BAG Urteil v. - 2 AZR 245/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BGB § 626 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 2; BAT § 10; BAT § 54 Abs. 2

Instanzenzug: ArbG Frankfurt am Main 17 Ca 9997/02 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die Weiterbeschäftigung des Klägers und hilfsweise von ihm geltend gemachte Vergütungs- und Urlaubsansprüche.

Der am geborene, geschiedene, in einer Lebensgemeinschaft lebende und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit dem beschäftigt. Seit 1991 ist er als technischer Angestellter im Hochbauamt mit einer Vergütung nach der VergGr. III BAT tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) Anwendung.

Im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens (Az. 77/95 Js 36925.7/99) wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und des Verstoßes gegen die Abgabenordnung wurden die Firmenverantwortlichen der Firma W, S, und der Firma M, V, vernommen. Sie gaben an, Zuwendungen an Bauleiter des Hochbauamtes geleistet zu haben. In seiner Vernehmung vom hatte S bekundet:

"Ich räume jetzt ein, dass ich entgegen meinen bisherigen Angaben Geldzahlungen erbracht habe und zwar an folgende Personen:

... an Herrn A ... (alle HBA) anlässlich des Weihnachtsfestes und des Geburtstags jeweils 100,-- DM. Die Gelder wurde jeweils in einem Briefumschlag eingelegt und von mir übergeben."

In einer weiteren Vernehmung am hatte er ausgeführt:

"Herr A erhielt zu Weihnachten 200,-- DM, zum Geburtstag 100,-- DM sowie diverse Essenseinladungen seit mehr als fünf Jahren."

In seiner Vernehmung vom sagte er aus:

"Der Bauleiter A hat über die von mir eingeräumten Zahlungen von 100,-- DM zum Geburtstag bzw. 200,-- DM zu Weihnachten noch etwa zwei- bis dreimal im Jahr zwischendurch jeweils einen Geldbetrag in Höhe von 100,-- DM bekommen. Diese zusätzlichen Zahlungen habe ich aber in den letzten zwei Jahren eingestellt, weil auch die Umsätze an den städtischen Bühnen zurückgegangen sind."

V sagte im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung am aus, dass,

"um Aufträge von Herrn A zu bekommen, ich ihm anlässlich seines jährlichen Osterurlaubs sowie Weihnachten ebenfalls 300,-- DM (geben musste)."

Mit Schreiben der Beklagten vom wandte sich der Magistratsdirektor der Beklagten M an den zuständigen Oberstaatsanwalt Sch mit der Bitte,

"uns zeitnah darüber in Kenntnis zu setzen, wenn aus ihrer Sicht gegen hier einzuleitende dienst- und/oder arbeitsrechtlichen Schritte keine Bedenken mehr bestehen."

Aus dem Anschreiben ergibt sich, dass der Beklagten das Protokoll der Vernehmung von S vom vorlag.

Am hörte das Personal- und Organisationsamt der Beklagten (im Folgenden: POA) in der Justizvollzugsanstalt W den früheren Mitarbeiter der Beklagten im Hochbauamt G an und konfrontierte ihn mit den Aussagen V vom .

Jedenfalls seit November 2001 richtete sich das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auch gegen den Kläger. Am durchsuchten die Ermittlungsbehörden sowohl die Wohnung des Klägers als auch - im Beisein einer Mitarbeiterin des POA - sein Büro im Hochbauamt. Mit Schreiben vom teilte der leitende Magistratsdirektor der Beklagten G der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt a.M. mit, es sei beabsichtigt, den Kläger zu dem bestehenden Verdacht auf Bestechlichkeit arbeitsrechtlich anzuhören und bat um Mitteilung, ob die Staatsanwaltschaft gegen die geplante Anhörung Einwendungen habe. Mit Schreiben vom bat die Staatsanwaltschaft, von einer "arbeitsrechtlichen Anhörung des Beschuldigten A bis zu dessen Vernehmung, die für Januar/Februar 2002 beabsichtigt sei, abzusehen" und teilte weiter mit, sie werde die Beklagte vom Ergebnis der Vernehmung benachrichtigen. Bei seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung am berief sich der Kläger auf sein Schweigerecht.

