Leitsatz
[1] Eine zur Kündigung berechtigende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer in einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder einen seiner Repräsentanten wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat. Eine kündigungsrelevante erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann sich im Zusammenhang mit der Erstattung einer Strafanzeige im Einzelfall auch aus anderen Umständen ergeben.
Gesetze: KSchG § 1 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2
Instanzenzug: ArbG Kassel 5 Ca 418/00 vom LAG Hessen 15 Sa 411/01 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer vom Beklagten erklärten ordentlichen Kündigung und einen von ihm hilfsweise gestellten Auflösungsantrag.
Der Beklagte ist ein bundesweit tätiger freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit mit Sitz in F. Er betreibt ua. in K. ein Jugendgemeinschaftswerk mit den Bereichen Beratungsstellen für jugendliche Aussiedler und Kindertagesstätten sowie ein Jugendzentrum mit insgesamt ca. 45 Mitarbeitern. Einrichtungsleiter der Sektion K./N. war J. R. Er war nicht kündigungsberechtigt. Die Sektion N. ist der Region West zugeordnet, für die T. S. und B. W. kündigungsberechtigt sind.
Der am geborene, ledige und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war beim Beklagten seit dem als Sozialarbeiter im Jugendzentrum in K. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 29 Stunden beschäftigt. Sein Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt 3.677,18 DM. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Haus-Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Dieser bestimmt in § 7 Abs. 2, dass Mitarbeiter von dienstlichen Vorgängen zu außerdienstlichen Zwecken weder sich noch anderen Kenntnis, Abschriften, Ab- oder Nachbildungen verschaffen dürfen.
Zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten, dem Einrichtungsleiter R., gab es Spannungen und Auseinandersetzungen ua. im Zusammenhang mit Arbeitszeitabrechnungen des Klägers. R. hatte den Kläger angewiesen, ab Februar 2000 einen ausführlichen Arbeitsplan vorzulegen und mit ihm zu besprechen. Der Kläger kam dem nicht nach. Mit Schreiben vom wurde er aufgefordert, einen Arbeitsplan für April und Mai 2000 zu erstellen.
Nach vorheriger Beratung erstattete der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz im Namen seines Mandanten, jedoch ohne dessen Namensnennung eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft K. gegen R. aus allen rechtlichen Gründen, vorzugsweise wegen der Veruntreuung von Geldern. Der Strafanzeige waren Kopien von Rechnungsbelegen beigefügt. Sie wurde damit begründet, R. habe in den vergangenen Jahren unberechtigt Leistungen zu Lasten des Beklagten abgerechnet. So sei die Tätigkeit von drei vermutlich polnischen Staatsangehörigen, die im Rahmen von Umbaumaßnahmen des Jugendzentrums Arbeiten verrichtet hätten, als Seminarleistungen zu Lasten des Beklagten verbucht worden. Auch seien Bücher, CDs, Baumaterial, Blumenerde, Filme und ähnliches eingekauft und zu Lasten des Beklagten abgerechnet worden. Die genauen Hintergründe und eine mögliche Strafbarkeit könnten nur im Rahmen eines weiteren Verfahrens ermittelt werden. Es werde eine Durchsuchung der Geschäftsräume angeregt. Als Zeuge stehe bisher lediglich freiwillig L. (der Kläger) zur Verfügung.
Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen R. wegen Untreue zum Nachteil des Beklagten wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Soweit gegen R. wegen des Verdachts der Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz ermittelt worden war, stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO ein. Im weitergeführten Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde ein Bußgeldbescheid gegen R. erlassen, gegen den er Einspruch eingelegt hat.
Mit Schreiben vom kündigte der Beklagte nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos. Mit Schreiben gleichen Datums, dem Kläger am zugegangen, kündigte er hilfsweise fristgerecht zum . Die ordentliche Kündigung war vom stellvertretenden Regionalgeschäftsführer der Region West B. W. "iV." unterzeichnet worden. Dem Kündigungsschreiben war die Kopie einer Vollmacht vom beigefügt. Mit Schreiben vom wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers die ordentliche Kündigung zurück, weil ihr keine Vollmachtsurkunde beigelegen habe. Die gegen die Wirksamkeit der Kündigungen gerichtete Klage ist am beim Arbeitsgericht eingegangen.
