BAG Beschluss v. - 1 ABR 48/03

Leitsatz

[1] 1. Der Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG verlangt, dass bestimmte Tatsachen objektiv die Prognose rechtfertigen, der Bewerber oder Arbeitnehmer werde den Betriebsfrieden gerade dadurch stören, dass er sich gesetzwidrig verhalten oder gegen die in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Grundsätze verstoßen wird; eine mögliche Störung des Betriebsfriedens aus anderen Gründen genügt nicht.

2. Die Betriebsparteien können die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG einvernehmlich auch in der Weise verlängern, dass sie den Beginn der Frist hinausschieben.

Gesetze: BetrVG § 75 Abs. 1; BetrVG § 99 Abs. 1 Satz 1; BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 1; BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 5; BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 6; BetrVG § 99 Abs. 3 Satz 1; BetrVG § 100 Abs. 2; BetrVG § 100 Abs. 3; BetrVG § 104 Satz 1; BGB § 126; LuftVG § 29d Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; ArbGG § 81 Abs. 2 Satz 2; ArbGG § 83a Abs. 2 Satz 1

Instanzenzug: ArbG Bremen 5 BV 104/01 vom LAG Bremen 2 TaBV 9/02 vom

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Einstellung eines Mitarbeiters und die Notwendigkeit ihrer vorläufigen Durchführung.

Die antragstellende Arbeitgeberin ist für die Sicherheit des Luftverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich. Sie unterhält in Bremen eine Niederlassung mit mehr als zwanzig Arbeitnehmern. Für diese ist ein Betriebsrat gewählt.

Bei der Arbeitgeberin bestand im Jahr 2001 im Bereich der Fluglotsen eine erhebliche Personalunterdeckung. Im September 2001 beabsichtigte sie deshalb, ua. ihren ehemaligen Mitarbeiter M erneut als Fluglotsen einzustellen.

Herr M war zum nach mehr als 30-jähriger Betriebszugehörigkeit wegen einer Vertragspflichtverletzung einvernehmlich aus dem Betrieb ausgeschieden. Die Arbeitgeberin hatte im Jahr 2000 eine Veränderung ihrer Leitungsstrukturen geplant und dadurch unter den Betroffenen - den sog. Wachleitern, zu denen auch Herr M gehörte - erhebliche Unruhe ausgelöst. Sie hatte anschließend mitgeteilt, Personalentscheidungen seien noch nicht gefallen. Nachdem Herr M am - aus dienstlichem Anlass - das Büro eines Kollegen betreten hatte, hatte er dort Unterlagen erblickt, anhand derer er glaubte nachweisen zu können, dass bestimmte personelle Entscheidungen entgegen der Versicherung der Arbeitgeberin schon getroffen worden seien. Bei den Unterlagen hatte es sich ua. um persönlichen Schriftverkehr des Kollegen mit der Arbeitgeberin und um Unterlagen über ein Auswahlverfahren für eine bestimmte Leitungsstelle einschließlich der psychologischen Beurteilung von Mitarbeitern gehandelt. Herr M hatte diese Unterlagen mehrfach kopiert und sie Ende November 2000 anonym an die Privatanschriften aller Wachleiter versandt. Die Arbeitgeberin und die betroffenen Mitarbeiter hatten daraufhin Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. In einem an die Arbeitgeberin gerichteten Schreiben vom hatte Herr M die Verantwortung für den Vorfall übernommen. Das Schreiben lautete auszugsweise wie folgt:

"... Aus der Erfahrung der Vergangenheit entstand bei mir in Anbetracht der Unterlagen der Eindruck, daß damit der erhoffte Neuanfang nach dem Ausscheiden von ... und die Verantwortlichkeiten und die Entbindung der handelnden Personen in einem Klima des Vertrauens, der Offenheit und des Miteinanders zum Wohle des Betriebes B konterkariert werden.

Diese Einsicht zerstörte alle meine Hoffnungen und Bemühungen auf und für eine erfolgreiche Zukunft des Betriebs B. Niedergeschlagenheit und Verzweiflung waren die Folge. Aus dieser Verzweiflung heraus habe ich die Papiere an den bekannten Mitarbeiterkreis in Umlauf gebracht, nicht ohne auf den Datenschutz hinzuweisen.

