Leitsatz
[1] 1. Die Falschbeantwortung einer Frage des Arbeitgebers nach früheren "Stasi-Kontakten" kann eine ordentliche Kündigung rechtfertigen.
2. Das Fragerecht ist allerdings beschränkt durch das betriebliche Interesse und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Damit der Arbeitnehmer die Zulässigkeit der Frage beurteilen kann, muß sie so konkret formuliert sein, daß der Arbeitnehmer zweifelsfrei erkennen kann, wonach gefragt wird.
Gesetze: GG Art. 5; KSchG § 1; KSchG § 9 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug: ArbG Frankfurt (Oder) 3 Ca 4726/99 vom LAG Brandenburg 3 Sa 398/00 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine verhaltensbedingte Kündigung und über einen Auflösungsantrag der Beklagten.
Die 1953 geborene Klägerin trat im Jahre 1973 als Redakteurin in die Dienste der Tageszeitung "D ", die von der damaligen SED-Bezirksleitung herausgegeben wurde. Seit 1978 arbeitete die Klägerin in der S Lokalredaktion, deren verantwortliche Redakteurin sie 1985 wurde. Von 1981 bis November 1989 nutzte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Räume der Lokalredaktion für konspirative Zwecke.
Nachdem "D " im März 1990 von der Beklagten übernommen und in "M O-Z" (MOZ) umbenannt worden war, wurde die Klägerin seit Mitte 1992 nicht mehr als verantwortliche Redakteurin, sondern als Lokalredakteurin mit Zuständigkeit für den Bereich R beschäftigt. Die Jahresbruttovergütung der Klägerin betrug zuletzt 116.790,00 DM. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien ist die Klägerin "zur Einhaltung der vom Herausgeber vorgegebenen Richtlinien für die grundsätzliche Haltung der Zeitung verpflichtet". Die "publizistischen Grundsätze" der Beklagten sehen die Befürwortung der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung und der sozialen Marktwirtschaft vor.
An einem 1993 begonnenen Forschungsprojekt mit dem Titel "Staatssicherheitsdienst und Bezirksparteizeitungen" waren die Beklagte als Projektpartnerin und ihr jetziger Prozeßbevollmächtigter, Herr Dr. W, als Projektkoordinator, beteiligt. Das Ergebnis des Forschungsprojekts wurde 1997 in Buchform veröffentlicht. Im Vorwort heißt es ua., "der Eindruck, daß seitens der Projektpartner, insbesondere vom Projektkoordinator, verlagsintere Personalia zu anderen als zu wissenschaftlich-strukturgeschichtlichen Zwecken benutzt werden würden", habe sich immer deutlicher ergeben. Es sei die Gefahr vermutet worden, "daß das Forschungsprojekt zur Lösung betriebsinterner Personalprobleme benutzt werden könnte".
Im Jahre 1996 ließ die Chefredaktion der MOZ gegenüber ihren Redakteuren verlauten, daß im Rahmen einer Forschungsarbeit eventuelle Kontakte zum ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bekannt werden könnten. Mit Ausnahme der Klägerin suchten daraufhin alle Redakteure der Lokalredaktion S das vertrauliche Gespräch mit dem damaligen Leiter der Lokalredaktion. In den beiden folgenden Jahren wurde - ua. in einem Fernsehbeitrag des ORB - wiederholt der Vorwurf erhoben, es seien noch nicht alle konspirativen Vorgänge in der Lokalredaktion S aufgeklärt.
Am erschien in der MOZ ein von der Klägerin geschriebener Artikel mit der Überschrift "Biografien zu verbiegen verstärkt die Kluft - Urania-Frühschoppen zum Thema ostdeutsche Wirtschaftsentwicklung". Darin sind Äußerungen von Teilnehmern des Frühschoppens wiedergegeben, die den "Ostaufbau" kritisieren, zB als "Bereicherungsprogramm für Westdeutsche".
