Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 3; GG Art. 6; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug: OLG Naumburg 14 WF 234/04 vom OLG Naumburg 14 WF 236/04 vom
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Ausschluss des Rechts, mit seinem Kind Umgang zu haben.
1. Aus der - nicht ehelichen - Beziehung des Beschwerdeführers mit der Kindesmutter ist das im August 1999 geborene Kind hervorgegangen. Die Mutter willigte sogleich nach der Geburt in die Adoption des Kindes ein, das seither bei Pflegeeltern lebt. Im Jahre 2000 erfolgte auf Betreiben des Beschwerdeführers die gerichtliche Feststellung seiner Vaterschaft. Nachdem das Amtsgericht dem Beschwerdeführer ein Umgangsrecht zugesprochen beziehungsweise das Sorgerecht übertragen hatte, hob das Oberlandesgericht Naumburg durch seinen 14. Zivilsenat (3. Senat für Familiensachen) im Jahre 2001 diese Entscheidungen auf.
Hierauf stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom (FamRZ 2004, S. 1456) auf die Beschwerde des Beschwerdeführers unter anderem fest, der Beschwerdeführer werde durch den Umgangsrechtsausschluss durch das Oberlandesgericht in seinem Recht aus Art. 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verletzt. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts habe jede Form einer Familienzusammenführung sowie den Aufbau jeglichen weiterreichenden Familienlebens unmöglich gemacht. Dem Beschwerdeführer müsse zumindest der Umgang mit seinem Kind gewährleistet werden.
Anschließend regelte das das Umgangsrecht im Wege einer einstweiligen Anordnung, die das Oberlandesgericht Naumburg mit Beschluss vom erneut aufhob.
2. Auf die hiergegen vom Beschwerdeführer eingelegte Verfassungsbeschwerde hob das - (abgedruckt in FamRZ 2004, S. 1857) die vorgenannte Entscheidung auf und verwies die Sache an einen anderen Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg zurück; das Oberlandesgericht habe das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht hinreichend beachtet.
Nachdem der nunmehr zur Entscheidung berufene 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg darauf hingewiesen hatte, dass die Beschwerde gegen die vom Amtsgericht erlassene einstweilige Anordnung nicht zulässig sei, nahmen der Amtsvormund sowie die Verfahrenspflegerin ihre Beschwerden zurück.
3. Auf Antrag des Beschwerdeführers regelte das Amtsgericht am erneut den Umgang. Eine Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren sei klarstellend geboten, da der letzte Umgangskontakt rund zwei Jahre zurückliege und der Aufbau einer Vater-Sohn-Beziehung durch die Pflegeeltern, unterstützt vom Amtsvormund, bisher vereitelt worden sei. Das Gericht räumte dem Beschwerdeführer das Recht ein, an jedem Sonnabend in der Zeit von 15:00 Uhr bis 17:00 Uhr Umgang mit seinem Kind zu haben. Für die ersten vier Umgangstermine bestellte das Amtsgericht zum Zwecke der Begleitung des Umgangs eine Umgangspflegerin.
Auf die hiergegen eingelegten Beschwerden des Amtsvormundes und der Verfahrenspflegerin setzte das Oberlandesgericht Naumburg, nunmehr wieder durch seinen 14. Zivilsenat (3. Senat für Familiensachen - im Folgenden: Oberlandesgericht) mit Beschluss vom die Vollziehung des amtsgerichtlichen Beschlusses aus.
4. Nachdem die vom Beschwerdeführer hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde nebst Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung den Äußerungsberechtigten zugestellt worden war, hob das Oberlandesgericht den vorgenannten Beschluss am - 14 WF 236/04 - "aufgrund der zwischenzeitlich gegebenen Entscheidungsreife der in der Hauptsache zum Umgangsrecht erhobenen Untätigkeitsbeschwerde" auf.
