Keine Kürzung des Vorwegabzugs bei in der freien Wirtschaft weiterbeschäftigtem Beamtenpensionär
Leitsatz
Führt der Arbeitgeber für den Steuerpflichtigen zwar Beiträge zur Rentenversicherung und/oder Arbeitslosenversicherung ab, können dem Arbeitnehmer hieraus aber schon dem Grunde nach keine Ansprüche erwachsen, weil er nicht zum Kreise der Versicherten gehört, so kommt wegen dieser Leistungen keine Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG in Betracht.
Instanzenzug: , 13 K 119/98, 13 K 120/98 (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die verheirateten Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden in den Streitjahren 1994 bis 1996 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der 1948 geborene Kläger ist pensionierter Luftwaffenpilot und bezog als Pensionär Bruttoarbeitslöhne in Höhe von 44 725 DM (1994), 44 648 DM (1995) und 47 346 DM (1996). Außerdem war er bei der X beschäftigt und erzielte hieraus einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 109 167 DM (1994), 124 093 DM (1995) und 118 865 DM (1996). Die X führte für ihn Beiträge zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung ab, die sie als steuerfrei behandelte. Der Kläger selbst zahlte keinen Arbeitnehmeranteil in die Rentenversicherung ein, sondern nur einen solchen in die Arbeitslosenversicherung. Außerdem versteuerte der Kläger Firmenleistungen für Zukunftssicherung (laut Vergütungsbescheinigung 169,70 DM monatlich) und Berufsunfallversicherung (laut Bescheinigung 14,45 DM monatlich). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) kürzte den Vorwegabzug der Kläger in den Streitjahren in Höhe von 12 000 DM. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.
Mit ihrer Klage machten die Kläger geltend, der Vorwegabzug sei nicht zu kürzen. Der Kläger sei als beihilfeberechtigter Pensionär weder krankenversicherungspflichtig noch rentenversicherungspflichtig.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Einlassung der Kläger spreche dafür, dass es sich nur bei der Zahlung der 169,70 DM um eine —steuerpflichtige— tarifvertraglich vereinbarte Leistung handele und die weiteren Leistungen auf Grund sozialgesetzlicher Vorschriften steuerfrei nach § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erbracht worden seien. Es sei nicht zulässig, dem Kläger einerseits die Steuerfreiheit der Arbeitgeberanteile nach § 3 Nr. 62 EStG zuzubilligen und andererseits auf die Kürzung des Vorwegabzugs zu verzichten. Das gelte auch dann, wenn der Kläger —was nicht nachgewiesen worden sei— aus den Einzahlungen der Arbeitgeberin tatsächlich keinen Anspruch auf eine Altersrente erhalte. Der Vorteil, der durch die Kürzung kompensiert werden solle, liege nicht in dem Aufbau einer Rentenanwartschaft, sondern darin, dass der Kläger gegenüber Gewerbetreibenden und Freiberuflern einen steuerlichen Vorteil dadurch erlange, dass die Arbeitgeberanteile nach § 3 Nr. 62 EStG nicht versteuert werden.
Mit ihrer Revision tragen die Kläger vor, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, die Arbeitgeberin habe für den Kläger steuerfreie Zukunftsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht. Zu entscheiden sei, ob bei weiterbeschäftigten Beamtenpensionären der Vorwegabzug auch dann zu kürzen sei, wenn diese in den neuen Arbeitsverhältnissen wegen ihres Beihilfeanspruchs aus dem früheren Dienstverhältnis von der Krankenversicherung befreit seien und darüber hinaus in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei seien, der neue Arbeitgeber aber gleichwohl einen Beitragsanteil gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) zu entrichten habe, der für Pensionäre aber keinerlei gegenwärtige oder zukünftige Ansprüche erzeugen könne. Die Arbeitgeberleistung werde dann gerade nicht zur Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen erbracht. Der Kläger erhalte nach dem 63. Lebensjahr keine Rente der Bundesversicherungsanstalt (BfA) und zwar deshalb, weil er früher Luftwaffenpilot gewesen sei und Pension beziehe. Das FG habe möglicherweise die bereits im Einspruchsverfahren vorgelegte Bescheinigung der X missverstanden. Danach erhalte er ab seinem 55. Lebensjahr, mit dem seine Dienstzeit bei der X ende, bis zum Beginn der BfA-Rente eine tarifvertragliche Übergangsversorgung. Damit werde nur das gewöhnliche Ende der Übergangsversorgung benannt; daraus ergebe sich aber nicht, dass ihm eine solche BfA-Rente auch wirklich zustehe.
