Folgen der Erstattung von Sonderausgaben in einem späteren Veranlagungszeitraum
Bezug:
I. Erstattung aufgrund einer tatsächlichen Überzahlung
Ist im Jahr der Erstattung von Sonderausgaben ein Ausgleich mit gleichartigen Aufwendungen nicht oder nicht in vollem Umfang möglich, so ist der Sonderausgabenabzug des Jahres der Verausgabung insoweit um eine nachträgliche Erstattung zu mindern (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO; vgl. ESt-Kartei § 10 Fach 5 Karte 9). Diese Rechtsgrundsätze sind in allen noch offenen Fällen anzuwenden und beziehen sich auf alle Arten von Sonderausgaben. Gleichartige Aufwendungen in diesem Sinne sind die Sonderausgaben der jeweiligen Nummer im § 10 EStG, nicht aber der Kennzahl im Vordruck. Somit sind also zunächst z.B. Erstattungen zu Haftpflichtversicherungen auch mit Zahlungen für Krankenversicherungen des gleichen Veranlagungszeitraums zu verrechnen, bevor ein Übererstattungsbetrag mit entsprechenden Zahlungen eines Vorjahres zu verrechnen ist.
Übererstattungen ergeben sich insbesondere im Bereich der Kirchensteuer. In diesen Fällen ist zunächst mittels „I-Abfrage” zu ermitteln, für welche Jahre die Erstattung erfolgte und in welchen Jahren die nunmehr erstattete Kirchensteuer gezahlt wurde. Ein Aufgriff der Fälle erfolgt jedoch erst bei einem Erstattungsüberhang von mehr als 200 € (sog. Nichtaufgriffsgrenze, vgl. Mail-Vfg. vom – O 2252 A – 20 – St II 2. 09).
Kann der Erstattungsüberhang im Rahmen einer gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO durchgeführten Änderungsfestsetzung des Jahres der Verausgabung nicht vollständig berücksichtigt werden, weil das zu kürzende Kirchensteuervolumen geringer ist als der in Abzug zu bringende Erstattungsüberhang, ergibt sich der sog. Kaskadeneffekt.
Nach einem bundeseinheitlichen Beschluss der AO-Referatsleiter findet – abweichend von der Bezugsverfügung – auch in derartigen Fällen § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO Anwendung.
Bei der Veranlagung 2004 der Stpfl. beträgt die gezahlte KiSt 4.000 €. Die erstattete KiSt beträgt 6.000 €. Sie besteht ausschließlich aus KiSt für den VZ 2002, die auch in 2002 gezahlt wurde (insgesamt 9.000 €). Aufgrund einer Verrechnung mit einer in 2002 erfolgten KiSt-Erstattung aus 2001 i.H.v. 8.000 € wurden jedoch nur 1.000 € im VZ 2002 als Sonderausgaben berücksichtigt.
Im VZ 2004 mindert der Erstattungsbetrag von 6.000 € aus Praktikabilitätsgründen die dort gezahlte KiSt von 4.000 € auf 0 €. Der verbleibende Erstattungsüberhang von 2.000 € ist in das Jahr der Zahlung, also in den VZ 2002 zurückzutragen. Der Rücktrag dient der Berücksichtigung der endgültigen wirtschaftlichen Belastung und hat insoweit Vorrang vor einer im Rücktragsjahr 2002 aus Praktikabilitätsgründen erfolgten Verrechnung. Die im VZ 2002 gezahlte KiSt i.H.v. 9.000 € ist daher vorrangig um den aus dem VZ 2004 stammenden Rücktrag (2.000 €) und erst hiernach um die aus dem VZ 2001 stammende KiSt-Erstattung (8.000 €) bis auf max. 0 € zu verrechnen. Die Verrechnung führt dabei zu einem erstmaligen Erstattungsüberhang im VZ 2002 von 1.000 € nicht verrechenbarer KiSt-Erstattung aus dem VZ 2001.
Der Stpfl. ist somit in Bezug auf die im VZ 2001 gezahlte KiSt rückwirkend i.H.v. 1.000 € wirtschaftlich nicht belastet. Der Erstattungsüberhang ist daher in den VZ 2001 zurückzutragen (Kaskadeneffekt). Die Einkommensteuerbescheide für die VZ 2002 und 2001 sind nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit der Maßgabe zu ändern, dass die bisher als Sonderausgaben berücksichtigten Beträge jeweils um 1.000 € zu mindern sind. Wurde im VZ 2001 gezahlte KiSt bereits mit erstatteter KiSt aus einem Vorjahr verrechnet, ergibt sich hieraus ggf. ein weiterer Kaskadeneffekt.
Bei der Veranlagung 2004 des Stpfl. beträgt die im VZ 2004 gezahlte Kirchensteuer insgesamt 10.000 € und die erstattete Kirchensteuer insgesamt 30.000 € (22.500 € für 2003 und 7.500 € für 2002).
Für das Jahr 2003 wurden Kirchensteuervorauszahlungen i.H.v: 30.000 € geleistet.
Für das Jahr 2002 wurden Vorauszahlungen i.H.v. 10.000 € geleistet.
