BFH Urteil v. - VI R 11/03 BStBl 2006 II S. 668

Steuerabzug bei unechten Lohnzahlungen eines Dritten

Leitsatz

Verpflichtet sich die Muttergesellschaft gegenüber Arbeitnehmern einer Tochtergesellschaft zur Gewährung von Aktienoptionen und sonstigen Vorteilen, handelt sie in Erfüllung dieser Verpflichtung nicht als bloße Leistungsmittlerin.

Gesetze: EStG § 38 Abs. 1 Satz 1EStG a.F. § 38 Abs. 1 Satz 2

Instanzenzug: (EFG 2003, 571) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Streitig ist die Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine zum X-Konzern gehörende Gesellschaft ausländischen Rechts, die in Deutschland eine Betriebsstätte unterhält und zur Durchführung ihrer Aufgaben (Beratung und Dienstleistungen für andere X-Gesellschaften) für befristete Zeit von ausländischen X-Gesellschaften in das Inland entsandte Arbeitnehmer (sog. Foreign Service Employees —FSE—) beschäftigte. Muttergesellschaft der Klägerin ist die Y. Die ursprünglichen Arbeitsverträge der entsandten Mitarbeiter mit der jeweiligen ausländischen X-Gesellschaft wurden für die Zeit der Entsendung nicht aufgehoben.

Y räumte den FSE Optionen auf den Bezug von Aktien oder entsprechender Aktienwertsteigerungsrechte ein. Darüber hinaus gewährte Y den ausländischen Mitarbeitern —auch während ihrer Tätigkeit für die Klägerin— Zuschüsse zu einem Spar- und Aktienkaufplan (SSIP). Dabei handelt es sich um eine Art Vermögensbildungsplan für Zwecke der betrieblichen Altersversorgung, an dem sich die ausländischen Mitarbeiter aufgrund eigener Entscheidung beteiligen konnten. Die Mitarbeiter konnten bis zu 10 v.H. ihres Jahresgrundgehalts zulagebegünstigt sparen. Sie erhielten auf ihre monatlichen Einzahlungen von der Y einen Zuschuss in Höhe von 60 v.H.

Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der Klägerin vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Auffassung, die Klägerin habe die im Zeitpunkt der Ausübung der Optionsrechte zufließenden geldwerten Vorteile und die Zuschüsse von Y zu den Einzahlungen zum SSIP zu Unrecht nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Das FA nahm die Klägerin im Schätzungswege in Haftung.

Durch die Einspruchsentscheidung setzte das FA die Lohnsteuer-Haftungsbeträge auf ... DM fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 571 abgedruckt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Die Verpflichtung für die Klägerin zum Lohnsteuereinbehalt ergebe sich sowohl aus § 38 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als auch aus § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin nicht zur Einbehaltung der Lohnsteuer verpflichtet war.

a) Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) kann derjenige, der kraft Gesetzes für eine fremde Steuer haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Im Rahmen des Lohnsteuer-Abzugsverfahrens haftet der Arbeitgeber gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG dafür, dass die von seinen Arbeitnehmern geschuldete Lohnsteuer einbehalten und an das FA abgeführt wird (§ 38 Abs. 3 EStG). Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die Lohnsteuer durch Abzug vom Arbeitslohn zu erheben, sofern dieser vom Arbeitgeber gezahlt wird. Arbeitslohn, der nicht vom Arbeitgeber gezahlt wird, unterliegt nur dann dem Lohnsteuerabzug, wenn er im Rahmen des Dienstverhältnisses üblicherweise von einem Dritten für eine Arbeitsleistung gezahlt wird (§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung —EStG a.F.—). Beide Alternativen sind im Streitfall nicht gegeben. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob, wie vom FG angenommen, die Klägerin als aufnehmendes Unternehmen Arbeitgeberin der entsandten Arbeitnehmer war (zur Frage der Arbeitgebereigenschaft bei einer Konzerngesellschaft vgl. , BFHE 205, 216, BStBl II 2004, 620; zum abkommensrechtlichen Arbeitgeberbegriff vgl. , BFHE 209, 241, BStBl II 2005, 547).

b) Die strittigen Zuwendungen sind nicht entsprechend § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG von der Klägerin, sondern von der Muttergesellschaft, der Y, geleistet worden. Es handelt sich entgegen der Auffassung des FA insoweit nicht um unechte Lohnzahlungen eines Dritten.

