BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 583/05

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 2 Abs. 2; GG Art. 33 Abs. 5; GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug: OVG Rheinland-Pfalz 2 B 12264/04 .

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die sich aus der Fürsorge- und Schutzpflicht des Dienstherrn ergebenden Anforderungen an eine Abordnungsverfügung.

1. Der Beschwerdeführer ist Regierungsdirektor im Justizdienst des Landes Rheinland-Pfalz; ihm war zuletzt die stellvertretende Leitung der Justizvollzugsanstalt in D. übertragen. Durch Verfügung des Ministeriums der Justiz vom wurde er mit Wirkung vom bis auf weiteres an die Justizvollzugsanstalt in W. abgeordnet. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg; über die in der Hauptsache erhobene Klage ist noch nicht entschieden.

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ordnete das Verwaltungsgericht Koblenz mit Beschluss vom die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an. Zwar sei das Ministerium angesichts der bestehenden Spannungslage an der bisherigen Dienststelle voraussichtlich zu Recht von einem dienstlichen Bedürfnis für die ausgesprochene Abordnung ausgegangen. Die Entscheidung erweise sich jedoch angesichts der geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen - jedenfalls derzeit - als fehlerhaft. Denn der Beschwerdeführer habe nicht nur eine fachärztliche Bescheinigung über gesundheitliche Einschränkungen psychischer Art vorgelegt, vielmehr ergebe sich aus dem Attest auch, dass bereits die Ankündigung der Abordnung nach W. zu einer starken Zuspitzung der Symptomatik geführt habe und dass beim Vollzug der Abordnung prognostisch mit einer nachhaltigen gesundheitlichen Verschlechterung zu rechnen sei. Diesen substantiiert vorgetragenen Einwänden, die einer Abordnung des Beschwerdeführers möglicherweise entgegenstehen könnten, sei der Dienstherr jedoch nicht nachgegangen. Anlass hierzu habe jedoch bereits deshalb bestanden, weil der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2003 wiederholt dienstunfähig erkrankt gewesen und derzeit nur zu 50 % dienstfähig sei. Vor dem Hintergrund der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht habe die Abordnung deshalb jedenfalls solange zu unterbleiben, bis die geltend gemachten Gesundheitsgründe - etwa durch amtsärztliche Untersuchung der gesundheitlichen Risiken - hinreichend aufgeklärt seien.

Auf die Beschwerde des Landes hin hob das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz mit dem angegriffenen Beschluss vom die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf und lehnte den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Auch eine etwaige psychische Erkrankung des Beschwerdeführers vermöge nicht den gesetzlichen Wertungsvorrang zu Gunsten des Sofortvollzugs der Abordnung umzukehren. Angesichts der besonderen Sicherheitsrisiken sei im Bereich des Strafvollzugs eine reibungslose und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf der Ebene der Anstaltsleitung vielmehr zwingend erforderlich.

2. Mit der am erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2, Art. 33 Abs. 5 und Art. 103 Abs. 1 GG. Zugleich beantragt er den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Oberverwaltungsgericht habe die aus Art. 33 Abs. 5 GG folgende Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn verkannt. Danach habe der Dienstherr bei seiner Entscheidung auch die wohlverstandenen Interessen des Beamten in gebührender Weise zu berücksichtigen, wozu vor allem auch Leben und Gesundheit zu rechnen seien. Diesem Maßstab werde die angegriffene Entscheidung schon im Grundsatz nicht gerecht. Darüber hinaus sei im konkreten Fall eine - ärztlich bescheinigte - nachhaltige Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers zu besorgen, woraus sich zugleich eine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebe. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht auch das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt. Denn obwohl das Gericht bereits am entschieden habe, sei bei der Übermittlung des gegnerischen Schriftsatzes am keinerlei Hinweis auf die unmittelbar bevorstehende Entscheidung erfolgt. Der Beschwerdeführer habe so keine Möglichkeit mehr gehabt, sich zum Vortrag des Ministeriums zu äußern. Diese Ausführungen seien aber an zahlreichen Stellen in die angegriffene Entscheidung eingeflossen.