Mit Schreiben vom bat die Beklagte um Mitteilung über den aktuellen Sachstand der Ermittlungen bezüglich der beschuldigten städtischen Mitarbeiter im Hochbauamt und fragte nach, ob die Staatsanwaltschaft noch Bedenken gegen die Einleitung arbeitsrechtlicher Maßnahmen gegen den Kläger habe. Mit Schreiben vom übersandte die Staatsanwaltschaft Abschriften von Aussageprotokollen von Firmenverantwortlichen zum "Ermittlungsverfahren Komplex Preisabsprachen ... HBA". Ausweislich des schriftlichen Vermerks eines Mitarbeiters der Beklagten hatte der zuständige Oberstaatsanwalt Sch in einem Telefonat darauf hingewiesen, dass die übersandten Unterlagen nicht zur Einleitung arbeitsrechtlicher Maßnahmen herangezogen werden dürften. Mit Schreiben vom bestätigte die Beklagte der Staatsanwaltschaft, ihrer Bitte zu entsprechen und derzeit von der Einleitung arbeitsrechtlicher Maßnahmen gegen die beteiligten städtischen Bediensteten abzusehen.

Mit Schreiben vom wandte sich die Firma M an die Beklagte und erklärte, sie sei bereit, im Rahmen einer "Wiedergutmachung" zu Gunsten der beklagten Stadt einen Betrag zu leisten. Dieser Betrag ergebe sich aus der Addition von Einzelposten, die ihr Geschäftsführer gegenüber der Staatsanwaltschaft als Zahlungen an Mitarbeiter des Hochbauamtes angegeben habe. In der Auflistung wird ua. der Kläger erwähnt und für ihn eine Zahlung von insgesamt 1.100,00 DM für den Zeitraum 1997 bis 2000 angegeben. Die Staatsanwaltschaft teilte auf die erneute Nachfrage der beim POA der Beklagten gebildeten Antikorruptionsstelle, ob aus ermittlungstaktischen Gründen noch Bedenken gegen eine arbeitsrechtliche Verwertung bestünden, mit Schreiben vom mit, dass der Kläger eine Vernehmung durch die Ermittlungsbehörden abgelehnt habe und aus ihrer Sicht gegen eine arbeitsrechtliche Anhörung des Klägers keine Bedenken mehr bestünden.

Die Antikorruptionsstelle hörte den Kläger am zum Verdacht der Bestechlichkeit/Vorteilsannahme an. Der Kläger äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. Er erklärte lediglich, er sei nie bestechlich gewesen und sei nicht bestochen worden; er habe weder Geld gefordert noch angenommen.

Mit Schreiben vom hörte die Beklagten den bei ihr gebildeten Personalrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Nach der mündlichen Erörterung vom teilte der Personalrat der beklagten Stadt mit, er stimme der fristlosen Kündigung nicht zu.

Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos. Das Kündigungsschreiben hat der für das Baudezernat zuständige Stadtrat Z unterzeichnet. Nach Ziff. 4.9.2 Abs. 5 der AGA I ist der zuständige Dezernent bei außerordentlichen Kündigungen zeichnungsbefugt. Bis Mitte Juni 2001 war der Stadtrat Dr. W Baudezernent, danach der Stadtrat Sch und ab der Stadtrat Z. Nach der Sondergeschäftsanweisung für das Dezernat Bau der Stadt Frankfurt am Main vom leitet und vertritt der Dezernent das Baudezernat.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte den Kläger am wegen Vorteilsannahme zu einer Geldstrafe von 125 Tagessätzen in Höhe von 50,00 Euro. Im Übrigen wurde das Verfahren vorläufig eingestellt. Der Kläger hatte im Strafverfahren gestanden, in drei Fällen von der Firma M (einmal zu Weihnachten und zweimal zu Ostern) je 200,00 DM erhalten zu haben. Die beklagte Stadt hat mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich fristlos gekündigt. Der Kläger hat auch diese Kündigung vor dem Arbeitsgericht angegriffen.

Mit der vorliegenden Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom gewandt und seine Weiterbeschäftigung begehrt sowie hilfsweise Zahlungsansprüche geltend gemacht. Er hat ausgeführt: Es liege kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung seines Arbeitsverhältnisses vor. Er habe keine Geldzahlungen erhalten. Die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die beklagte Stadt die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt habe. Sowohl dem POA als auch der Oberbürgermeisterin und dem zuständigen Baudezernenten der Beklagten seien die Vernehmungsprotokolle von S und V zeitnah, spätestens aber ab Juni 2001 bekannt gewesen. Dem später zuständigen Baudezernenten Stadtrat Z seien die entsprechenden Erkenntnisse direkt nach seiner Amtsübernahme vermittelt worden. Mit der Kenntnis des zuständigen Baudezernenten von den kündigungsrelevanten Tatsachen habe die zweiwöchige Ausschlussfrist begonnen. Eine nochmalige Anhörung sei überflüssig gewesen; die Beklagte habe gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass er sich nicht äußern werde.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die unter dem erklärte schriftliche außerordentliche Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn im Falle seines erstinstanzlichen Obsiegens mit dem vorstehenden Feststellungsantrag zu den bis zur Kündigungserklärung geltenden Vertragsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen,

hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.004,39 Euro brutto nebst 4 % Zinsen ab dem in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz p.a. zu zahlen.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt: Die außerordentliche Kündigung sei aus wichtigem Grund wegen der Annahme von Schmiergeldern gerechtfertigt. Der Kläger habe im Zeitraum 1997 bis 2000 von V tätigkeitsbezogene Zuwendungen in Höhe von mindestens 1.100,00 DM entgegengenommen. Von S habe er jedenfalls seit 1999 jährlich 100,00 DM zum Geburtstag und 200,00 DM jeweils zu Ostern und Weihnachten sowie zwischenzeitlich zwei- bis dreimal jährlich 100,00 DM erhalten. Der Ausspruch der Kündigung sei nicht verfristet. Zwar hätten die Vernehmungsprotokolle von S und V dem POA "zeitnah" vorgelegen. Der kündigungsberechtigte Magistrat bzw. der zeichnungsbefugte Baudezernent hätten aber vor dem keine ausreichende Kenntnis über den kündigungsrelevanten Sachverhalt besessen. Die Ausschlussfrist sei im Übrigen bis zum gehemmt gewesen. Erst nach der Freigabeerklärung der Staatsanwaltschaft habe sie den Kläger anhören und die Kündigung aussprechen können. Sie habe die Informationen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens abwarten dürfen und müssen.

Das Arbeitsgericht hat den Hauptanträgen des Klägers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der beklagten Stadt zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die fristlose Kündigung der Beklagten vom habe das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Die beklagte Stadt habe die zweiwöchige Ausschlussfrist nach § 54 Abs. 2 Satz 1 BAT, § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht gewahrt. Sie habe nicht hinreichend dargetan, dass der kündigungsberechtigte Baudezernent nicht bereits vor dem von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt habe. Zwar komme es nicht auf die Kenntnis des POA an, da die Vertreter des POA nicht kündigungsberechtigt seien. Der Kläger habe aber bereits erstinstanzlich behauptet, den zuständigen Baudezernenten seien spätestens seit Juni 2001 die vollständigen Angaben von S und V bekannt gewesen, weil sie von den Mitarbeitern des POA pflichtgemäß informiert worden seien. Ein einfaches Bestreiten der Beklagten reiche deshalb nicht aus. Die darlegungspflichtige Beklagte habe ihre prozessualen Pflichten nicht erfüllt. Sie hätte insbesondere die Umstände genau angeben müssen, wann und wie der Kündigungsberechtigte Kenntnis erlangt habe. Dies gelte umso mehr, als der Baudezernent über die Durchsuchung des klägerischen Büros und über die Ermittlungen gegen einzelne Mitarbeiter generell informiert gewesen sei. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, der Lauf der Ausschlussfrist sei bis zur "Freigabeerklärung" der Staatsanwaltschaft vom sowie der Anhörung des Klägers am gehemmt gewesen. Es habe keine Veranlassung bestanden, nach Kenntnis der den Kläger belastenden Aussagen S und V von November 2000 und Mai 2001 weiter auf eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft zu warten. Der Beginn der Ausschlussfrist dürfe dem Normzweck des § 626 Abs. 2 BGB entsprechend nicht länger als unbedingt nötig hinausgeschoben werden.

B. Dem folgt der Senat nicht. Die Würdigung des Berufungsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die außerordentliche Kündigung vom ist nicht wegen Versäumung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bzw. § 54 Abs. 2 BAT rechtsunwirksam.

I. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bzw. § 54 Abs. 2 Satz 1 BAT kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Diese Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 54 Abs. 2 Satz 2 BAT in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

1. § 626 Abs. 2 BGB ist ein gesetzlich bzw. tariflich (§ 54 Abs. 2 BAT) konkretisierter Verwirkungstatbestand (Senat - 2 AZR 386/71 - BAGE 24, 341; - 2 AZR 852/98 - BAGE 93, 12). Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Anspruch oder Recht verwirkt, wenn der Berechtigte längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle das Recht nicht mehr geltend machen, sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hat und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf das verspätete Begehren des Berechtigten zu berufen. Ziel des § 626 Abs. 2 BGB bzw. des § 54 Abs. 2 BAT ist es demnach, für den betroffenen Arbeitnehmer rasch Klarheit darüber zu schaffen, ob ein Kündigungsberechtigter einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Kündigungsberechtigte für die Einhaltung der Ausschlussfrist darlegungs- und beweispflichtig ( - 2 AZR 359/71 - BAGE 24, 383; - 2 AZR 492/92 - BAGE 73, 42).

2. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bzw. des § 54 Abs. 2 BAT beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat - 2 AZR 32/71 - BAGE 23, 475; - 2 AZR 386/71 -BAGE 24, 341; zuletzt: - 2 AZR 478/01 - AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BAT § 53 Anfechtung Nr. 5). Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat aaO; - 2 AZR 90/93 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4; - 2 AZR 974/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89; - 2 AZR 492/92 - BAGE 73, 42; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne die umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann sein Kündigungsrecht nicht verwirken (Senat - 2 AZR 478/01 -). Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Denn es genügt nicht allein die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, dh. des "Vorfalls", der einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen soll. Bei einer vom Arbeitgeber erklärten außerordentlichen Kündigung gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer und gegen die Kündigung sprechen. Deshalb kann der Kündigungssachverhalt regelmäßig nicht ohne eine Anhörung des Arbeitnehmers hinreichend vollständig erfasst werden. Außerdem gehört es zu den maßgeblichen Umständen, die vom Kündigungsberechtigten zu ergründen und festzustellen sind, mögliche Beweismittel für die ermittelte Pflichtverletzung zu beschaffen und zu sichern.

3. Allerdings soll die zeitliche Begrenzung der § 626 Abs. 2 BGB, § 54 Abs. 2 BAT den Arbeitgeber nicht zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben oder ihn veranlassen, ohne genügende Vorprüfung des Sachverhalts oder hinreichend vorhandene Beweismittel voreilig zu kündigen (Senat - 2 AZR 157/71 -BAGE 24, 99; - 2 AZR 29/75 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 9 = EzA BGB § 626 nF Nr. 46; - 2 AZR 25/88 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 27 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 2; - 2 AZR 974/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89; - 2 AZR 90/93 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4). Solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, kann die Ausschlussfrist nicht anlaufen (Senat - 2 AZR 386/71 - BAGE 93, 12; - 2 AZR 116/72 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 6 = EzA BGB § 626 nF Nr. 22; - 2 AZR 25/88 - aaO). Sind die Ermittlungen jedoch abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt und von den erforderlichen Beweismitteln, so beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Dabei darf jedoch nicht darauf abgestellt werden, ob die Ermittlungsmaßnahmen etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren. Allerdings besteht für weitere Ermittlungen kein Anlass mehr, wenn der Sachverhalt bereits geklärt oder der Gekündigte ihn sogar zugestanden hat (Senat - 2 AZR 478/01 - AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BAT § 53 Anfechtung Nr. 5). Die Ausschlussfrist ist nämlich nur solange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine weitere, umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der notwendigen Beweismittel verschaffen sollen (Senat - 2 AZR 386/75 - aaO; - 2 AZR 492/72 - BAGE 73, 42 und - 2 AZR 478/01- AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BAT § 53 Anfechtung Nr. 5; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 319). Ein Kündigungsberechtigter darf auch regelmäßig den Aus- bzw. Fortgang eines Strafermittlungs- bzw. eines Strafverfahrens abwarten ( - BAGE 2, 1; - 2 AZR 29/75 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 9 = EzA BGB § 626 nF Nr. 46; - 7 AZR 575/83 - BAGE 47, 307; - 2 AZR 90/93 - aaO). Entschließt sich der Kündigungsberechtigte hierzu, so kann er dann jedoch nicht zu einem beliebigen willkürlich gewählten Zeitpunkt außerordentlich kündigen (Senat - 2 AZR 90/93 - aaO; - 2 AZR 274/95 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Voraussetzung für eine doch vorgezogene Kündigung ist vielmehr, dass er hierfür einen sachlichen Grund hat, beispielsweise wenn der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen - neuen - ausreichenden Erkenntnisstand für eine Tatkündigung zu haben glaubt.

II. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kann unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ein Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist nicht angenommen werden.

