lufthansa CityLine GmbH vom § 4 Abs. 6; ZPO § 551 Abs. 3 Nr. 2 a

Instanzenzug: ArbG Köln 5 Ca 7184/00 vom LAG Köln 8 Sa 684/01 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die auf Grund einer Zusatzvereinbarung geleistete Tätigkeit des Klägers als Moderator in CRM-Seminaren eine "angeordnete Schulung" im tariflichen Sinne ist und daher dafür Ersatzflug(dienst)stunden anzuerkennen sind.

Der Kläger ist seit dem bei der beklagten Fluggesellschaft als Verkehrsflugzeugführer beschäftigt und steht auf Grund des bis zum befristeten Teilzeitarbeitsvertrages vom , der am bis zum verlängert worden ist, "jeweils einen dreiviertel Monat" zur Arbeitsleistung zur Verfügung. In Ziff. 2 des Arbeitsvertrages vom ist ua. bestimmt:

"Die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien ergeben sich aus dem Gesetz, den Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der Lufthansa CityLine in ihrer jeweils geltenden Fassung sowie aus den Bestimmungen dieses Vertrages.

Die Vorschriften über Vergütung des Mantel- und Vergütungstarifvertrages für das Bordpersonal finden anteilig im Verhältnis der vereinbarten durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit zur tariflichen Vollarbeitszeit Anwendung."

In der Zusatzvereinbarung vom ist ua. festgelegt:

"1. Herr P wird ab dem als Moderator CRM-Seminare eingesetzt.

2. Für die Dauer der Funktionsausübung erhält Herr P eine ereignisabhängige Zulage von 200,00 DM pro Seminartag.

3. Mit der Zahlung dieser Funktionszulage sind alle mit der Funktion verbundenen Zusatzbelastungen abgegolten."

Die CRM (Crew-Ressource-Management)-Seminare dienen der Verbesserung der Zusammenarbeit des Bordpersonals und werden auf dem Boden abgehalten. Sie müssen auf Grund europarechtlicher Bestimmungen durchgeführt werden. Der Kläger hat entsprechend den Festlegungen im Dienstplan am 21./, 20./, und 9./ CRM-Seminare durchgeführt. Diese Tätigkeit ist ihm als Arbeitszeit und zusätzlich mit der Zulage gemäß der Zusatzvereinbarung vergütet worden; Ersatzflug(dienst)stunden gem. § 4 Abs. 5 Vergütungstarifvertrag Nr. 2 für die Mitarbeiter des Bordpersonals der Lufthansa CityLine GmbH vom (VTV Nr. 2 Bordpersonal) bzw. gem. § 4 Abs. 6 Vergütungstarifvertrag Nr. 1 für die Mitarbeiter des Cockpitpersonals der Lufthansa CityLine GmbH vom (VTV Nr. 1 Cockpitpersonal) sind dem Kläger für diese Tätigkeit nicht zuerkannt worden. Die Teilnehmer an den CRM-Seminaren erhielten demgegenüber für die Schulungszeit zusätzliche Ersatzflug(dienst)stunden.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stünde für seinen Einsatz als Moderator CRM-Seminare ebenfalls die den geschulten Teilnehmern gewährte Anrechnung von Ersatzflug(dienst)stunden zu. Bei den Tätigkeiten des Klägers nach Maßgabe der Zusatzvereinbarung handele es sich um angeordnete Schulungen iSd. Tarifnormen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.527,07 Euro brutto nebst 4 % Zinsen seit dem zu zahlen;

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die von ihm als CRM-Lehrer durchgeführten Schulungen für jeden ausfallenden Kalendertag 3,5 zusätzliche Flugdienststunden, höchstens jedoch 98 Flugdienststunden pro Monat anzurechnen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Tätigkeit des Klägers nach Maßgabe der Zusatzvereinbarung als Moderator sei in den von dem Kläger herangezogenen Tarifverträgen nicht geregelt. Der Kläger sei von der Beklagten auch nicht zur Schulung herangezogen worden, sondern erfülle nur die durch die Zusatzvereinbarung eingegangene Verpflichtung, für die ausschließlich die in der Zusatzvereinbarung selbst getroffenen Vereinbarungen gölten.