Das FA hat den Einkommensteuerbescheid 1994 geändert mit Änderungsbescheid vom , den Einkommensteuerbescheid 1995 mit Änderungsbescheid vom und den Einkommensteuerbescheid 1996 mit Änderungsbescheid vom . Die Änderungen ergingen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), die streitigen Kürzungen des Vorwegabzugs blieben dabei unverändert. Die Kläger haben mitgeteilt, eine Änderung des Streitstoffs habe sich aus den Änderungsbescheiden nicht ergeben.
Die Kläger beantragen, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1994 vom , den Einkommensteuerbescheid 1995 vom und den Einkommensteuerbescheid 1996 vom dergestalt abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Vorwegabzugs von jeweils 12 000 DM neu festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung des rentenversicherungsfreien Klägers seien Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG. Für die Kürzung des Vorwegabzugs sei unmaßgeblich, ob der Kläger Ansprüche gegen die Arbeitslosenversicherung erwerbe oder nicht.
II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Zu Unrecht hat das FG die Beiträge zur Rentenversicherung als Leistungen für die Zukunftssicherung des Klägers beurteilt, die zur Kürzung des Vorwegabzugs führen. Werden vom Arbeitgeber für den Steuerpflichtigen zwar Beiträge zur Rentenversicherung und/oder Arbeitslosenversicherung abgeführt, können diesem hieraus aber schon dem Grunde nach keine Ansprüche erwachsen, weil er nicht zum Kreise der Versicherten gehört, so ist wegen dieser Leistungen der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG nicht zu kürzen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die geänderten Einkommensteuerbescheide für 1994 vom , für 1995 vom und für 1996 vom . Einer Zurückverweisung für die Streitjahre bedarf es nicht, weil die vom FG festgestellten tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs durch die Änderungen der angefochtenen Bescheide unberührt geblieben sind (, BFH/NV 2004, 1277; vom IX R 7/01, BFH/NV 2004, 1408, m.w.N.).
1. Nach dem in den Streitjahren geltenden EStG sind als Sonderausgaben u.a. gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG Beiträge zu Kranken-, Pflege-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, zu den gesetzlichen Rentenversicherungen und an die Bundesanstalt für Arbeit zu berücksichtigen. Für den Abzug dieser sog. Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EStG) sind durch § 10 Abs. 3 EStG im Falle der Zusammenveranlagung je Kalenderjahr folgende Höchstbeträge vorgegeben: ein Grundhöchstbetrag in Höhe von 5 220 DM, ein Vorwegabzug in Höhe von 12 000 DM und ein sog. hälftiger Höchstbetrag bis zu 2 610 DM. Der Vorwegabzug ist nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG —ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG— zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.
Nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG sind steuerfrei Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers, soweit der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist.
2. Der Arbeitgeber des Klägers hat zwar auf Grund sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung erbracht; es handelt sich dabei aber nicht um Leistungen „für” die Zukunftssicherung des Klägers i.S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG, weil der Kläger trotz dieser Leistungen nicht zum Kreise der Versicherten gehört und ihm auch keine Ansprüche gegen die gesetzliche Rentenversicherung zustehen.
a) Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auf Grund gesetzlicher Verpflichtung sind im Prinzip Leistungen zur Zukunftssicherung (Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 3 Nr. 62 unter „Zukunftssicherungsleistungen” b); Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr. E 38 f.). Steht indes von vornherein fest, dass der Kläger durch die Beitragsleistungen seines Arbeitgebers dem Grunde nach keine Ansprüche für seine Altersabsicherung erlangen kann, so fehlt den Beitragsleistungen bereits dem Grunde nach das Merkmal, dass sie „für” die Zukunftssicherung des Klägers erbracht werden (vgl. Senatsurteil vom XI R 31/01, BFHE 203, 33, BStBl II 2004, 6).
b) Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sind Arbeitgeber verpflichtet, für Beschäftigte, die als Versorgungsbezieher versicherungsfrei sind, die Hälfte des Beitrags zu tragen, der zu zahlen wäre, wenn der Kläger versicherungspflichtig wäre. Die Vorschrift verfolgt arbeitsmarktpolitische Zwecke; die Zahlungspflicht soll ansonsten aus der Beschäftigung versicherungsfreier Arbeitnehmer auf Seiten der Arbeitgeber eintretende Wettbewerbsvorteile verhindern. Die Zahlung ist jedoch kein Beitrag, der in der gesetzlichen Rentenversicherung zu Leistungsansprüchen führen würde. Die Zahlungen kommen ausschließlich der Versichertengemeinschaft zugute (Kreikebohm/Grintsch, Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, Kommentar, 2. Aufl., § 172 Rdnr. 2; Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, SGB VI, § 172 Anm. 2).
