Verletzung des Rechts auf Gehör; Vorliegen einer Überraschungsentscheidung;
Gesetze: FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte u.a. durch den Betrieb von Videotheken Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Mit schriftlichem Vertrag vom erwarb der Kläger von seiner Mutter, der im Dezember 1998 verstorbenen Frau S, eine Videothek zum Kaufpreis von 120 000 DM zuzüglich 18 000 DM Umsatzsteuer. Die Zahlung sollte bei Vertragsabschluss auf das Konto der Frau S erfolgen. Der Übergang von Nutzen und Lasten war für den vereinbart. Frau S stellte mit Datum vom gegenüber dem Kläger eine Rechnung (nebst Zahlungsaufforderung) über den vereinbarten Kaufpreis aus.
Der Kläger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermittelte, behandelte den Netto-Kaufpreis in Höhe von 120 000 DM in seiner Gewinn- und Verlustrechnung als sofort abziehbaren Aufwand für geringwertige Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 2 EStG. Im Rahmen einer beim Kläger durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass die Zahlung des Kaufpreises für die Videothek in Höhe eines Teilbetrags von 80 000 DM zuzüglich 12 000 DM Umsatzsteuer nicht nachgewiesen sei und die Abschreibung von geringwertigen Wirtschaftsgütern aus dem Erwerb der Videothek nur in Höhe von 40 000 DM anzuerkennen sei, so dass der Gewinn um 80 000 DM erhöht werden müsse. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) folgte dem Ergebnis der Außenprüfung und erließ mit Datum vom einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid 1995. Mit dem Einspruch machte der Kläger geltend, der Kaufvertrag sei in der vereinbarten Form vollzogen und der Kaufpreis durch Aufrechnung mit Darlehensforderungen bezahlt worden. In der Einspruchsentscheidung vertrat das FA nunmehr die Auffassung, dass der Kaufvertrag über die Videothek in vollem Umfang nicht anzuerkennen sei, da dieser nicht einem Drittvergleich standhalte.
Mit der Klage machte der Kläger geltend, dass aufgrund der Darlehensverträge mit der Mutter feststehe, dass eine Verrechnungsmöglichkeit bestanden und die Mutter im Ergebnis nicht auf den Kaufpreis verzichtet bzw. er, der Kläger, diesen bezahlt habe. Im Streitfall liege in der Aktennotiz vom sogar eine ausdrückliche Aufrechnungserklärung i.S. von § 388 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vor.
Mit Änderungsbescheid vom korrigierte das FA die im Rahmen der Einspruchsentscheidung vorgenommene Gewinnerhöhung von 46 000 DM, indem es den Gewinn nicht mehr um die Umsatzsteuer in Höhe von 6 000 DM erhöhte.
Das Finanzgericht (FG) forderte den Kläger auf, das nach § 6 Abs. 2 EStG zu führende Verzeichnis für die in der Gewinn- und Verlustrechnung des Klägers in Höhe von 120 736 DM sofort abgeschriebenen geringwertigen Wirtschaftsgüter (Konto 6260) vorzulegen. Mit Schreiben vom legte der Kläger eine „Aufstellung der sofort abgeschriebenen geringwertigen Wirtschaftsgüter” sowie ein Verzeichnis der im Zeitraum September 1994 bis Dezember 1995 für die Videothek erworbenen Filme mit dem jeweiligen Bruttoeinkaufspreis vor.
Das FG wies die Klage ab; das FA habe den Betriebsausgabenabzug im Zusammenhang mit dem Erwerb der Videothek dem Grunde und der Höhe nach zu Recht versagt.