Das Arbeitsgericht hat die zunächst auf den Zahlungsantrag beschränkte Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auch den klageerweiternd gestellten Feststellungsantrag abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

I. Die auf Grund der Zulassung im verkündeten Tenor des angefochtenen Urteils statthafte Revision ist zulässig.

1. Die am eingegangene und gleichzeitig begründete Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und fristgerecht begründet worden. Nach § 74 Abs. 1 ArbGG beginnt die einmonatige Frist für die Einlegung der Revision mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Weil das am verkündete Urteil vorliegend nicht innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung zugestellt worden ist, begann die Frist mit Ablauf dieser fünf Monate und endete somit am (Zur Frage, ob durch die Neufassung der Revisions- und Revisionsbegründungsfrist in § 74 Abs. 1 ArbGG die Grundlage für die Addition der Fristen gem. §§ 517, 548 ZPO und gem. § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG für den Beginn der Rechtsmittelfristen (dh. insgesamt 17 Monate) bei fehlender Zustellung des Urteils bzw. für den Beginn der Frist erst ab verspäteter Zustellung des Urteils entfallen ist, vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 66 Rn. 15, 15 a und § 74 Rn. 5 sowie GK-ArbGG/Ascheid Stand März 2003 § 74 Rn. 26).

2. Die wegen des Verzichts auf die Verfahrensrüge nur noch auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revisionsbegründung ist zulässig, weil sie den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an den Inhalt der Revisionsbegründung zu stellen sind, hinreichend gerecht wird.

a) Bei einer materiell-rechtlichen Rüge sind die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Nr. 2 a ZPO). Die Angabe der verletzten Rechtsnorm wird anders als in § 554 Abs. 3 Nr. 3 a ZPO aF nicht mehr verlangt. Es ist aber nach wie vor erforderlich, daß sich die Revisionsbegründung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzt ( - BAGE 87, 41 = AP ZPO § 554 Nr. 30 = EzA ZPO § 554 Nr. 7 mwN). Die Revisionsbegründung muß den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts aufzeigen. Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs müssen erkennbar sein. Die Revisionsbegründung muß zu den gem. § 551 Abs. 3 Nr. 2 a ZPO gerügten Punkten eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert eine konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll ( - aaO).

b) Diese Anforderungen gelten auch für eine Revisionsbegründung, die - wie hier - vor Zustellung des Berufungsurteils erstellt worden ist, jedenfalls dann, wenn die Revisionsbegründungsfrist nicht vor Zustellung des Urteils abgelaufen ist (zu den geringeren Anforderungen bei dieser Fallkonstellation vgl. - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 67 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 68). Der Revisionsführer kann die Anforderungen an die Revisionsbegründung nicht dadurch umgehen, daß er - ohne Not - das Rechtsmittel vor Zustellung des Urteils begründet. Wenn er das tut, möglicherweise im legitimen Interesse einer Verfahrensbeschleunigung, trägt er das Risiko, daß er sich nicht hinreichend mit der noch nicht vorliegenden Begründung des Landesarbeitsgerichts auseinandersetzt. Aus dem Prozeßablauf, insbesondere aus den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung bzw. aus Auflagenbeschlüssen können sich indessen hinreichend verläßliche Anhaltspunkte für die Gründe ergeben, auf die das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung stützen wird; mit ihnen kann sich die Revisionsbegründung auseinandersetzen. Ggf. muß er die Revisionsbegründung nach Zustellung des Urteils innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ergänzen. Die Revisionsbegründung ist aber nicht schon deshalb unzulässig, weil sie vor der Zustellung des Urteils erstellt worden ist ( - NJW 1999, 3269; zustimmend GK-ArbGG/Ascheid Stand März 2003 § 74 Rn. 52).

c) Die Revisionsbegründung des Klägers wird diesen Anforderungen gerecht. Die von der Revision vorgebrachten Rügen richten sich in der Sache gegen die Begründungen, auf die das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung gestützt hat. Der Kläger rügt die Auslegung, daß die Tätigkeit als Moderator CRM-Seminare nicht unter § 4 Abs. 5 VTV Nr. 2 Bordpersonal und § 4 Abs. 6 VTV Nr. 1 Cockpitpersonal falle, als fehlerhaft. Seine Argumentation bezieht sich, wie er unwidersprochen erklärt hat, auf die vom Landesarbeitsgericht in der letzten mündlichen Verhandlung für die Entscheidungsfindung gegebene Begründung. Dementsprechend korrespondiert die Revisionsbegründung im wesentlichen mit den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils und setzt sich mit diesen hinreichend auseinander.

