Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: BVerfGG § 93b; BVerfGG § 93c; BVerfGG § 34a Abs. 2; BGB § 612; ZPO § 141; ZPO § 448; GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3;
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob sich das Berufungsgericht in einem Zivilrechtsstreit über den Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs, will es von der Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil abweichen, auf die erneute Vernehmung des Zeugen der einen Seite beschränken darf oder ob es verfassungsrechtlich geboten ist, auch die als einziges "Beweismittel" auf der anderen Seite stehende Partei, die in der Vorinstanz angehört worden war, zu hören und deren Vorbringen in der neuerlichen Sammlung des Tatsachen- bzw. Beweisstoffs zu würdigen.
1. Die Beschwerdeführerin ist selbstständige Beraterin im Gesundheitswesen. Sie beriet im Jahr 1997 die Beklagte des Ausgangsverfahrens, eine GmbH, bei einer letztlich erfolglos gebliebenen Bewerbung um einen Auftrag bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Der Beratungsvertrag wurde von der Beschwerdeführerin und von einem Angestellten der GmbH (Dr. F.) als deren Vertreter mündlich geschlossen.
Im Streit ist, ob der Beschwerdeführerin die Vergütung in jedem Falle oder nur bei einer erfolgreichen Bewerbung gezahlt werden sollte. Das Amtsgericht Düsseldorf sprach der Beschwerdeführerin auf deren Zahlungsklage die eingeklagte Vergütung im Wesentlichen zu. Dabei stützte es sein Urteil auf die Vermutung des § 612 BGB sowie auf die Anhörung der Beschwerdeführerin gemäß § 141 ZPO und die Vernehmung des Angestellten der beklagten GmbH als Zeugen.
2. Das Landgericht Düsseldorf wies demgegenüber auf die Berufung der Beklagten die Klage mit der Begründung ab, eine Vergütung sei nach den Umständen, so wie sie vom Zeugen Dr. F. in erneuter Vernehmung (§ 398 Abs. 1 ZPO) glaubhaft dargelegt worden seien, nur für den Fall der erfolgreichen Bewerbung vorgesehen. Weiter heißt es im angegriffenen Urteil:
Eine Vernehmung der Klägerin als Partei nach § 448 ZPO kam nicht in Betracht. Eine Vernehmung der Beklagten als Partei ist im Rahmen des Gegenbeweises nicht geboten. Denn nach der Vernehmung des Zeugen Dr. F. spricht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorbringen der Klägerin. Auch unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit ist eine Parteivernehmung nicht angebracht.
II.
1. Die Beschwerdeführerin rügt, das Landgericht habe den Grundsatz der Waffengleichheit sowie den Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es sie nicht erneut zum Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs angehört bzw. als Partei vernommen habe, obwohl es den Zeugen der Gegenseite erneut vernommen habe. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasse die Einräumung der Möglichkeit, sich vor Erlass eines Urteils rechtlich und tatsächlich zur Sache zu äußern. Auch habe das Landgericht die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom (NJW 1995, S. 1413 ff.) und des (NJW 1999, S. 363 ff.) in ihrer Bedeutung für den vorliegenden Fall verkannt.
2. Das Bundesministerium der Justiz, das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, der Bundesgerichtshof und die Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist mit ihrer Rüge, das angegriffene Urteil des Landgerichts Düsseldorf verletze die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG, zulässig und im Sinne des § 93c BVerfGG auch offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Art. 103 Abs. 1 GG und aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Diese Verfassungsnormen sichern den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht und das mit ihm im Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachangemessen ist, um den in bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernissen eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden. Insbesondere müssen die Beteiligten einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 55, 1 <5 f.>; 60, 305 <310>; 74, 220 <224>; 74, 228 <233>; 81, 123 <129>; 84, 188 <189 f.>; 85, 337 <345>; 86, 133 <144 ff.>). Auch gehört es zu den für einen fairen Prozess und einen wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten unerlässlichen Verfahrensregeln, dass das Gericht die Richtigkeit bestrittener Tatsachen nicht ohne hinreichende Prüfung bejaht (vgl. BVerfGE 91, 176 <181>). Ohne eine solche Prüfung fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage. Um sie zu gewährleisten, bedarf es eines Mindestmaßes an rechtlichem Gehör.