Am fand ein Gespräch zwischen dem Chefredakteur und der Klägerin statt, an dem auch Herr Dr. W teilnahm. Die Beklagte machte in dem Gespräch ihren Wunsch deutlich, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Die Klägerin erbat sich Bedenkzeit bis zum 9. November. Bis zu diesem Tag wurde die Klägerin beurlaubt. Der Chefredakteur erklärte, er - und nicht die Klägerin - werde ihren Vorgesetzten Rietz über die Beurlaubung unterrichten. Ob, wie die Beklagte behauptet, außerdem Stillschweigen über den Gesprächsinhalt vereinbart wurde, ist streitig. Im Anschluß an das Gespräch rief die Klägerin den Mitarbeiter Wa an. Ob sie ihm lediglich mitteilte, sie sei bis zum 9. November freigestellt (so die Klägerin) oder ob sie darüber hinausgehende Angaben über den Inhalt des Gesprächs machte (so die Beklagte), ist ebenfalls streitig.
Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte durch Schreiben vom das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum und berief sich darauf, die Klägerin habe die Beklagte nicht über ihre Stasi-Kontakte informiert. Eine Recherche habe ergeben, daß die Redaktionsräume als konspirative Wohnung genutzt worden seien. Ferner habe die Klägerin die über das Gespräch vom 5. November vereinbarte Vertraulichkeit gebrochen und mit ihrem Artikel vom 5. Oktober die publizistischen Grundsätze der Beklagten verletzt.
Mit der am erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und mangels ausreichender Unterrichtung des Betriebsrats unwirksam. Die Beklagte habe von der konspirativen Nutzung der Redaktionsräume schon Mitte 1996 erfahren. Unter den Redakteuren des "" seien die konspirativen Aktivitäten ein offenes Geheimnis gewesen ("Wenn nachts in der Redaktion Licht brennt ... dann tagt dort Horch und Guck"). Konkrete Vorwürfe bezüglich einer Stasi-Mitarbeit habe die Beklagte nie erhoben. Deshalb habe sie, die Klägerin, hierzu auch nicht Stellung genommen. Über das Gespräch vom sei Vertraulichkeit nicht vereinbart, sondern von der Beklagten einseitig angeordnet worden. Dieser Anordnung habe die Klägerin nicht zuwidergehandelt. Sie habe Herrn Wa lediglich aus arbeitstechnischen Gründen und allein über die Tatsache und die Dauer ihrer Beurlaubung unterrichtet. In dem von der Beklagten beanstandeten Artikel habe sie Meinungsäußerungen zitiert, und dies korrekt. Außerdem könne eine Kündigung auf einen Tendenzverstoß nur nach erfolgloser Abmahnung gestützt werden.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten und im Berufungsverfahren hilfsweise beantragt,
das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gem. § 9 Abs. 1 KSchG aufzulösen und sie zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen.
Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört. Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Es sei für die publizistische Glaubwürdigkeit der MOZ von großer Bedeutung, nicht mit ihrer Rechtsvorgängerin identifiziert zu werden. Das Vertrauen in die Tendenztreue der Klägerin sei zerstört: Die Klägerin sei der berechtigten Aufforderung, sich zu offenbaren, nicht nachgekommen. Sie habe dem Mitarbeiter Wagner am gesagt, ihr solle wegen "Stasi-Vorwürfen" gekündigt werden, was nicht nur den Bruch einer kurz zuvor getroffenen Vereinbarung und eine Verletzung der im Pressekodex niedergelegten Vertraulichkeit bedeute, sondern auch in der Sache falsch sei, da die Kündigung nicht auf "Stasi-Vorwürfe", sondern auf das Schweigen der Klägerin gestützt werde. Deshalb könne die Wirksamkeit der Kündigung auch nicht an der angeblich fehlenden Konkretisierung der "Stasi-Kontakte" scheitern. Außerdem habe die Klägerin distanzlose, unkritische Berichte veröffentlicht wie den vom , der im deutlichen Gegensatz zur publizistischen Tendenz der Beklagten stehe. Zur Begründung ihres Auflösungsantrages hat die Beklagte der Klägerin "durchgängige Ignoranz" im Prozeß vorgeworfen. Schon vorgerichtlich im November 1999 habe die Klägerin öffentlich in S behauptet, die Beklagte "wühle jetzt bei Gauck rum".
