Leitsatz
Verbindlichkeiten, die auf die Leistung eines Geldbetrages gerichtet und erst nach geraumer Zeit zu tilgen sind, sind —auch ohne Vorliegen einer ausdrücklichen Zinsvereinbarung— regelmäßig abzuzinsen. Dies gilt indessen nicht, soweit Verbindlichkeiten tatsächlich keinen Zinsanteil enthalten.
Gesetze: KStG § 36KStG § 38KStG a.F. § 30 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 4KStG a.F. § 36KStG a.F. § 37 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1KStG a.F. § 47 Abs. 1EStG § 6 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. eHGB § 250 Abs. 3 Satz 1HGB § 253 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, Halbsatz 2
Instanzenzug: (EFG 2005, 399) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die (am Klageverfahren als Klägerin zu 2. beteiligte) Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin zu 2.) ist Rechtsnachfolgerin einer GmbH, der K-GmbH, die in den Streitjahren 1992 bis 1994 Organgesellschaft i.S. der §§ 14 ff. des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) der K-AG war. Die K-AG bzw. deren Rechtsnachfolgerin, die X-AG, war am Klageverfahren —als Klägerin zu 1.— beteiligt.
In ihren Bilanzen zum bis bildete die K-GmbH aufgrund eines bestehenden Sozialplans „Sozialplanrückstellungen”. Diese Rückstellungen betrafen die Kosten der vorzeitigen Pensionierung von Mitarbeitern. Grundlage hierfür waren mit einzelnen Arbeitnehmern abgeschlossene oder mit dem Betriebsrat beschlossene Austrittsvereinbarungen, in denen sich die K-GmbH zu Ausgleichszahlungen verpflichtet hatte.
Entgegen der Bewertung durch die K-GmbH zinste der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) diese Rückstellung mit einem Zinssatz von 5,5 v.H. ab, soweit die Verpflichtungen eine Laufzeit von 12 Monaten und länger aufwiesen, und erließ gegenüber der K-GmbH geänderte Bescheide u.a. zur gesonderten Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals (vEK) jeweils zum 31. Dezember der Streitjahre 1992 bis 1994 gemäß § 47 Abs. 1 KStG a.F. (i.d.F. vor dem Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom —StSenkG—, BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428), in denen es gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 KStG a.F. den Teilbetrag des vEK i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG a.F. (EK 04) der Klägerin zu 2. um die entsprechenden Vermögensmehrungen erhöhte.
Die hiergegen von der Klägerin zu 1. erhobene Klage wies das wegen fehlender Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) als unzulässig ab. Der Klage der Klägerin zu 2. gab das FG hingegen statt. Auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 399 abgedruckten Entscheidungsgründe wird verwiesen.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 6 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG. Es beantragt, die Vorentscheidung betreffend die Klägerin zu 2. aufzuheben und auch deren Klage abzuweisen.
Die Klägerin zu 2. beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Die Klage ist zulässig. Das FG hat die Klägerin zu 2. (§ 40 Abs. 2 FGO) hinsichtlich der sie betreffenden gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 Abs. 1 KStG a.F. zu Recht abweichend von der —am Revisionsverfahren nicht beteiligten (vgl. , BFHE 155, 250, BStBl II 1989, 326; Rüsken in Beermann/Gosch, FGO, § 122 Rz. 7)— Klägerin zu 1. als klagebefugt angesehen. Zwar bleiben Vermögensmehrungen einer Organgesellschaft, die dem Organträger gemäß § 36 KStG a.F. zugerechnet werden, bei der Gliederung des vEK der Organgesellschaft außer Ansatz (§ 37 Abs. 1 KStG a.F.). Dies gilt jedoch nicht, soweit diese Vermögensmehrungen den abgeführten Gewinn übersteigen (§ 37 Abs. 2 Satz 1 KStG a.F.), weil etwa —wie im Streitfall— in der Handelsbilanz steuerlich nicht anerkannte Reserven gebildet worden sind (vgl. auch Abschn. 92 Abs. 2 Satz 2 der Körperschaftsteuer-Richtlinien —KStR— 1995). Unabhängig von der Zurechnung der Vermögensmehrungen in der Gliederung des vEK des Organträgers sind dann die „Minderabführungen” in der Gliederungsrechnung der Organgesellschaft (K-GmbH) selbst zu berücksichtigen und dabei (entsprechend der Behandlung einer Einlage) dem Teilbetrag des EK 04 zuzuordnen. Gegen diese Zuordnung in ihrer Gliederungsrechnung kann lediglich die Klägerin zu 2., nicht hingegen die Klägerin zu 1. im Rechtsmittelwege vorgehen. Die Ermittlung des die Organträgerin berührenden zu versteuernden Einkommens ist ausschließlich dem Verfahren betreffend ihrer Körperschaftsteuerfestsetzung vorbehalten (, BFHE 205, 1, BStBl II 2004, 539).