R. ist auf Grund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom zum aus den Diensten des Beklagten ausgeschieden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Ihr habe keine Originalvollmacht beigelegen. Von einer Bevollmächtigung W. durch Aushang am Schwarzen Brett habe er keine Kenntnis, er habe einen derartigen Aushang nie gesehen. Es liege kein Kündigungsgrund vor. Seine Anzeige sei berechtigt gewesen. Er habe in Wahrung eigener berechtigter Interessen gehandelt. R. habe ihn zur Manipulation von Abrechnungsunterlagen bewegen wollen, um unberechtigt Maßnahmegelder zu erhalten. Das Jugendzentrum sei in der ersten Hälfte des Jahres 2000 umgebaut worden. Seminare seien nur eingeschränkt angeboten worden. Auf Veranlassung von R. hätten polnische Arbeiter Rechnungen für ein tatsächlich nicht durchgeführtes Seminar "C." ausgestellt, um Fördermittel zu erhalten. Er habe im Auftrag von R. einen Bericht zu diesem Seminar schreiben müssen. Für dieses Seminar seien unzutreffende Teilnehmerlisten erstellt worden. Generell seien für Seminare überhöhte Sachkosten abgerechnet worden. In den vom jeweils zuständigen Sozialarbeiter zu führenden Ordner seien etwa 10 - 20 % mehr Quittungen als tatsächlich angefallen eingeheftet worden. Es sei seine Aufgabe gewesen, sämtliche Quittungen abzurechnen und die Forderungen zu begründen. Er habe seinen Vorgesetzten bereits Ende 1997 darauf hingewiesen, er könne "dies nicht alles erfinden". R. habe ihm geantwortet: "Mach das oder lass es, die Konsequenzen musst Du tragen." Er habe sich nicht an die Zentrale in F. gewandt, da er eine Rücksprache als erfolglos angesehen habe. R. habe ihm erklärt, das Vorgehen sei mit F. abgesprochen. Er habe den Eindruck gewinnen müssen, die geübte Praxis sei "von oben" gedeckt. Auf Grund eines persönlichen Reifeprozesses habe er sich 1999 entschlossen, nicht mehr so zu verfahren. R. sei ihn "hart angegangen", als er ihm mitgeteilt habe, er sei nicht mehr bereit, sich strafbar zu machen.
Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - zuletzt beantragt festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom aufgelöst worden ist.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Hilfsweise hat er beantragt,
das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer entsprechend der Betriebszugehörigkeit des Klägers angemessenen Abfindung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG aufzulösen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wegen schweren Vertrauensbruchs sozial gerechtfertigt. Die anonym erstattete Strafanzeige gegen seinen Vorgesetzten mache eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unmöglich. Der Vertrauensbruch sei um so größer, als der Kläger nie versucht habe, die Vorwürfe zunächst intern, zB durch Information der Vorgesetzten von R., zu klären. Zudem sei die Anzeige zu einem Zeitpunkt erstattet worden, als es zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten erhebliche Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit des Klägers gegeben habe. Der Kläger habe seinem Vorgesetzten "eins auswischen" wollen. Der Kläger habe die anonyme Anzeige nur deshalb erstattet, um R. aus dessen Stellung als Vorgesetzten zu entfernen. Er habe auch gegen § 7 Abs. 2 MTV verstoßen, indem er von Unterlagen Kopien gefertigt und an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet habe. Ab Mai 2000 habe am Schwarzen Brett der K. Einrichtung ein Schreiben ausgehangen, in dem auf die Berechtigung von Herrn W. zum Ausspruch von Kündigungen hingewiesen worden sei. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Der Kläger zeige sich trotz der zwischenzeitlich erfolgten Einstellung des Strafverfahrens völlig uneinsichtig.