Die Klägerin hat um Abweisung des Auflösungsantrags gebeten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, nach dem Klageantrag erkannt und den Auflösungsantrag abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und hilfsweise Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Gründe
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung vom hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat es als naheliegend angesehen, daß die Klägerin angesichts des grundgesetzlichen Schutzes der Presseunternehmen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet war, die Frage der Beklagten nach einer Tätigkeit für das MfS wahrheitsgemäß zu beantworten. Es hat sich auf die Rechtsprechung des Senats zur "Fragebogenlüge" im öffentlichen Dienst bezogen und ausgeführt, eine Pflichtverletzung liege erst dann vor, wenn der Arbeitnehmer auf eine zulässige Frage eine objektiv und subjektiv falsche Antwort gebe. Daran fehle es. Denn die Beklagte habe eine konkrete Zusammenarbeit mit dem MfS nicht einmal behauptet. Der von der Beklagten behauptete Bruch der Vertraulichkeit stelle zwar möglicherweise eine Pflichtverletzung dar; es handele sich aber um einen einmaligen Vorgang nach fünfundzwanzigjährigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses, der auch keinen Verstoß gegen die im Pressekodex verankerte Vertraulichkeit beinhalte. Der Artikel vom sei zwar tendenzwidrig und nicht besonders feinsinnig, als einmalige Fehlleistung reiche er aber nicht zur Rechtfertigung der Kündigung. Die Kündigung sei auch nicht personenbedingt gerechtfertigt, da die Beklagte es an Darlegungen habe fehlen lassen, aus denen auf eine grundsätzliche grobe Unehrlichkeit der Klägerin geschlossen werden könne. Zur Begründung des Auflösungsantrags sei der Beklagtenvortrag mangels hinreichender Substanz ungeeignet. Selbst wenn die Klägerin öffentlich geäußert haben sollte, daß die Beklagte "bei Gauck rumwühle", so liege doch eine solche - freilich polemische - Äußerung noch im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen.
B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung.
I. Die Kündigung vom ist sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 KSchG.
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar; bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen des § 1 KSchG Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr. vgl. ua. - BAGE 83, 181, 187 und - 2 AZR 750/96 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 37 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53, zu II 2 a der Gründe). Diesem Prüfungsmaßstab hält das angegriffene Urteil stand.
2. Die Kündigung ist nicht aus verhaltensbedingten Gründen iSd. § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt.
a) Die Frage, ob die etwaige MfS-Verstrickung der Klägerin - für sich genommen - die Kündigung aus verhaltensbedingtem Grund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG rechtfertigt, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht geprüft. Zwar können bewußte Tätigkeiten für das MfS je nach den Umständen des Einzelfalles geeignet sein, eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung zu rechtfertigen (st. Rspr. vgl. -EzA BGB § 626 nF Nr. 191; - 2 AZR 902/98 - RzK I 5 i Nr. 157; vgl. auch: - ZBR 2001, 45; , 1 BvR 195/95, 1 BvR 2189/95 - BVerfGE 96, 171). Indes hat die Beklagte ihre Kündigung ausdrücklich nicht auf etwaige Tätigkeiten der Klägerin für das MfS gestützt und solche Tätigkeiten nicht im einzelnen vorgetragen. Insoweit wird auch von der Revision keine Rüge erhoben.
b) Auch die Falschbeantwortung einer zulässigerweise gestellten Frage nach früherer MfS-Tätigkeit kann eine ordentliche Kündigung verhaltensbedingt rechtfertigen (st. Rspr. vgl. ua. ua. - BVerfGE 96, 171; - BAGE 74, 120; - 2 AZR 862/94 - AP Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Nr. 53 = EzA Einigungsvertrag Art. 20 Nr. 46; - 2 AZR 483/95 - BAGE 83, 181; - 2 AZR 470/98 - nv.; - 2 AZR 902/98 - RzK I 5 i Nr. 157). Das gilt vor allem im öffentlichen Dienst. Aber auch sonst kann es Arbeitsstellen geben, deren Besetzung der Arbeitgeber von der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen nach etwaiger MfS-Verstrickung abhängig machen kann ( - EzA BGB § 626 nF Nr. 191). Indes besteht das Fragerecht nicht unbegrenzt. Seine Reichweite ist vielmehr beschränkt durch das betriebliche Interesse des Arbeitgebers und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Außerdem muß die Frage so formuliert sein, daß der Arbeitnehmer erkennen kann, wonach gefragt ist. Der Arbeitnehmer muß die Zulässigkeit der Frage beurteilen können. Außerdem darf eine etwaige Falschbeantwortung nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr kommt es auch bei bewußt wahrheitswidriger Beantwortung noch auf eine einzelfallbezogene Würdigung an (st. Rspr. vgl. - aaO; - aaO; ua. - aaO). Zu dieser Würdigung gehören nicht nur die Intensität und die Vorwerfbarkeit der früheren Verstrickung, sondern auch die näheren Umstände der Befragung und der Beantwortung. So muß zwischen einer ausweichenden und einer eindeutig wahrheitswidrigen Antwort unterschieden werden ( ua. - aaO) und ein Verschweigen ist dann nicht pflichtwidrig, wenn die verschwiegene Tätigkeit als solche eine Kündigung nicht rechtfertigen würde ( - nv.).
