Klage gegen Folgebescheid wegen Einwendungen gegen Grundlagenbescheid
Gesetze: AO § 351 Abs. 2, FGO § 42
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Einkommensteuerbescheids, in dem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) u.a. gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlagen angesetzt hat.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr (1979) an einer Schweizer Personengesellschaft beteiligt. Für diese Gesellschaft erließ das FA N am einen Feststellungsbescheid gemäß § 18 des Außensteuergesetzes (AStG), der auf dem Vordruck „ASt 3 B (80)” mit der Anlage „ASt 2,3 B-1 (80)” erstellt wurde. Darin sind folgende Daten enthalten:
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Beteiligt sind unbeschränkt Steuerpflichtige unmittelbar mit insgesamt
|
99,992 v.H. |
Einkünfte aus passivem Erwerb |
12 349 546 DM |
Darauf entfallen auf Beteiligte lt. Zeilen 1a, 1b und 1c…entsprechend
den Anteilen |
12 348 558 DM |
Hinzurechnungsbetrag i.S. des
§ 10 AStG
|
913 924 DM |
Steuern der Zwischengesellschaft i.S. des
§ 12 AStG
|
12 341 DM |
Summe der Steuern nach
§ 12 AStG
und
§ 13 Abs. 1
Nr. 1 b AStG |
12 341 DM |
Anzusetzender Hinzurechnungsbetrag |
926 265 DM |
In der Anlage zum Bescheid ist im Hinblick auf den Kläger die „maßgebende Beteiligung” mit 7,501 v.H. angegeben. Eine gegen den Bescheid gerichtete Klage wurde am zurückgenommen.
Der Kläger war mit Bescheid vom erstmals zur Einkommensteuer für das Streitjahr veranlagt worden. Gegen diesen Bescheid legte er fristgerecht Einspruch ein. Am änderte das damals für den Kläger zuständige FA S den Bescheid nach § 172 i.V.m. § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), wodurch dem Einspruch abgeholfen wurde.
Gegen den Änderungsbescheid wandte sich der Kläger mit Schreiben vom . Dort ist u.a. darauf verwiesen, dass der Einkommensteuerbescheid von einem Feststellungsbescheid des FA K abweiche (Differenz: ./. 535 256 DM) und dass das FA N die Vollziehung des Feststellungsbescheids gemäß § 18 AStG in Höhe des festgestellten Hinzurechnungsbetrags (638 709 DM) ausgesetzt habe. Sodann heißt es in dem Schreiben: „Aufgrund des geänderten Feststellungsbescheids…bzw. die Aussetzung der Vollziehung für den Hinzurechnungsbetrag vermindert sich das zu versteuernde Einkommen…(es folgt in Bezug auf den Kläger die Angabe des Betrags '1 173 965 DM'). Bis zum Ergehen berichtigter Einkommensteuerbescheide bitten wir…um Aussetzung der Vollziehung ....” Das Schreiben schließt mit dem Hinweis, dass es sich um einen „Antrag auf schlichte Änderung des jeweiligen Steuerbescheids gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO” handele; falls jedoch eine Änderung der Bescheide nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist möglich sei, solle der Antrag als Einspruch behandelt werden.
Am erließ das FA S einen auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützten weiteren Änderungsbescheid. Dieser wurde nicht angefochten. Schließlich erging am erneut ein Änderungsbescheid, durch den die zuvor festgesetzte Steuer erhöht wurde. Der Kläger legte hiergegen wiederum Einspruch ein, den das zwischenzeitlich zuständig gewordene FA am zurückwies.
Der Kläger, vertreten durch seinen steuerlichen Berater, erhob daraufhin Klage. In der Klageschrift heißt es, dass der Bescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung angefochten werde und dass „der ohne die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erlassene Folgebescheid…aufzuheben” sei. Dazu ist in der Klagebegründung ausgeführt, die Einspruchsentscheidung bezeichne den Gegenstand des Einspruchsverfahrens falsch, da der Einspruch sich gegen den Bescheid vom und nicht gegen den —in der Einspruchsentscheidung als Gegenstand des Rechtsbehelfs bezeichneten— Bescheid vom gerichtet habe. Der in der Einspruchsentscheidung enthaltene Hinweis darauf, dass ein bestandskräftig gewordener Bescheid nur im Umfang der Änderung angefochten werden könne (§ 351 Abs. 1 AO 1977), gehe daher fehl. Die für Folgebescheide geltende Anfechtungsbeschränkung gemäß § 351 Abs. 2 AO 1977 stehe einem Erfolg der Klage ebenfalls nicht entgegen, da es an einem bindenden Grundlagenbescheid fehle.
Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, wies die Klage durch Urteil vom 11 K 21/97 ab. Es entschied, dass dem Einspruch des Klägers gegen den Bescheid vom durch den Bescheid vom in vollem Umfang abgeholfen worden sei. Zudem habe der letztgenannte Bescheid die voraufgegangenen Bescheide in vollem Umfang suspendiert; der Bescheid vom sei mithin nicht mehr wirksam. Da der Bescheid vom nicht angefochten worden sei, könne nunmehr nur noch über den Bescheid vom entschieden werden. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage sei unzulässig, da die Einwendungen des Klägers sich nur gegen dort angesetzte Besteuerungsgrundlagen richteten, die aus einem Grundlagenbescheid übernommen worden seien.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensmängel. Er beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils den angefochtenen Bescheid dahin zu ändern, dass die durch Bescheid des FA N festgestellten Besteuerungsgrundlagen in Höhe von 926 265 DM bei der Festsetzung der Einkommensteuer nicht berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses hat die Klage zu Unrecht als unzulässig angesehen.
1. Das FG hat offen gelassen, ob sich die Klage gegen den Bescheid vom oder gegen denjenigen vom richte, da die Klage in beiden Fällen unzulässig sei. Dem ist nicht beizupflichten:
a) Richtig ist allerdings, dass die Klage unzulässig gewesen wäre, wenn sie sich gegen den Bescheid vom gerichtet hätte. Denn jener Bescheid war in der Folge wiederholt geändert worden, und ein zwischenzeitlich geänderter Steuerbescheid ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in seiner Wirkung suspendiert, solange der Änderungsbescheid wirksam ist (, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231; , BFHE 148, 104, BStBl II 1987, 435, 436; vom II R 74/00, BFHE 207, 355, BStBl II 2005, 99, 100). Von einem solchen Bescheid geht mithin keine Beschwer aus, weshalb eine gegen ihn gerichtete Klage unzulässig ist.
b) Anders ist die Rechtslage indessen, wenn die im Streitfall zu beurteilende Klage sich gegen den Änderungsbescheid vom gerichtet hat. Denn durch diesen Bescheid war der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung schon deshalb beschwert, weil darin ihm gegenüber eine Steuer festgesetzt war. Er konnte den Bescheid zwar nicht angreifen, soweit dieser auf Besteuerungsgrundlagen beruhte, die in einem wirksamen Grundlagenbescheid festgestellt worden waren (§ 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 2 AO 1977). Eine gegen einen Folgebescheid gerichtete Klage, mit der inhaltlich die Richtigkeit eines Grundlagenbescheids beanstandet wird, ist jedoch nicht allein deshalb unzulässig; die Rechtsfolge des § 351 Abs. 2 AO 1977 besteht vielmehr nur darin, dass die Einwendungen gegen den Grundlagenbescheid im Klageverfahren unberücksichtigt bleiben (, BFHE 128, 136, BStBl II 1979, 678; vom I R 162/84, BFHE 151, 104, BStBl II 1988, 142). Auch wenn diese Beurteilung nicht unbestritten ist (a.A. eventuell , BFH/NV 1997, 114; vgl. auch Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 351 AO Tz. 54, m.w.N.), wird eine gegen einen Folgebescheid gerichtete Klage jedenfalls dann allgemein für zulässig erachtet, wenn mit ihr das Fehlen eines wirksamen Grundlagenbescheids geltend gemacht wird (so z.B. Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 42 FGO Rz. 27; Dumke in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 42 Rz. 27; vgl. auch , BFHE 146, 225, BStBl II 1986, 477). Diese Situation ist im Streitfall gegeben, weshalb § 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 2 AO 1977 der Zulässigkeit einer Klage gegen den Bescheid vom nicht entgegensteht.
2. Die hiernach notwendige Auslegung der Klageschrift ergibt, dass die Klage nicht gegen den Bescheid vom , sondern gegen denjenigen vom gerichtet war. Zwar wird sowohl in der Klageschrift selbst als auch in der Klagebegründung der erstgenannte Bescheid als Gegenstand der Anfechtung genannt. Jedoch heißt es in beiden Schriftstücken weiter, dass jener Bescheid „in Gestalt der Einspruchsentscheidung” angefochten werde. Die Einspruchsentscheidung bezieht sich indessen auf den Einspruch des Klägers vom , der sich wiederum gegen den Bescheid vom richtete und u.a. mit Ausführungen zum Steueramnestiegesetz begründet worden war. Zudem entsprach es schon seinerzeit der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein während eines Einspruchsverfahrens ergehender Änderungsbescheid Gegenstand jenes Verfahrens wurde, ohne dass es hierfür eines besonderen Antrags bedurfte (vgl. , BFHE 138, 313, BStBl II 1983, 548, 550; in BFHE 148, 104, BStBl II 1987, 435, 437, m.w.N.). Deshalb war mithin auch dann, wenn —wie der Kläger meint— dem Einspruch gegen den Bescheid vom noch nicht vollständig abgeholfen worden war, im Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung nur noch der Bescheid vom rechtsbehelfsbefangen. Angesichts dessen ist die Klage so zu verstehen, dass sie sich gegen diesen durch die Einspruchsentscheidung bestätigten Bescheid richtete. Ein solches Verständnis entspricht zudem dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung (vgl. dazu , BFH/NV 2003, 585; vom IV R 4/03, BFH/NV 2005, 162; vom IX R 23/04, BFH/NV 2005, 325) und ist auch unter diesem Gesichtspunkt vorzuziehen.