b) Diesen Grundsätzen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Die Beschränkung der Möglichkeit der Beschwerdeführerin, sich mit ihrem Vorbringen zu einem Vier-Augen-Gespräch im Prozess vor dem Landgericht zu behaupten, unterschreitet das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an rechtlichem Gehör. Zwar sind die Auslegung und Anwendung des Zivilprozessrechts vornehmlich Aufgabe der Fachgerichte und werden vom Bundesverfassungsgericht nur darauf überprüft, ob sie Fehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 97, 12 <27>). Diese Bedingungen liegen bei der angegriffenen Entscheidung und der vom Landgericht Düsseldorf geübten Verfahrensweise jedoch vor.
Das Landgericht hat der Beschwerdeführerin die Möglichkeit genommen, auf die berufungsgerichtliche Beweiserhebung Einfluss zu nehmen. Das Gericht hat es unterlassen, Angaben der Beschwerdeführerin zum streitigen Ablauf des Vertragsabschlusses entweder unmittelbar aus der Parteianhörung vor dem Amtsgericht oder durch erneute Anhörung gemäß § 141 ZPO in seine Würdigung einzubeziehen. Es hat auch die Frage verneint, ob nach § 448 ZPO Anlass zur Vernehmung der Beschwerdeführerin bestand. In der hier gegebenen Konstellation des Vier-Augen-Gesprächs konnte die Beschwerdeführerin den Gegenbeweis auch nur im Wege der Parteianhörung bzw. -vernehmung durch Bekundungen führen, die geeignet waren, die Aussage des Zeugen der Beklagten des Ausgangsverfahrens zu erschüttern. Die Verfahrensweise des Landgerichts begünstigte daher einseitig die Beklagte, die mit ihrem Angestellten über einen Zeugen verfügte. Um dies zu vermeiden hätte das Landgericht, nachdem es den Angestellten der beklagten GmbH zum umstrittenen Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs erneut als Zeugen vernommen hatte, auch der Beschwerdeführerin die Möglichkeit einräumen müssen, den Gegenbeweis zu führen. Insbesondere hätte ihr die Gelegenheit gegeben werden müssen, auf die Aussagen des Zeugen in dessen neuerlicher Vernehmung (§ 398 Abs. 1 ZPO) reagieren zu können, da das Landgericht von der Beweiswürdigung der Vorinstanz abweichen wollte, die sich auf die protokollierte Anhörung der Beschwerdeführerin stützte.
Die Bedenken gegen den Beweiswert von Parteianhörung bzw. -vernehmung, die das Landgericht bei seiner Verfahrensweise geleitet haben mögen, können allenfalls in die Beweiswürdigung einfließen. Sie können jedoch nicht die Beweiserhebung in der hier gegebenen Konstellation eines Vier-Augen-Gesprächs von vornherein ausschließen. Das Landgericht hätte daher die Beschwerdeführerin zumindest als Partei gemäß § 141 ZPO informatorisch anhören müssen, um ihr im Rahmen des Gegenbeweises die Erschütterung der Aussage des Zeugen der beweisbelasteten Beklagten zu ermöglichen. Hätten sich bei dieser Anhörung Zweifel an den Aussagen des Zeugen der Beklagten ergeben, so hätte das Gericht weiteren Beweis durch Parteivernehmung der Beschwerdeführerin erheben oder die gegebene Beweislage unter Berücksichtigung der Parteianhörung würdigen können. Es durfte aber nicht mit dem Argument, die Parteivernehmung der Beschwerdeführerin komme nicht in Betracht, weil nach der Zeugenvernehmung keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für deren Vorbringen spreche, auf Parteianhörung bzw. -vernehmung verzichten. Diese Argumentation des Landgerichts belegt, dass es seine Verfahrensweise in allen entsprechenden Konstellationen, auch denen der Beweisnot, für die sachangemessene hält und deutet damit auf eine ständige verfassungswidrige Praxis, eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hin.