Einem berechtigten Interesse der Klägerin zu 2. an der Anfechtung der Feststellungsbescheide gemäß § 47 Abs. 1 KStG a.F. steht auch nicht entgegen, dass eine Erhöhung des EK 04 in ihrer Gliederungsrechnung regelmäßig nicht unmittelbar zu steuerlichen Auswirkungen führt (vgl. § 28 Abs. 3, § 40 Satz 1 Nr. 2 KStG a.F.). Für eine Beschwer reicht aus, wenn die angegriffene steuerliche Behandlung sich in späteren Veranlagungszeiträumen zu Ungunsten des jeweiligen Klägers auswirken kann (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 1987, 504; vom VIII R 153/77, BFHE 129, 325, BStBl II 1980, 181, jeweils m.w.N.).
So aber liegen die Dinge im Streitfall. Hat nämlich die Klage der Klägerin zu 1. als Rechtsnachfolgerin der Organträgerin gegen die —bei der Ermittlung des der letzteren zuzurechnenden Einkommens der K-GmbH erfolgte— geringere Bewertung der Sozialplanverpflichtung Erfolg, würde dies zu einer Abweichung des um die Zuführung gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 KStG a.F. erhöhten Eigenkapitals lt. Gliederungsrechnung der K-GmbH von ihrem Eigenkapital lt. Steuerbilanz führen. Da diese Abweichung auf eine bestandskräftige gesonderte Feststellung der Teilbeträge des vEK zum Schluss eines vorangegangenen Wirtschaftsjahres zurückzuführen wäre, könnte sie in der Gliederungsrechnung zum ersten „noch offenen” Feststellungsstichtag als sonstige Vermögensmehrung anzusetzen und damit in den Teilbetrag gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 2 KStG a.F. (EK 02) umzugliedern sein (, BFHE 187, 273, BStBl II 1999, 101; vom I R 97/89, BFHE 165, 537, BStBl II 1992, 154). Der —insoweit abschließenden— Regelung des § 47 Abs. 2 Nr. 1 KStG a.F. ist eine Bindungswirkung eines geänderten Bescheids zur Festsetzung der Körperschaftsteuer der Organträgerin (als Grundlagenbescheid) für die Gliederungsrechnung der Organgesellschaft jedenfalls hinsichtlich eines dort das EK 04 berührenden Unterschiedsbetrages i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 KStG a.F. („Mehr- oder Minderabführungen”) nicht zu entnehmen. Eine Umgliederung der Zuführung zum EK 04 in das EK 02 könnte wiederum, wie das FG mit Recht ausführt, bei der Klägerin zu 2. auf der Grundlage der Neuregelungen des KStG i.d.F. ab dem StSenkG vom im Hinblick auf die Ermittlung der Endbestände des vEK (§ 36 KStG n.F.) und eine mögliche Körperschaftsteuererhöhung (§ 38 KStG n.F.) zu steuerlichen Nachteilen führen.
