BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 54/04

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 16a Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug: OVG Nordrhein-Westfalen 8 A 3766/03 .A vom VG Köln 3 K 629/02 .A vom

Gründe

I.

Der 1952 geborene, als "Kalif von Köln" bekannte, türkische Beschwerdeführer hat den Richter Gerhardt wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Beschwerdeführer erstrebt im Ausgangsverfahren die Aufhebung des Widerrufs seiner Anerkennung als Asylberechtigter und die Aufhebung des Widerrufs der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes.

1. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom wurde die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, den Beschwerdeführer sowie seine Ehefrau und seine drei Kinder als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Dies geschah mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom .

2. Mit Urteil vom , rechtskräftig seit dem , wurde der Beschwerdeführer vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen tateinheitlich begangener zweifacher öffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

3. Durch Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom wurde der vom Beschwerdeführer vertretene "Kalifatsstaat" verboten und aufgelöst. Das Verbot wurde mit an dem der Richter des Bundesverfassungsgerichts Gerhardt in seiner damaligen Eigenschaft als Richter am Bundesverwaltungsgericht als Berichterstatter mitgewirkt hat, bestätigt. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde mit - nicht zur Entscheidung angenommen.

4. Nach entsprechender Anhörung widerrief das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom die Asylanerkennung des Beschwerdeführers und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, nach der strafrechtlichen Verurteilung und auf Grund der Aktivitäten im Rahmen des "Kalifatsstaats" dürfe dem Beschwerdeführer infolge des Ausschlusstatbestands des § 51 Abs. 3 AuslG heute weder das große noch das kleine Asyl gewährt werden.

5. Mit Urteil vom wies das Verwaltungsgericht Köln die Klage des Beschwerdeführers hinsichtlich des Asylwiderrufs ab. Die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG lägen vor, weil der Asylgewährung heute § 51 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 AuslG entgegenstehe. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom ab. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung.

6. Gegen beide Gerichtsentscheidungen wendet sich der Beschwerdeführer mit der am eingegangenen Verfassungsbeschwerde. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 16a Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.

7. Mit Schreiben vom hat der Beschwerdeführer Richter Gerhardt als befangen abgelehnt. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bezögen sich im Ergebnis beide auf das zum Verbot des "Kalifatsstaats", an dem Richter Gerhardt, damals als Richter am Bundesverwaltungsgericht, als Berichterstatter mitgewirkt habe. Richter Gerhardt nahm hierzu mit dienstlicher Äußerung vom Stellung. Er hält sich nicht für befangen.

8. Dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und dem Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ablehnungsantrag des Beschwerdeführers binnen einer Woche ab Zugang eingeräumt. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.

II.

1. Richter Gerhardt ist nicht kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.

a) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG). Das Tatbestandsmerkmal "in derselben Sache" ist in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinn auszulegen. Es genügt nicht, dass der Richter in seiner früheren amtlichen oder beruflichen Eigenschaft in eine mit dem anhängigen Verfahren in irgendeinem Zusammenhang stehenden Verfahren tätig geworden ist. Zu seinem Ausschluss kann vielmehr regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem verfassungsrechtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren (Ausgangsverfahren) führen (BVerfGE 47, 105 <107 f.>; 82, 30 <35 f.> m.w.N.).

b) So verhält es sich hier jedoch nicht. In dem der Verfassungsbeschwerde zu Grunde liegenden Ausgangsverfahren - dem Widerruf der Anerkennung des Beschwerdeführers als Asylberechtigter - war Richter Gerhardt weder von Amts noch von Berufs wegen tätig.

2. Die Ablehnung des Richters Gerhardt ist gemäß § 19 Abs. 1 BVerfGG unbegründet.

a) Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 82, 30 <38>; 98, 134 <137>; 101, 46 <51>; 102, 122 <125>; stRspr).

b) Daran fehlt es hier. Der Umstand, dass Richter Gerhardt am über das Verbot des so genannten "Kalifatsstaats" als Berichterstatter mitgewirkt hat, ist nicht geeignet, Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit in dem zur Entscheidung anstehenden Verfassungsbeschwerde-Verfahren betreffend den Widerruf der Anerkennung des Beschwerdeführers als Asylberechtigter zu begründen. Die gesetzgeberische Wertung in § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG, wonach ein Richter des Bundesverfassungsgerichts nur dann von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen ist, wenn er bereits "in derselben Sache" von Amts oder Berufs wegen tätig war, steht dem zwingend entgegen. Dass die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG nicht vorliegen, wurde bereits dargelegt. Andere Umstände, die eine Besorgnis der Befangenheit begründen könnten, trägt der Beschwerdeführer nicht vor. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Die frühere richterliche Tätigkeit eines Richters des Bundesverfassungsgerichts kann für sich allein nicht die Besorgnis seiner Befangenheit rechtfertigen (vgl. BVerfGE 2, 295 <297>; 11, 1 <3>; 42, 88 <90>; 43, 126 <128>).

Fundstelle(n):
UAAAB-87241