Mit Beschluss vom selben Tag wies es auf die Untätigkeitsbeschwerde des Amtsvormundes und der Pflegeeltern das Amtsgericht an, das Hauptsacheverfahren zum Umgangsrecht "mit äußerster Beschleunigung weiterzuführen und zum Abschluss zu bringen". Neben der Erteilung konkreter Weisungen zum weiteren Verfahrensablauf schloss es den Umgang zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn in Abänderung der einstweiligen Anordnung des gemäß § 620 b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit §§ 620 a Abs. 4 Satz 2, 621 g ZPO bis zur abschließenden Entscheidung des Amtsgerichts in der Hauptsache aus. Entgegen der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könne die Hauptsacheentscheidung nicht ohne zwischenzeitliche Aufklärung des Sachverhalts erfolgen. Auf "den - zumindest konkludent gestellten oder alternativ im Wege entsprechender Umdeutung der diesbezüglich gesetzessystematisch nachrangigen und daher unzulässigen Beschwerde analog § 140 BGB anzunehmenden - Antrag des Amtsvormundes und der Pflegeeltern" sei der Umgang "zwecks Meidung einer sonst drohenden Gefährdung des Kindeswohls" auszuschließen gewesen.
5. Daraufhin hat der Beschwerdeführer auch gegen diesen Beschluss Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er unter anderem eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 GG, Art. 6 GG und der Sache nach aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügt. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts sei willkürlich. Indem es mit der Entscheidung über die Untätigkeitsbeschwerde auch den Umgang ausgeschlossen habe, habe es die Vorschriften der Zivilprozessordnung umgangen, die eine Beschwerde im Verfahren der einstweiligen Anordnung bezogen auf den Umgang nicht zuließen. Zudem habe kein entsprechender Antrag vorgelegen. Schließlich habe das Oberlandesgericht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht umgesetzt.
Zugleich hat der Beschwerdeführer seinen ursprünglichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aufrechterhalten. Daneben hat er die Verfassungsbeschwerde gegen den für erledigt erklärt.
Der Landesregierung Sachsen-Anhalt sowie der Verfahrenspflegerin, den Pflegeeltern und dem Amtsvormund wurde Gelegenheit zur Stellungnahme zum ursprünglichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88, 185 <186>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 <186>; stRspr).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls bezogen auf die angegriffene Regelung, die den Ausschluss des Umgangsrechts zum Gegenstand hat und auf die sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausschließlich bezieht (Ziff. II des Beschlusses vom - 14 WF 234/04 -), nicht unzulässig (a) und auch nicht offensichtlich unbegründet (b).
a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht insbesondere weder das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinn gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG (aa) noch der - daraus abgeleitete - Grundsatz der Subsidiarität entgegen (bb).
aa) Zwar hätte der Beschwerdeführer gemäß § 621 g in Verbindung mit § 620 b Abs. 2 ZPO einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung stellen können, da das Oberlandesgericht - jedenfalls soweit ersichtlich - im schriftlichen Verfahren entschieden hat. Jedoch ist die Rechtswegerschöpfung unzumutbar beziehungsweise entbehrlich, wenn vorangegangene Entscheidungen das Ergebnis der an sich erforderlichen Rechtswegerschöpfung bereits vorzeichnen (vgl. BVerfGE 38, 105 <110>; vgl. auch BVerfGE 9, 3 <7 f.>). So liegt der Fall hier. Angesichts des bisherigen Verfahrensablaufs sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Oberlandesgericht in den Gründen der angegriffenen Entscheidung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass ein Umgang vor Einholung eines Sachverständigengutachtens und vor der Entscheidung in der Hauptsache nicht erfolgen soll, ist es dem Beschwerdeführer nicht mehr zumutbar, noch einen Antrag gemäß § 620 b Abs. 2 ZPO zu stellen.
