Instanzenzug:
Gründe
I. Mit notariellem Grundstückskaufvertrag vom erwarben die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) in Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ein bebautes Grundstück. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) entsprach dem Antrag auf Grunderwerbsteuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes Baden-Württemberg —GrEStG (BW)— vom (GBl S. 245 mit späteren Änderungen) durch Bescheid vom . Das FA sah nach Ablauf der Verwendungsfrist von zehn Jahren die Befreiungsvoraussetzungen als nicht erfüllt an und setzte, da die GbR zwischenzeitlich aufgelöst war, gegen den Kläger und die Klägerin, jeweils als Gesamtschuldner, durch Bescheide vom Grunderwerbsteuer fest. Die am eingelegten Einsprüche blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob die Grunderwerbsteuerbescheide vom und die Einspruchsentscheidungen vom auf, weil die Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 der Abgabenordnung —AO 1977—) nicht gewahrt sei. Es habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können, dass die angefochtenen Steuerbescheide den Machtbereich des FA vor Ablauf der Festsetzungsfrist am verlassen hätten.
Das FA macht mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision durch das FG Notwendigkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend.
II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel. Es ist sachgerecht, die Sache gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen.
Das Urteil des FG unterliegt —ungeachtet der seit Aufhebung des § 160 Abs. 2 FGO ab fehlenden Revisibilität des GrEStG (BW) (vgl. , BFHE 180, 178, BStBl II 1996, 396)— der uneingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit durch den BFH, ob das FG gegen zum Bundesrecht gehörende Vorschriften über das finanzgerichtliche Verfahren bzw. über das Verwaltungsverfahren verstoßen hat (vgl. Sack, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1995, 1615).
1. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung ist zu Recht erhoben. Das FG hat verfahrensfehlerhaft nähere Ermittlungen zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Steuerbescheide unterlassen, obwohl sich entsprechende Ermittlungen aufdrängen mussten.
a) Zwar ist das FG hinsichtlich der Anforderungen für den Nachweis, dass die streitgegenständlichen Steuerbescheide den Bereich des FA vor Ablauf der Festsetzungsfrist verlassen haben (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977), zutreffend von der Rechtsprechung des , BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211; vgl. auch , BFH/NV 2003, 138) ausgegangen. Hiernach kann von der Finanzbehörde verlangt werden, die ordnungsgemäße Absendung eines fristwahrenden Steuerbescheides durch einen Absendevermerk der Poststelle in den Akten festzuhalten. Fehlt ein solcher Vermerk, muss das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Gesamtwürdigung aller in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalles beurteilen, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen hält oder nicht.
Das FG hat unter Beachtung dieser Rechtsprechungsgrundsätze festgestellt, dass kein Vermerk über den Tag der Aufgabe der streitgegenständlichen Bescheide zur Post vorliegt. Es hat es daher in Einklang mit dem BFH-Urteil in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211 zutreffend abgelehnt, für den Nachweis, dass die angegriffenen Bescheide fristwahrend den Machtbereich des FA verlassen haben, die Grundsätze des Anscheinsbeweises anzuwenden.
b) Dem FG hätten sich aber weitere Ermittlungen zum Zeitpunkt des Abgangs der Steuerbescheide beim FA aufdrängen müssen.
Das FG ist auf der Grundlage der von ihm vernommenen Zeugen zu der Überzeugung gelangt, dass die Steuerbescheide in den Postlauf des FA gelangt waren und die Poststelle des FA erreicht hatten. Es hat es lediglich als nicht gewiss angesehen, ob die Steuerbescheide von der Poststelle auch zur Post gegeben wurden. Das FG hat ferner angenommen, dass die Poststelle des FA nach den Aussagen der Zeugen ordentlich organisiert war und auch Vorkehrungen getroffen worden waren, die im Regelfall sicherstellten, dass sämtliche Ausgangspost auch tatsächlich das FA verlässt.
Bei dieser Sachlage hätte es sich dem FG aufdrängen müssen, den genauen Zeitpunkt des —unstreitig erfolgten— Zugangs der Steuerbescheide bei den Klägern zu ermitteln und aus diesem Zugangszeitpunkt ggf. Rückschlüsse darauf zu ziehen, zu welchem Zeitpunkt die Steuerbescheide den Bereich des FA verlassen hatten. Zwar hat das FG ausgeführt, dass der Tag des Zugangs der Steuerbescheide nicht zu ermitteln gewesen sei. Im Klageverfahren ist es jedoch Aufgabe des FG, den Sachverhalt unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel so vollständig wie möglich aufzuklären (BFH-Entscheidungen vom X R 151/97, BFH/NV 2000, 1097; vom II B 109/02, BFH/NV 2004, 156). Das FG hätte daher bei den Klägern die Briefumschläge der streitgegenständlichen Steuerbescheide anfordern müssen, um aus den auf diesen befindlichen Poststempeln Anhaltspunkte für den Tag der Aufgabe der Steuerbescheide zur Post zu gewinnen.
Fundstelle(n):
AO-StB 2006 S. 135 Nr. 6
BFH/NV 2006 S. 1249 Nr. 7
GAAAB-82717