Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: BVerfGG § 93c; BVerfGG § 93a; BVerfGG § 93b; BVerfGG § 90 Abs. 1; BVerfGG § 93c Abs. 1 Satz 1; BVerfGG § 34a Abs. 2; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53; AuslG § 53 Abs. 6 Satz 1; AuslG § 53 Abs. 4; GG Art. 16a Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1;
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die fachgerichtliche Feststellung und Beurteilung des Charakters von drohender Misshandlung und Folter im Polizeigewahrsam des Heimatlandes als "politische Verfolgung".
I.
1. Die Beschwerdeführerin ist srilankische Staatsangehörige tamilischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste im Januar 1997 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland und beantragte ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung gab sie an, sie sei in ihrem Heimatland für die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) aktiv gewesen, und zwar in den Jahren 1988/1989 als Mitglied in deren Schülerorganisation SOLT, dann noch bis zu ihrer Heirat im Dezember 1991 in einem kleinen Komitee der LTTE selbst. Ihr Ehemann sei 1995 nach Deutschland gegangen. Es habe ständig Angriffe srilankischer Soldaten in Jaffna gegeben, sie sei immer wieder geflüchtet. Aus Angst, im Krieg ihr Leben zu verlieren, sei sie dann ebenfalls ausgereist.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Asylantrag ab und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Außerdem drohte es der Beschwerdeführerin die Abschiebung nach Sri Lanka an.
2. Auf Klage der Beschwerdeführerin hob das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil vom die Entscheidung des Bundesamtes zu § 53 AuslG auf und verpflichtete die Beklagte zur Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Sri Lanka vorliegen. Im Übrigen wies es die Klage ab.
Einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte und Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bestehe nicht. Die Beschwerdeführerin sei in Sri Lanka nicht politisch verfolgt worden. Ihr drohe im Falle einer Rückkehr eine solche Verfolgung auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Zwar würden über Sri Lanka weiterhin zahlreiche Menschenrechtsverletzungen insbesondere an Tamilen berichtet; allerdings hätten diese Verstöße nicht eine Dichte erreicht, die allgemein für jeden Tamilen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedeuten würde. Die Beschwerdeführerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass der srilankische Staat selbst heute noch eine ihm zurechenbare Absicht hege, sie politisch zu verfolgen. Sofern eine erhöhte Gefährdung bestehe, sei diese jedenfalls nicht dem Staat zurechenbar.
Soweit die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG begehrt werde, sei die Klage indessen begründet. Zwar drohe der Beschwerdeführerin in Sri Lanka weder dem Staat zurechenbare Folter im Sinne von § 53 Abs. 1 AuslG noch eine nach § 53 Abs. 4 AuslG beachtliche grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die Behörden. Jedoch bestehe für sie auf Grund ihrer früheren Aktivitäten für die SOLT und die LTTE eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG.
Die Beschwerdeführerin sei von 1988 bis 1991 für diese Organisationen aktiv gewesen und habe sich dabei exponiert. Dies sei durch ein vom Gericht eingeholtes Gutachten eines Sachverständigen erwiesen, der sich vor Ort davon überzeugt habe, dass die Angaben der Beschwerdeführerin in vollem Umfang richtig seien. Die früheren Aktivitäten der Beschwerdeführerin könnten bei einer der in Sri Lanka weiterhin im gesamten Land zahlreich stattfindenden Routinekontrollen bekannt werden und zu einem individualisierten LTTE-Verdacht gegen die Beschwerdeführerin führen. Insbesondere bei einem solchen Verdacht gehöre aber nach der Auskunftslage Gewalt bisher zur allgemein verbreiteten Verhörpraxis. Der damit verbundenen, erheblichen konkreten Gefahr werde sich die Beschwerdeführerin realistischerweise nicht entziehen können. Auch bei einer Gesamtbetrachtung sei kein Umstand ersichtlich, der die erhöhte Gefährdung vermindern würde. Die Beschwerdeführerin gehöre vielmehr wegen ihrer Herkunft aus dem Nordosten Sri Lankas zu dem besonders gefährdeten Personenkreis; zudem könnten die Aktivitäten ihres Ehemannes gefahrerhöhend wirken.
3. Den von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit dem gleichfalls angegriffenen Beschluss vom ab. Ein Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Überraschungsentscheidung liege nicht vor. Wenn das Verwaltungsgericht mit Blick auf Art. 16a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG keine vom srilankischen Staat ausgehenden oder diesem zurechenbaren Gefährdungen der Beschwerdeführerin festgestellt habe, so habe es sich ganz offensichtlich von der in ständiger Rechtsprechung gefestigten Auffassung leiten lassen, dass Misshandlungen durch srilankische Sicherheitskräfte als Exzesse einzelner Hoheitsträger nicht dem Staat zugerechnet werden könnten. Folgerichtig sei es zur Auffassung gelangt, dass die drohende Gefahr, bei einer Festnahme misshandelt und gefoltert zu werden, Abschiebungsschutz alleine nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG auslöse. Das enthalte keine überraschende Überlegung.
II.
1. Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 16a Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
Das Verwaltungsgericht habe mit seinen Ausführungen zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in der Sache eine "politische Verfolgung" festgestellt. Es sei nicht mehr nachvollziehbar, dass es sich nicht zumindest näher mit der Frage auseinander gesetzt habe, ob die von ihm selbst gesehene erhebliche Gefährdung nicht auch asylrechtlich beachtlich sei. Dies gelte umso mehr, als die festgestellte konkrete und individuelle Gefahr unmittelbar an ihre Aktivitäten für die SOLT und die LTTE vor dem Verlassen Sri Lankas anknüpfe.