II. Die zulässige Revision ist aber unbegründet. Die auch hinsichtlich des in der Berufungsinstanz klageerweiternd gestellten Feststellungsantrags zulässige Klage ist nicht begründet. Dem Kläger stehen für seine Tätigkeit als Moderator CRM-Seminare Ersatzflug(dienst)stunden gem. § 4 Abs. 5 VTV Nr. 2 Bordpersonal bzw. § 4 Abs. 6 VTV Nr. 1 Cockpitpersonal weder auf Grund der Zusatzvereinbarung vom noch auf Grund der tariflichen Vorschriften zu. Deshalb sind der Leistungsantrag ebenso wie der Feststellungsantrag unbegründet.

1. Der VTV Nr. 2 Bordpersonal ebenso wie der VTV Nr. 1 Cockpitpersonal finden auf Grund der Bezugnahme in Ziff. 2 des Arbeitsvertrages vom auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Davon ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen.

2. Die einschlägigen Regelungen im VTV Nr. 2 Bordpersonal lauten:

§ 1

Geltungsbereich

(1) Dieser Vergütungstarifvertrag regelt die Höhe der Vergütungen für die Angehörigen des Bordpersonals der CLH Lufthansa CityLine GmbH (im folgenden "CLH" genannt).

(2) Er gilt für den Einsatz und das Training auf allen bei CLH geflogenen Flugzeugen sowie für Trainingsflüge auf anderen Flugzeugmustern.

...

§ 4

Flugstundenvergütung

(1) Ab der 61. monatlichen Flugstunde wird eine Flugstundenvergütung in folgender Höhe gezahlt:

Kapitäne/DM/120,--

Copiloten/DM/84,--

Flugbegleiter/DM/60,--

(2) Ab der 76. monatlichen Flugstunde wird eine Flugstundenvergütung in folgender Höhe gezahlt:

Kapitäne/DM/140,--

Copiloten/DM/98,--

Flugbegleiter/DM/70,--

...

(5) Bei der Berechnung des Anspruchs auf Flugstundenvergütung gem. Abs. 1 werden dem Mitarbeiter für jeden im Monat wegen Urlaubs oder von der CLH angeordneten Schulung ausfallenden vollen Kalendertag zwei zusätzliche Flugstunden angerechnet, höchstens jedoch 56 Flugstunden pro Monat.

§ 5

Funktionszulagen

(1)/Pro Check- bzw. Supervision-Stunde für das Cockpitpersonal im Flugzeug oder im Simulator/DM/35,--

(2)/Pro Ausbildungsstunde für das Cockpitpersonal im Flugzeug oder im Simulator/DM/70,--

(3)/Pro Check-Stunde für das Kabinenpersonal/DM/25,--

(4)/Trainingskapitäne monatlich/DM/650,--

(5)/Check-Flugbegleiter/Innen monatlich/DM/300,--

Die entsprechenden Regelungen in dem VTV Nr. 1 Cockpitpersonal lauten:

§ 1

Geltungsbereich

(1) Dieser Vergütungstarifvertrag regelt die Höhe der Vergütungen für die Angehörigen des Cockpitpersonals der CLH Lufthansa CityLine GmbH (im folgenden: "CLH" genannt).

(2) Er gilt für den Einsatz und das Training auf allen bei CLH geflogenen Flugzeugen sowie für Trainingsflüge auf anderen Flugzeugmustern.

...

§ 4

Mehrflugdienststundenvergütung

(1) Ab der 106. monatlichen Flugdienststunde (gemäß § 8 Abs. 1 MTV-Bord) wird eine Mehrflugdienststundenvergütung in Höhe von 1/100 des individuellen Gehalts (gemäß § 3) pro Flugdienststunde gezahlt.