Im vorliegenden Fall ist die Kündigung nicht wegen Falschbeantwortung gerechtfertigt. Denn die Beklagte behauptet selbst nicht, daß die Klägerin eine falsche Antwort gegeben habe. Auch die Revision macht nicht geltend, daß die Klägerin eine falsche Erklärung über ihre etwaige MfS-Verstrickung abgegeben habe. Vielmehr weist die Revision im Gegenteil ausdrücklich darauf hin, es komme ihr nicht auf Einzelheiten einer etwaigen MfS-Tätigkeit der Klägerin an. Selbst wenn man das Schweigen der Klägerin als ein Abstreiten jeglicher MfS-Tätigkeit verstünde, so wäre doch von der Beklagten nicht dargelegt, daß dieses Abstreiten wahrheitswidrig erfolgte.
c) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, daß der Kern des gegen die Klägerin erhobenen Vorwurfs in der Weigerung als solcher liege, sich zu etwaigen "Stasi-Kontakten" zu offenbaren.
Die auch vom Landesarbeitsgericht nicht in Abrede gestellte Verpflichtung des Arbeitnehmers, bei gegebenem Anlaß zulässige Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, umfaßt allerdings auch die Pflicht, "überhaupt" zu antworten. Hier liegt aber in der Weigerung als solcher schon deshalb keine Pflichtverletzung der Klägerin, weil die Beklagte keine konkrete - erst recht keine zulässige - Frage an die Klägerin gerichtet hat. Die Beklagte hat gegenüber ihren Redakteuren im Jahre 1996 - ohne eine spezifizierte Frage zu formulieren - in nicht näher beschriebener Weise verlauten lassen, sie erwarte, daß diese sich zu etwaigen Verstrickungen offenbarten. Das berechtigte Interesse der Beklagten liegt in der publizistischen Glaubwürdigkeit. Diese erfordert nicht den generellen Ausschluß sämtlicher wie auch immer gearteter Kontakte oder Verstrickungen im Zusammenhang mit den Aktivitäten des MfS, zumal solche Kontakte auch passiver, schuldloser oder marginaler Natur sein könnten. Außerdem sind bei einem so allgemein gehaltenen "stummen Wink" die Grenzen der Bereiche möglicher wahrer - und damit auch falscher - Antworten zu weit gezogen. Jemand kann sich schon dann über etwas offenbaren, wenn er eine gefühlsmäßige Gesamteinschätzung mitteilt, wie es die Klägerin gegenüber dem damaligen Redaktionsleiter Ende 1996 getan haben will. Ebenso gut kann unter Offenbarung die Preisgabe eines oder auch mehrerer als belastend empfundener Details verstanden werden. In jedem Fall bleibt unklar, wann eine Erklärung hinreichend konkret und vollständig ist. Im Zweifel wird deshalb derjenige, der sich "offenbaren" soll, veranlaßt, mehr preiszugeben als er eigentlich müßte. Eine solche überschießende Ausübung des an sich gegebenen Fragerechts ist rechtswidrig.
d) Die Kündigung ist auch nicht wegen des von der Beklagten behaupteten Bruchs der Vertraulichkeit des Gesprächs vom aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Das hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen.