Dieses, mein spontanes Verhalten sehe ich inzwischen als grundlegend falsch an und ist auch für mich nicht akzeptabel.

... Mögliche Folgen wurden von mir nicht bedacht.

Ich bin meinen Ansprüchen an mich - auch in meiner Funktion als Führungskraft - nicht gerecht geworden, sondern habe in einer emotional angespannten und aufgewühlten Situation persönlich versagt.

Ich bedaure zutiefst, dass es durch mein unbedachtes Vorgehen zu diesem Vorfall gekommen ist.

Ich entschuldige mich in aller Form für mein Fehlverhalten. ..."

Am war mit Herrn M eine Aufhebungsvereinbarung zum geschlossen und dieser bis dahin unter Fortzahlung seiner Bezüge freigestellt worden. Ab dem erhielt er ein monatliches Übergangsgeld.

Nachdem der Betriebsrat am der Absicht einer Wiedereinstellung von Herrn M insbesondere wegen einer von ihm befürchteten Störung des Betriebsfriedens widersprochen hatte, befürworteten mehrere Wachleiter dessen Neueinstellung. Am beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat erneut die Zustimmung zur Einstellung von Herrn M.

Mit Schreiben vom lehnte der Betriebsrat abermals ab; die Beteiligten hatten vereinbart, dass die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG jeweils erst mit dem Tag der nächsten, auf die Unterrichtung nach § 99 Abs. 1 BetrVG folgenden regulären Betriebsratssitzung beginnen solle - dies war der . Der Betriebsrat verwies erneut auf eine zu erwartende Störung des Betriebsfriedens. Er sah zudem den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, weil die Arbeitgeberin gegenüber einem Angehörigen einer anderen Berufsgruppe nach einem vergleichbaren Vorfall eine ähnliche Großzügigkeit nicht gezeigt hätte.

Am teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, sie beabsichtige, Herrn M wegen der Notwendigkeit einer sofortigen Stellenbesetzung vorläufig einzustellen. Mit Schreiben vom widersprach der Betriebsrat auch dem.

Mit einem am bei Gericht eingegangenen Schriftsatz leitete die Arbeitgeberin das vorliegende Verfahren ein. Sie hat die Ansicht vertreten, die Verweigerung der Zustimmung zur Einstellung von Herrn M sei nicht berechtigt. Der Vorfall vom rechtfertige keine Besorgnis einer künftigen Störung des Betriebsfriedens. Dies gelte insbesondere angesichts des Schreibens von Herrn M aus dem Februar 2001. Dessen sofortige Einstellung sei wegen der dünnen Personaldecke im Betrieb B aus sachlichen Gründen dringend erforderlich gewesen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

1. die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Einstellung des Arbeitnehmers N M ab als Flugverkehrslotse an der Niederlassung B zu ersetzen;

2. festzustellen, dass die vorläufige Einstellung des Arbeitnehmers N M ab als Flugverkehrslotse an der Niederlassung B aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist.

Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat vorgebracht, auf Grund der Schwere des Vorfalls vom bestehe die begründete Besorgnis, dass durch die Wiedereinstellung von Herrn M der Betriebsfrieden in B gestört werde. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Arbeitgeberin hoheitliche Aufgaben in dem sensiblen Bereich der Flugsicherung wahrnehme, weshalb strenge Maßstäbe an die Persönlichkeit der Mitarbeiter anzulegen seien. Es sei fraglich, ob Herr M zuverlässig iSv. § 29d Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LuftVG sei. Der Betriebsrat hat ferner gemeint, die Regelung des § 104 Satz 1 BetrVG werde entwertet, wenn nach einer Entlassung nunmehr im Rahmen des § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG andere Maßstäbe gelten sollten. Für eine vorläufige Einstellung von Herrn M gebe es keine dringenden Gründe. Die Arbeitgeberin habe ihren Personalbedarf auf andere Weise decken können.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen der Arbeitgeberin entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter, die Anträge der Arbeitgeberin abzuweisen. Im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Arbeitgeberin unwidersprochen vorgetragen, dass Herr M am aus dem Betrieb ausscheiden werde.