Im Jahr 2004 mindert der Erstattungsbetrag die dort gezahlte Kirchensteuer (10.000 €) bis auf 0 €. Der verbleibende Erstattungsüberhang von 20.000 € ist aus Vereinfachungsgründen zunächst in das jüngste Zahlungsjahr – hier VZ 2003 – zurückzutragen. Er mindert die im VZ 2003 gezahlte KiSt von 30.000 € auf 10.000 € und ist damit vollständig verbraucht, so dass ein weiterer Rücktrag in den VZ 2002 nicht in Betracht kommt. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids erfolgt nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Beantragt der Stpfl. bei Erstattungsüberhängen, die sich aus mehreren Jahren zusammensetzen, eine abweichende – weil für ihn günstigere – Form des Rücktrags, kann dies durch anteilige Aufteilung des Erstattungsüberhangs und Korrektur im jeweiligen Zahlungsjahr erreicht werden. Hierzu ist die Übererstattung den einzelnen Jahren zuzuordnen, auf die sie entfällt.
Zu Beispiel 2 ergibt sich folgende Lösung:
Die Übererstattung beträgt 2/3 ( 20.000 €/30.000 € ) der im Jahr 2004 erstatteten Kirchensteuer.
Demnach entfällt die Übererstattung
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auf das Jahr 2003 i.H.v.
2/3 von | 22.500 € = | 15.000 € |
auf das Jahr 2002 i.H.v.
2/3 von | 7.500 € = | 5.000 € |
Der Einkommensteuerbescheid 2003 ist, soweit er bereits bestandskräftig ist, nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern. Dabei ist der Betrag in der Kennzahl für die Kirchensteuererstattung um den Übererstattungsbetrag (15.000 €) zu erhöhen.
Entsprechend erfolgt die Änderung für den VZ 2002. Hier ist die Kennzahl für die Kirchensteuererstattung um den Übererstattungsbetrag (5.000 €) zu erhöhen.
Erstattungen in Euro, die auf einen Veranlagungszeitraum vor 2002 (DM-Jahr) entfallen, sind für Zwecke der Verrechnung mit dem amtlichen Kurs in DM umzurechnen (1 € = 1,95583 DM).
Bei den Änderungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO bitte ich, auf den besonderen Zinslauf des § 233a Abs. 2a AO zu achten. Das Jahr in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist, ist das Erstattungsjahr. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Erstattungsjahres, § 175 Abs. 1 Satz 2 AO.
II. Erstattung aufgrund rechtsgrundlos erfolgter Zahlungen
Die oben dargestellten Fälle der Erstattung aufgrund einer tatsächlichen Überzahlung der Kirchensteuerschuld (z.B. zu hoch festgesetzte Vorauszahlungen oder Kirchensteuer-Kappung) sind zu unterscheiden von rechtsgrundlos erfolgten Zahlungen, die der Steuerpflichtige geleistet hat, obwohl er kein Mitglied einer hebeberechtigten Kirche ist.
Der Steuerpflichtige A tritt mit Wirkung zum aus der Kirche aus. Sein Arbeitgeber behält Kirchensteuer für das gesamte Kalenderjahr 2002 i.H.v. 3.600 € ein.
Für die Zeit, in der keine Kirchenmitgliedschaft bestand (Februar bis Dezember 2002) erfolgten die Kirchensteuerzahlungen ohne Rechtsgrund. A war durch diese Zahlungen nicht endgültig wirtschaftlich belastet, weil ein Erstattungsanspruch bestand. Ist im Zeitpunkt der Zahlung bereits abzusehen oder kann abgesehen werden, dass der Steuerpflichtige nicht endgültig wirtschaftlich belastet ist, kann der Steuerpflichtige die Aufwendungen nicht als Sonderausgaben ansetzen.
Als gezahlte Kirchensteuer i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG können somit im Jahr 2002 nur Aufwendungen für die Dauer der Kirchenzugehörigkeit i.H.v. 1/12 von 3.600 € = 300 € (vgl. § 5 Abs. 3 Kirchensteuergesetz) berücksichtigt werden. Die sich bei der Veranlagung 2002 ergebende Kirchensteuererstattung führt nicht zu einer nachträglichen Korrektur des Sonderausgabenabzugs nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, soweit bereits die tatsächliche wirtschaftliche Belastung bei der Veranlagung berücksichtigt wurde.
Wurde die gezahlte Kirchensteuer als Sonderausgabe berücksichtigt, ist diese nachträglich zu kürzen, soweit sie in einem späteren Veranlagungszeitraum erstattet wird und im Jahr der Erstattung nicht mit gezahlter Kirchensteuer verrechnet werden kann. Eine Korrektur des Einkommensteuerbescheides nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfolgt auch, wenn die Erstattung wegen Kirchenaustritts voraussehbar war, da der Erstattungsüberhang regelmäßig erst nach Ablauf des Erstattungsjahres endgültig feststeht (, rkr., DStRE 2006 S. 144).
OFD Frankfurt am Main v. - S 2221 A - 8 - St 218
Fundstelle(n):
EAAAB-91081