aa) Die von der Beklagten behauptete Pflichtverletzung betrifft ein steuerbares Verhalten der Klägerin. Eine Kündigung hätte deshalb einer vorherigen erfolglosen Abmahnung bedurft, woran es, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, fehlt. Die Abmahnung war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Sollte tatsächlich in dem von der Beklagten behaupteten umfassenden Sinn Vertraulichkeit vereinbart worden sein, so würde es sich doch bei einem Verstoß der Klägerin um einen einmaligen Vorgang in einer für die Klägerin außerordentlich angespannten persönlichen Situation handeln, von dem keine für die Beklagte schädlichen Folgen festgestellt sind. Die Wertung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe sich möglicherweise "Luft machen" wollen, und der Vorgang sei deshalb angesichts der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht so schwerwiegend, als daß er ohne vorherige Abmahnung eine Kündigung rechtfertigen könnte, ist gut nachvollziehbar. Die Auffassung der Revision, die erwähnte - behauptete - Pflichtverletzung müsse zu einem weitgehenden Vertrauensverlust der Beklagten führen, ist erkennbar überzogen.
bb) Entgegen der Auffassung der Revision ist es nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht nicht ausdrücklich auf die Behauptung der Beklagten eingegangen ist, die Klägerin habe nicht nur die Vertraulichkeit des Gesprächs verletzt, sondern dem von ihr angerufenen Herrn Wa auch die Unwahrheit über das Gespräch vom gesagt; sie habe nämlich wahrheitswidrig erklärt, sie solle wegen "Stasi-Vorwürfen" gekündigt werden, während in Wahrheit stets nur eine Beendigung wegen der weigerlichen Haltung der Klägerin in Rede gestanden habe. Darin liegt jedoch entgegen der Auffassung der Revision kein gesondert und erschwerend zu berücksichtigender Umstand. Die Kündigung der Beklagten steht in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem Vorwurf, die Klägerin habe "Stasi-Kontakte" gehabt. Daß solche Vorwürfe zumindest mittelbar auch im Gespräch vom erörtert wurden, steht außer Streit. Es würde eine ungenaue, im Kern aber nicht falsche Aussage darstellen, wenn die Klägerin, wie die Beklagte behauptet, unter dem frischen Eindruck des Gesprächs am Telefon gesagt haben sollte, sie solle "wegen Stasi-Vorwürfen" gekündigt werden. Das gilt erst recht, wenn man hinzunimmt, daß es sich um eine mündliche, umgangssprachliche und nicht weiter bedachte oder vorbereitete Äußerung handelte.
e) Auch die Veröffentlichung des Artikels vom stellt keinen verhaltensbedingten Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landesarbeitsgericht zu Recht entscheidend darauf abgestellt, daß es sich bei dem Artikel um den einzigen von der Beklagten behaupteten Verstoß der Klägerin gegen ihre Tendenzwahrungspflicht handelt. Der Artikel gibt der Vergangenheit zugewandte politische Empfindungen wieder, die mit dem von der Beklagten vorgegebenen publizistischen Grundton nicht gut harmonieren. Dies geschieht allerdings nicht in der Form eigener Meinungsäußerung der Klägerin, sondern in erster Linie durch die Wiedergabe von Zitaten. Von einer schwerwiegenden, etwa bewußten Tendenzverletzung kann deshalb nicht die Rede sein. Außerdem läßt der Artikel in keiner Weise erkennen, daß die Urheberin des Artikels sich die Einschätzungen im Sinne hartnäckiger Einseitigkeit zu eigen gemacht hätte. Umstände, die eine Abmahnung entbehrlich oder aussichtslos erscheinen ließen, sind weder vom Landesarbeitsgericht festgestellt noch von der Beklagten behauptet worden.
f) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe die Wirksamkeit der Kündigung nicht unter dem Gesichtspunkt geprüft, daß die erhobenen Vorwürfe in ihrer Gesamtheit die Kündigung verhaltensbedingt rechtfertigen könnten.
aa) Richtig ist zwar, daß dem Urteil des Landesarbeitsgerichts eine solche einheitliche Würdigung der von der Beklagten geltend gemachten Kündigungsgründe unter dem Gesichtspunkt einer verhaltensbedingten Rechtfertigung der Kündigung nicht ausdrücklich zu entnehmen ist. Das war aber mit Rücksicht darauf, daß die Entscheidungsgründe nach § 313 Abs. 3 ZPO nur einer kurzen Zusammenfassung der Erwägungen bedürfen, hier nicht zwingend erforderlich. Denn das Arbeitsgericht hatte die Kündigung gerade auf Grund einer Gesamtwürdigung für wirksam erachtet. Indem das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abänderte und die Kündigungsvorwürfe je für sich behandelte und als unzureichend ansah, hat es hinreichend deutlich gemacht, daß es die Kündigung auch bei Gesamtwürdigung der erhobenen Vorwürfe für sozialwidrig hielt.