2. Die Vorentscheidung ist revisionsrechtlich auch insoweit nicht zu beanstanden, als das FG in der Sache entschieden hat, dass der Betrag der von der K-GmbH gebildeten Rückstellungen für Sozialplanverpflichtungen nicht auf die jeweiligen Bilanzstichtage abzuzinsen ist.
a) Zwar sind jedenfalls —auch Rückstellungen für ungewisse— Verbindlichkeiten, die auf die Leistung eines Geldbetrages gerichtet und erst nach geraumer Zeit zu tilgen sind, auch ohne dahin gehende ausdrückliche Zinsvereinbarung grundsätzlich abzuzinsen; dies gilt selbst dann, wenn die jeweilige Verbindlichkeit als unverzinslich deklariert wurde (, BFHE 114, 463, BStBl II 1975, 431; vom VIII R 19/70, BFHE 115, 514, BStBl II 1975, 647, jeweils m.w.N.). Es ist aufgrund allgemeiner Erfahrung davon auszugehen, dass solche Verbindlichkeiten einen Zinsanteil enthalten, der seinen Grund in einem „verdeckten Kreditgeschäft” zwischen den Vertragsparteien findet (vgl. Berger/M.Ring in Beck Bil-Komm., 5. Aufl., § 253 HGB Rz. 161; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., HGB § 253 Tz. 197). Der Zeitpunkt der Leistung eines Geldbetrages bindet unmittelbar Finanzmittel oder gibt solche (zu anderweitiger Verwendung) frei. Das Kreditgeschäft ist entsprechend dem Grundsatz der Einzelbewertung von der zugrunde liegenden Verbindlichkeit getrennt und als (ratierlich zu erfüllendes) schwebendes Geschäft zu behandeln (vgl. Berger/M.Ring in Beck Bil-Komm., a.a.O., § 253 HGB Rz. 161). So betrachtet entspricht die Bewertung der Verpflichtung zum abgezinsten Wert mit folgender ratierlicher „Aufzinsung” auch vernünftiger kaufmännischer Beurteilung (§ 253 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 des Handelsgesetzbuchs —HGB—).
Dem steht nicht das Erfordernis der Bewertung (ungewisser) Verbindlichkeiten zum Rückzahlungsbetrag entgegen. Ein Unterschiedsbetrag zwischen diesem und dem Verfügungs-(Ausgabe-)Betrag einer Verbindlichkeit darf aktiv abgegrenzt und abgeschrieben werden (§ 250 Abs. 3 Satz 1 HGB). Eine solche Abgrenzung, die in der Steuerbilanz zwingend ist (vgl. Adler/Düring/ Schmaltz, a.a.O., HGB § 253 Tz. 198; Kiesel in Herrmann/Heuer/ Raupach —HHR—, § 6 EStG Anm. 1142; Beschluss des Großen Senats des , BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291), kommt der Verteilung von Zinsen auf die Laufzeit der Verbindlichkeit gleich (vgl. BFH-Urteile in BFHE 115, 514, BStBl II 1975, 647, 2. a.E.; vom IV R 47/80, BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753).
Ein Abzinsungserfordernis gilt grundsätzlich auch im Rahmen von Arbeitsverhältnissen, wenn davon auszugehen ist, dass „der Arbeitgeber bei alsbaldiger Auszahlung einen geringeren Betrag entrichtet hätte, die erst später zu zahlende Summe bei wirtschaftlicher Betrachtung also einen Zinsanteil enthält” (vgl. BFH-Urteil in BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753, betreffend Gratifikationszahlungen).
b) Die genannten Grundsätze gelten indessen nicht, wenn eine Verbindlichkeit tatsächlich keinen Zinsanteil enthält, also unverzinslich ist (vgl. § 253 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 HGB i.d.F. des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen vom , BGBl I 1994, 1377). Dies ist der Fall, wenn sich der Auszahlungs-(Verfügungs-)Betrag mit dem Rückzahlungsbetrag im Einzelfall deckt (, BFHE 163, 146, BStBl II 1991, 479; vom I R 24/96, BFHE 186, 388, BStBl II 1998, 728; vgl. auch Werndl, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 6 Rdnr. D 28; HHR/Kiesel, § 6 EStG Anm. 1142). Diese Voraussetzungen können vorliegen, wenn aufgrund der Besonderheiten des zu beurteilenden Rechtsverhältnisses nicht von der Möglichkeit einer sofortigen Erfüllung der Verbindlichkeit zum Barwert auszugehen ist. Dafür spricht insbesondere, wenn eine „kaufmännische Gepflogenheit” oder „übliche Geschäftspraxis”, Zahlungsansprüche zu verzinsen, nicht festzustellen ist (im Ergebnis ebenso Berger/ M.Ring in Beck Bil-Komm., § 253 HGB Rz. 68). Dahin gehende Feststellungen sind tatsächlicher Natur und daher vom FG zu treffen.
c) Im Streitfall ist das FG von einer tatsächlichen Unverzinslichkeit der Zahlungsverpflichtung der K-GmbH ausgegangen. Damit hat es ein „verdecktes Kreditgeschäft” verneint. Es sei nicht zu erkennen, dass die Klägerin zu 2. und die einzelnen Arbeitnehmer eine Vereinbarung zur sofortigen Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Sozialplan (unter Verringerung der zu zahlenden Beträge um einen Zinsanteil) hätten treffen können. Bei dieser Verpflichtung lasse sich anders als in dem der BFH-Entscheidung in BFHE 186, 388, BStBl II 1998, 728 zugrunde liegenden Fall im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch keine „übliche Geschäftspraxis” feststellen, Zahlungsansprüche zu verzinsen. Kaufmännische Gepflogenheiten, die eine Verzinsung nahe legten, könnten nicht auf jedwedes Schuldverhältnis bezogen und übertragen werden. Auch „kalkulatorisch” ergebe sich aus der Natur der Verbindlichkeit kein verdecktes Darlehensverhältnis. Schließlich fehle es an einer (Vor-)Leistung des jeweiligen Arbeitnehmers (als Gläubiger der Sozialplanverpflichtung), da die Zahlungen dessen erst zukünftig eintretende Nachteile infolge der Freistellung ausgleichen sollten.
Gegen diese Feststellungen des FG sind keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht worden. Sie verstoßen auch weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze. Daher binden sie gemäß § 118 Abs. 2 FGO das Revisionsgericht.
d) § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom —StEntlG 1999/2000/2002— (BGBl I 1999, 402, 847, BStBl I 1999, 304), wonach „Rückstellungen für Verpflichtungen” mit einem Zinssatz von 5,5 v.H. abzuzinsen sind”, ist für nach dem endende Wirtschaftsjahre (§ 52 Abs. 16 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002) und damit nicht für die Streitjahre 1992 bis 1994 anzuwenden.
3. Nach alledem war die Vorentscheidung zu bestätigen. Daneben braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Verpflichtung der K-GmbH einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung nahe kommt und als solche grundsätzlich nicht abzuzinsen ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 471
BB 2006 S. 1047 Nr. 19
BB 2006 S. 929 Nr. 17
BBK-Kurznachricht Nr. 9/2006 S. 456
BFH/NV 2006 S. 1186 Nr. 6
DB 2006 S. 871 Nr. 16
DB 2007 S. 30 Nr. 27
DStRE 2006 S. 641 Nr. 11
DStZ 2006 S. 281 Nr. 9
DStZ 2006 S. 305 Nr. 9
EStB 2006 S. 168 Nr. 5
FR 2006 S. 609 Nr. 13
GStB 2006 S. 19 Nr. 5
GStB 2006 S. 19 Nr. 5
GStB 2006 S. 5 Nr. 2
GmbH-StB 2006 S. 128 Nr. 5
HFR 2006 S. 563 Nr. 6
INF 2006 S. 362 Nr. 10
KÖSDI 2006 S. 15073 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 17/2006 S. 1398
SJ 2006 S. 24 Nr. 9
StB 2006 S. 201 Nr. 6
StBW 2006 S. 3 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 9/2006 S. 357
WAAAB-81744