Der Kläger hat beantragt,
den Auflösungsantrag zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung als unwirksam, die ordentliche Kündigung hingegen als wirksam angesehen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers festgestellt, dass auch die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst habe. Den vom Beklagten in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrag hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin die Abweisung der gegen die ordentliche Kündigung gerichteten Klage, hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Gründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO aF). Auf Grund der bisherigen Tatsachenfeststellungen steht noch nicht fest, ob die vom Beklagten erklärte ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam aufgelöst hat und ob ggf. ein Auflösungsgrund besteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die ordentliche Kündigung sei unwirksam. Nach der Entscheidung des - 1 BvR 2049/00 - AP BGB § 626 Nr. 170 = EzA BGB § 626 nF Nr. 188) könne eine Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder Vorgesetzten eine Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nur sozial rechtfertigen, wenn die Strafanzeige wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben enthalte. Auf den Versuch einer vorherigen betrieblichen Klärung komme es nicht an. Für wissentlich falsche Angaben des Klägers gäbe es keine konkreten Anhaltspunkte. Gegen eine leichtfertige Anzeige sprächen die anwaltliche Beratung und die vorsichtigen Formulierungen. Dem Vortrag des Klägers zu dem aus seiner Sicht strafbaren Verhalten des R. sei der für den Kündigungsgrund darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht entgegengetreten. Der allein verbleibende Verstoß gegen § 7 Abs. 2 MTV berechtige den Beklagten ohne vorherige Abmahnung nicht zur Kündigung. Der Auflösungsantrag sei unbegründet. Aus den angeführten verfassungsrechtlichen Gründen sei ein Zurückgreifen auf die Strafanzeige nicht möglich. Ferner seien die für die Kündigung angeführten Umstände nicht geeignet, die erforderliche negative Zukunftsprognose zu stellen. Es bestehe nach dem Ausscheiden des Mitarbeiters R. auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers in normale Bahnen zurückkehren könne.
II. Dem folgt der Senat nicht. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob die ordentliche Kündigung des Beklagten vom durch Gründe, die in dem Verhalten des Klägers liegen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), bedingt und damit sozial gerechtfertigt ist. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, dass eine zur Kündigung berechtigende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung nicht nur dann gegeben sein kann, wenn der Arbeitnehmer in einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder einen seiner Repräsentanten wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat. Eine kündigungsrelevante erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann sich im Zusammenhang mit der Erstattung einer Strafanzeige im Einzelfall auch aus anderen Umständen ergeben. Ob solche besonderen Umstände vorliegen, steht nach den bisherigen Feststellungen noch nicht fest und wird vom Landesarbeitsgericht im Einzelnen zu prüfen sein.
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (st. Senatsrechtsprechung, vgl. zB - 2 AZR 234/01 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 69 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57; - 2 AZR 609/00 - BAGE 99, 340; - 2 AZR 302/96 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 36 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 51).
Diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.
2. Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine ordentliche Kündigung dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.
Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund liegt insbesondere vor, wenn der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft seine vertraglichen Pflichten erheblich verletzt hat ( - BAGE 67, 75; - 2 AZR 10/92 - BAGE 70, 262; - 2 AZR 357/95 - AP BGB § 626 Nr. 130 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50; KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 395 ff.).
3. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsbegriff der verhaltensbedingten Kündigung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) verkannt, indem es eine mögliche "kündigungsrelevante" Pflichtverletzung nur bei einer auf wissentlich unwahren oder leichtfertig falschen Angaben beruhenden Strafanzeige des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber oder seinen Vorgesetzten sehen will. Es sind jedoch weitere Sachverhalte denkbar, in denen der Arbeitnehmer durch eine Anzeigenerstattung erheblich seine vertraglichen Pflichten verletzt. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts schließen die auch im Arbeitsverhältnis zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung wegen schuldhafter Verletzung von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten im Zusammenhang mit einer vom Arbeitnehmer gegen einen Vorgesetzten erstatteten Strafanzeige nicht immer aus.
a) Ausgehend von der Entscheidung des - 1 BvR 2049/00 - AP BGB § 626 Nr. 170 = EzA BGB § 626 nF Nr. 188) hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, dass den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers durch das Verfassungsrecht Grenzen gesetzt werden. Zeigt ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber "freiwillig" bei der Strafverfolgungsbehörde an, so kann die darin liegende Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren regelmäßig nicht zu einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten führen und eine deswegen erklärte Kündigung sozial rechtfertigen ( aaO; davor bereits - RzK I 6 a Nr. 74). Mit dem Rechtsstaatsprinzip ist es regelmäßig unvereinbar, wenn eine Anzeige und Aussage im Ermittlungsverfahren zu zivilrechtlichen Nachteilen für den anzeigenden Arbeitnehmer bzw. Zeugen führen würde, es sei denn, er hat wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht ( aaO).