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Ersetzung seiner Zustimmung zur beabsichtigten Einstellung des Herrn M durch das Landesarbeitsgericht richtet. Ein gesetzlicher Grund, dieser Maßnahme die Zustimmung zu verweigern, besteht nicht. Der Feststellungsantrag der Arbeitgeberin ist gegenstandslos geworden; insoweit war das Verfahren einzustellen.

I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, soweit ihr Gegenstand der Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin ist. Dafür kommt es nicht darauf an, ob Herr M kurz nach der mündlichen Anhörung vor dem Senat tatsächlich aus dem Betrieb ausscheiden wird. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats stattgegeben. Dadurch ist dieser beschwert. Das ist ausreichend.

II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, soweit sie sich dagegen richtet, dass das Landesarbeitsgericht die Zustimmung zur Einstellung von Herrn M ersetzt hat.

1. Der Zustimmungsersetzungsantrag ist zulässig. Der Arbeitgeberin fehlt es nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Zwar muss dieses als allgemeine Prozessvoraussetzung auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch gegeben sein. Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zur Einstellung besteht aber so lange, wie der Arbeitgeber an seiner Einstellungsabsicht und der Betriebsrat an seiner Zustimmungsverweigerung festhalten. Hier wäre es folglich nur dann entfallen, wenn Herr M schon vor dem Zeitpunkt der Anhörung vor dem Senat aus dem Betrieb B ausgeschieden wäre. Das war nicht der Fall. Sein Ausscheiden steht frühestens zu Ende November 2004 zu erwarten. Bis dahin soll Herr M dem Betrieb angehören. Für die beabsichtigte Einstellung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kommt es nicht darauf an, ob er sich im Zeitpunkt der Anhörung vor dem Senat im Urlaub befindet und seine Arbeit vor seinem Ausscheiden möglicherweise nicht mehr aufnehmen wird.

2. Die Zustimmung des Betriebsrats gilt nicht deshalb nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt, weil dieser der Arbeitgeberin seine Verweigerung nicht fristgerecht mitgeteilt hätte. Zwar hat er sie mit seinem Schreiben vom erst nach Ablauf der am beginnenden gesetzlichen Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erklärt. Die Beteiligten haben die gesetzliche Frist jedoch einvernehmlich in der Weise modifiziert, dass sie nicht schon mit der Unterrichtung und Bitte um Zustimmung nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, sondern erst mit dem Tag der auf diese folgenden nächsten regulären Betriebsratssitzung beginnen solle. Die einvernehmliche Verlängerung der Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG durch die Betriebsparteien ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig ( - BAGE 50, 55, 59 ff., zu B II 2 b, c der Gründe; - 1 ABR 5/80 - BAGE 42, 386, 391 ff., zu B II 1 der Gründe; - 8 ABR 10/03 - ZTR 2004, 582, zu II 1 a aa, bb der Gründe; - 4 ABR 12/02 - ZTR 2003, 454, zu B II 1 der Gründe; - 8 ABR 33/02 -, zu II 2 a aa (1), (2) der Gründe; - 4 ABR 22/84 -, letzter Absatz der Entscheidungsgründe). Dies gilt auch für eine Verlängerung in Form des Hinaus- schiebens des Fristbeginns ( - aaO).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die dagegen in Teilen des Schrifttums und von einigen Landesarbeitsgerichten vorgebrachte Kritik überzeugt nicht. Gegen die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts wird eingewandt, die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sei für die Betriebsparteien nicht disponibel, weil sie als gesetzliche Ausschlussfrist nicht nur den Belangen des Arbeitgebers, sondern auch denen des Arbeitnehmers diene, der ein schutzwürdiges Interesse an alsbaldiger Klärung habe ( - LAGE BetrVG 1972 § 99 Nr. 52; - LAGE BetrVG 1972 § 99 Nr. 11; Richardi/Thüsing BetrVG 9. Aufl. § 99 Rn. 258; HSWG BetrVG § 99 Rn. 106 mwN). Demgegenüber hat der Senat bereits im Beschluss vom (- 1 ABR 5/80 - BAGE 42, 386) darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber den Fristbeginn auch ohne Absprache mit dem Betriebsrat steuern kann, indem er mit der erforderlichen - vollständigen - Unterrichtung nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG entsprechend lange zuwartet, dann freilich den Arbeitnehmer nicht einmal vorläufig einstellen darf. Eine Frist, deren Beginn der Arbeitgeber weitgehend beeinflussen kann, dient nur dessen eigenen Interessen. Unter dieser Voraussetzung wiederum ist es ihm nicht verwehrt, über den Beginn und/oder die Dauer der Frist Absprachen mit dem Betriebsrat zu treffen. Gesetzlich geschützte Belange der betroffenen Arbeitnehmer werden dadurch nicht berührt. Ihnen wird bei einer vorläufigen Einstellung durch die Informationspflicht des Arbeitgebers nach § 100 Abs. 1 Satz 2 BetrVG Rechnung getragen, die sich auch auf den Hinweis auf die vereinbarte Fristverlängerung erstreckt.