Auch aus anderen Gründen bestand für das Landgericht Veranlassung, die Besonderheiten der hier gegebenen Konstellation eines Vier-Augen-Gesprächs in Rechnung zu stellen:
Denn angeregt u.a. durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (NJW 1993, S. 1413 ff.) haben sich Rechtsprechung und Literatur intensiv mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das zivilprozessuale Beweisrecht im Hinblick auf Vier-Augen-Gespräche beschäftigt. Der Bundesgerichtshof entschied, eine Konstellation, in der der einen Partei ein Mitarbeiter als Zeuge zur Seite steht, während die Gegenseite, die selbst die Verhandlung geführt hat, sich auf keinen Zeugen stützen kann, stelle in einem späteren Gerichtsverfahren eine Benachteiligung dar, die im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 448 ZPO berücksichtigt werden könne. Dabei könne offen bleiben, ob diese Konstellation dazu nötige, einer Anregung zur Parteivernehmung nachzukommen. Denn dem Grundsatz der Waffengleichheit könne auch dadurch genügt werden, dass die durch ihre prozessuale Stellung bei der Aufklärung des Vier-Augen-Gesprächs benachteiligte Partei nach § 141 ZPO persönlich angehört werde. Das Gericht sei nicht gehindert, einer solchen Parteierklärung den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben (vgl. BGH, NJW 1999, S. 363 <364>).
Diese Linie des Bundesgerichtshofs (vgl. auch BGH, NJW 1998, S. 306 f.), die die Anforderungen an die Zulässigkeit der Parteivernehmung absenkt, ohne auf die Notwendigkeit der Anfangswahrscheinlichkeit ausdrücklich zu verzichten, und die den Anwendungsbereich und Beweiswert einer Parteianhörung erweitert, hat Gefolgschaft gefunden (OLG Saarbrücken, OLG-Report 2000, S. 296; zuvor bereits auf der Linie des BGH: OLG Zweibrücken, NJW 1998, S. 167 <168>). Auch in der Literatur lässt sich die Tendenz feststellen, § 448 ZPO in der Praxis stärkere Beachtung zu schenken (so bei Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., Bd. 4, Teilbd. 2, § 448 Rn. 3 f., 16 ff.; Huber, in: Musielak, ZPO, 1. Aufl., § 448 Rn. 7; Thomas, in: Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 448 Rn. 2, 4; anders: Greger, in: Zöller, 21. Aufl., § 448 Rn. 2a; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 448 Rn. 1).
Diese Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur haben unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör die Möglichkeit der Parteianhörung bzw. -vernehmung für die Fallgruppe der Gespräche unter vier Augen im Rahmen des geltenden Zivilprozeßrechts erweitert. Mit alledem setzt sich das Landgericht Düsseldorf in dem angegriffenen Berufungsurteil nicht auseinander. Es hat damit die Bedeutung und Tragweite der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verkannt.
Die angegriffene Entscheidung beruht auch hierauf. Denn das Landgericht hat den Zeugen der Gegenseite erneut vernommen, ohne dass sich die Beschwerdeführerin zu dessen neuerlichen Bekundungen vor dem Landgericht im Rahmen einer Parteianhörung oder -vernehmung äußern konnte. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Berufungsverhandlung das Landgericht zu einer anderen Tatsachen- bzw. Beweislage und deren Würdigung zu einer für die Beschwerdeführerin günstigeren Entscheidung geführt haben würde (vgl. BVerfGE 89, 381 <392 f.>).
2. Auf den ebenfalls gerügten Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit ist nicht mehr einzugehen, weil die auch hierauf gestützte Verfassungsbeschwerde keinen weiter gehenden Erfolg haben könnte.
3. Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
QAAAB-86616