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist jedoch eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht ausnahmslos dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer eine Anzeige, ohne wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen, bei den Strafverfolgungsbehörden erstattet.
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom (- 1 BvR 2094/00 - AP BGB § 626 Nr. 170 = EzA BGB § 626 nF Nr. 188) einen solchen Rechtssatz nicht aufgestellt. Es hat lediglich für den "Regelfall" ausgeführt, auch bei einer "freiwilligen" Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch den Arbeitnehmer dürfe sein Handeln aus rechtsstaatlichen Gründen nicht zu einem wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung führen. Wie schon die Formulierung "im Regelfall" zeigt, sind - auch - von Verfassungs wegen weitere Ausnahmefälle denkbar, in denen eine Kündigung auch dann möglich ist, wenn die vom Bundesverfassungsgericht selbst formulierte Einschränkung der wissentlich oder leichtfertig gemachten falschen Angaben nicht eingreift. Weiter gilt es zu bedenken, dass sich die anonyme Anzeige im Streitfall nicht gegen den Arbeitgeber selbst, sondern gegen einen Vorgesetzten des Anzeigeerstatters richtete und mit solchen strafbaren Pflichtverletzungen begründet worden war, die den auf öffentliche Zuwendungen angewiesenen Arbeitgeber und dessen Vermögen betrafen. Anders als im Fall des Bundesverfassungsgerichts gewinnt deshalb hier der Aspekt eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs eine besondere Bedeutung.
bb) Dem Arbeitsvertrag sind zahlreiche Nebenpflichten immanent. Dazu gehört insbesondere die vertragliche Rücksichtnahmepflicht (§ 242 BGB; jetzt ausdrücklich § 241 Abs. 2 BGB nF; vgl. zuletzt - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 44 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 58; MünchArbR-Blomeyer 2. Aufl. § 51 Rn. 19 ff.; ErfK/Preis 3. Aufl. § 611 BGB Rn. 906). Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, auf die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie im zumutbaren Umfang zu wahren (zusammenfassende Übersicht bei - BB 1989, 649; Müller NZA 2002, 424, 427 ff. jeweils mwN; Erman-Hanau BGB 10. Aufl. § 611 Rn. 508; MünchArbR-Blomeyer 2. Aufl. § 51 Rn. 19 ff.). Der Arbeitnehmer hat darüber hinaus die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren und den Arbeitgeber über alle wesentlichen Vorkommnisse im Betrieb in Kenntnis zu setzen, vor allem um Schäden des Arbeitgebers zu verhindern (Palandt-Putzo BGB 62. Aufl. § 611 Rn 40; ErfK/Preis 3. Aufl. § 611 BGB Rn. 906; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 692; MünchArbR-Blomeyer 2. Aufl. § 53 Rn. 55; Gach/Rützel BB 1997, 1959, 1961).
cc) Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht wird durch die Grundrechte näher ausgestaltet (zuletzt - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 44 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 58). Kollidiert das dem Arbeitgeber als Ausfluss seiner grundrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) zustehende Recht, vom Arbeitnehmer die Einhaltung eines gewisses Maßes von Rücksicht auf seine Interessen zu verlangen, mit grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung und Anwendung der Generalklausel des § 242 BGB (jetzt auch § 241 Abs. 2 BGB nF) grundrechtskonform auszugleichen und sind die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten entsprechend zu konkretisieren ( aaO). Dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, dass die bei der Ausformung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (praktische Konkordanz; zuletzt aaO mwN).
(1) Mit der Erstattung einer Strafanzeige nimmt der Arbeitnehmer eine von Verfassungs wegen geforderte und von der Rechtsordnung erlaubte und gebilligte Möglichkeit der Rechtsverfolgung wahr (so bereits - BVerfGE 74, 257).