3. Die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats ist nicht aus formellen Gründen unbeachtlich. Das Widerspruchsschreiben vom enthält Gründe, die sich einzelnen Tatbeständen des Verweigerungskatalogs des § 99 Abs. 2 BetrVG unschwer zuordnen lassen.

Dem Betriebsrat war es unbenommen, auf Gründe im Verweigerungsschreiben vom Bezug zu nehmen. Er hat dadurch nicht gegen das Schriftlichkeitserfordernis in § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßen. Zur Wahrung der Schriftform nach § 126 BGB ist eine körperliche Verbindung zwischen Haupturkunde und Anlagen nicht erforderlich, soweit deren sachliche Zusammengehörigkeit zweifelsfrei feststeht ( - LM BGB § 566 Nr. 38, zu 3 a aa (1) der Gründe). Die Verweisung im Schreiben vom auf das Schreiben vom ist eindeutig und dieses war ebenfalls unterzeichnet. Damit ist der Schriftform genügt. Auf die Frage, inwieweit § 126 BGB auf die Verweigerungserklärung nach § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG überhaupt Anwendung findet (vgl. dazu - BAGE 101, 298, 302 ff., zu B IV 1 b der Gründe), kommt es nicht an.

4. Verweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG sind nicht gegeben.

a) Die beabsichtigte Einstellung von Herrn M verstößt nicht gegen ein Gesetz iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG.

Der Betriebsrat hat in der Einstellung eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots als Ausdruck der Grundsätze von Recht und Billigkeit iSd. § 75 Abs. 1 BetrVG gesehen. Nach seiner Behauptung hätte die Arbeitgeberin bei keiner der anderen der im Betrieb beschäftigten Berufsgruppen und in keinem anderen Betrieb die Wiedereinstellung eines Arbeitnehmers beabsichtigt, wenn dieser sich in der Vergangenheit etwas mit dem Verhalten von Herrn M Vergleichbares hätte zu Schulden kommen lassen. Damit hat der Betriebsrat einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht dargelegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gebietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln. Untersagt ist ihm sowohl eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe als auch eine sachfremde Gruppenbildung ( - BAGE 98, 1, 4, zu I 1 a der Gründe, mwN; - 6 AZR 144/01 - EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 88, zu B II 2 a der Gründe).