1. Der Kläger habe nicht zur Überzeugung des Senats nachweisen können, dass ihm Anschaffungskosten entstanden sind. Im Falle eines von Anfang an wirksamen Kaufpreisverzichts entstünden keine Anschaffungskosten (, BFH/NV 1991, 453).
a) Eine Überweisung auf das Konto der S, wie im Kaufvertrag vereinbart, habe unstreitig nicht stattgefunden. Auch eine Kaufpreiszahlung durch Aufrechnung mit einer Gegenforderung nach § 387 BGB habe der Kläger nicht glaubhaft dargelegt. Es fehle bereits an einer fälligen Gegenforderung des Klägers. Die vorgelegten Darlehensverträge vom und vom müssten —um steuerlich anerkannt zu werden— einem Fremdvergleich standhalten, da sie zwischen nahen Angehörigen abgeschlossen worden seien (, BFHE 163, 423, BStBl II 1991, 391). Dies setze u.a. voraus, dass eine Vereinbarung über die Laufzeit und über die Art und Zeit der Rückzahlung des Darlehens getroffen sei und die Zinsen zu den Fälligkeitszeitpunkten entrichtet würden. Das sei nicht der Fall.
b) Selbst wenn man vom Bestehen einer Gegenforderung des Klägers gegenüber seiner Mutter ausgehe, habe der Kläger die Kaufpreisforderung seiner Mutter nicht durch Aufrechnung erfüllt, denn es sei nicht ersichtlich, dass er die Aufrechnung seiner Mutter gegenüber erklärt habe (§ 388 BGB).
c) Ein Betriebsausgabenabzug sei auch nicht in Höhe eines etwaigen Teilwerts für vom Kläger von seiner Mutter übernommene und in seinen Betrieb eingelegte Wirtschaftsgüter (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG) vorzunehmen. Weder aus dem Kaufvertrag vom noch aus der Rechnung von Frau S vom ergebe sich, welche Wirtschaftsgüter im Einzelnen auf den Kläger übergegangen seien. Obwohl der Kläger dazu vom Gericht aufgefordert worden sei, habe er ein solches Verzeichnis nicht vorgelegt.
2. Zutreffend habe das FA im Änderungsbescheid vom die in der Einspruchsentscheidung vorgenommene Gewinnerhöhung in Höhe von 46 000 DM insoweit korrigiert, als es die darin enthaltene Umsatzsteuer von 6 000 DM wieder herausgerechnet habe, da diese sich in der Gewinnermittlung des Klägers nicht gewinnmindernd ausgewirkt habe. Im Rahmen der Betriebsprüfung sei —insoweit zutreffend— die Gewinnerhöhung nur in Höhe des Netto-Betrags von 80 000 DM vorgenommen und die darauf entfallende Umsatzsteuer von 12 000 DM gewinnneutral behandelt worden.
Mit der Beschwerde macht der Kläger geltend, dass das FG von einem ganz anderen Sachverhalt ausgegangen sei. Dazu habe er keine Stellung nehmen können; das verstoße gegen § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Gericht habe ihm, dem Kläger, keine Möglichkeit gegeben, zu den Urteilsgründen, die es zur Grundlage seines Urteils gemacht habe, Stellung zu nehmen.
1. Ihm, dem Kläger, sei keine Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Tatsache zu äußern, dass das Gericht davon ausgehe, dass 12 000 DM nicht gewinnerhöhend berücksichtigt worden seien und dass das Gericht auch davon ausgehe, dass ihm keine geringwertigen Wirtschaftsgüter in Höhe von 120 000 DM übertragen worden seien und dass er bereits aus diesem Grunde nicht berechtigt sei, die Abschreibung vorzunehmen. Hätte das FG darauf hingewiesen, hätte er den Nachweis erbracht, dass ihm tatsächlich Wirtschaftsgüter in der bezeichneten Höhe zugegangen seien.
Die Umsatzsteuer von 12 000 DM sei gewinnerhöhend erfasst worden. Auch aus der Einspruchsentscheidung folge, dass brutto 92 000 DM und nicht nur netto 80 000 DM erfasst worden seien. Auch hierzu habe er, der Kläger, nicht Stellung nehmen können.
2. Die Beteiligten hätten sich zu der Frage geäußert, ob der Kaufvertrag einem Drittvergleich standhalte. Die Tatsache, dass die Zahlung durch Verrechnung erfolgt sei, sei unschädlich. Die Übertragung und Fortführung der Videothek sei zu keinem Zeitpunkt beanstandet worden und zwischen den Beteiligten unstreitig.