Da es der Rechtsstaat - abgesehen von gesetzlich geregelten Ausnahmefällen (Notwehr, Nothilfe, Selbsthilfe, Notstand und vorläufige Festnahme) - dem Bürger verwehrt, sein wirkliches oder vermeintliches Recht mit Gewalt durchzusetzen, muss er sein Recht vor staatlichen Gerichten suchen und es mit Hilfe der Staatsgewalt verfolgen. Aus dem Verbot der Privatgewalt und der Verstaatlichung der Rechtsdurchsetzung folgt umgekehrt die Pflicht des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen und die Beachtung ihrer Rechte sicherzustellen. Mit diesen Grundgeboten des Rechtsstaats ist es nicht vereinbar, wenn derjenige, der in gutem Glauben eine Strafanzeige erstattet hat, Nachteile dadurch erleidet, dass sich seine Behauptung nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder nicht aufklärbar erweist. Die (nicht wissentlich unwahre oder leichtfertige) Strafanzeige eines Bürgers liegt im allgemeinen Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens und an der Aufklärung von Straftaten; der Rechtsstaat kann darauf bei der Strafverfolgung nicht verzichten ( - BVerfGE 74, 257). Dementsprechend nimmt der Arbeitnehmer mit der Erstattung einer Strafanzeige ein von der Rechtsordnung eingeräumtes Grundrecht (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG) wahr ( - AP BGB § 626 Nr. 170 = EzA BGB § 626 nF Nr. 188).
Ob der Schutzbereich des Art. 17 GG berührt ist (siehe Senat - 2 AZR 369/69 - AP KSchG § 1 Nr. 82; Colneric AiB 1987, 260, 265; Graser Whistleblowing - Arbeitnehmeranzeigen im US-amerikanischen und deutschen Recht (2000) S. 126 ff.; Wendeling-Schröder Autonomie im Arbeitsrecht 1994 S. 192; zuletzt Deiseroth AuR 2002, 161, 166), kann im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen dahingestellt bleiben (offen gelassen auch - AP BGB § 626 Nr. 170 = EzA BGB § 626 nF Nr. 188). Auf den - zusätzlichen - Schutz des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG kann sich der Kläger jedoch nicht berufen. Zwar unterfallen Arbeitnehmeranzeigen und Beschwerden grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (ErfK/Dieterich 3. Aufl. Art. 5 GG Rn. 37; Graser aaO S. 109; Hinrichs in Das Arbeitsrecht der Gegenwart Bd. 18 (1980) S. 35, 39; Müller NZA 2002, 424, 429 f.; Wendeling-Schröder aaO S. 156 ff. Zusammenfassung: S. 211). Dies kann aber nicht für eine anonym erstattete Anzeige, bei der der Anzeiger ungenannt bleibt und gerade nicht seine persönliche Meinung kundtun will, gelten. Eine solche anonyme Anzeige fällt nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Ihr fehlt es gerade an dem konstituierenden Element der Subjektivität (vgl. ErfK/Dieterich 3. Aufl. Art. 5 GG Rn. 5 mwN). Ohne die deutlich erkennbare persönliche Zuordnung kann eine anonyme Äußerung nicht an der geistigen Auseinandersetzung teilnehmen.
(2) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers im Sinne freier Gründung und Führung von Unternehmen durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt (, 419/78 - und - 1 BvL 21/78 - BVerfGE 50, 290, 363).
Als Ausfluss der verfassungsrechtlich geschützten Unternehmerfreiheit hat der Arbeitgeber auch ein rechtlich geschütztes Interesse, nur mit solchen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, die die Ziele des Unternehmens fördern und das Unternehmen vor Schäden bewahren. Regelmäßig wird ein Unternehmen im Wettbewerb nur bestehen können, wenn insbesondere betriebliche Abläufe und Strategien nicht in die Öffentlichkeit gelangen und der Konkurrenz bekannt werden. Deshalb stehen nach § 17 UWG Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse unter strafrechtlichem Schutz. Ein Arbeitgeber, der - wie der Beklagte - von Zuwendungen der öffentlichen Hand abhängig ist, kann durch die mit der Einleitung eines Strafverfahrens verbundene negative öffentliche Publizität sogar in seiner Existenzgrundlage gefährdet werden. Dies gilt umso mehr, als es um die Frage des rechtmäßigen Erhalts von Zuwendungen geht.
Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, das Interesse des Arbeitgebers, Gesetzesverstöße, die er oder seine Hilfspersonen im Betrieb begehen oder begangen haben, zu verheimlichen, werde durch die Verfassung nicht geschützt (Colneric AiB 1987, 260). Dieser Einwand gilt jedenfalls dann nicht, wenn - wie hier - ein selbst nicht rechtswidrig und vorsätzlich handelnder Arbeitgeber betroffen ist.
dd) Unter Berücksichtigung dieses Rahmens sind die vertraglichen Rücksichtnahmepflichten dahin zu konkretisieren, dass sich die Anzeige des Arbeitnehmers nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten darstellen darf (Senat - 2 AZR 80/91 - RzK I 6 a Nr. 74; MünchArbR-Blomeyer 2. Aufl. § 53 Rn. 70). Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion des anzeigenden Arbeitnehmers sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen. Dies gilt umso mehr, als auch die vertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers im Raum steht, den Arbeitgeber vor drohenden Schäden durch andere Arbeitnehmer zu bewahren ( - BB 1989, 649, 650).
(1) Die Gründe, die den Arbeitnehmer dazu bewogen haben, die Anzeige zu erstatten, verdienen eine besondere Bedeutung (Gach/Rützel BB 1997, 1959, 1960; vgl. auch Müller NZA 2002, 424, 433). Erfolgt die Erstattung der Anzeige ausschließlich um den Arbeitgeber zu schädigen bzw. "fertig zu machen", kann - unter Berücksichtigung des der Anzeige zugrunde liegenden Vorwurfs - eine unverhältnismäßige Reaktion vorliegen ( - RzK I 6 a Nr. 74; -; MünchArbR-Bloymeyer 2. Aufl. § 53 Rn. 70). Durch ein derartiges pflichtwidriges Verhalten nimmt der Arbeitnehmer keine verfassungsrechtlichen Rechte wahr, sondern verhält sich - jedenfalls gegenüber dem Arbeitgeber - rechtsmissbräuchlich.
(2) Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (vgl. dazu Gach/Rützel BB 1997, 1959, 1961 f.; Berkowsky NZA-RR 2001, 1, 16; KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 427; KR-Fischermeier 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 408; Preis Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen S. 366; ders. DB 1988, 1444, 1448; Preis/Reinfeld AuR 1989, 361, 370; Müller NZA 2002, 424, 432; MünchArbR-Blomeyer 2. Aufl. § 53 Rn. 69 ) gebührt der innerbetrieblichen Klärung nicht generell der Vorrang. Dies würde dem verfassungsrechtlichen Rahmen und den grundrechtlichen Positionen des Arbeitnehmers nicht gerecht. Es ist vielmehr im Einzelfall zu bestimmen, wann dem Arbeitnehmer eine vorherige innerbetriebliche Anzeige ohne weiteres zumutbar ist und ein Unterlassen ein pflichtwidriges Verhalten darstellt (Gach/Rützel aaO S. 1961; Müller aaO S. 435).
Eine vorherige innerbetriebliche Meldung und Klärung ist dem Arbeitnehmer allerdings unzumutbar, wenn er Kenntnis von Straftaten erhält, durch deren Nichtanzeige er sich selbst einer Strafverfolgung aussetzen würde (KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 427). Entsprechendes gilt auch bei schwerwiegenden Straftaten oder vom Arbeitgeber selbst begangenen Straftaten. Hier muss regelmäßig die Pflicht des Arbeitnehmers zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers zurücktreten. Weiter trifft den anzeigenden Arbeitnehmer auch keine Pflicht zur innerbetrieblichen Klärung, wenn Abhilfe berechtigterweise nicht zu erwarten ist. Den Arbeitnehmer in einer solchen Konstellation auf die innerbetriebliche Abhilfe zu verweisen, wäre unverhältnismäßig und würde unzulässigerweise in seine Freiheitsrechte eingreifen. Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf die gesetzeswidrige Praxis im Unternehmen hingewiesen, sorgt dieser jedoch nicht für Abhilfe, besteht auch keine weitere vertragliche Rücksichtnahmepflicht mehr (Preis DB 1988, 1444, 1448; Preis/Reinfeld AuR 1989, 361, 370; Erman-Hanau BGB 10. Aufl. § 611 Rn. 510; MünchArbR-Bloymeyer 2. Aufl. § 53 Rn. 70).
Etwas anderes wird hingegen dann gelten, wenn nicht der Arbeitgeber oder sein gesetzlicher Vertreter, sondern ein Mitarbeiter seine Pflichten verletzt oder strafbar handelt. Hier erscheint es eher zumutbar, vom Arbeitnehmer - auch wenn ein Vorgesetzter betroffen ist - vor einer Anzeigenerstattung einen Hinweis an den Arbeitgeber zu verlangen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Pflichtwidrigkeiten handelt, die - auch - den Arbeitgeber selbst schädigen.