Zwar hat die Beklagte nicht den Ausgang eines Straf(ermittlungs-)verfahrens abgewartet und erst hiernach gekündigt. Dennoch hat sie die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bzw. § 54 Abs. 2 BAT nicht versäumt. Sie hat nicht zu einem willkürlichen, von ihr frei gewählten Zeitpunkt die außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Sie hat sie vielmehr innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der staatsanwaltlichen Freigabeerklärung und Anhörung des Klägers erklärt. Erst auf Grund der staatsanwaltschaftlichen Mitteilung vom konnte sie davon ausgehen, das ihr von der Staatsanwaltschaft überlassene und den Kläger belastende Material in einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung verwenden zu können. Erst ab diesem Zeitpunkt standen das notwendige Tatsachenmaterial und die möglichen Beweismittel ihr sicher zur Verfügung. Erst mit der Freigabeerklärung konnte und durfte die Beklagte deshalb davon ausgehen, einen hinreichend sicheren tatsächlichen und ggf. beweisbaren Erkenntnisstand über die Pflichtverletzungen des Klägers zu haben. Die Beklagte hatte also Sachgründe, mit dem Ausspruch der außerordentlichen Kündigung abzuwarten. Von ihr kann nicht verlangt werden, gegen das Votum der Staatsanwaltschaft das den Kläger belastende Material vorab in einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung einzuführen und zu verwenden. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte auch nicht überblicken konnte, ob bei einer Verwendung des Materials die Ermittlungsarbeit im Gesamtkomplex "Preisabsprachen ... HBA" gefährdet würde. Schließlich ist der Beklagten im Rahmen des § 626 Abs. 2 BGB, § 54 Abs. 2 BAT auch nicht vorzuwerfen, sie hätte sich häufiger und intensiver um die "Freigabeerklärung" bemühen müssen. Die Beklagte hatte nach dem Schreiben der Staatsanwaltschaft vom mehrfach, nämlich am , am und am , nachgefragt, ob sie das Material verwenden könne bzw. Bitten der Staatsanwaltschaft um Nichtverwendung bestätigt. Weitere Aktivitäten waren von ihr, auch unter dem Blickwinkel "zügiger Ermittlungen", nicht zu verlangen. Es kann deshalb gerade nicht davon gesprochen werden, die Beklagte habe zu einem beliebigen Zeitpunkt die außerordentliche Kündigung ausgesprochen.

Die außerordentliche Kündigung scheitert danach nicht an § 626 Abs. 2 BGB, § 54 Abs. 2 BAT.

III. Die Entscheidung ist auch nicht aus anderen Gründen richtig (§ 561 ZPO).

Der Rechtsstreit war vielmehr nach § 563 Abs. 1 ZPO an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, weil das Landesarbeitsgericht - konsequenterweise - das Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB bzw. § 54 Abs. 1 BAT nicht geprüft hat. Ob die Kündigung wegen des Fehlens eines wichtigen Grundes unwirksam ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Bei dem Begriff des wichtigen Grundes iSd. § 626 Abs. 1 BGB handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dem den Tatsachengerichten ein Beurteilungsspielraum zusteht. Eine eigene Sachentscheidung kam deshalb nicht in Betracht, weil diese Würdigung dem Landesarbeitsgericht nicht entzogen werden kann (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 75 Rn. 36a).

Allerdings wird das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung des wichtigen Grundes zwingend zu berücksichtigen haben, dass ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, der sich bei der Erfüllung dienstlicher Aufgaben mehrfach Vorteile versprechen lässt oder entgegennimmt, die dazu bestimmt oder auch nur geeignet sind, ihn in seinem geschäftlichen Verhalten zu Gunsten Dritter oder zum Nachteil seines Arbeitgebers zu beeinflussen, gegen das sog. Schmiergeldverbot verstößt und seine Pflichten aus § 10 BAT erheblich verletzt. Grundsätzlich liegt deshalb nicht nur ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB an sich vor (vgl. beispw. Senat - 2 AZR 30/00 - EzA BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 7; - 2 AZR 605/00 - BAGE 99, 331, 333), sondern die notwendige umfassende Interessenabwägung kann auch nur in besonderen Ausnahmefällen zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung führen. Dies gilt auch für einen tariflich ordentlich kündbaren Arbeitnehmer.

C. Die Revision ist auch begründet, soweit sie die Verurteilung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung des Klägers angreift.

Im Hinblick auf die weitere außerordentliche Kündigung der Beklagten vom entfällt die Basis für den in den beiden Vorinstanzen ausgeurteilten Wei-terbeschäftigungsanspruch ( - BAGE 50, 319). Da sich die Kündigung vom auf einen neuen Kündigungssacherhalt und -grund stützt, nämlich das Geständnis des Klägers und dessen Verurteilung, handelt es sich bei ihr nicht um eine Kündigung, die auf dieselben Gründe wie die erste Kündigung gegründet wird, allein um das Entstehen des Weiterbeschäftigungsanspruch zu verhindern (Senat - 2 AZR 190/85 - aaO).

D. Die Kostenentscheidung bleibt - auch bezüglich der Revision - dem Landesarbeitsgericht vorbehalten.

Fundstelle(n):
DB 2005 S. 2642 Nr. 48
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2006 S. 3314
OAAAB-93668

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