3. Aus der Tatsache, dass seine Mutter die Umsatzsteuer von 18 000 DM abgeführt habe, ergebe sich eindeutig, dass sie den vereinbarten Kaufpreis gezahlt habe. Das FG sei offensichtlich von einem Scheinkaufvertrag i.S. des § 117 BGB ausgegangen; dafür bestünden nicht die geringsten Anhaltspunkte. Der Kaufvertrag sei vollzogen worden. Nachdem sowohl das FA als auch die Betriebsprüfung letztlich die Übertragung der geringwertigen Wirtschaftsgüter anerkannt hätten, habe er davon ausgehen dürfen, dass auch das Gericht dies anerkennen würde. Wenn das Gericht diesen Sachverhalt nicht mehr habe annehmen wollen, hätte es einen gesonderten Hinweis nach § 96 Abs. 2 FGO machen müssen, dass es von diesem Sachverhalt nicht mehr ausgehe, so dass er, der Kläger, den Sachverhalt hätte richtig stellen und die Übertragung der Wirtschaftsgüter nachweisen können.
4. Entsprechend der Aufforderung des Gerichts habe er eine Aufstellung über die von ihm sofort abgeschriebenen Wirtschaftsgüter vorgelegt. Diese Aufstellung habe die tatsächlich übergegangenen Wirtschaftsgüter enthalten. Dieser Punkt sei auch bereits im Rahmen der Betriebsprüfung erörtert worden. Warum sich das FG davon distanziert habe, sei nicht nachvollziehbar. In jedem Fall seien diese Feststellungen ohne Anhörung der Beteiligten erfolgt, so dass das FG gegen § 96 Abs. 2 FGO verstoßen habe.
Das Gericht habe hinsichtlich der Richtigkeit und Schlüssigkeit des vorgelegten Verzeichnisses keine Bedenken geäußert; es habe davon ausgehen können, dass das Gericht das vorgelegte Verzeichnis als Grundlage für die Teilwertabschreibung anerkennen würde. Wenn das Gericht einen Hinweis gegeben hätte, hätte er seinen Vortrag ergänzt.
Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Der Kläger habe ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, sich zur Erfassung der Umsatzsteuer zu äußern.
2. Das FG stütze seine Entscheidung darauf, dass ein nachweisbar durchgeführtes Erfüllungsgeschäft nicht vorliege. Diese Problematik sei ausführlich erörtert worden. Eine Versagung rechtlichen Gehörs liege nicht vor.
3. Ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör sei auch nicht deshalb gegeben, weil das FG eine Teilwertabschreibung mangels eines fortlaufend zu führenden Verzeichnisses bzw. entsprechender Angaben in der Buchführung verneint habe. Die in der Beschwerdebegründung angebotenen Beweise ersetzten nicht das Verzeichnis und führten zu keiner anderen Entscheidung in der Sache.
II. Die Beschwerde ist unbegründet; Verfahrensfehler liegen nicht vor.
Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann.
a) Verfahrensfehler in diesem Sinne sind Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 66/98, BFH/NV 1999, 1620, und vom XI B 204/04, BFH/NV 2006, 327; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 76), z.B. ein Verstoß gegen § 76 FGO (Verletzung der Sachaufklärungspflicht) oder gegen § 96 FGO (Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens; Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten; Verletzung des rechtlichen Gehörs, die Vorwegnahme der Beweiswürdigung oder die vermeintliche Bindung an nicht bestehende Beweisregeln).
b) Das FG hat nicht das rechtliche Gehör des Klägers verletzt und seine Entscheidung nur auf Tatsachen gestützt, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Die Pflicht des Gerichts zur Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) erfordert, entscheidungserhebliche Fakten und Unterlagen zur Kenntnis zu nehmen. Eine Verletzung des Rechts auf Gehör kann vorliegen, wenn ein bisher nicht erörterter Gesichtspunkt zur Grundlage der Entscheidung gemacht wird, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen, oder wenn dem Kläger die Möglichkeit zum Tatsachenvortrag abgeschnitten wird (, BFH/NV 2006, 318).