Im Streitfall fehlt es bereits an der Möglichkeit einer sinnvollen Bildung von Vergleichsgruppen. Es hat bislang keinen in seinen Geschehensabläufen mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Fall gegeben, an dem das beabsichtigte Verhalten der Arbeitgeberin gemessen werden könnte. Dementsprechend existiert auch keine durch die Arbeitgeberin praktizierte Regel, von der sie durch die beabsichtigte Einstellung von Herrn M abweichen würde. Außerdem wird durch diese Einstellung weder Herr M noch ein Angehöriger einer anderen Berufsgruppe oder eines anderen Betriebs schlechter gestellt als er ohne sie stünde. Herr M wird unter Zugrundelegung des Betriebsratsvorbringens allenfalls bevorzugt; darin liegt kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Die Einstellung von Herrn M verstößt auch nicht gegen das Luftverkehrsgesetz. Über die Zuverlässigkeit eines Fluglotsen iSd. § 29d Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LuftVG entscheidet die zuständige Luftfahrtbehörde durch Verwaltungsakt (Hofmann/ Grabherr LuftVG § 29d Rn. 6). An dessen Inhalt sind die Gerichte für Arbeitssachen grundsätzlich gebunden. Der Betriebsrat hat weder in seinen Verweigerungsschreiben noch im Laufe des Verfahrens behauptet, dass die Überprüfung der Zuverlässigkeit von Herrn M negativ ausgefallen wäre.

b) Auf den Verweigerungsgrund der unterbliebenen Stellenausschreibung nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG vermag sich der Betriebsrat nicht zu berufen. Zum einen hat er diesen, im Verweigerungsschreiben vom noch genannten Grund im Schreiben vom nicht weiter aufrechterhalten. Der Betriebsrat hat dort mit Blick auf die beabsichtigte Übertragung von Sonderaufgaben auf Herrn M nicht länger das Unterbleiben einer Ausschreibung gerügt, sondern lediglich seiner Vermutung Ausdruck gegeben, dass eine Ausschreibung "nur pro forma initiiert wurde". Zum anderen ist der Betriebsrat der schon erstinstanzlich vorgebrachten Behauptung der Arbeitgeberin, eine Ausschreibung habe in diesem Fall gar nicht erfolgen müssen, nicht substantiiert entgegengetreten. Feststellungen zu einer Ausschreibungspflicht hat auch das Landesarbeitsgericht nicht getroffen, ohne dass der Betriebsrat dies im Rechtsbeschwerdeverfahren gerügt hätte.

c) Die Voraussetzungen für einen Verweigerungsgrund nach § 99 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG wegen zu erwartender Störung des Betriebsfriedens liegen nicht vor. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Anschauung des Betriebsrats, sondern auf eine objektive Beurteilung an (Kraft GK-BetrVG § 99 Rn. 151; Fitting § 99 Rn. 208). Bei objektiver Betrachtung ist die vom Betriebsrat geäußerte Besorgnis nicht begründet.

aa) Der Verweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG verlangt, dass bestimmte, in der Vergangenheit liegende Tatsachen objektiv die Prognose rechtfertigen, der für die Maßnahme in Aussicht genommene Bewerber oder Arbeitnehmer werde künftig den Betriebsfrieden dadurch stören, dass er sich gesetzwidrig verhalten oder gegen die Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßen wird. Es ist nicht erforderlich, dass schon die tatsächlichen Grundlagen dieser Prognose in gesetzwidrigen oder die Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG verletzenden Handlungen bestehen. Nicht das vergangene tatsächliche, sondern das künftig zu besorgende Verhalten muss gesetzwidrig sein oder gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßen. Gründet allerdings die Prognose auf der Annahme, das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten des Arbeitnehmers oder Bewerbers werde sich nach Durchführung der personellen Maßnahme wiederholen, fallen beide Aspekte zusammen.

bb) Im Streitfall kommen als Tatsachen, die eine solche Prognose rechtfertigen sollen, nur die von Herrn M im Zusammenhang mit den Vorkommnissen vom an den Tag gelegten Verhaltensweisen in Betracht. Damit ist eine dreistufige Prüfung geboten. Zu prüfen ist, ob das damalige Verhalten von Herrn M gesetzwidrig war oder gegen die Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßen hat, ob - falls dies zu bejahen ist - derzeit die Annahme berechtigt ist, Herr M werde sich nach einer Einstellung erneut so verhalten wie im November 2000 und ob - wenn auch dies zu bejahen ist - durch ein solches Verhalten der Betriebsfrieden gestört würde.

(1) Herr M hat sich im November 2000 gesetzwidrig verhalten.