(2) Ab der 121. monatlichen Flugdienststunde (gemäß § 8 Abs. 1 MTV-Bord) wird eine Mehrflugdienststundenvergütung in Höhe von 1/90 des individuellen monatlichen Gesamtgehalts (gemäß § 3) pro Flugdienststunde gezahlt.

...

(6) Bei der Berechnung des Anspruchs auf Mehrflugdienststundenvergütung gem. Abs. 1 werden dem Mitarbeiter für jeden im Monat wegen Urlaubs oder von der CLH angeordneten Schulung ausfallenden vollen Kalendertag 3,5 zusätzliche Flugdienststunden angerechnet, höchstens jedoch 98 Flugdienststunden pro Monat.

§ 5

Zulagen für Supervision und Training

(1) Für Line-Checks durch Trainingskapitäne bzw. Final-Checks oder Supervision durch Trainingskapitäne oder Supervisionkapitäne im Flugzeug werden pro Flugdienststunde 25,-- DM gezahlt.

(2) Für Checks bzw. Ausbildung durch Trainingskapitäne im Simulator oder im Flugzeug werden pro Flugdienststunde 50,-- DM gezahlt.

(3) Die Check-, Supervision- und Ausbildungs-Flugdienststunden gemäß Abs. (1) und (2) beginnen mit der Check-In-Zeit für das jeweilige Ausbildungsereignis und enden mit dem Check-Out.

(4) Trainingskapitäne erhalten eine monatliche Funktionszulage von 800,-- DM.

(5) Supervisionkapitäne erhalten eine monatliche Funktionszulage von 400,-- DM.

3. Die begehrten Ersatzflug(dienst)stunden gem. § 4 Abs. 5 VTV Nr. 2 Bordpersonal bzw. § 4 Abs. 6 VTV Nr. 1 Cockpitpersonal stehen dem Kläger nicht unabhängig von den tariflichen Voraussetzungen auf Grund der Zusatzvereinbarung vom zu. Aus der Zusatzvereinbarung ergibt sich lediglich, daß der Kläger pro Seminartag eine "ereignisabhängige Zulage" von 200,00 DM erhält. Daß ihm zusätzlich Ersatzflugstunden gem. § 4 Abs. 5 VTV Nr. 2 Bordpersonal bzw. § 4 Abs. 6 VTV Nr. 1 Cockpitpersonal zustehen sollen, ergibt sich daraus nicht. Vielmehr bestimmt Ziff. 3 der Zusatzvereinbarung, daß mit der Funktionszulage alle mit der Funktion verbundenen Zusatzbelastungen abgegolten sind.

4. Dem Kläger stehen die Ersatzflug(dienst)stunden für seine Tätigkeit als Moderator in CRM-Seminaren auch nicht gem. § 4 Abs. 5 VTV Nr. 2 Bordpersonal bzw. § 4 Abs. 6 VTV Nr. 1 Cockpitpersonal zu.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (Senat - 4 AZR 578/98 - AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8, zu I 2 a der Gründe).

b) Daß die Tätigkeit des Klägers als Moderator in CRM-Seminaren keine angeordnete Schulung im Sinne der tariflichen Regelung ist, ergibt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht schon aus der Regelung über den Geltungsbereich in § 1 Abs. 2 VTV Nr. 2 Bordpersonal bzw. VTV Nr. 1 Cockpitpersonal, wonach die Vergütungstarifverträge für den Einsatz und das Training auf allen bei CLH geflogenen Flugzeugen sowie für Trainingsflüge auf anderen Flugzeugmustern gelten sollen. Das Landesarbeitsgericht führt zur Begründung aus, die Tätigkeit des Klägers als Moderator sei keine Tätigkeit, die diesem tariflichen Geltungsbereich zuzuordnen sei. Dabei verkennt es, daß § 4 Abs. 5 VTV Nr. 2 Bordpersonal bzw. § 4 Abs. 6 VTV Nr. 1 Cockpitpersonal ausdrücklich die Vergütung von Ersatzflug(dienst)stunden regeln, dh. von Flugstunden, die wegen der Teilnahme an den angeordneten Schulungen tatsächlich gerade nicht absolviert werden. Diese Regelung kann nicht mit Rückgriff auf § 1 Abs. 2 der Vergütungstarifverträge die Grundlage entzogen werden mit dem Argument, daß diese Schulungen keinen Einsatz oder kein Training auf Flugzeugen beinhalten. § 1 Abs. 2 der Tarifverträge beschränkt den Anwendungsbereich nur insoweit, als es um die Vergütung des Einsatzes oder Trainings auf Flugzeugen geht. Daraus ergibt sich nicht, daß Ersatzflugstunden für die angeordneten Schulungen nur anerkannt werden können, wenn es um einen Einsatz oder Training auf Flugzeugen geht. Auch im Urlaub, für den nach den einschlägigen Regelungen Ersatzflugstunden anerkannt werden, findet kein Einsatz oder Training auf Flugzeugen statt.