bb) Dem ist zu folgen. Die Kündigungsvorwürfe lassen auch in ihrer Gesamtheit kein Verhalten der Klägerin erkennen, das zu einer unbehebbaren Vertrauensstörung geführt hätte. Die Weigerung der Klägerin, sich zu etwaigen MfS-Kontakten zu offenbaren, enthielt bereits objektiv keine Pflichtverletzung, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht festgestellt hat. Daran kann sich auch dann nichts ändern, wenn man diesen Vorgang in einen Zusammenhang mit dem angeblichen Bruch der Vertraulichkeit und dem behaupteten Tendenzverstoß rückt. Diese beiden Vorgänge - sollten sie Pflichtverletzungen beinhalten - stehen untereinander in einem allenfalls sehr mittelbaren Zusammenhang. Der von der Beklagten behauptete Bruch der Vertraulichkeit geschah in einer Ausnahmesituation unter speziellen Umständen, deren Wiederkehr unwahrscheinlich ist. Der behauptete Tendenzverstoß lag zeitlich vor dem Gespräch vom und war ebenso ein einmaliger Vorgang.
3. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Kündigung sei auch nicht aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Anhaltspunkte für eine grundsätzliche grobe Unehrlichkeit oder stetige Unzuverlässigkeit der Klägerin sind in der Tat nicht erkennbar. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen.
II. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Auflösungsantrag der Beklagten zu Recht zurückgewiesen.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. An den Auflösungsantrag des Arbeitgebers sind strenge Anforderungen zu stellen ( - BAGE 16, 285; - 7 AZR 280/82 - BAGE 46, 42; - 2 AZR 440/99 - BAGE 95, 350).
2. Die von der Beklagten behauptete Äußerung der Klägerin, "daß die jetzt bei Gauck rumwühlen und etwas gegen mich finden wollen", ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, gewiß polemisch. Indes ist nicht festgestellt und hat die Beklagte auch nicht vorgetragen, wann genau, unter welchen Umständen und in welchem Zusammenhang die betreffenden - von der Klägerin bestrittenen - Äußerungen gefallen sein sollen. Die Beklagte hat lediglich ausgeführt, die Äußerung sei "Mitte November 1999" öffentlich in S gefallen. Für die zutreffende arbeitsrechtliche Bewertung einer Meinungsäußerung kommt es auf die näheren Umstände entscheidend an (st. Rspr. - AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 24 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 40). Da solche näheren Umstände nicht festgestellt sind - zulässige Verfahrensrügen hat die Beklagte nicht erhoben -, ist es jedenfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Äußerung habe noch im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen gelegen. Auch die Rüge der Revision, die behauptete Äußerung der Klägerin sei unwahr, kann keinen Erfolg haben. Schon das Landesarbeitsgericht hat darauf hingewiesen, daß die Beklagte in der Tat Kenntnisse auf Grund von Recherchen bei der "Gauck-Behörde" gewonnen hatte. Jedenfalls aus Sicht der Klägerin mag auch die im Vorwort zur Buchveröffentlichung der erwähnten Studie angesprochene Vermischung wissenschaftlicher und personalwirtschaftlicher Erkenntnisinteressen eine Rolle gespielt haben. Der Ausdruck "rumwühlen" läßt sich demnach als eine überspitzte, nicht aber als schlechthin unwahre Beschreibung dieser Umstände verstehen. Ohne Erfolg verweist die Revision auf das Prozeßverhalten der Klägerin. Zwar kann auch das Verhalten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozeß zur Stützung eines Antrags nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG herangezogen werden ( - aaO). Der von der Beklagten erhobene Vorwurf "durchgängiger Ignoranz" ist aber seinerseits polemisch und wird der Prozeßführung durch die Klägerin nicht gerecht. Die Beklagte stützt ihren Vorwurf im Kern darauf, daß die Klägerin an ihrer Auffassung im Bezug auf die verlangte "Offenbarung" festgehalten hat. Das geschah indes zu Recht. Der Vorwurf der Beklagten ist folglich unbegründet.
C. Die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels muß die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2003 S. 316 Nr. 6
DB 2003 S. 396 Nr. 7
LAAAB-93656
1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Ja