Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Rückgängigmachung des Verzichts auf Steuerbefreiung eines Umsatzes nach § 9 UStG
Leitsatz
Ein Unternehmer kann auf die Steuerbefreiung seines Umsatzes gemäß § 9 UStG bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum, in dem er die Leistung ausführte, verzichten oder einen solchen Verzicht rückgängig machen. Bei Rückgängigmachung des Verzichts ist beim Leistungsempfänger ein Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum, in dem er vorgenommen wurde, zu korrigieren. Berichtigungsgrundlage ist § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und nicht § 14 Abs. 2 i. V. mit § 17 UStG.
Gesetze: UStG § 4 Nr. 9a, UStG § 9, UStG § 17
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Vorsteuerabzug aus einem Grundstückserwerb, den die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Jahr 1992 in Anspruch genommen hat, im Jahr 1995 (Streitjahr) nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 14 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) zu berichtigen ist.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit Sitz in C. Sie wurde im Dezember 1992 gegründet. Gesellschaftszweck der Klägerin ist „die Durchführung des Bauvorhabens eines Wohn- und Geschäftshauses” in C sowie die gemeinschaftliche Nutzung und Bewirtschaftung des Bauvorhabens nach dessen Fertigstellung. Gründungsgesellschafterin und Treuhänderin war die Firma B-GmbH und Co. KG (Treuhänderin).
Mit notariellem Kaufvertrag vom erwarb die Treuhänderin das genannte Grundstück in C von der R-GbR (Veräußerin). Unter 3.2. des Vertrages hieß es:
„Veräußerer verzichtet gemäß § 9 UStG auf die Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 9 a UStG, optiert also für den gegenwärtigen Vertrag zur Mehrwertsteuerpflicht, so dass auf den Kaufpreis Umsatzsteuer in Höhe von 14 % anfällt.…Käufer verpflichtet sich daher, zusätzlich zum vorvereinbarten Kaufpreis an den Verkäufer die anfallende Umsatzsteuer zu entrichten.…Nettokaufpreis 3 600 000,00 zuzüglich Umsatzsteuer 509 040,00. Der Bruttokaufpreis beträgt demgemäß 4 109 040,00 DM. ...”
Die Klägerin machte in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1992 u.a. die im Kaufvertrag vom gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) stimmte der Steueranmeldung am zu.
Bereits mit Schreiben vom hatte die Veräußerin gegenüber der Treuhänderin erklärt: „Hiermit erklären wir, dass wir auf die Option nach § 9 UStG für die Rechnung/Kaufvertrag vom …verzichten. Diese Rechnung/Kaufvertrag berichtigen wir um die ausgewiesene Umsatzsteuer von 509 040,00 DM unter Punkt 3.2.…und erstellen hiermit eine neue Rechnung über 3 600 000 DM netto.”
Eine Abschrift dieses Schreibens ging am beim FA ein. Das FA änderte deshalb die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung —AO 1977—) stehende Umsatzsteuerfestsetzung der Veräußerin auf deren Antrag dahin gehend, dass die Veräußerung steuerfrei sei.
