Leitsatz
Über die Verrechenbarkeit von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG, die im Entstehungsjahr nicht ausgeglichen werden können, ist im Jahr der Verrechnung zu entscheiden; ein gesondertes Feststellungsverfahren sieht die Vorschrift nicht vor (entgegen , BStBl I 2000, 1383, Tz. 42).
Gesetze: EStG § 10d Abs. 4EStG § 23 Abs. 3
Instanzenzug: (EFG 2004, 1370) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) gab in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2000 an, neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit einen Gesamtgewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von weniger als 1 000 DM erzielt zu haben.
Nachdem ihn der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erklärungsgemäß veranlagt hatte und der Einkommensteuerbescheid bestandskräftig geworden war, legte der Kläger eine Verlustaufstellung für das Streitjahr mit dem Antrag vor, den ausgewiesenen Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 5 036 DM festzustellen. Diesen Antrag lehnte das FA unter Hinweis auf die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2000 ab.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1370 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab: Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG könne in entsprechender Anwendung des § 10d EStG ein Feststellungsbescheid über im Verlustentstehungsjahr nicht ausgleichsfähige Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht mehr ergehen, wenn der Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr wie im Streitfall wegen Eintritts der Bestandskraft nicht mehr geändert werden könne. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 10d Abs. 4 EStG.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG. Die Vorschrift regele zwar die Vortragsfähigkeit der hier streitigen Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften, setze aber nicht voraus, dass der Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahrs noch geändert werden könne. Dies folge schon aus der fehlenden Berücksichtigung dieser Verluste bei den Besteuerungsgrundlagen der Einkommensteuerfestsetzung für das Verlustentstehungsjahr.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften im Streitjahr 2000 in Höhe von 5 036 DM (= 2 575 €) festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Mit dem FG sei davon auszugehen, dass die Rechtsprechung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nach § 10d EStG ausweislich der Verweisung in § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG auch für den Vortrag von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften gelte. Danach sei eine Verlustfeststellung ausgeschlossen, wenn der Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr noch keinen Verlust ausweise und insoweit nicht mehr geändert werden könne.
II.
Die Revision ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der im Streitjahr nicht ausgleichbaren Verluste aus seinen Einkünften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, weil die Vorschrift ein solches Feststellungsverfahren nicht vorsieht. Über die Berücksichtigung solcher Verluste ist erst in denjenigen Veranlagungszeiträumen zu entscheiden, in denen der Steuerpflichtige —sei es im Vorjahr des Verlustentstehungsjahrs oder in den Folgejahren— positive Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt.
1. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass im Entstehungsjahr nicht ausgleichbare Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 23 Abs. 3 Satz 8 EStG) ebenso wie der verbleibende Verlustabzug i.S. des § 10d Abs. 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung gesondert festzustellen sind.
a) Nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG dürfen Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nur bis zur Höhe des Gewinns, den ein Steuerpflichtiger im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Nach § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG „mindern” diese Verluste nach Maßgabe des § 10d EStG die (positiven) Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat oder erzielt.
Der Wortlaut der Regelung ordnet damit lediglich an, dass die im Entstehungsjahr nicht ausgleichsfähigen Verluste als Minderungsposten bei positiven Einkünften aus solchen Geschäften in anderen Veranlagungszeiträumen zu berücksichtigen sind. „Nach Maßgabe des § 10d” erfolgt eine solche Minderung schon dann, wenn der Verlust bis zu einem Betrag von 2 Millionen DM im Vorjahr der Verlustentstehung bei entsprechend positiven Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften angesetzt wird (entsprechend der Regelung für den Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung) und im Übrigen vorgetragen wird (vgl. § 10d Abs. 2 EStG für Verluste aus anderen Einkunftsarten). Ein gesondertes Feststellungsverfahren für negative Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften ist im Übrigen —anders als in § 15a Abs. 4 EStG für Verluste bei beschränkter Haftung— weder in § 23 EStG noch in § 10d EStG geregelt.
Somit kann dem Wortlaut der Vorschrift —auch nicht im Wege teleologischer Auslegung— keine Entscheidung des Gesetzgebers für ein gesondertes Feststellungsverfahren über noch ausgleichsfähige Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften entnommen werden. Eine solche positive Entscheidung des Gesetzgebers wäre aber Voraussetzung für die Berechtigung eines Feststellungsverfahrens (vgl. Großer Senat des , BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679, unter C. 4.).
b) Ein entsprechender Wille des Gesetzgebers ist auch den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.