Allerdings hat er sich nicht strafbar gemacht. Es ist weder der Tatbestand des Diebstahls nach § 242 StGB noch der der Unterschlagung nach § 246 StGB erfüllt, ebenso wenig liegt ein Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB, eine Sachbeschädigung iSv. § 303 StGB, eine Verletzung des Briefgeheimnisses nach § 202 StGB oder eine Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB vor. Andere Straftatbestände kommen ohnehin nicht in Betracht.

Anhand der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob Herr M eine Ordnungswidrigkeit gem. § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG begangen hat. Zwar kann das unerlaubte Erheben von Daten schon im Lesen einer Urkunde als Datenträger liegen (Simitis ua. BDSG/Dammann § 3 Rn. 115) und kommen dafür als Täter auch Personen in Betracht, die nicht Normadressaten des BDSG sind (Gola/Schomerus BDSG § 43 Rn. 17). Es bedürfte jedoch weiterer Feststellungen dazu, ob die von Herrn M im Büro seines Kollegen erhobenen Daten einen Dateibezug aufgewiesen haben, wie er für die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG notwendig ist (Dammann aaO § 1 Rn. 142).

Ein Gesetzesverstoß im Verhalten von Herrn M liegt indessen darin, dass er mit der Weitergabe der psychologischen Beurteilungen von Mitarbeitern und Bewerbern an seine Wachleiter-Kollegen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen nach § 823 Abs. 1 BGB in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. dazu - BAGE 64, 308, 312, zu III der Gründe) verstoßen hat.

(2) Auch wenn damit in einer Wiederholung des von Herrn M gezeigten Verhaltens ein Gesetzesverstoß läge, ist doch die Prognose nicht begründet, nach seiner Einstellung werde es tatsächlich zu einer Wiederholung kommen. Die entsprechende negative Annahme des Landesarbeitsgerichts ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.

Gegen die Berechtigung der vom Betriebsrat angestellten Prognose spricht zum einen, dass das frühere Verhalten von Herrn M auf einer besonderen, künftig nicht mehr ohne weiteres zu erwartenden betrieblichen Situation beruhte. Es ging Herrn M im November 2000 nicht etwa darum, bestimmte personenbezogene Daten von Mitarbeitern Dritten bekannt zu machen, um den Betroffenen dadurch Nachteile zuzufügen. Er wollte mit dem Versenden der kopierten Unterlagen lediglich den Beweis dafür erbringen, dass die Arbeitgeberin - wie weithin vermutet - bestimmte Entscheidungen entgegen ihren offiziellen Verlautbarungen schon getroffen habe. Eine solche betriebliche Konstellation wird sich aller Voraussicht nach künftig nicht in gleicher Weise wieder ergeben.

Gegen die Begründetheit der Prognose spricht zum anderen, dass Herr M in seinem Entschuldigungsschreiben aus dem Februar 2001 eine nichts beschönigende Einsicht in das Unrecht seines Tuns gezeigt hat. Auch wenn - worauf der Betriebsrat mit Recht hinweist - aus den Erklärungen einer Person nicht zwingend auf ihre wirklichen inneren Einstellungen geschlossen werden kann, so gibt es doch im Streitfall keine objektiven Anhaltspunkte für die Annahme, Herr M habe sein Schreiben allein aus taktischen Erwägungen verfasst. Der Betriebsrat hat nicht etwa behauptet, Herr M habe seinerzeit ohnehin kurz vor der Entdeckung gestanden. Mit dem Schreiben vom Februar 2001 war deshalb in jedem Fall eine - immer noch "unnötige" - Selbstoffenbarung verbunden. Auch dadurch hat Herr M der Besorgnis, er werde sich künftig in einem wider Erwarten doch vergleichbaren Fall erneut so verhalten wie im November 2000, die Grundlage entzogen.