bb) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass es sich bei der angegriffenen Entscheidung - soweit es den Ausschluss des Umgangsrechts anbelangt - um eine einstweilige Anordnung gemäß § 621 g in Verbindung mit §§ 620 a ff. ZPO handelt. Zwar kann der Grundsatz der Subsidiarität auch die Erschöpfung des Rechtsweges in der Hauptsache gebieten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese im Einzelfall für den Beschwerdeführer zumutbar ist (vgl. BVerfGE 79, 275 <279>). Dies ist hier nicht der Fall. Zum einen rügt der Beschwerdeführer, durch die Eilentscheidung selbst in Grundrechten verletzt zu sein, namentlich weil diese gegen das Willkürverbot und der Sache nach auch gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoße. Schon aus diesem Grunde bedarf es nicht der Erschöpfung des Hauptsacherechtsweges (vgl. BVerfGE 79, 275 <279>). Hinzu kommt, dass die Entscheidung für den Beschwerdeführer durch den Umgangsrechtsausschluss bereits einen bleibenden rechtlichen Nachteil nach sich zieht, der nicht mehr vollständig behoben werden könnte (vgl. bezogen auf die Aussetzung der Vollziehung auch BVerfG, aaO, S. 1858).
b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Vielmehr spricht vieles dafür, dass das Oberlandesgericht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen hat (aa). Außerdem dürfte das Oberlandesgericht die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wiederum nicht hinreichend beachtet und damit den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 6 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt haben (bb).
aa) (1) Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt unter anderem dann vor, wenn sich eine Entscheidung des Gerichts bei der Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsnorm so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen, also willkürlich ist (vgl. BVerfGE 3, 359 <363 f.>; 29, 45 <49>).
(2) Diese Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein. Der bisherige objektive Verfahrensablauf legt die Vermutung nahe, dass sich das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, indem es die materielle Umgangsregelung des Amtsgerichts, die nicht zum Verfahrensgegenstand der Untätigkeitsbeschwerde gehört, überprüft (a) und damit die Regelung des § 621 g in Verbindung mit § 620 c Satz 2 ZPO umgangen hat, wonach eine Beschwerde gegen einstweilige Umgangsregelungen nicht zulässig ist (b).
(a) Das Oberlandesgericht hat die Umgangsregelung des Amtsgerichts zum Nachteil des Beschwerdeführers abgeändert, ohne nachvollziehbar zu begründen, wieso es dazu im Verfahren der Untätigkeitsbeschwerde befugt ist. Zwar hat es sich bei seiner Entscheidung auf § 621 g in Verbindung mit § 620 b Abs. 1 ZPO berufen, wonach das Gericht die einstweilige Anordnung "auf Antrag" aufheben beziehungsweise abändern kann. Das Oberlandesgericht hat aber nicht ansatzweise dargelegt, wieso es im Rahmen der Untätigkeitsbeschwerde zu einer Entscheidung gemäß § 621 g in Verbindung mit § 620 b Abs. 1 ZPO berufen ist. Dazu hätte es sich aber nicht nur wegen des Charakters der Untätigkeitsbeschwerde als außerordentlicher Rechtsbehelf veranlasst sehen müssen (aa). Eine entsprechende Erläuterung wäre auch geboten gewesen, weil die Beschwerdeführer des Untätigkeitsverfahrens ersichtlich selbst nicht von der Anwendbarkeit des § 620 b Abs. 1 ZPO ausgegangen waren; sie haben den erforderlichen Antrag nicht gestellt - jedenfalls nicht ausdrücklich (bb).