3. Dem Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Es hat ausgeführt, die Verfassungsbeschwerde sei schon deshalb unbegründet, weil der Beschwerdeführer künftig auf einem Dienstposten eingesetzt werden solle, der im Blick auf die gesundheitlichen Anforderungen dem gegenwärtigen entspreche. Es sei deshalb nicht ersichtlich, wie sich aus der bloßen Veränderung des Dienstorts eine Beeinträchtigung von Grundrechten ergeben könne.

II.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 33 Abs. 5 GG angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

1. Der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 33 Abs. 5 GG.

a) Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, die gemäß Art. 33 Abs. 5 GG zu beachten sind (vgl. BVerfGE 8, 332 <356 f.>; 43, 154 <165 f.>; 46, 97 <117>; 83, 89 <100>; 106, 225 <232>). Sie verpflichtet den Dienstherrn, bei seinen Entscheidungen die wohlverstandenen Interessen des Beamten in gebührender Weise zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 43, 154 <165> sowie Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, NVwZ 1990, S. 853). Substantiierte Anhaltspunkte für eine Gesundheitsschädigung des Beamten sind daher auch im Rahmen der Ermessensentscheidung des Dienstherrn hinsichtlich der Abordnung angemessen zu berücksichtigen (vgl. für den Fall der Versetzung auch bereits II C 114.65 -, Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 11).

b) Diesen, aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben folgenden Maßstab hat das Oberverwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung verkannt. Mit seiner Auffassung, selbst eine etwaige psychische Erkrankung vermöge den gesetzlichen Wertungsvorrang zu Gunsten eines Sofortvollzugs der Abordnung nicht umzukehren, missachtet das Oberverwaltungsgericht die aus Art. 33 Abs. 5 GG folgende Berücksichtigungspflicht. Die vom Grundgesetz geforderte Abwägung zwischen den Belangen des Beamten einerseits und den dienstlichen Bedürfnissen andererseits ist daher unterblieben. Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme oder zu möglichen Alternativen finden sich demgemäß nicht.

c) Hieran vermag auch der vom Oberverwaltungsgericht gegebene Hinweis auf die besonderen Anforderungen an die vom Beschwerdeführer derzeit ausgeübten Aufgaben nichts zu ändern. Dies ergibt sich zunächst schon daraus, dass der Dienstherr selbst eine besondere Dringlichkeit offenbar nicht gesehen hat, als er die Abordnung am mit Wirkung erst zum angeordnet hat: Denn damit hat er es offenkundig als mit den dienstlichen Interessen vereinbar angesehen, dass der Beschwerdeführer zunächst für weitere fünfeinhalb Monate die ihm übertragene Aufgabe versieht. In rechtlicher Hinsicht übersieht das Oberverwaltungsgericht aber vor allem, dass mit diesen Gründen zwar möglicherweise eine sofortige Entfernung des Beschwerdeführers aus seinem konkret funktionalen Amt gerechtfertigt werden könnte, damit aber nicht zugleich auch die Zumutbarkeit der Zuweisung an die Justizvollzugsanstalt W. entschieden ist. Auch diese ist aber vom Regelungsgehalt der Abordnungsverfügung vom erfasst und gerade hiergegen hat sich der Beschwerdeführer wiederholt und mit fachärztlichen Bescheinigungen gewandt. Erwägungen zur Zumutbarkeit oder Verhältnismäßigkeit der Abordnung gerade an diese Dienststelle finden sich in der angegriffenen Entscheidung jedoch nicht. Angesichts der ausführlichen und differenzierten Erwägungen des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses bestand hierzu aber bereits nach dem prozessualen Geschehensablauf hinreichend Anlass.

Mit der vom Oberverwaltungsgericht vertretenen Auffassung vom generellen Wertungsvorrang des Sofortvollzugs wird daher nicht nur der grundrechtliche Maßstab für die Obersatzbildung verkannt, der Beschluss verfehlt vielmehr auch eine angemessene Würdigung der im konkreten Fall widerstreitenden Interessen.

2. Da der angegriffene Beschluss bereits wegen dieses Grundrechtsverstoßes keinen Bestand haben kann, können die übrigen vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen auf sich beruhen.

3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt sich mit dieser Entscheidung.

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
LAAAB-87270