Anordnung einer Betriebsprüfung; zum Prüfungsrahmen des § 102 Satz 1 FGO bei der gerichtlichen Überprüfung einer Ermessensentscheidung
Gesetze: AO § 193 Abs. 2 Nr. 2; FGO § 102
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war in den Jahren 1998 bis 2001 als Mitunternehmer an verschiedenen Gesellschaften der Firmengruppe X beteiligt; im Übrigen bezog er Einkünfte aus Kapitalvermögen bzw. aus Vermietung und Verpachtung (Immobilienfonds) und (steuerfreie) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In den Vorjahren waren auf Antrag des Klägers ausländische Verluste aus verschiedenen Staaten von der Bemessungsgrundlage abgezogen worden. Eine Außenprüfung für die Vorjahre (1994 bis 1997) war noch nicht abgeschlossen, als der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) unter dem eine Prüfungsanordnung gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2, § 194 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) betreffend Einkommensteuer (einschließlich Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs) 1998 bis 2001 erließ. Die Anordnung erfolge, weil die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse wegen der Art und des Umfangs der Einkünfte, der Sonderausgaben und sonstigen Abzugsbeträge der Aufklärung bedürften und eine Prüfung an Amtsstelle nicht zweckmäßig sei; die Außenprüfung habe auch bereits begonnen.
Gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung wurde Klage erhoben.
Die Klage blieb erfolglos ().
Der Kläger beantragt, die Revision gegen das Urteil des FG zuzulassen. Er macht geltend, die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH); darüber hinaus werden Verfahrensfehler gerügt.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die von dem Kläger vorgetragenen Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung notwendig ist. Das ist der Fall, wenn das Urteil des FG von Entscheidungen anderer Gerichte abweicht oder als willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint (s. z.B. , BFHE 209, 105, BStBl II 2005, 714, m.w.N.).
a) Entgegen der Ansicht des Klägers wird das angefochtene Urteil nicht durch einen Rechtssatz des Inhalts getragen, dass für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung i.S. des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 nicht der gesamte Sachverhalt berücksichtigt werden müsse, vielmehr eine selektive Betrachtung einzelner Aspekte ausreiche. Das FG ist ersichtlich davon ausgegangen, dass der in der Einspruchsentscheidung angeführte Betrag der als ungeklärt bezeichneten Entnahmen des Klägers und die Frage nach den daraus erzielten (Kapital-)Einkünften als Grundlage für die Ermessensentscheidung heranzuziehen ist. Sollte diese Grundlage —entsprechend dem klägerischen Vortrag— in unzutreffender Weise ermittelt worden sein (keine „ungeklärten Entnahmen” im Umfang einer offenkundigen Verwendung eines Großteils der Mittel außerhalb des Bereichs der Einkünfteerzielung), wäre dies nicht als abweichender Rechtssatz des FG aufzufassen. Es wird damit von dem Kläger vielmehr ein Rechtsfehler geltend gemacht, der —wenn er vorliegen sollte— die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.
b) Dem FG-Urteil liegt nicht der Rechtssatz zugrunde, dass eine Aufklärungsbedürftigkeit (§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) auch dann vorliege, wenn es —bei feststehendem Sachverhalt— nur um die Anwendung von Rechtsfragen gehe. Denn das FG hat im Anschluss an die Darstellung zur Reichweite des jeweiligen Feststellungsverfahrens ausgeführt, dass wegen der Vielzahl der Quellenstaaten der Rechtsanwendung eine umfangreiche Sachverhaltsermittlung vorausgehen müsse. Das FG ist damit (wie auch das FA in seiner Einspruchsentscheidung) von einem den Erlass der Prüfungsanordnung rechtfertigenden Sachaufklärungsbedürfnis ausgegangen.
c) Das FG hat nicht den Rechtssatz gebildet, dass eine einzelfallbezogene Angabe der Gründe bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der „Unzweckmäßigkeit der Prüfung an Amtsstelle” für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung entbehrlich sei. Das FG hat vielmehr die vom FA in seiner Einspruchsentscheidung angeführten einzelfallbezogenen Gründe („Art und Umfang des Sachverhalts"; „Möglichkeit des Rückgriffs auf Aufzeichnungen bei der Gesellschaft”) als im zu entscheidenden Streitfall ausreichend gewichtig angesehen.
d) Entgegen der Ansicht des Klägers hat das FG seiner Entscheidung nicht den Rechtssatz zugrunde gelegt, dass die gerichtliche Prüfung bei einer Entscheidung gemäß § 102 Satz 1 FGO nicht auf die von der Behörde angeführten Ermessenserwägungen beschränkt sei. Denn das FG hat seinem Urteil keine eigenständigen Ermessenserwägungen zugrunde gelegt. Das FG hat vielmehr zu 3.d) e) der Urteilsgründe die vom FA in der Einspruchsentscheidung angeführten Gesichtspunkte („Entnahmen"; „Auslandseinkünfte”) herangezogen und (wenn auch nach einer ausführlicheren Beschreibung) gewürdigt. Im Anschluss an diese Würdigung —mit der auch teilweise (zum Gegenstand der bindenden Feststellungen) von einer Rechtsansicht des FA abgewichen wurde— hat das FG alsdann, da es die beiden angeführten Gründe schon als ausreichend angesehen hat, die weiteren vom FA angeführten Gründe offen gelassen (3.f) der Urteilsgründe). Das FG hat damit den durch die Verwaltungsentscheidung in der Fassung der Einspruchsentscheidung vorgegebenen Prüfungsrahmen des § 102 Satz 1 FGO nicht überschritten.
2. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil zuzulassen, wenn das Urteil auf einem geltend gemachten und vorliegenden Verfahrensmangel beruhen kann. Die hierzu von dem Kläger gerügten Fehler weist das Urteil indessen nicht auf.
Eine Verbindung von Verfahren zu einheitlicher Verhandlung ist als „eine der tatsächlichen Vereinfachung dienliche vorübergehende Maßnahme” (, BFHE 140, 160, BStBl II 1984, 324) —im Streitfall mit Blick auf den gleichen Sachverhalt und die einheitliche Prozessvertretung— zulässig. Dass der Kläger durch diese Maßnahme in seiner Prozessführung gehindert worden wäre, ist nicht ersichtlich. Da in die Niederschrift der mündlichen Verhandlung (dem gerichtlichen Protokoll) die tatsächliche und rechtliche Erörterung der Streitsache mit den Beteiligten nicht aufzunehmen ist —§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) bezieht sich auf den „äußeren Hergang der Verhandlung"—, bestand die Gefahr einer Verletzung des Steuergeheimnisses bei einem auf die Sachumstände der einzelnen Kläger bezogenen Sachvortrag nicht. Bei einer auf die persönlichen Umstände eines einzelnen Klägers bezogenen Antragstellung als Gegenstand der Niederschrift (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) wäre das FG verpflichtet gewesen, den Beschluss über die Verbindung der Sachen zur einheitlichen Verhandlung wieder aufzuheben.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1851 Nr. 10
XAAAB-91831