(aa) Die - weder in der ZPO noch im FGG gesetzlich geregelte - Untätigkeitsbeschwerde ist von der Rechtsprechung als außerordentlicher Rechtsbehelf geschaffen worden. Sie dient allein dem Zweck, den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf einen effektiven Rechtschutz zu gewährleisten (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, S. 53 <54>; OLG Dresden, FamRZ 2000, S. 1422 f.; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, S. 1290 f.; Gummer, in: Zöller, ZPO, 24. Auflage, § 567 Rn. 21; Reichhold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 26. Auflage, § 567 Rn. 10). Verfahrensgegenstand ist ausschließlich die Untätigkeit des erstinstanzlichen Gerichts, nicht aber die Überprüfung einer bereits ergangenen Entscheidung (vgl. Gummer, aaO, Rn. 21, 21 a). Dem Rechtsmittelgericht fällt die Zuständigkeit nach § 621 g in Verbindung mit §§ 620 b Abs. 3, § 620 a Abs. 4 ZPO indes nur zu, wenn der Gegenstand der einstweiligen Anordnung dem dort anhängigen Verfahrensgegenstand unter Berücksichtigung der Art des begehrten Rechtsschutzes im Sinne einer unmittelbaren Kongruenz entspricht (vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 26. Auflage, § 620 a Rn. 15). Genau das ist hier nicht der Fall. Vielmehr stellt die getroffene Umgangsregelung das Gegenteil einer Untätigkeit dar. Die Gerichte können bei Begründetheit der Untätigkeitsbeschwerde nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur schließlich auch nur angewiesen werden, dem Verfahren Fortgang zu geben (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, S. 53 <54>; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, S. 1290 f.; Gummer, aaO, Rn. 21 a).
(bb) Bei dieser Sach- und Rechtslage sind die Ausführungen des Oberlandesgerichts, dass der gemäß § 620 b Abs. 1 ZPO erforderliche Antrag als "zumindest konkludent" gestellt "oder alternativ im Wege entsprechender Umdeutung der diesbezüglich gesetzessystematisch nachrangigen und daher unzulässigen Beschwerde analog § 140 BGB" anzunehmen sei, nicht mehr nachvollziehbar.
(b) Zudem erscheint es nach dem bisherigen Verfahrensablauf als nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht mit der angegriffenen Regelung die Vorschrift des § 620 c Satz 2 ZPO hat umgehen wollen. Das Oberlandesgericht hatte mit seinem Beschluss vom den Umgang des Beschwerdeführers mit seinem Kind bereits dadurch faktisch ausgeschlossen, dass es anlässlich der - gegen die einstweilige Umgangsregelung des Amtsgerichts eingelegten - Beschwerde deren Vollziehung ausgesetzt hatte. Dazu war es indes nicht befugt, weil die Beschwerde gegen eine einstweilige Anordnung zum Umgang gemäß § 621 g in Verbindung mit § 620 c ZPO offensichtlich unstatthaft ist (vgl. OLG Köln, FamRZ 2003, S. 548; OLG Dresden, FamRZ 2003, S. 1306 f.; OLG Naumburg <1. Familiensenat>, JMBl ST 2003, S. 346; Philippi, in: Zöller, ZPO, 24. Auflage, § 620 c Rn. 4 und § 621 g Rn. 5; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 26. Auflage, § 620 c Rn. 4 und Rn. 7; Motzer, FamRZ 2003, S. 793 <802>). Trotz der eindeutigen gesetzlichen Regelung hatte das Oberlandesgericht in jenem Beschluss nicht ansatzweise dargelegt, wieso es von der Statthaftigkeit der Beschwerde ausgegangen war. Zu einer entsprechenden Begründung hätte sich der 14. Senat umso mehr veranlasst sehen müssen, als kurz zuvor bereits der 8. Senat des Oberlandesgerichts Naumburg in demselben Umgangsrechtsverfahren ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Beschwerde (bezogen auf die vorangegangene einstweilige Anordnung) hingewiesen hatte (vgl. auch den Hinweis des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom , aaO, S. 1863).