c) Die Tätigkeit des Klägers als Moderator CRM-Seminare ist aber keine "angeordnete Schulung" im Sinne von § 4 Abs. 5 VTV Nr. 2 Bordpersonal bzw. § 4 Abs. 6 VTV Nr. 1 Cockpitpersonal. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

aa) Dafür spricht, worauf das Landesarbeitsgericht entscheidend abgestellt hat, schon der Wortlaut der Regelung. Eine "angeordnete Schulung" meint nach dem üblichen Verständnis die Unterrichtung des zu Schulenden und nicht die Erteilung des Unterrichts durch die Lehrperson. Allerdings ist diese am Wortlaut orientierte Auslegung nicht zwingend. Von einer "angeordneten Schulung" kann auch gesprochen werden, wenn eine Lehrperson zur Durchführung der Schulung verpflichtet ist.

bb) Aus dem Gesamtzusammenhang und dem Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich aber, daß die Auslegung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis zutreffend ist.

(1) Nach § 4 der Vergütungstarifverträge wird für Flugstunden, die über einem festgelegten monatlichen Kontingent liegen, zusätzlich eine Flugstundenvergütung bzw. Mehrflugdienststundenvergütung gezahlt, die in der Form gestaffelt ist, daß sie sich bei Überschreitung von festgelegten Grenzen jeweils erhöht. Durch die Regelung in § 4 Abs. 5 bzw. § 4 Abs. 6 der Vergütungstarifverträge soll kompensiert werden, daß im Urlaub bzw. während angeordneter Schulungen keine Flugstunden absolviert werden können und sich dadurch die Möglichkeit, eine Flugstundenvergütung bzw. Mehrflugdienststundenvergütung zu erreichen, verschlechtert, und zwar nach § 4 Abs. 5 VTV Nr. 2 Bordpersonal durch die Anrechnung von zwei Ersatzflugstunden pro vollem Schulungstag und gem. § 4 Abs. 6 VTV Nr. 1 Cockpitpersonal durch die Anrechnung von 3,5 Ersatzflugdienststunden pro vollem Schulungstag. Diese Regelung spricht dafür, daß damit nur solche Schulungen gemeint sind, deren Anzahl und Dauer vorgegeben sind. Das aber sind nur die angeordneten Schulungen für die zu Schulenden, dh. die Schulungen, die das Bordpersonal bzw. Cockpitpersonal absolvieren muß. Es ist nicht ersichtlich, daß die Mitarbeiter des Bordpersonals bzw. Cockpitpersonals auch verpflichtet sind, selbst Schulungen als Moderator oder sonstige Lehrperson durchzuführen. Der Kläger hat das auch nicht behauptet und aus den eingereichten Unterlagen über die für das Bordpersonal bzw. Cockpitpersonal angeordneten Schulungen ergibt sich dafür kein Anhaltspunkt. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien mit der einschlägigen Regelung auch die Schulungstätigkeit der Lehrpersonen erfassen wollten.