3. Andere Gründe, aus denen sich eine Unzulässigkeit der im Streitfall zu beurteilenden Klage ergeben könnte, sind weder vom FA aufgezeigt worden noch sonst erkennbar. Die Klage war mithin zulässig. Das FG hat sie zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben; das Verfahren ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO), um diesem eine inhaltliche Überprüfung des Klagebegehrens zu ermöglichen.
4. Für den zweiten Rechtsgang wird —ohne Bindungswirkung für das FG— darauf hingewiesen, dass der Erfolg der Klage u.a. davon abhängen wird, ob erstens der Kläger gegen den Bescheid vom wirksam Einspruch eingelegt hat und ob zweitens in dem Feststellungsbescheid des FA N die gemäß § 7 AStG hinzuzurechnenden Einkünfte in ausreichender Weise festgestellt worden sind. An ersterem könnte es deshalb fehlen, weil der Kläger den Einspruch nur hilfsweise für den Fall eingelegt hat, dass seinem Antrag auf „schlichte Änderung” des Bescheids vom nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist stattgegeben werde; angesichts dessen könnte der Rechtsbehelf unter einer Bedingung eingelegt worden sein, was zu seiner Unzulässigkeit führen würde (vgl. BFH-Beschlüsse vom IX B 126/93, BFH/NV 1994, 871; vom XI B 107/99, BFH/NV 2001, 615; vom VIII B 38/03, BFH/NV 2003, 1344; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 357 AO Rz. 13). Das wiederum könnte zur Folge haben, dass der Bescheid vom bestandskräftig geworden ist und eine Überprüfung des dort angesetzten Hinzurechnungsbetrags wegen § 351 Abs. 1 AO 1977 allenfalls nach Maßgabe des § 177 Abs. 1 AO 1977 erfolgen kann. Zur Rüge des Klägers, dass in dem vom FA erlassenen Bescheid die hinzuzurechnenden Einkünfte nicht festgestellt worden seien, verweist der Senat auf sein Urteil vom I R 32/95 (BFHE 183, 496, BStBl II 1998, 176).
5. Die Zurückverweisung an das FG ist im Streitfall nicht deshalb entbehrlich, weil die Sache aus materiell-rechtlichen Gründen entscheidungsreif ist. Zwar kann nach § 126 Abs. 4 FGO der BFH auch dann in der Sache selbst entscheiden, wenn das FG eine Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat, die Klage aber nach den vom FG getroffenen Feststellungen zweifelsfrei unbegründet ist (, BFHE 188, 523, BStBl II 1999, 563, 565; , BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, 613; , BFH/NV 2005, 327, m.w.N.). Dasselbe gilt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO, wenn sich die Klage bei jeder denkbaren Sachverhaltsgestaltung als begründet erweist. Dieser Grundsatz greift jedoch im Streitfall nicht ein.
Denn dass bei zu Unrecht erfolgter Klageabweisung als unzulässig regelmäßig eine Zurückverweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO) geboten ist, folgt vor allem aus der verfassungsrechtlichen Garantie des rechtlichen Gehörs. Sieht nämlich das FG eine Klage als unzulässig an, so entscheidet es über sie, ohne sich mit dem inhaltlichen Vorbringen der Beteiligten zu befassen. Die Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens verletzt, wenn die Klage in Wahrheit zulässig war, das Recht der Beteiligten auf Gehör (Senatsurteil vom I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242). Daher kommt in einer solchen Situation ein Durcherkennen nur dann in Betracht, wenn vollständig ausgeschlossen ist, dass einer der Beteiligten durch einen weiteren Vortrag die Sachentscheidung noch beeinflussen kann. Daran fehlt es, wenn —wie im Streitfall— der Kläger eine Vielzahl von inhaltlichen Einwendungen geltend macht, denen das FG noch nicht nachgegangen ist und die eine einzelfallbezogene Würdigung des Sachverhalts erfordern. In einer solchen Verfahrenslage müssen die Beteiligten Gelegenheit erhalten, die aus ihrer Sicht maßgeblichen Gesichtspunkte zunächst in der Tatsacheninstanz zu Gehör zu bringen; anderenfalls wäre der Rechtsschutz allein wegen der unrichtigen Beurteilung der Zulässigkeitsfrage durch das FG verkürzt. Deshalb ist hier für eine abschließende Entscheidung durch das Revisionsgericht kein Raum.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 750 Nr. 4
KÖSDI 2006 S. 15125 Nr. 6
VAAAB-76981