(3) Steht damit ein gesetzwidriges oder die Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG missachtendes Verhalten von Herrn M nach einer Einstellung nicht zu erwarten, kommt es auf die Wahrscheinlichkeit einer Störung des Betriebsfriedens nicht mehr an. Die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG ist nicht schon dann begründet, wenn die Einstellung eines Mitarbeiters auf Grund bestimmter Umstände voraussichtlich zu einer Störung des Betriebsfriedens führen wird. Erforderlich ist, dass eine zu erwartende Störung gerade durch gesetzwidriges oder gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßendes Verhalten hervorgerufen wird. Die Belegschaft eines Betriebs ist nicht vor jedem ihr missliebigen, den Betriebsfrieden störenden neuen Mitglied geschützt, sondern nur vor einem solchen, das voraussichtlich den Betriebsfrieden durch ein vom Gesetz ausdrücklich missbilligtes Verhalten stören wird.

5. Die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats entgegen seiner auf § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG gestützten Weigerung steht nicht im Widerspruch zu den rechtlichen Wertungen des § 104 Satz 1 BetrVG.

a) Nach dieser Vorschrift kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung eines Arbeitnehmers verlangen, wenn dieser durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Grundsätze den Betriebsfrieden "wiederholt ernstlich gestört" hat. Im Unterschied zu § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG verlangt § 104 Satz 1 BetrVG nicht nur die begründete Prognose einer künftigen Störung des Betriebsfriedens, sondern deren tatsächliches und zudem wiederholtes - also zumindest zweimaliges - Vorliegen in der Vergangenheit. Zudem genügt nicht schon die Störung, sondern nur die (wiederholte) "ernstliche" Störung des Betriebsfriedens. Die Einstellung eines potentiell störenden Mitarbeiters kann der Betriebsrat damit unter deutlich geringeren Voraussetzungen verhindern als sie für die Entlassung oder Versetzung eines schon eingestellten Mitarbeiters vonnöten sind.

In der Regel dürften damit hinsichtlich eines Arbeitnehmers, dessen Betriebszugehörigkeit nach Maßgabe von § 104 BetrVG beendet wurde, auf lange Zeit zugleich - und erst recht - die Voraussetzungen für einen Widerspruch des Betriebsrats gegen dessen beabsichtigte Neueinstellung nach § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG vorliegen.

Das vorliegende Verfahren zeigt freilich, dass dies - etwa wegen glaubwürdigen Sinneswandels des Betroffenen und des darauf beruhenden Fehlens einer Wiederholungsgefahr - nicht notwendig der Fall ist. Dann wiederum stellt sich die Frage, ob nicht durch eine Neueinstellung des aus dem Betrieb Entlassenen die Regelung des § 104 Satz 1 BetrVG um ihre Wirkung gebracht und umgangen würde. Das gäbe indessen nicht etwa Anlass für eine andere Auslegung und Anwendung von § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG, sondern für die Prüfung, ob wegen einer Umgehung und einer darin liegenden Verletzung des § 104 Satz 1 BetrVG ein Widerspruchsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG gegeben ist.

b) Im Streitfall lagen bereits die materiellrechtlichen Voraussetzungen des § 104 Satz 1 BetrVG für eine Entlassung von Herrn M nicht vor. Es fehlte zumindest an einer wiederholten ernstlichen Störung des Betriebsfriedens. Schon deshalb wird § 104 Satz 1 BetrVG durch eine gegen den auf § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG gestützten Widerspruch des Betriebsrats vorgenommene Neueinstellung von Herrn M nicht umgangen. Darauf, ob eine solche Umgehung nicht zudem voraussetzt, dass der Betriebsrat von seinem Recht nach § 104 Satz 1 BetrVG tatsächlich Gebrauch gemacht hat, kommt es nicht mehr an.

III. Wegen des der Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zu Grunde liegenden Feststellungsantrags der Arbeitgeberin war das Verfahren einzustellen.

1. Streitgegenstand eines Feststellungsantrags nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ist die betriebsverfassungsrechtliche Befugnis des Arbeitgebers, eine personelle Maßnahme solange vorläufig durchzuführen, bis über die Berechtigung zu ihrer dauerhaften Durchführung gerichtlich entschieden ist. Dieser Streit ist objektiv erledigt, sobald eine rechtskräftige Entscheidung über die Befugnis zur endgültigen Durchführung vorliegt.