(2) Das Landesarbeitsgericht hat deshalb zutreffend darauf abgestellt, daß der Kläger die Schulungen auf Grund der freiwillig abgeschlossenen Zusatzvereinbarung durchführt. Diese zusätzlich vereinbarte Moderationstätigkeit kann nicht als "angeordnete Schulung" im tariflichen Sinne angesehen werden. In der tariflichen Regelung über die Ersatzflug(dienst)stunden geht es um die Kompensation von Flugstunden, die wegen angeordneter Schulungen oder wegen Urlaubs ausfallen, dh. aus Umständen, die hinsichtlich des Umfangs von dem Mitarbeiter idR nicht beeinflußt werden können, sondern nur hinsichtlich der Lage. Dem unterfällt nicht, wenn sich der Kläger freiwillig auf Grund der Zusatzvereinbarung zu von ihm vereinbarten Bedingungen zur Tätigkeit als Moderator CRM-Seminare verpflichtet. Der Umfang und die Gegenleistung für diese vereinbarte zusätzliche Tätigkeit ergeben sich dann aus der Zusatzvereinbarung. Es spricht nichts dafür, daß die Ausübung einer solchen jedenfalls freiwillig übernommenen Tätigkeit von der tariflichen Regelung erfaßt werden soll. Daran ändert nichts, wenn auf der Basis der Zusatzvereinbarung der Zeitpunkt für den Einsatz als Moderator in dem Dienstplan bestimmt wird. Dadurch wird diese Tätigkeit nicht zu einer angeordneten Schulung im Sinne der tariflichen Regelung.

(3) Für diese Auslegung spricht auch, worauf das Landesarbeitsgericht hingewiesen hat, daß in § 5 der Vergütungstarifverträge für bestimmte "lehrende" Tätigkeit eine Zulagenregelung getroffen worden ist, dh. für die Durchführung von Check-, Supervisions- und Ausbildungsstunden für das Cockpitpersonal im Flugzeug oder Simulator, für die Durchführung von Check-Stunden für das Kabinenpersonal sowie für die Funktion als Trainingskapitän bzw. Check-Flugbegleiter/in. Für diese Tätigkeiten sind Zulagen pro durchgeführter Stunde bzw. monatliche Zulagen vorgesehen, nicht aber die Anerkennung von Ersatzflug(dienst)stunden. Auch deshalb besteht kein Anlaß, für andere Schulungstätigkeiten Ersatzflug(dienst)stunden anzuerkennen.

cc) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 6 Abs. 1 c Manteltarifvertrag Nr. 2 für Mitarbeiter des Bordpersonals der Lufthansa CityLine GmbH vom (MTV) berufen. Entgegen der nicht näher begründeten Auffassung des Klägers ergibt sich daraus nicht, "daß die Tätigkeit des Klägers als Moderator für CRM-Schulungen eine Ausbildungstätigkeit ist, die als bezahlungswirksame Flugdienstzeit anzusehen ist."

§ 6 Abs. 1 MTV lautet auszugsweise:

Die Arbeitszeit umfaßt die Zeit, in der die Mitarbeiter des Bordpersonals auf Anordnung der CLH Dienst leisten. Die Arbeitszeit schließt ein:

a) Die Flugdienstzeit (§ 8)

b) Büro- oder Verwaltungstätigkeiten

c) Einweisungen, Ausbildungen und Umschulungen,

...

§ 8 Abs. 1 MTV zählt im einzelnen auf, was zur Flugdienstzeit iSv. § 6 Abs. 1 a zählt; Schulungen sind darin nicht benannt, weder für die Teilnehmer noch für die Lehrpersonen. Somit ergibt sich aus § 6 Abs. 1 c MTV lediglich, daß "Einweisungen, Ausbildungen und Umschulungen" als Arbeitszeit vergütet werden müssen. Um die Vergütung der Tätigkeit des Klägers als Moderator in CRM-Seminaren als Arbeitszeit, die der Kläger unstreitig erhält, geht es aber vorliegend nicht.

dd) Die Anerkennung von Ersatzflug(dienst)stunden für die Tätigkeit des Klägers als Moderator ergibt sich auch nicht aus der analogen Anwendung von § 4 Abs. 5 VTV Nr. 2 Bordpersonal bzw. § 4 Abs. 6 VTV Nr. 1 Cockpitpersonal. Die dafür gegebene Begründung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger nicht angegriffen. Er hat sich auf diese Anspruchsgrundlage auch gar nicht berufen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 52 Nr. 1
DB 2003 S. 2796 Nr. 51
BAAAB-94063

1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Nein