Eine sog. unechte Lohnzahlung eines Dritten ist dann anzunehmen, wenn der Dritte lediglich als Leistungsmittler fungiert. Der Arbeitgeber muss den von einem Dritten in Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis geleisteten Arbeitslohn selbst der Lohnsteuer unterwerfen, wenn der Dritte in die Zahlung als Leistungsmittler des Arbeitgebers eingeschaltet ist. Der den Dritten als Leistungsmittler einsetzende Arbeitgeber bleibt der den Arbeitslohn Zahlende. Der Dritte ist bloßer Leistungsmittler, wenn er nur die Stellung einer Kasse des Arbeitgebers hat oder im Auftrag des Arbeitgebers handelt (, BFHE 195, 376, BStBl II 2002, 230; vom VI R 74/00, BFHE 201, 300, BStBl II 2003, 496).

Im Streitfall kann dahinstehen, ob im Hinblick auf die eigenen rechtlichen Beziehungen zwischen den FSE und Y die Zuwendungen aus Sicht von Y im Zusammenhang mit einem Dienstverhältnis zur Klägerin standen und sich für die Arbeitnehmer überhaupt als Frucht ihrer Arbeit für die Klägerin darstellten (vgl. dazu , BFHE 195, 102, BStBl II 2001, 509). Denn Y hatte nicht die Stellung einer Leistungsmittlerin. Diese kam vielmehr mit den Zuwendungen jeweils einer eigenen rechtlichen Verpflichtung gegenüber den FSE nach. Der Anspruch der Arbeitnehmer auf Gewährung von Aktienoptionen bzw. auf Zuschüsse zu dem SSIP richtete sich nicht gegen die Klägerin, sondern ausschließlich gegen Y (vgl. , BFH/NV 2001, 1557). Schließt der Arbeitnehmer eine Vereinbarung über die Gewährung von Aktienoptionen oder sonstigen geldwerten Vorteilen nicht mit seinem Arbeitgeber, sondern mit einem anderen Konzernunternehmen ab, so können Ansprüche aus dieser Vereinbarung nur gegenüber dem vertragsschließenden Konzernunternehmen geltend gemacht werden und werden nicht Bestandteil des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber. Dies hat zur Folge, dass die Leistungen, die das andere Konzernunternehmen —hier: Y— erbringt, ausschließlich diesem zuzurechnen sind. Es handelt weder als Kasse noch als Beauftragter des Arbeitgebers.

c) Die Klägerin war auch nicht unter den Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. zur Einbehaltung der Lohnsteuer verpflichtet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH unterliegen Drittlöhne nach dieser Vorschrift dem Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber u.a. nur dann, wenn dieser in den Vorgang der Vorteilsgewährung eingeschaltet war oder die Arbeitnehmer ihn über die Vorteile unterrichtet haben (BFH-Urteile in BFHE 195, 376, BStBl II 2002, 230; in BFHE 201, 300, BStBl II 2003, 496; vom I R 119/98, BFHE 195, 110, BStBl II 2001, 512; vom VI R 23/94, BFHE 184, 474, BStBl II 1999, 323; Portner, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2001, 1331; Schmidt/Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 38 Rz. 10). Das war hier nach den den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) Feststellungen des FG nicht der Fall. Im Übrigen teilt der Senat die Auffassung der Klägerin, dass es sich bei den streitigen Zuwendungen nicht um „üblicherweise” von einem Dritten für ein Arbeitsverhältnis gezahlten Arbeitslohn handelt (§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F.; vgl. dazu Senatsentscheidung in BFH/NV 2001, 1557; Thomas, Deutsche Steuer-Zeitung 1999, 710, 714).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 668
BB 2006 S. 1615 Nr. 30
BB 2006 S. 1667 Nr. 31
BFH/NV 2006 S. 1556 Nr. 8
BStBl II 2006 S. 668 Nr. 15
DB 2006 S. 1594 Nr. 30
DStR 2006 S. 1266 Nr. 29
DStRE 2006 S. 955 Nr. 15
DStZ 2006 S. 535 Nr. 16
EStB 2006 S. 281 Nr. 8
FR 2006 S. 836 Nr. 18
HFR 2006 S. 883 Nr. 9
INF 2006 S. 606 Nr. 16
KÖSDI 2006 S. 15191 Nr. 8
NJW 2006 S. 3167 Nr. 43
NWB-Eilnachricht Nr. 41/2007 S. 3629
SJ 2006 S. 7 Nr. 19
StB 2006 S. 322 Nr. 9
StBW 2006 S. 5 Nr. 15
StuB-Bilanzreport Nr. 15/2006 S. 602
WPg 2006 S. 1288 Nr. 20
KAAAB-89784