Falls das Gericht die Zustimmung des Betriebsrats zu der betreffenden Maßnahme rechtskräftig ersetzt hat, steht damit fest, dass der Arbeitgeber die Maßnahme nicht mehr nur vorläufig, sondern dauerhaft durchführen darf. Auf die Frage, ob schon ihre vorläufige Vornahme gerechtfertigt war, kommt es nicht mehr an. Selbst wenn eine vorläufige Durchführung nicht aus sachlichen Gründen dringend geboten gewesen sein sollte, hat sich der Arbeitgeber nicht betriebsverfassungswidrig verhalten. Er durfte die Maßnahme bei Einhaltung des Verfahrens gem. § 100 Abs. 2 BetrVG bis zu einer gerichtlichen Entscheidung in jedem Fall aufrechterhalten ( - BAGE 60, 66, 67 ff., zu I der Gründe; - 1 ABR 65/82 - BAGE 46, 107, 128 f., zu B IV 4 der Gründe; Thüsing in Richardi BetrVG § 100 Rn. 36, 36a).

Falls das Gericht den Zustimmungsersetzungsantrag des Arbeitgebers rechtskräftig abgewiesen hat, steht gemäß § 100 Abs. 3 BetrVG zugleich fest, dass die Maßnahme selbst als vorläufige nach Ablauf von zwei Wochen nicht länger aufrechterhalten werden darf. Auch hierfür bedarf es keiner Bescheidung des Feststellungsantrags nach Abs. 2 Satz 3 der Vorschrift mehr ( - BAGE 60, 66, 70, zu II der Gründe; - 1 ABR 66/85 - BAGE 54, 147, 167, zu B IV 3 der Gründe; Thüsing in Richardi BetrVG § 100 Rn. 36).

2. Aus diesen Gründen hat der Senat angenommen, dass eine Entscheidung über den Feststellungsantrag des Arbeitgebers nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht mehr in Frage kommt, wenn rechtskräftig über den Zustimmungsersetzungsantrag entschieden worden ist. Die Ausgestaltung des Verfahrens nach § 100 Abs. 2 BetrVG zeigt, dass der Feststellungsantrag des Arbeitgebers von vornherein nur für die Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Zustimmungsersetzungsantrag zu stellen ist. Dementsprechend wird die Auslegung - wie hier - regelmäßig ergeben, dass er auf eine vorübergehende Regelung gerichtet und auf die Dauer des Verfahrens über den Zustimmungsersetzungsantrag befristet ist. Ist dieses durch eine rechtskräftige Entscheidung beendet, endet dann automatisch auch die Rechtshängigkeit des Feststellungsantrags ( - BAGE 60, 66, 70, zu II der Gründe).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch angesichts der gegen sie vorgebrachten Kritik (vgl. Fitting BetrVG § 100 Rn. 15 mwN; DKK-Kittner § 100 Rn. 36) fest. Er hat dies mit Beschluss vom (- 1 ABR 45/03 - zur Veröffentlichung vorgesehen <zVv.>, zu B II 3 der Gründe) im Einzelnen begründet und nimmt auf die dortigen Ausführungen Bezug.

3. Nach Wegfall der Rechtshängigkeit des Feststellungsantrags war das ihn betreffende Verfahren durch Beschluss einzustellen.

Nach § 81 Abs. 2 Satz 2, § 83a Abs. 2 Satz 1 ArbGG ist ein Beschlussverfahren einzustellen, wenn entweder der Antragsteller seinen Antrag in zulässiger Weise zurücknimmt oder die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklären. Die Vorschriften geben zu erkennen, dass ein Beschlussverfahren mit dem Ende der Rechtshängigkeit eines Antrags nicht von selbst sein Ende findet, sondern es dazu der förmlichen Einstellung durch das Gericht bedarf. Die Einstellung war in entsprechender Anwendung des § 81 Abs. 2 Satz 2, § 83a Abs. 2 Satz 1 BetrVG auch hier auszusprechen ( - zVv., zu B II 4 der Gründe; - 1 ABR 36/87 - BAGE 60, 66, 70 f., zu I der Gründe).

Fundstelle(n):
BB 2006 S. 1508 Nr. 27
DB 2005 S. 1469 Nr. 26
KAAAB-93344

1Für die Amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein