BFH Urteil v. - II R 25/04

Abzug von Steuerschulden in der Vermögensaufstellung oder bei der Ermittlung des Gesamtvermögens bei Anhängigkeit eines Rechtsstreits über die Höhe der Schulden

Gesetze: BewG § 105 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. In den Jahren 1990 und 1991 ergingen gegen die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerbescheide u.a. für die Veranlagungs- bzw. Erhebungszeiträume 1985 bis 1987 und 1989, die zu Steuernachforderungen führten. Während der anschließenden Einspruchs- und Klageverfahren wurde ein Teil der Nachforderungsbeträge von der Vollziehung ausgesetzt. Im Jahr 1994 wurden die streitbefangenen Festsetzungen entsprechend dem Begehren der Klägerin herabgesetzt. Dies beruhte auf den Ergebnissen einer Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—), die vom Finanzgericht (FG) als „Verständigung”, von der Klägerin hingegen als „Vergleich” bezeichnet wird.

In den im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheiden über die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar der Jahre 1991 und 1992 berücksichtigte das FA die genannten Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerschulden nur in Höhe der Beträge, die sich aus den im Jahr 1994 ergangenen Änderungsbescheiden ergaben, darüber hinaus auch diejenigen streitigen Steuerschulden, die nicht von der Vollziehung ausgesetzt worden waren.

Das FG gab der Klage, die auf den Abzug der Steuerschulden in der sich aus den ursprünglichen Festsetzungen ergebenden Höhe gerichtet war, mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1496 abgedruckten Urteil statt.

Mit seiner Revision vertritt das FA die Auffassung, für die Berücksichtigung streitiger Steuerschulden sei der spätere Ausgang eines Rechtsbehelfsverfahrens maßgebend.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Zu Unrecht hat das FG bei der Feststellung des objektiven Werts der abziehbaren Steuerschulden die im Jahr 1994 ergangenen Steuerbescheide nicht berücksichtigt.

1. Schulden aus laufend veranlagten Steuern sind nur abzuziehen, wenn die Steuern entweder spätestens im Feststellungszeitpunkt fällig geworden sind oder für einen Zeitraum erhoben werden, der spätestens im Feststellungszeitpunkt geendet hat (§ 105 Abs. 1 des BewertungsgesetzesBewG— in der vor dem geltenden Fassung).

Darüber hinaus setzt der Abzug von Steuerschulden voraus, dass der Steuerpflichtige bereits am Stichtag mit der Steuerbelastung rechnen konnte. Dies ist bei Jahressteuerschulden regelmäßig in Höhe der später veranlagten und nicht durch vor dem Stichtag geleistete Vorauszahlungen gedeckten Steuern der Fall (, BFHE 176, 35, BStBl II 1995, 45, unter II.1.a, und vom II R 4/93, BFH/NV 1996, 649, unter II.2.a).

Vorliegend hatte die Klägerin zu den streitbefangenen Bewertungsstichtagen mit der Steuerbelastung zu rechnen, da gegen sie wirksame Steuerbescheide ergangen waren.

2. Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Reichsfinanzhofs (Urteile vom III A 42/34, RStBl 1934, 1023; vom III A 328/35, RStBl 1936, 723, und vom III 341/38, RStBl 1940, 789) als auch des , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964, 276, und vom III R 23/73, BFHE 114, 252, BStBl II 1975, 322, unter 2.) für den Abzug von Steuerschulden in der Vermögensaufstellung oder bei der Ermittlung des Gesamtvermögens vom objektiven Wert der Belastung auszugehen, wenn am Stichtag ein Rechtsstreit über die Höhe der Schulden anhängig ist. Dabei kann eine spätere Rechtsmittelentscheidung „in der Regel” ausgewertet werden.

Insoweit weicht die bewertungsrechtliche Beurteilung für Stichtage vor dem von der ertragsteuerrechtlichen Betrachtungsweise ab. Die für die Steuerbilanz geltenden Vorschriften, insbesondere die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes, hier i.V.m. § 252 Abs. 1 Nr. 4 des Handelsgesetzbuchs) können bei der Einheitsbewertung nicht zugrunde gelegt werden. Deren Zweck ist nicht die Besteuerung nach dem Erfolg eines Zeitabschnitts, sondern die Besteuerung eines Stichtagsvermögens (vgl. zusammenfassend , BFH/NV 2005, 1500, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

3. Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn der bereits zum Bewertungsstichtag gegebene objektive Wert der Steuerbelastung nicht durch eine förmliche Entscheidung über den Rechtsbehelf des Steuerpflichtigen erhellt wird, sondern der Rechtsstreit außergerichtlich beigelegt wird (ebenso für den Fall einer „Einigung” der Beteiligten bereits BFH-Urteil in BFHE 114, 252, BStBl II 1975, 322).

Soweit eine solche „Einigung” eine tatsächliche Verständigung im Sinne der zu diesem Rechtsinstitut entwickelten Grundsätze darstellt, bestehen schon deshalb keine Bedenken, ihr eine den objektiven Wert der Steuerbelastung zum Bilanzstichtag erhellende Wirkung beizumessen, weil tatsächliche Verständigungen nur über schwer ermittelbare Sachverhalte, nicht aber über Rechtsfragen zulässig sind (vgl. , BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975).

Der Senat kann offen lassen, ob in Fällen, in denen die Voraussetzungen einer bindenden tatsächlichen Verständigung nicht gegeben sind, insbesondere in unzulässiger Weise über die Beurteilung von Rechtsfragen disponiert wird oder die Verständigung zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt, ein —von der unter 2. angeführten Rechtsprechung grundsätzlich für möglich gehaltener— Ausnahmefall von der wertaufhellenden Wirkung des späteren Ausgangs eines Rechtsbehelfsverfahrens anzunehmen ist. Denn die Klägerin, die im Hinblick auf die Gesetzesgebundenheit des FA (§ 85 der AbgabenordnungAO 1977—, Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) insoweit die Darlegungslast trägt, hat nicht substantiiert vorgetragen, dass die „Einigung”, die zu der antragsgemäßen Herabsetzung der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerschulden führte, in offensichtlichem Gegensatz zum geltenden Recht gestanden hat. Vielmehr muss sie sich, solange sie die ihr günstigen ertragsteuerrechtlichen Ergebnisse der „Einigung” in Anspruch nimmt, auch bewertungsrechtlich an diesen Ergebnissen festhalten lassen.

4. Nach diesen Grundsätzen kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die streitigen Steuerschulden sind in den Vermögensaufstellungen auf den 1. Januar der Jahre 1991 und 1992 jedenfalls nicht mit höheren Werten anzusetzen als vom FA bereits berücksichtigt.

5. Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht vom (BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688, unter II.6.) ab.

In sachlicher Hinsicht waren dort die Auswirkungen eines zum Bewertungsstichtag zwar bereits ergangenen, aber noch nicht rechtskräftigen, der dortigen Klägerin günstigen zivilgerichtlichen Berufungsurteils auf eine Rückstellung, die für eine dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeit gebildet worden war, zu beurteilen. Um Steuerschulden, die im Regelfall nur der Höhe nach ungewiss sind, ging es dort hingegen nicht.

In rechtlicher Hinsicht hat der I. Senat die Grundsätze über die Behandlung auflösend bedingter Lasten (§ 7 BewG) herangezogen. In der vorliegend zu beurteilenden Fallgestaltung geht es hingegen nicht um eine auflösend bedingte Last, sondern um nachträgliche bessere Erkenntnisse über den wirklichen Wert einer bereits am Bewertungsstichtag unbedingt entstandenen Belastung.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 500 Nr. 3
SAAAB-74519