4. In Anwendung dieses Maßstabs verletzen die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts § 1 Abs. 2 KSchG. Das Landesarbeitsgericht hat die Prüfung unterlassen, ob nicht auch bei Verneinung einer wissentlich falschen oder leichtfertigen Anzeige des Klägers dieser aus anderen Gründen seine vertraglichen Pflichten in einem kündigungsrechtlich relevanten Ausmaß verletzt hat. Diese Prüfung wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben. Dazu bedarf es jedoch noch weiterer tatsächlicher Feststellungen.
a) Das Landesarbeitsgericht wird näher aufzuklären haben, welche Motivation des Klägers der Anzeigenerstattung zugrunde lag. Der Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe die anonyme Anzeige allein deshalb erstattet, um R. aus seiner Stellung als Vorgesetzten zu entfernen. Im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Auseinandersetzung des Klägers mit R. über dessen Dienstpläne und der Erstattung der Strafanzeige besteht Anlass, diesem Vortrag weiter nachzugehen und dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Bisher hat er lediglich ausgeführt, es habe seit 1999 ein persönlicher Reifeprozess eingesetzt.
b) Das Landesarbeitsgericht wird darüber hinaus prüfen müssen, ob der Kläger nicht seine vertragliche Rücksichtnahmepflicht dadurch verletzt hat, dass er vor Erstattung der Anzeige sich nicht an die Zentrale des Beklagten in F. oder an die kündigungsberechtigten Vorgesetzten des R., S. und W. gewandt hat. Dies gilt umso mehr, als auch der Beklagte an der - innerbetrieblichen - Aufklärung einer gegen sein Vermögen gerichteten Handlung eines anderen Mitarbeiters - sogar mit Vorgesetztenfunktion - ein vitales Interesse hat, was sich beispielsweise in der Schaffung eines betrieblichen Controllings zeigen könnte und auch für den Kläger offensichtlich ist. Der Beklagte als Subventionsempfänger muss über solche - behaupteten - Unregelmäßigkeiten von Mitarbeitern durch seine Beschäftigten informiert werden. Ob ein solcher Hinweis ggf. erfolglos und damit obsolet gewesen wäre, beispielsweise weil die Zentrale des Beklagten oder die kündigungsberechtigten Mitarbeiter von den - behaupteten - Vorkommnissen Kenntnis hatten und sie duldeten, wird das Berufungsgericht zu klären haben. Der Hinweis des Klägers, R. habe ihm mitgeteilt, das Vorgehen sei mit F. abgesprochen, rechtfertigt allein ein unmittelbares Einschalten der Strafverfolgungsbehörden ohne Versuch einer innerbetrieblichen Klärung noch nicht; ob eine entsprechende Absprache mit der Zentrale bestand, was in der Tat für die Beurteilung von Bedeutung wäre, wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben. Das Landesarbeitsgericht wird aber auch zu berücksichtigen haben, dass sich der Kläger nach seinem Vortrag bereits 1997 an R. gewandt und das aus seiner Sicht rechtswidrige Verhalten danach über längere Zeit hingenommen hat, ohne die Notwendigkeit zu einem sofortigen Vorgehen zu erkennen. Soweit er ausgeführt hat, R. habe ihn hart angegangen, als er mitgeteilt habe, er sei nicht mehr bereit, sich strafbar zu machen, fehlt es bisher an jeglicher Erläuterung, was konkret vorgefallen sein soll.
Auch die zeitlichen Abläufe könnten für eine bloße Schädigungsabsicht des Klägers sprechen. Ferner wird das Landesarbeitsgericht die inhaltliche Berechtigung der Anzeige gegen R. zu prüfen und zu bewerten haben. In diesem Zusammenhang bleibt zu beachten, dass der Beklagte bisher nicht vorgetragen hat, wie die Seminare in K. abgerechnet wurden und ob die Zentrale in F. von der - rechtswidrigen - Abrechnungspraxis in K. Kenntnis hatte. Vor dem Hintergrund der Schilderung der unzutreffenden Abrechnungspraxis durch den Kläger (etwa im Hinblick auf die Abrechnung von Seminaren während des Umbaus des Jugendzentrums in K.), wird sich der Beklagte auch nicht auf den pauschalen Hinweis beschränken können, die Vorwürfe seien in ihrer Gesamtheit unberechtigt. Dies ergibt sich auch nicht zwingend aus der Einstellung des Strafverfahrens.