Gegenüber der Klägerin setzte das FA mit Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 (Streitjahr) vom Umsatzsteuer in Höhe der im Jahr 1992 berücksichtigten Vorsteuerbeträge (509 040 DM) fest. Das FA schätzte dabei die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 AO 1977, weil die Klägerin keine Umsatzsteuererklärung eingereicht hatte. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit der Begründung Einspruch ein, der Schätzungsbescheid sei hinsichtlich der Korrektur des Vorsteuerabzugs rechtswidrig, und erklärte in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr steuerpflichtige Umsätze und abziehbare Vorsteuerbeträge. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, das FA habe den Vorsteuerabzug zutreffend nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG 1993 im Streitjahr 1995 korrigiert. Diese Vorschrift sei nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1993 in den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG 1993 entsprechend anzuwenden. Die Veräußerin als leistende Unternehmerin habe in der in dem Kaufvertrag vom enthaltenen Rechnung einen höheren Steuerbetrag, als sie umsatzsteuerrechtlich schuldete, gesondert ausgewiesen. Der von ihr ausgewiesene Betrag sei wegen der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 nicht geschuldet worden. Wegen des wirksamen Widerrufs des Verzichts auf die Steuerbefreiung sei der Umsatz nicht mehr steuerpflichtig. Die Veräußerin habe vor Unanfechtbarkeit ihrer eigenen Steuerfestsetzungen die Leistung als steuerfrei behandelt und die Rechnung gegenüber der Klägerin berichtigt. Es genüge, wenn die berichtigte Rechnung dem Treuhänder des Leistungsempfängers zugehe.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts (§§ 4, 9, 14a UStG 1993, § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der im Streitjahr geltenden Fassung —BGB a.F.—; jetzt: § 311b BGB) sowie der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG —gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage— (Richtlinie 77/388/EWG). Sie meint, die Voraussetzungen für eine Korrektur des Vorsteuerabzugs lägen nicht vor. Die Veräußerin habe die Rechnung nicht ihr gegenüber, sondern gegenüber ihrer Treuhänderin berichtigt. Der Widerruf des Verzichts auf die Steuerbefreiung habe außerdem nicht durch einseitige formlose Erklärung, sondern nur durch einen nach § 313 BGB a.F. notariell beurkundeten Änderungsvertrag erfolgen dürfen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben, unter Änderung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids für das Jahr 1995 vom die Umsatzsteuer für 1995 erklärungsgemäß festzusetzen, sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
FG und FA sind zu Unrecht davon ausgegangen, dass der von der Klägerin im Jahr 1992 in Anspruch genommene Vorsteuerabzug im Streitjahr 1995 zu berichtigen sei, weil in diesem Jahr der Leistende den Verzicht auf die Steuerbefreiung rückgängig gemacht habe. Das FA kann in einem solchen Fall die Berichtigung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger —hier: bei der Klägerin— nicht auf § 17 und § 14 Abs. 2 UStG 1993 stützen. Ob die Veräußerin den Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1993 wirksam rückgängig gemacht hat, kann deshalb im Streitfall offen bleiben.
1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG 1993 hat ein Unternehmer, an den ein steuerpflichtiger Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn sich die Bemessungsgrundlage für diesen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG 1993 geändert hat. Nach § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG 1993 ist die Berichtigung nach Satz 1 für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Diese Vorschrift ist nach § 14 Abs. 2 UStG 1993 entsprechend anzuwenden, wenn ein Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach dem Umsatzsteuergesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen hat und den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger berichtigt.
2. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach diesen Vorschriften nicht vor.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats kann der Leistende auf die Steuerbefreiung seines Umsatzes gemäß § 9 UStG bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum, in dem er die Leistung ausführte, verzichten oder einen solchen Verzicht rückgängig machen.
In einem solchen Fall ist beim Leistungsempfänger ein Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum, in dem er vorgenommen wurde, zu korrigieren. Berichtigungsgrundlage ist § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 und nicht —wie FA und FG meinten— § 14 Abs. 2 i.V.m. § 17 UStG 1993. Denn es handelt sich um keine Änderung der Bemessungsgrundlage, sondern um die Umqualifizierung eines steuerpflichtigen Umsatzes zu einem steuerfreien Umsatz (vgl. , BFHE 194, 493, BStBl II 2003, 673, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 701, mit Anmerkung Klenk; Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 175, Nr. 2.4. „Umsatzsteuer”).
3. Die Frage, ob die Veräußerin den Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1993 wirksam widerrufen hat, was ggf. dazu führte, dass der von der Klägerin in Anspruch genommene Vorsteuerabzug im Jahr 1992 rückgängig zu machen wäre, bedarf im vorliegenden Verfahren wegen Umsatzsteuer 1995 keiner Entscheidung und bleibt deshalb offen.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine tatsächlichen Feststellungen zu den von der Klägerin für das Streitjahr 1995 erklärten Umsätzen und Vorsteuerbeträgen getroffen. Der Rechtsstreit muss deshalb insoweit nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zurückverwiesen werden.
5. Der Antrag der Klägerin, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist im Revisionsverfahren unzulässig. Die Entscheidung darüber gehört zum Kostenfestsetzungsverfahren (§ 149 FGO); hierfür ist das Gericht des ersten Rechtszugs zuständig (vgl. , V R 33/04, BFH/NV 2005, 1152, unter II.9., m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 835 Nr. 4
DStR 2006 S. 466 Nr. 11
DStRE 2006 S. 444 Nr. 7
HFR 2006 S. 502 Nr. 5
KÖSDI 2006 S. 15046 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2006 S. 1482
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2006 S. 16
MAAAB-77609