Ausschluss der Wiedereinsetzung bei fahrlässigem Vertreterschulden; Zulassung der Revision bei besonders gravierendem Mangel bei der Rechtsanwendung
Gesetze: FGO § 56,FGO § 115 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Revision zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
a) Die Zulassung der Revision kann nicht mit Erfolg auf die Erwägung gestützt werden, der Bundesfinanzhof (BFH) sehe als Maßstab des Verschuldens i.S. des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die „äußerste den Umständen des Falles angemessene und vernünftiger Weise zu erwartende Sorgfalt” an und verstoße damit gegen den im (BStBl II 2002, 835, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2003, 74) aufgestellten Grundsatz, demzufolge die Gerichte die Beschreitung des Rechtswegs nicht unnötig erschweren dürfen.
Zwar findet sich der Begriff der „äußersten” Sorgfalt in einigen BFH-Entscheidungen (vgl. z.B. die —kritischen— Nachweise bei Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 110 AO Tz. 14; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 56 Rz. 11). Es gibt aber auch BFH-Entscheidungen, in denen die „äußerste” Sorgfalt nur dann verlangt wird, wenn —wie nach Ablauf der Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO— zur Begründung des Versäumnisses höhere Gewalt geltend gemacht wird.
Abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob die jüngeren BFH-Entscheidungen, in denen noch von der „äußersten Sorgfalt” die Rede ist, diesen Verschuldensmaßstab tatsächlich angelegt haben, bietet der Streitfall keinen Anlass, die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) aufgeworfene Frage zu entscheiden. Das Finanzgericht (FG) hat seine Entscheidung nicht darauf gestützt, dass der erstinstanzliche Prozessvertreter der Klägerin die „äußerste den Umständen des Falles angemessene und vernünftiger Weise zu erwartende Sorgfalt” habe vermissen lassen. Das FG hat vielmehr seiner Entscheidung den Obersatz zugrunde gelegt, dass „jedes Verschulden - also auch eine einfache Fahrlässigkeit” - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließe. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte (vgl. z.B. , HFR 1984, 534, Versicherungsrecht —VersR— 1985, 139). Auch die Klägerin hat die Richtigkeit dieses Maßstabes nicht in Zweifel gezogen.
b) Gründe dafür, dass die Rechtsprechung des BFH im Wege der Rechtsfortbildung dahin gehend zu ändern wäre, dass einem Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe ein Organisationsmangel nicht vorgeworfen werden darf, wenn er sich selbst vertritt, sind nicht in ausreichender Weise dargelegt. Nach der Rechtsprechung des BFH wird insoweit kein Unterschied danach gemacht, ob ein Angehöriger eines solchen Berufs sich selbst oder einen anderen vertritt (vgl. z.B. , BFH/NV 2003, 801).
Hat der BFH bereits früher über eine Rechtsfrage entschieden, so muss der Beschwerdeführer begründen, weshalb er gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH zu dieser Frage für erforderlich hält. Hierzu muss er substantiiert vortragen, inwiefern und aus welchen Gründen die höchstrichterlich beantwortete Frage weiterhin umstritten ist, insbesondere welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Argumente in der Rechtsprechung der Finanzgerichte und/oder der Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VIII B 67/99, BFH/NV 2000, 966, und vom VIII B 151/04, juris).
Hieran fehlt es im Streitfall. Die Argumentation der Klägerin, die Erfüllung von organisatorischen und technischen Voraussetzungen für einen geordneten Bürobetrieb stelle einen erheblichen finanziellen Aufwand dar, der im Mandantenbereich durch die abrechenbaren Honorare ausgeglichen werde, ist nicht geeignet, die Erforderlichkeit einer erneuten höchstrichterlichen Entscheidung zu begründen. Zum einen kann nach § 155 FGO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 3 (früher Satz 4) der Zivilprozessordnung (ZPO) ein Rechtsanwalt oder Steuerberater, der vor dem FG in eigener Sache tätig war, von dem Erstattungspflichtigen Kostenersatz verlangen, wie wenn er durch einen anderen Prozessbevollmächtigten vertreten worden wäre (, BFHE 103, 314, BStBl II 1972, 94). Zum anderen stellt das Erfordernis einer hinreichenden Organisation zur Fristüberwachung nur das Äquivalent dafür dar, dass sich der Rechtsanwalt oder Steuerberater Fehler seines sorgfältig ausgewählten, geschulten und überwachten Personals nicht zurechnen lassen muss. Schließlich war der erstinstanzliche Prozessvertreter der Klägerin —wie das FG zutreffend festgestellt hat— nur für das Verfahren wegen Gewinnfeststellung (neben der Klägerin) klagebefugt. Er hat jedoch nicht im eigenen Namen Klage erhoben. Hinsichtlich der Umsatzsteuer lag die Klagebefugnis ausschließlich bei der Klägerin. Bereits die Möglichkeit solcher Konstellationen zeigt die Problematik der von der Klägerin für nötig gehaltenen „Rechtsfortentwicklung”.
2. Revision wegen gravierender Mängel in der schlichten Rechtsanwendung
Die Revision ist auch nicht deswegen zuzulassen, weil dem FG ein gravierender Mangel in der schlichten Rechtsanwendung unterlaufen wäre. Ein besonders gravierender Mangel ist nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BFH jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; vom X B 68/03, BFH/NV 2004, 1112; vom VII B 110/03, BFH/NV 2004, 1310; vom XI B 193/03, BFH/NV 2005, 1098; vom VIII B 191/03, BFH/NV 2005, 1318; vom VIII B 36/04, BFH/NV 2006, 86).
Das FG hat sein Urteil darauf gestützt, dass letztlich nicht die Krankheit des erstinstanzlichen Prozessvertreters, sondern die fehlende Überwachung des im (zeitweise ausgefallenen) Computer geführten Fristenkontrollbuchs für die Fristversäumnis ursächlich gewesen sei (S. 14 der Urteilsreinschrift). Den Vortrag des erstinstanzlichen Prozessvertreters, Belehrungen seiner Mitarbeiter fänden „turnusmäßig anlässlich von Teamtreffen” statt, hat es nicht für ausreichend substantiiert gehalten, um einen Organisationsmangel auszuschließen. Darlegungen zur Überprüfung der Mitarbeiter vermochte das FG überhaupt nicht zu erkennen. Die diesbezüglichen Erwägungen des FG sind weder willkürlich noch sachfremd oder unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu rechtfertigen. Sie können sich vielmehr auf die Rechtsprechung des BFH stützen, insbesondere auf den Beschluss vom VII B 118/02 (BFH/NV 2003, 801, 802), in dem der BFH den Vortrag, die mit der Fristenkontrolle beauftragte Mitarbeiterin werde „periodisch überprüft”, als zu unsubstantiiert angesehen hat.
Angesichts der vorstehenden Erwägungen sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass das erstinstanzliche Urteil Fehler von so großem Gewicht enthielte, dass sie im Sinne der Regierungsbegründung zum Zweiten Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (BTDrucks 14/4041) geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen.
Fundstelle(n):
JAAAB-78326