BFH Urteil v. - IV R 32/04

Wahl der Gewinnermittlungsart durch Freiberufler im Jahr der Praxiseröffnung

Leitsatz

Ein nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger hat sein Wahlrecht auf Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich erst dann wirksam ausgeübt, wenn er - zeitnah - eine Eröffnungsbilanz aufstellt, eine ordnungsmäßige kaufmännische Buchführung einrichtet und aufgrund von Bestandsaufnahmen einen Abschluss macht. Auf die zeitnahe Aufstellung einer Eröffnungsbilanz kann nicht deshalb verzichtet werden, weil die Aktiva und Passiva mit 0 DM zu bewerten wären. Ein Freiberufler übt im Jahr der Praxiseröffnung sein Wahlrecht auf Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung aus, wenn er nach Form und ausdrücklicher Bezeichnung eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG einreicht und eine zeitnah aufgestellte Eröffnungsbilanz fehlt. Das gilt auch dann, wenn er eine EDV-Buchführung verwendet, die eine Gewinnermittlung sowohl durch Einnahmenüberschussrechnung als auch durch Betriebsvermögensvergleich ermöglicht, lediglich die versehentliche Verwechslung einer Kennziffer zum Ausdruck der Einnahmenüberschussrechnung geführt hat und diese bei den Betriebseinnahmen und -ausgaben auch einen Materialbestand sowie sonstige Forderungen und Verbindlichkeiten berücksichtigte.

Gesetze: EStG § 4 Abs. 1, 3

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) die Gewinnermittlungsart gewechselt hatte, so dass der nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte Gewinn des Streitjahres (2000) um einen Korrekturposten zu mindern war, und ob —als Voraussetzung dafür— der Gewinn im Vorjahr nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt worden war.

Der Kläger ist nach dem entgeltlichen Erwerb einer Praxis seit dem als Arzt selbständig tätig. Für das Jahr 1999 reichte er eine Gewinnermittlung mit der Überschrift „Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG vom bis ” ein. Sie schließt mit einem Gewinn von 26 534,03 DM ab. Vorgelegt wurden weder eine Eröffnungs- noch eine (förmliche) Endbilanz. Beigefügt war u.a. ein „Kontennachweis zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG vom bis ”, der die Bestandskonten einschließlich der Privatkonten zum enthält. Aufgeführt sind u.a.:


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"SONST. FORDERUNGEN OHNE KONTOKORRENT
... DM"
"SONST. VERBINDLICHKEITEN O. KONTOKOR.
... DM"
"MATERIALBESTAND
... DM"

Diese Beträge sind in den erklärten Betriebseinnahmen enthalten. Die in Staffelform aufgeführte Kontenübersicht weist einen Saldo aus, der mit dem in der Gewinnermittlung errechneten Gewinn übereinstimmt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte zunächst der Erklärung.

Für das Streitjahr (2000) reichte der Kläger eine Gewinnermittlung ein, die einen Gewinn in Höhe von 276 648,83 DM auswies.

In der Steuererklärung beantragte er, von dem ermittelten Gewinn einen Korrektivposten in Höhe von 81 285,42 DM abzuziehen, weil er zum von der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG zur Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG übergegangen sei. Gleichzeitig reichte er eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG auf den nach, in der der Gewinn —wie in der ursprünglich vorgelegten Gewinnermittlung— mit 26 534,03 DM ausgewiesen wurde.

Daraufhin änderte das FA den Gewinnfeststellungsbescheid 1999, indem es den erklärten Gewinn um 81 285 DM —den vom Kläger für das Streitjahr (2000) beantragten Korrektivposten— minderte.

Für das Streitjahr folgte das FA dem Kläger nicht und berücksichtigte den geltend gemachten Korrektivposten nicht.

Im Einspruchsverfahren machte der Kläger erfolglos geltend, das Ergebnis des Jahres 1999 sei nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt worden. Lediglich Form und Bezeichnung seien infolge eines Versehens verwechselt worden. Tatsächlich seien jedoch Forderungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen erfasst sowie Bestände im Vorratsvermögen aktiviert worden. Der Ausweis der Bilanzposten sei in Staffelform erfolgt. Das ändere aber den Inhalt des Abschlusses nicht.

Während des Klageverfahrens stellte sich heraus, dass die Kassenärztliche Vereinigung im Jahr 2000 weitere Zahlungen für das Jahr 1999 in Höhe von ... DM geleistet hatte. Nach Ansicht des Klägers war dieser Betrag zusätzlich im Rahmen der Gewinnermittlung für das Jahr 1999 zu berücksichtigen und der Korrekturposten (Übergangsverlust) für das Jahr 2000 entsprechend zu erhöhen.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, der Kläger habe den Gewinn 1999 mangels Eröffnungsbilanz und formeller Schlussbilanz nicht durch Bestandsvergleich ermittelt, so dass ein Wechsel der Gewinnermittlungsart und die Notwendigkeit von Gewinnkorrekturen nicht in Betracht komme. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1748 veröffentlicht.

Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des Klägers. Für das Streitjahr sei ein Übergangsverlust zu berücksichtigen, weil der Gewinn für das Jahr 1999 zulässigerweise durch Bestandsvergleich ermittelt worden sei. § 4 Abs. 1 EStG verlange nach seinem eindeutigen Wortlaut die Ermittlung von vier Beträgen und deren Saldierung:


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Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres
./. Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres
+   Wert der Entnahmen
./. Wert der Einlagen
=   Gewinn i.S. von § 4 Abs. 1 EStG.

Diese Beträge ergäben sich aus der eingereichten Gewinnermittlung.

Der Gesetzeswortlaut enthalte keine Einschränkung dahin gehend, dass § 4 Abs. 1 EStG nur anwendbar wäre, wenn die vier Beträge mit bestimmten Methoden ermittelt würden. Dementsprechend sei für diese Gewinnermittlungsart eine ordnungsmäßige Buchführung nicht erforderlich. Sogar wenn weder eine Buchführung noch eine Eröffnungsbilanz vorlägen, sei der Gewinn —notfalls ergänzt um angemessene Schätzungen— durch oder zumindest im Sinne eines Bestandsvergleichs zu ermitteln.

Unerheblich sei, dass er, der Kläger, zunächst aufgrund eines mechanischen Versehens die materiell nach § 4 Abs. 1 EStG aufgestellte Gewinnermittlung als Überschussrechnung bezeichnet habe, weil er sich für das Jahr 1999 für eine Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich und nicht durch Überschussermittlung entschieden habe.

Die Ansicht des FG stehe im Übrigen in einem eklatanten Widerspruch zur Behandlung des gewerblichen Grundstückshandels, bei dem selbst dann der Gewinn durch Bestandsvergleich ermittelt werde, wenn der Steuerpflichtige keine bewusste Wahl für diese Gewinnermittlungsmethode getroffen und tatsächlich Überschussrechnungen gefertigt habe.

Der Kläger beantragt, das aufzuheben und den Bescheid über die einheitliche und gesonderte (richtig: nur „gesonderte”) Feststellung von Einkünften für das Jahr 2000 vom dahin gehend zu ändern, dass die Einkünfte aus selbständiger Arbeit unter Berücksichtigung eines Übergangsverlustes von ... DM auf ... DM festgestellt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist nicht begründet und daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Ein Korrekturposten war im Streitjahr nicht zu berücksichtigen, weil der Kläger die Gewinnermittlungsart nicht gewechselt hatte.

1. Der Kläger hat seinen Gewinn im Streitjahr unstreitig durch Berechnung des Überschusses der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt.

2. Auch den Gewinn des Vorjahres hat der Kläger —wie das FG zutreffend entschieden hat— durch Berechnung des Überschusses der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermittelt. Zu einem Wechsel der Gewinnermittlungsart ist es daher —entgegen der Auffassung des Klägers— nicht gekommen.

a) Der Kläger hatte als Angehöriger eines freien Berufs im Vorjahr ein Wahlrecht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG, den Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG oder durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Denn er hat in diesem Jahr seine Praxis eröffnet.

aa) Ein nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger hat sein Wahlrecht auf Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich erst dann wirksam ausgeübt, wenn er eine Eröffnungsbilanz aufstellt, eine ordnungsmäßige kaufmännische Buchführung einrichtet und aufgrund von Bestandsaufnahmen einen Abschluss macht (, BFH/NV 2006, 407, und vom IV R 18/00, BFHE 193, 436, BStBl II 2001, 102; vom IV R 45/73, BFHE 125, 45, BStBl II 1978, 431; , BFH/NV 2006, 276). Maßgeblich ist die tatsächliche Handhabung der Gewinnermittlung (BFH-Urteil in BFHE 193, 436, BStBl II 2001, 102, Nr. 2 a). Die Wahl kann nachträglich nicht mehr geändert werden; auf die Kenntnis der steuerlichen Folgen kommt es nicht an (, BFH/NV 1986, 158).

bb) Soll das Wahlrecht für eine Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich ausgeübt werden, muss zeitnah eine Eröffnungsbilanz aufgestellt werden, weil die fehlerausgleichende Zweischneidigkeit der Bilanz noch nicht gegeben ist. Deshalb müssen die zugrunde liegenden Positionen dem Grunde und der Höhe nach zeitnah aufgenommen und erfasst werden (BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 407).

b) Das FG hat danach zutreffend entschieden, dass der Kläger sein Wahlrecht im Jahr der Praxiseröffnung für eine Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung ausgeübt hat. Denn es handelt sich bei der eingereichten Gewinnermittlung nach Form und ausdrücklicher Bezeichnung um eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG; eine zeitnah aufgestellte Eröffnungsbilanz fehlt.