Zwar hat das Oberlandesgericht den Beschluss über die Aussetzung der Vollziehung nach Zustellung der gegen diesen Beschluss erhobenen Verfassungsbeschwerde nebst Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an die Äußerungsberechtigten und kurz vor Ablauf der Stellungnahmefrist am wegen der "zwischenzeitlich gegebenen Entscheidungsreife" der Untätigkeitsbeschwerde aufgehoben. Davon, dass es mangels Zulässigkeit der Beschwerde diesen Beschluss gar nicht hätte erlassen dürfen, hat das Oberlandesgericht in der Begründung jedoch nichts erwähnt. Vielmehr hat es noch am selben Tag in seinem Beschluss über die Untätigkeitsbeschwerde wiederum den Umgang des Beschwerdeführers mit seinem Kind vorläufig ausgeschlossen, indem es nunmehr in diesem Verfahren und nicht im Beschwerdeverfahren gegen den erstinstanzlichen Beschluss diesen entsprechend abgeändert hat.
bb) Daneben dürfte der Beschwerdeführer auch in seinem Recht aus Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt sein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass der Beschwerdeführer durch den Umgangsrechtsausschluss in seinem Recht aus Art. 8 EMRK verletzt sei und dass ihm zumindest der Umgang mit seinem Kind gewährleistet werden müsse (vgl. EGMR, FamRZ 2004, S. 1456 <1460, Nr. 64>). Nach dem aus Anlass dieser Entscheidung ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, aaO, S. 1858 f.) erstreckt sich die Bindungswirkung einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf alle staatlichen Organe und verpflichtet diese grundsätzlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) einen fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen. Gerichte sind zur Berücksichtigung eines Urteils, das einen von ihnen bereits entschiedenen Fall betrifft, jedenfalls dann verpflichtet, wenn sie in verfahrensrechtlich zulässiger Weise erneut über den Gegenstand entscheiden und dem Urteil ohne materiellen Gesetzesverstoß Rechnung tragen können. Dabei hat sich das Gericht in einer nachvollziehbaren Form damit auseinander zu setzen, wie das betroffene Grundrecht (hier Art. 6 GG) in einer den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland entsprechenden Art und Weise ausgelegt werden kann (vgl. BVerfG, aaO, S. 1863).
Diese Vorgaben hat das Oberlandesgericht ersichtlich abermals nicht beachtet. Insbesondere hat es sich nicht ansatzweise mit der Frage auseinander gesetzt, wie der Beschwerdeführer eine Familienzusammenführung überhaupt erreichen kann, wenn ihm der Aufbau jeglicher Kontakte mit seinem Kind versagt bleibt. Auch hat es sich nicht hinreichend mit den Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte befasst, wonach es dem Kindeswohl entspreche, die familiären Beziehungen aufrechtzuerhalten, da der Abbruch solcher Beziehungen die Trennung des Kindes von seinen Wurzeln bedeute, was nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt sei. Dass die vom Oberlandesgericht pauschal erwogene und mit keinen konkreten Tatsachen belegte Kindeswohlgefährdung durch die vom Amtsgericht angeordnete Anwesenheit einer geschulten Begleitperson gebannt werden kann, hat das Oberlandesgericht ebenso wenig in Betracht gezogen wie die Tatsache, dass der Umgang ohnehin nur für eine Dauer von zwei Stunden pro Woche vorgesehen ist. Die vom Oberlandesgericht in seinem Beschluss angeführten "fachmedizinischen Einschätzungen" sind nicht hinreichend geeignet, eine Gefährdung des Kindeswohls durch diese zeitlich geringfügigen Umgangskontakte zu begründen. So heißt es etwa in der Stellungnahme der Kinderärztin, dass der Junge schwere psychische Schäden davon trage, falls man ihn "aus seinem familiären Umfeld herausreißt". Von einem solchen "Herausreißen" kann bei einem Umgang von zwei Stunden in der Woche indes nicht die Rede sein.
2. Die sonach gebotene Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, welche die Durchführung von Umgangskontakten gewährleistet.
a) Unterbliebe die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, wäre der Beschwerdeführer weiterhin vom Umgang mit seinem Kind ausgeschlossen. Bis der Beschwerdeführer tatsächlich Umgangskontakte ausüben könnte, dürften unter Berücksichtigung der Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens und der Dauer des sich daran aufgrund einer möglichen Zurückweisung anschließenden fachgerichtlichen Verfahrens bis zu sechs Monate vergehen. Dies stellt einen nicht unerheblichen Zeitraum dar, bedenkt man, dass der Beschwerdeführer sich schon von der Geburt des Kindes an um dieses bemüht hat und in Anbetracht des fortschreitenden Alters des Kindes immer weniger die Möglichkeit hat, an dessen Entwicklung teilzuhaben. Hinzu kommt, dass eine Familienzusammenführung umso unwahrscheinlicher wird, je länger der Umgangsausschluss andauert. Zusätzlich ist hier von ausschlaggebender Bedeutung, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in dieser Angelegenheit bereits entschieden hat, dem Beschwerdeführer müsse der Umgang mit seinem Kind gewährt werden (vgl. EGMR, FamRZ 2004, S. 1456 <1460, Nr. 64>), und dass diese Entscheidung nach dem (aaO, S. 1857) auch grundsätzlich zu berücksichtigen ist.
b) Wenn die begehrte einstweilige Anordnung dagegen erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber später der Erfolg zu versagen wäre, hätte der Beschwerdeführer mit seinem Kind bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde Umgangskontakte von wöchentlich zwei Stunden, wobei die ersten vier Kontakte unter fachkundiger Begleitung stattfänden. Dass hierdurch - wie das Oberlandesgericht meint - eine schwer wiegende Gefährdung des Kindeswohls drohte, ist nicht ersichtlich. Zwar soll nicht verkannt werden, dass gerade in Fällen der vorliegenden Art das Kind durch das Verhalten einerseits der Pflegeeltern und andererseits des leiblichen Elternteils in Konflikte geraten kann. Dem ist das Amtsgericht in seiner einstweiligen Anordnung allerdings insoweit entgegen getreten, als es den Beteiligten aufgegeben hat, sich jeglicher, insbesondere abwertender, Äußerungen in Anwesenheit des Kindes zu enthalten, die die Beziehung zum Beschwerdeführer, aber auch zu den Pflegeeltern belasten könnten. Gegen eine Kindeswohlgefährdung spricht zudem, dass das fünfjährige Kind, das von seinem vierten Lebenstag an bei den Pflegeeltern aufgewachsen ist, zu diesen eine stabile Bindung aufgebaut haben dürfte, die es ihm ermöglicht, auch Kontakt mit ihm nicht (so) vertrauten Personen aufzunehmen, ohne dadurch in seiner psychischen Verfassung gefährdet zu werden (vgl. etwa Koechel, Kindeswohl im gerichtlichen Verfahren, 1995, S. 23 f. m.w.N.).
Zudem ist es nicht zwingend, dass mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde die Umgangskontakte wieder einzustellen wären. Denn die Gerichte haben sich in jeder Lage des Verfahrens am Kindeswohl zu orientieren. Käme das Gericht zu dem Ergebnis, ein Abbruch der angelaufenen Umgangskontakte könnte dem Kind schaden, wären demzufolge die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
c) Die Anordnung des Amtsgerichts war hinsichtlich der zeitlichen Vorgaben (vgl. Ziffer 1 lit. a) und b) des Tenors) zu aktualisieren, auch um den Beteiligten eine entsprechende Vorbereitung zu ermöglichen. Zudem waren das Jugendamt und der Landkreis Wittenberg von der Androhung des Zwangsgeldes auszunehmen (vgl. Zimmermann, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 33 Rn. 16).
3. Die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, dass die vom Amtsgericht getroffene Umgangsregelung Geltung beanspruche, bedeutet, dass die amtsgerichtliche Regelung für die Dauer der durch das Bundesverfassungsgericht erlassenen einstweiligen Anordnung vorbehaltlich einer Änderung der Sachlage Bestand hat und von daher solange einer gerichtlichen Überprüfung durch das Oberlandesgericht entzogen ist.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG (vgl. BVerfGE 82, 310 <315>).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
YAAAB-85906