Schließlich wird das Landesarbeitsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass der Kläger eine Hausdurchsuchung in der Einrichtung des Beklagten empfohlen hat.
III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO aF). Ob die Kündigung wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde unwirksam (§ 174 Satz 1 BGB) ist, kann auf Grund der bisherigen Feststellungen der Vorinstanzen nicht abschließend beurteilt werden.
1. Es ist schon nicht feststellbar, ob der Kläger die Kündigung des Beklagten wegen der Nichtvorlage einer Vollmachtsurkunde überhaupt unverzüglich zurückgewiesen hat, weil der Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens vom , in dem die Zurückweisung erklärt worden ist, nicht festgestellt worden ist.
2. Ob die Zurückweisung ggf. ausgeschlossen ist, weil der Beklagte den Kläger von der Bevollmächtigung von W. ausreichend in Kenntnis gesetzt hatte (§ 174 Satz 2 BGB), bedarf noch weiterer tatsächlicher Feststellungen.
a) Der Kündigungsempfänger soll nach § 174 BGB nur dann eine Kündigungserklärung wirksam zurückweisen können, wenn er keine Gewissheit hat, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt ist und der Vertretene die Erklärung gegen sich gelten lassen muss ( - AP BGB § 174 Nr. 13 = EzA BGB § 174 Nr. 13). Eine Zurückweisung ist nach § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte. Eine solche Ungewissheit kann bei Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung jedoch nicht bestehen, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer allgemein darüber in Kenntnis gesetzt hat, ein bestimmter Mitarbeiter sei zu derartigen Erklärungen wie einer Kündigung bevollmächtigt. Dies kann auch dadurch geschehen, dass der betreffende Mitarbeiter in eine Stellung berufen wird, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist, beispielsweise als Leiter der Personalabteilung oder Generalbevollmächtigter des Betriebs ( - BAGE 77, 13, 22; - 2 AZR 493/01 - AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 18 = EzA BGB § 174 Nr. 1). Unabhängig von der verwendeten Bezeichnung ist auf der Grundlage der Einzelfallumstände festzustellen, ob für einen objektiven Betrachter mit einer derartigen Stellung eine Kündigungsbefugnis regelmäßig verbunden zu sein pflegt ( aaO).
b) Ob der die Kündigung unterzeichnende W. als stellvertretender Regionalgeschäftsführer der Region West bereits eine solche Stellung innehatte, die üblicherweise mit dem Kündigungsrecht verbunden ist, ist von den Vorinstanzen nicht hinreichend festgestellt worden.
c) Schließlich wird das Landesarbeitsgericht weiter aufklären müssen, ob ggf. der Beklagte durch den Aushang vom am Schwarzen Brett der K. Einrichtung den Kläger hinreichend von der Bevollmächtigung W. zur Kündigung in Kenntnis gesetzt hatte. Dabei kann ein In-Kenntnis-Setzen auch konkludent durch die Umstände erfolgen (Soergel/Leptien BGB § 174 Rn. 4). Es reicht grundsätzlich aber allein der allgemeine Hinweis auf einen -zeitlich befristeten - Aushang am Schwarzen Brett hierfür nicht aus (vgl. dazu - NZA-RR 2003, 194).
IV. Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, es liege kein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vor, so wird es abschließend über den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag entscheiden müssen. Mit der bisherigen Begründung lässt sich die Abweisung allein nicht ausreichend begründen. Ob Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen, wird das Landesarbeitsgericht noch näher prüfen müssen. Dabei wird es sowohl der Empfehlung einer Hausdurchsuchung beim Arbeitgeber als auch dem fehlenden Versuch einer innerbetrieblichen Klärung als Ausdruck eines erheblichen Misstrauens gegenüber seinem Vertragspartner einerseits wie auch andererseits der Tatsache, dass der unmittelbare Vorgesetzte des Klägers nicht mehr im Unternehmen ist (Senat - 2 AZR 158/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45), Beachtung schenken müssen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2004 S. 1172 Nr. 21
BB 2004 S. 1964 Nr. 36
DB 2004 S. 878 Nr. 16
FAAAB-93658
1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Nein