c) Die dagegen gerichteten Einwände des Klägers greifen nicht durch.

aa) Der Kläger hat sein Wahlrecht nicht deshalb im Sinne eines Betriebsvermögensvergleichs ausgeübt, weil er nach eigenen Angaben eine EDV-Buchführung verwendete, die —abhängig von der eingegebenen Kennzahl— eine Gewinnermittlung sowohl durch Einnahmenüberschussrechnung als auch durch Betriebsvermögensvergleich ermöglicht. Denn eine derartige Buchführung ist hinsichtlich der Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts neutral. Es kommt daher auf die tatsächlich eingereichte Gewinnermittlung und die —im Streitfall fehlende— zeitnah aufgestellte Eröffnungsbilanz an.

bb) Zu Recht hat das FG darüber hinaus entschieden, dass eine Eröffnungsbilanz auch nicht deshalb entbehrlich war, weil Aktiva und Passiva nach Ansicht des Klägers mit 0 DM zu bewerten gewesen wären. Wie der Senat mit Urteil vom IV R 20/83 (BFH/NV 1985, 51) entschieden hat, rechtfertigt die Begründung, es seien weder Vermögens- noch Schuldposten auszuweisen, den Verzicht auf eine Eröffnungsbilanz nicht. Hinzu kommt im Streitfall, dass der Kläger die Praxis von einem Vorgänger erworben hat, so dass eine Bewertung der Aktiva und Passiva mit 0 DM bei Aufnahme seines Geschäftsbetriebs nicht in Betracht kam (vgl. Senats-Urteil in BFH/NV 1985, 51).

cc) Unerheblich ist weiter, dass nach Angaben des Klägers lediglich die versehentliche Verwechselung einer Kennziffer zum Ausdruck einer Einnahmenüberschussrechnung geführt hat, obwohl der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt werden sollte. Denn das ändert nichts daran, dass der Kläger tatsächlich nach Form und ausdrücklicher Bezeichnung eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG eingereicht hat und dass eine zeitnah aufgestellte Eröffnungsbilanz fehlt.

dd) Unmaßgeblich ist darüber hinaus, dass die eingereichte Gewinnermittlung bei den Betriebseinnahmen und -ausgaben auch einen Materialbestand sowie sonstige Forderungen und Verbindlichkeiten berücksichtigte. Zwar sind diese Beträge in einer Einnahmenüberschussrechnung nicht anzusetzen. Für die Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts kommt es jedoch auf die Form der Gewinnermittlung an; die unzutreffende Erfassung einzelner Positionen ändert daran nichts. Im Übrigen hat der Kläger auch nicht alle bei einer Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich zu berücksichtigenden Forderungen angesetzt, wie sich aus dem während des Klageverfahrens geänderten Antrag ergibt.

ee) Die beigefügte Kontenübersicht, aus der sich die für eine Bilanzierung erforderlichen Zahlen entnehmen ließen, rechtfertigt ebenfalls keine andere Beurteilung. Denn es handelte sich dabei —wie das FG zutreffend entschieden hat— nicht um eine formelle Schlussbilanz. Davon unabhängig fehlt es vor allem auch insoweit wiederum an einer zeitnah aufgestellten Eröffnungsbilanz.

ff) Schließlich lässt sich auch die Rechtsprechung zur Gewinnermittlungsart bei gewerblichem Grundstückshandel (, BFHE 132, 228, BStBl II 1981, 301; vom VIII R 40/94, BFH/NV 1997, 403, und vom VIII R 49/97, BFH/NV 1999, 1195) auf den Streitfall nicht übertragen. Denn anders als in den dort entschiedenen Fällen hat der Kläger vorliegend bewusst den Gewinn aus der von ihm eröffneten freiberuflichen Praxis ermittelt, während die Steuerpflichtigen in den genannten Fällen angenommen hatten, keinen Gewerbebetrieb zu unterhalten, so dass ihrer Ansicht nach auch kein Gewinn zu ermitteln war. Diese Fälle sind daher dem vorliegenden nicht vergleichbar, wie der Senat bereits mit Urteil in BFH/NV 1986, 158 entschieden hat.

3. Da ein Wechsel der Gewinnermittlungsart nicht vorlag, kann offen bleiben, ob außerdem Bedenken gegen eine unterschiedliche Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts in zwei aufeinander folgenden Jahren —dem Jahr der Betriebseröffnung und dem darauf folgenden Jahr— bestünden (vgl. zum zweimaligen Wechsel der Gewinnermittlungsart das Senatsurteil in BFHE 193, 436, BStBl II 2001, 102).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1457 Nr. 8
EStB 2006 S. 328 Nr. 9
HFR 2006 S. 1085 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 32/2006 S. 2640
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2006 S. 680
CAAAB-89188