Erst Recht verfassungswidrig sei die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, im erstinstanzlichen Urteil seien die drohenden Maßnahmen als dem Staat nicht zurechenbare Exzesshandlungen einzelner Hoheitsträger gewürdigt worden. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts beinhalteten das genaue Gegenteil.
2. Die Äußerungsberechtigten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz erachtet die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts in seinem klageabweisenden Teil richtet. Die Annahme ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Obwohl der Beschwerdeführerin auf Grund der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ein - fakultatives - Abschiebungshindernis zur Seite steht, würde ihr durch die Nichtannahme ein besonders schwerer Nachteil entstehen; denn ihr wird mit der Versagung des Anspruchs auf Anerkennung als Asylberechtigte ein Status verweigert, der über den bloßen Abschiebungsschutz deutlich hinausgeht (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des -, NVwZ-Beilage 1995, S. 52).
Die Verfassungsbeschwerde ist mit ihrer Rüge, das Urteil des Verwaltungsgerichts verletze die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG, zulässig und im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.
1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht aber nach den subjektiven Gründen und Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.>; 80, 315 <335>). Auch unmenschliche Behandlung, insbesondere Folter, kann sich dann als asylrelevante Verfolgung darstellen, wenn sie wegen asylrelevanter Merkmale oder im Blick auf diese in verschärfter Form eingesetzt wird (BVerfGE 81, 142 <151>). Politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. Verfolgungen Dritter sind dem Staat zuzurechnen, wenn er nicht mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Kräften Schutz gewährt; hierbei ist freilich mit zu bedenken, dass es keiner staatlichen Ordnungsmacht möglich ist, einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren (vgl. BVerfGE 80, 315 <334, 336>; 83, 216 <235>).
b) Das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf den Tatbestand "politisch Verfolgter" sowohl hinsichtlich der Ermittlung des Sachverhalts selbst als auch seiner rechtlichen Bewertung zu prüfen, ob die tatsächliche und rechtliche Wertung der Gerichte sowie Art und Umfang ihrer Ermittlungen der Asylgewährleistung gerecht werden (BVerfGE 76, 143 <162>). Den Fachgerichten ist dabei ein gewisser Wertungsrahmen zu belassen. Dieser bezieht sich u.a. auch auf die rechtliche Bewertung des ermittelten Sachverhalts. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist eine fachgerichtliche Bewertung jedoch dann, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist oder nicht auf einer hinreichend verlässlichen Grundlage beruht (vgl. zuletzt Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats des - und vom - 2 BvR 39/98 -, Juris).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen halten die maßgeblichen Erwägungen, mit denen das Verwaltungsgericht einen Asylanspruch verneint hat, der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Mit seiner Annahme, die erhöhte Gefährdung der Beschwerdeführerin könne nicht dem srilankischen Staat zugerechnet werden, hat das Verwaltungsgericht den ihm eröffneten fachgerichtlichen Wertungsrahmen überschritten.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts droht der Beschwerdeführerin, wenn sie nach Sri Lanka zurückkehrt, landesweit die konkrete Gefahr, von den srilankischen Sicherheitskräften gefoltert und misshandelt zu werden. Das Verwaltungsgericht nimmt an, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer für glaubhaft erachteten und als exponiert gewerteten früheren Aktivitäten für die SOLT und die LTTE bei einer der im gesamten Land zahlreich stattfindenden Routinekontrollen in den konkreten und individualisierten Verdacht der LTTE-Unterstützung geraten kann. Der Auskunftslage entnimmt das Verwaltungsgericht, dass bei einem derartigen Verdacht "Gewalt bisher zur allgemein verbreiteten Verhörpraxis" gehört und dass die solchermaßen verdächtigten Personen auch im Großraum Colombo besonders gefährdet sind.
Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellungen ist nicht mehr nachvollziehbar, warum die drohenden Folterungen durch staatliche Sicherheitskräfte wegen einer vermuteten Unterstützung der LTTE dem srilankischen Staat nicht zurechenbar seien und deshalb nur ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen sollen. Der Sache nach hat das Verwaltungsgericht das drohende Vorgehen der Sicherheitskräfte als bloßen Amtswalterexzess gewertet. Dies findet keine tragfähige Stütze in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Hiernach können zwar vereinzelte Exzesstaten von Amtswaltern dem Staat nicht als politische Verfolgung zurechenbar sein (vgl. BVerfGE 80, 315 <352>; Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats des -, InfAuslR 1992, S. 283 <287> und vom - 2 BvR 1989/92 u.a. -, InfAuslR 1993, S. 310 <312>). Entsprechende Feststellungen, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten könnten, hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht getroffen. Es hat im Gegenteil gerade eine landesweit bestehende und nicht abwendbare konkrete Gefahr gesehen, dass die Beschwerdeführerin Opfer von Folter und Misshandlung durch die Sicherheitskräfte wird. Damit aber steht die Annahme, es handele sich bei solchen Übergriffen lediglich um asylunerhebliche vereinzelte Exzesstaten in unauflösbarem Widerspruch.
3. Es ist nicht ersichtlich, dass eine erneute, verfassungsgemäße Rechtsanwendung mit Sicherheit wiederum zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausfallen müsste. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben. Die Sache ist insoweit an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§§ 93c Abs. 2, 95 Abs. 2 BVerfGG), damit über das Asylbegehren der Beschwerdeführerin erneut entschieden werden kann.
4. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, den Antrag auf Zulassung der Berufung abzulehnen, ist damit gegenstandslos.
5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AAAAB-87385