aa) Die Frage der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung des Kaufvertrags ist Gegenstand des Verfahrens gewesen. Auf Anregung des Gerichts hat das FA den angefochtenen Bescheid insoweit zugunsten des Klägers geändert, als es die in der Einspruchsentscheidung vorgenommene Gewinnerhöhung um 46 000 DM um die darin enthaltene Umsatzsteuer von 6 000 DM herabgesetzt hat. Diese Beurteilung ist zutreffend, da die Umsatzsteuer bisher gewinnneutral behandelt worden war und daher insoweit keine Veranlassung bestand, im Hinblick auf die steuerliche Nichtanerkennung des Kaufvertrags eine Gewinnerhöhung vorzunehmen. Vergleichbar war bereits die Betriebsprüfung verfahren.
bb) Ebenso hat das FG seine Entscheidung zur Nichtabziehbarkeit der aus dem Kaufvertrag sich ergebenden Anschaffungskosten nur auf Tatsachen gestützt, zu denen die Beteiligten sich hatten äußern können. Der Streit betraf von vornherein die Frage, ob der Kaufvertrag steuerlich anzuerkennen sei. Das FG hat dies mit der Begründung verneint, dass der Vertrag nicht vertragsgemäß vollzogen worden sei. Diese Beurteilung stützte es auf die vorliegenden Verträge und Erklärungen. Im Übrigen hätte das FG im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 EStG die Beantwortung dieser Fragen dahingestellt sein lassen können.
Da das FG einen entgeltlichen Erwerb verneinte, war es zu der Prüfung gezwungen, ob die Wirtschaftsgüter durch Einlage in das Betriebsvermögen des Klägers gelangt waren und ob er berechtigt war, die eingelegten Wirtschaftsgüter sofort abzusetzen. Diese Frage hat das FG verneint, weil es die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Sätze 4 und 5 EStG nicht als erfüllt ansah; die Frage, ob die Wirtschaftsgüter tatsächlich auf den Kläger übertragen worden waren, war daher in Bezug auf die Anwendung des § 6 Abs. 2 EStG ebenfalls unerheblich. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass das FG seiner Beurteilung Tatsachen zugrunde gelegt hat, zu denen die Beteiligten sich nicht hatten äußern können, zumal das FG den Kläger unter Bezugnahme auf § 6 Abs. 2 EStG zur Vorlage eines entsprechenden Verzeichnisses aufgefordert hatte. Das FG hat eingehend begründet, aus welchen Gründen es die von dem Kläger vorgelegte Liste nicht als ausreichend angesehen hat.
Dass das FG aus den vorhandenen Tatsachen andere Schlüsse als der Kläger gezogen hat, führt nicht zu einer Versagung des rechtlichen Gehörs. Auch war das FG nicht verpflichtet, das Ergebnis seiner nach Beratung gewonnenen Subsumtion des Sachverhalts dem Kläger vorab mitzuteilen. Die Erwartung des Klägers, dass das Gericht das vorgelegte Verzeichnis als ausreichend ansehen würde, ist nicht geschützt.
c) Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FG keine Überraschungsentscheidung getroffen. Überraschend ist eine Entscheidung, wenn sie auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt ist, mit dem auch ein Kundiger nach dem bisherigen Verfahren nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschlüsse vom XI B 135/04, BFH/NV 2006, 111, und in BFH/NV 2006, 318), wenn also das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten (vgl. z.B. , BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505, m.w.N., unter II. A. der Gründe). Das war nicht der Fall; das FG hat seine Entscheidung im Rahmen des durch die Beteiligten vorgezeichneten Streitprogramms (Sofortabsetzung der Kosten für die Anschaffung der Filme) getroffen. Dass das FG auch insoweit den Wertungen des Klägers nicht gefolgt ist, führt nicht zu einer Überraschungsentscheidung.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1857 Nr. 10
TAAAB-92625