Der Kläger war als Versorgungsbezieher gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI rentenversicherungsfrei. Versicherungsfrei kraft Gesetzes sind Personengruppen, deren Altersversorgung bereits anderweitig gesichert ist und die deshalb einer Sicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung nicht bedürfen. Hierzu zählen insbesondere Beamte, Richter und Berufssoldaten mit Anspruch auf eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen (vgl. Übersicht über das Sozialrecht, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, 3. Aufl., Kap. 6 Abs. 28). Auf die Höhe der Versorgung kommt es hierbei nicht an, entscheidend ist allein, dass der Grund der Versorgung das Erreichen einer Altersgrenze ist (Kreikebohm/Grintsch, a.a.O., § 5 Rdnr. 37 ff.; Jahn, a.a.O., § 5 Anm. 20); im Falle von Offizieren der Luftwaffe kann dies die Vollendung des 40. oder 41. Lebensjahres sein (§ 45 Abs. 2 Nr. 6 des Soldatengesetzes).
c) Den Entscheidungen des Senats vom XI R 61/00 (BFHE 200, 540, BStBl II 2003, 183), XI R 71/00 (BFHE 200, 544, BStBl II 2003, 343) und XI R 75/00 (BFHE 200, 548, BStBl II 2003, 288) kann nichts Gegenteiliges entnommen werden. Voraussetzung für die Kürzung des Vorwegabzugs ist danach stets, dass überhaupt Leistungen „für” die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers erbracht worden sind. Die Leistungen des Arbeitgebers werden im Streitfall dagegen ausschließlich zur Finanzierung einer Versichertengemeinschaft erbracht, von der der Kläger kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Mit der Begründung, der Arbeitgeber erbringe im Streitfall steuerfreie Leistungen für die Altersvorsorge des Klägers, lässt sich die Kürzung des Vorwegabzugs der Kläger somit nicht rechtfertigen.
3. Im Ergebnis zu Recht hat das FG die Kürzung des Vorwegabzugs nicht damit begründet, dass der Arbeitgeber für den Kläger Beiträge zur Arbeitslosenversicherung geleistet habe. Es handelt sich im Streitfall auch insoweit nicht um Leistungen „für” die Zukunftssicherung i.S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a 1. Alternative EStG, da der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld nach § 142 Abs. 1 Nr. 4 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch ruht, solange er als Versorgungsempfänger eine einer Altersrente ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art erhält (vgl. BFH in BFHE 203, 33, BStBl II 2004, 6).
4. Der Kläger gehört auch nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 EStG. Hierzu gehören Arbeitnehmer, die u.a. in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei waren und denen für den Fall ihres Ausscheidens aus der Beschäftigung auf Grund des Beschäftigungsverhältnisses eine lebenslange Versorgung oder an deren Stelle eine Abfindung zusteht. Der Kläger war zwar in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei, ihm steht jedoch im Falle seines Ausscheidens bei der X auf Grund dieses aktuell laufenden Beschäftigungsverhältnisses nur eine Übergangsversorgung und keine lebenslange Versorgung zu. Die bereits laufend bezogenen Versorgungsleistungen resultierten hingegen aus einem früheren Dienstverhältnis. Der Kläger erfüllte als gemäß § 1 SGB VI im Prinzip versicherungspflichtiger Arbeitnehmer auch nicht den Tatbestand des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG.
5. Da den Klägern für ihre Vorsorgeaufwendungen demnach der Vorwegabzug in voller Höhe zusteht, ist die Einkommensteuer für die Jahre 1994 bis 1996 entsprechend herabzusetzen. Die Berechnung der Steuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1073 Nr. 6
EStB 2006 S. 213 Nr. 6
HFR 2006 S. 571 Nr. 6
HFR 2006 S. 777 Nr. 8
KÖSDI 2006 S. 15152 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 19/2006 S. 1578
NWB-Eilnachricht Nr. 34/2006 S. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 37/2006 S. 3107
HAAAB-82507