Mit der Neufassung des § 23 Abs. 3 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 wollte der Gesetzgeber lediglich die Verlustverrechung bei sonstigen Leistungen für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle erweitern, nachdem das (BVerfGE 99, 88) das frühere Verlustausgleichsverbot des § 22 Nr. 3 EStG für verfassungswidrig erklärt hatte (vgl. BTDrucks 14/23, S. 180; 14/265, S. 181; 14/443, S. 4). Dies unterstreicht die weitere Gesetzesbegründung, „im Übrigen solle es dabei bleiben, dass Verluste aus sonstigen Leistungen i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG künftig nur mit positiven Einkünften aus dieser Untereinkunftsart verrechnet werden dürfen” (BTDrucks. 14/443, S. 34).
c) Für die Annahme eines gesonderten Feststellungsverfahrens im Rahmen des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG ist danach kein Raum (vgl. , BFHE 194, 157, BStBl II 2001, 411, der die Frage als offen angesehen hat; wie hier Kohlrust-Schulz, Neue Wirtschaftsbriefe, Fach 3, S. 10775, 10783 (1999); a.A. —unter ausschließlichem Hinweis auf die Formulierung „nach Maßgabe des § 10d"— , BStBl I 2000, 1383, Tz. 42; Herzig/Lutterbach, Deutsches Steuerrecht 1999, 521, 524; Bachem in Bordewin/Brandt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 23 EStG Rz. 232; Carlé in Korn, Einkommensteuergesetz, § 23 Rz. 86; Jacobs-Soyka in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 23 EStG, Rn. 189; Jansen in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 23 EStG, Anm. 321; Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 23 Rz. 97; ebenso unter Hinweis auf § 15 Abs. 4 EStG: , EFG 1995, 973; II 20, Einkommensteuer-Kartei § 15 Fach 1 Karte 6). Folglich muss über die Verrechnung nicht ausgleichsfähiger Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG in dem Veranlagungszeitraum entschieden werden, in dem verrechenbare positive Einkünfte aus solchen Geschäften erzielt werden (vgl. zur entsprechenden Rechtslage beim Verlustabzug nach § 10d EStG vor Einführung des gesonderten Feststellungsverfahrens durch das Steuerreformgesetz 1990 vom , BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224: , BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225, m.w.N.).
2. Soweit eine Verrechnung nicht ausgleichsfähiger Verluste mit positiven Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften im Hinblick auf die von den Beteiligten angenommene Notwendigkeit eines gesonderten Feststellungsverfahrens in bereits abgelaufenen Veranlagungszeiträumen unterblieben ist, kann dies trotz ggf. eingetretener Bestandskraft von Einkommensteuerbescheiden nach Maßgabe des § 174 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nachgeholt werden.
Nach dieser Vorschrift kann eine Steuerfestsetzung geändert werden, wenn bei ihr ein Sachverhalt in der erkennbaren Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass dieser in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei. Ein solcher Widerstreit ist auch zwischen einem Feststellungsbescheid und einem Einkommensteuerbescheid als Folgebescheid möglich (, BFH/NV 2003, 1035, m.w.N.; Klein/ Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 174 Rz. 14; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, AO, § 174, Rz. 24; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, 11. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 174 Rz. 17). Er ist gegeben, soweit die streitigen Verluste wegen der von den Beteiligten zu Unrecht angenommenen Notwendigkeit eines gesonderten Feststellungsverfahrens nicht angesetzt worden sein sollten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 158
BB 2006 S. 976 Nr. 18
BBV-Kurznachricht Nr. 5/2006 S. 136
BFH/NV 2006 S. 1185 Nr. 6
BStBl II 2007 S. 158 Nr. 5
DB 2006 S. 933 Nr. 17
DStR 2006 S. 753 Nr. 17
DStRE 2006 S. 635 Nr. 10
DStZ 2006 S. 318 Nr. 10
GStB 2006 S. 18 Nr. 5
GStB 2006 S. 18 Nr. 5
HFR 2006 S. 672 Nr. 7
INF 2006 S. 365 Nr. 10
NJW 2006 S. 2000 Nr. 27
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2008 S. 1333
NWB-Eilnachricht Nr. 17/2006 S. 1394
SJ 2006 S. 5 Nr. 11
StB 2006 S. 201 Nr. 6
StBW 2006 S. 5 Nr. 9
StBp. 2006 S. 199 Nr. 6
StuB-Bilanzreport Nr. 9/2006 S. 361
WPg 2006 S. 732 Nr. 11
MAAAB-82057