BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 155/06

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BVerfGG § 93a; BVerfGG § 93b; BVerfGG § 93d Abs. 1 Satz 2; GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2; GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug: KG Berlin (4) Ausl. A. 279/04 (79/04) vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, denn ihr kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist sie zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).

Die Entscheidungen des Kammergerichts zur Fortdauer der Auslieferungshaft verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Fortdauer der Auslieferungshaft ist derzeit verhältnismäßig.

Die Auslieferungshaft greift in das Grundrecht auf persönliche Freiheit ein. Sie darf nur aufgrund eines Gesetzes und nur dann angeordnet werden, wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten (vgl. BVerfGE 61, 28 <32>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des -, JURIS). Die gesetzliche Grundlage ist § 15 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl I 1982 S. 2071 - IRG -), wonach gegen die Verfolgte die Auslieferungshaft dann angeordnet werden kann, wenn die Gefahr besteht, dass sie sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde.

Die Auslieferungshaft unterliegt von Verfassungs wegen dem Gebot größtmöglicher Verfahrensbeschleunigung. Ab einer notwendigen Mindestdauer des Verfahrens müssen besondere, das Auslieferungsverfahren selbst betreffende Gründe vorliegen, um die weitere Vollstreckung der Auslieferungshaft zu rechtfertigen. Ob die Verzögerungen die Schwelle der Verhältnismäßigkeit überschreiten, richtet sich nach den Umständen des Falles, insbesondere dem Zeitaufwand für die Aufklärung der Auslieferungsvoraussetzungen (vgl. BVerfGE 61, 28 <34 f.>). Auch die Mitwirkung des Verfolgten und die Schwere des Tatvorwurfs sind zu berücksichtigen (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des -, NJW 2000, S. 1252). Eine starre Grenze kann wegen der zahlreichen Besonderheiten, die sich in einem Auslieferungsverfahren ergeben können, nicht gezogen werden (vgl. BTDrucks 9/1338 zu § 25 IRG, S. 53).

Das Kammergericht hat nicht gegen den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung verstoßen. Es liegen besondere Umstände vor, die die Dauer des Auslieferungsverfahrens rechtfertigen. Entscheidend ist, dass in diesem Verfahren eine umfangreiche und komplexe Prüfung der Voraussetzungen der Auslieferung erforderlich ist (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -, EuGRZ 1996, S. 324). Denn es gibt weder einen Auslieferungsvertrag mit Vietnam noch vorangegangene Verfahren, die zu einer Auslieferung nach Vietnam führten. Bei den notwendigen Ermittlungen sind auch den deutschen und vietnamesischen Behörden bislang keine erheblichen Verfahrensverzögerungen zuzurechnen. Die deutschen Behörden leisteten rasche Amtshilfe, und auch die vietnamesischen Behörden waren um den zügigen Erfolg der Auslieferung bemüht (vgl. zu anderen Sachlagen Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des -, NJW 2000, S. 1252).

Dagegen ist es der Beschwerdeführerin zuzurechnen, dass das Kammergericht teilweise erst nach und nach weitere Erkundigungen einholte. Denn die Beschwerdeführerin vertiefte ihren Vortrag im Laufe des Auslieferungsverfahrens. Als Betroffene einer Auslieferung ist sie verpflichtet, an der Sachaufklärung mitzuwirken (vgl. BVerfGE 64, 46 <59>). Die Beschwerdeführerin trug erstmals in ihrem Schriftsatz vom , also fünf Monate nach ihrer Inhaftierung, insbesondere zu ihren Verbindungen und zum Strafrechtssystem in Vietnam vor. Inwiefern diese Verbindungen sie gefährdeten, legte die Beschwerdeführerin erst in ihrem Schriftsatz vom näher dar, nachdem das Kammergericht sie in seinem Beschluss vom auf Unklarheiten hingewiesen hatte. In den folgenden Schriftsätzen vertiefte die Beschwerdeführerin ihren Vortrag weiter. Das Bundesverfassungsgericht stützte sich in seinem Beschluss vom gerade darauf, dass das Kammergericht gemäß Art. 103 Abs. 1 GG auch den nach und nach fundierten Vortrag der Beschwerdeführerin zur Kenntnis hätte nehmen müssen. Die Zeitverzögerungen durch die sukzessiven Vertiefungen hat jedoch die Beschwerdeführerin maßgeblich verursacht.

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist außerdem zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführerin ein schweres Verbrechen zur Last gelegt wird, das in Vietnam im Falle der Beschwerdeführerin mit mindestens zwölf Jahren Haft bestraft werden kann.

Auch wenn die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Dauer der Untersuchungshaft (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des -) auf die Auslieferungshaft angewendet würde, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Der vorliegende Verfahrenslauf ist nicht mit einer Verzögerung von 25 Monaten vergleichbar, wodurch zusätzlich eine zweijährige Hauptverhandlung hinfällig wurde (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, a.a.O.). Das Kammergericht hat das Verfahren durch die vorangegangene Gehörsverletzung nicht in erheblichem Umfang verzögert. Die Korrektur des Gehörsverstoßes nahm höchstens zwei Monate in Anspruch, da die damalige Verfassungsbeschwerde erst mit dem über die Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin zulässig wurde. Alle bisherigen Ermittlungen des Kammergerichts waren relevant und werden die Grundlage für die abschließende Zulässigkeitsentscheidung bilden.

Nach dem bisherigen Verfahrensablauf gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Auskünfte und Ermittlungen, die das Kammergericht mit seinem Beschluss vom angefordert hat, in Zukunft verweigert oder verzögert würden (vgl. -, BGHSt 27, 266). Im Übrigen kündigte das Kammergericht an, es werde bei der nächsten Haftprüfung eingehend bewerten, ob mit einer baldigen und umfassenden Erledigung der Rechtssache zu rechnen sei.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
PAAAB-86706