Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter (europarechtswidriger) Abgaben - Zulässigkeit allgemeiner Verjährungsfristen
Leitsatz
[1] Mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf dem Gebiet der Erstattung zu Unrecht erhobener nationaler Abgaben sind die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für die Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten; dabei dürfen freilich diese Bedingungen nicht ungünstiger sein als diejenigen für entsprechende nur nationales Recht betreffende Klagen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und sie dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die nationalen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).
Was zunächst den Grundsatz der Effektivität angeht, so entspricht die Festsetzung angemessener Rechtsbehelfsfristen in Form von Ausschlussfristen grundsätzlich diesem Erfordernis, weil sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist. Denn derartige Fristen können nicht als so geartet angesehen werden, dass sie die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, selbst wenn ihr Ablauf per definitionem zur vollständigen oder teilweisen Abweisung der Klage führt. Insofern ist eine nationale Frist, die mindestens vier Jahre und höchstens fünf Jahre vor das Jahr zurückreicht, in dem die Gerichtsentscheidung verkündet worden ist, mit der die Unvereinbarkeit der der Abgabenerhebung zugrunde liegenden Rechtsvorschrift mit einer höherrangigen Rechtsvorschrift festgestellt wird, als angemessen anzusehen.
Ferner setzt die Wahrung des Grundsatzes der Gleichwertigkeit voraus, dass das nationale Verfahren in gleicher Weise für auf die Verletzung des Gemeinschaftsrechts wie für auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützte Klagen gilt, sofern es sich um dieselbe Art von Abgaben oder Gebühren handelt. Dieser Grundsatz kann jedoch nicht so verstanden werden, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, die günstigste interne Verjährungsregelung auf alle Klagen auf Erstattung von Abgaben und Gebühren zu erstrecken, die unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben worden sind. Somit steht das Gemeinschaftsrecht Vorschriften eines Mitgliedstaats grundsätzlich nicht entgegen, die neben einer allgemeinen Verjährungsfrist, die für Klagen gegen Private auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge gilt, bei Steuern und sonstigen Abgaben besondere, weniger günstige Beschwerde- und Klagemodalitäten vorsehen. Dies wäre nur dann anders, wenn diese Modalitäten nur für Klagen auf Erstattung solcher Steuern oder Abgaben gelten würden, die auf das Gemeinschaftsrecht gestützt werden.
Folglich steht das Gemeinschaftsrecht der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, der zufolge sich im Bereich des Steuerrechts ein Antrag auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge, der darauf gestützt wird, dass ein nationales Gericht oder ein Gemeinschaftsgericht eine innerstaatliche Vorschrift mit einer höherrangigen nationalen Vorschrift oder mit einer Gemeinschaftsvorschrift für unvereinbar erklärt hat, nur auf die Zeit nach dem 1. Januar des vierten Jahres vor dem Jahr erstrecken kann, in dem die Unvereinbarkeit gerichtlich festgestellt worden ist.
(vgl. Randnrn. 20-24, 29-30, 37 und Tenor)
Gesetze: allgemeine Rechtsgrundsätze, nationale Vorschriften
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 Das Tribunal de grande instance Béthune hat mit Urteil vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Steuervorschrift entgegensteht, der zufolge sich der Antrag auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge, der darauf gestützt wird, dass ein Gericht eine Rechtsvorschrift mit einer höherrangigen Rechtsvorschrift für unvereinbar erklärt hat, nur auf die Zeit nach dem 1. Januar des vierten Jahres vor dem Jahr erstrecken kann, in dem die Unvereinbarkeit gerichtlich festgestellt worden ist.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Roquette Frères SA (im Folgenden: Klägerin) und der Finanzverwaltung im Zusammenhang mit der Eintragungssteuer auf die Einbringung von beweglichen Vermögensgegenständen, die diese Gesellschaft 1987 nach einer Fusion aufgrund einer nationalen Steuerregelung entrichtet hatte, die später für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt wurde.
Nationales Recht
3 Artikel R.*196-1 des Livre des procédures fiscales (Steuerverfahrensordnung) bestimmt die Fristen, in denen steuerrechtliche Einsprüche eingelegt werden müssen. Dieser Artikel sieht vor:
"Einsprüche im Zusammenhang mit Steuern, ausgenommen die lokalen direkten Steuern und die damit zusammenhängenden Abgaben, sind zulässig, wenn sie spätestens am 31. Dezember des zweiten Jahres bei der Verwaltung eingelegt werden, das auf das Jahr folgt, in dem entweder
a) die Steuer in die Heberolle eingetragen oder ein Steuerbescheid bekannt gegeben worden ist oder
b) die strittige Steuer gezahlt worden ist, wenn sie nicht zur Aufstellung einer Heberolle oder zur Bekanntgabe eines Steuerbescheids geführt hat, oder
c) das Ereignis eingetreten ist, auf das der Einspruch gestützt wird.
In folgenden Fällen müssen die Einsprüche jedoch spätestens am 31. Dezember des Jahres eingelegt werden, das auf das Jahr folgt, in dem entweder
a) dem Steuerpflichtigen ein neuer Steuerbescheid zugegangen ist, der die Ausfertigungsfehler des zuvor übersandten Bescheids berichtigt, oder
b) Abzüge an der Quelle und andere Einziehungen vorgenommen worden sind, wenn diese Abzüge beanstandet werden, oder
c) der Steuerpflichtige sichere Kenntnis von zu Unrecht oder zu viel erhobenen direkten Steuern erlangt hat."
4 Artikel L. 190 des Livre des procédures fiscales, dessen Absätze 2 und 3 durch Artikel 36-I des Nachtragshaushaltsgesetzes 1989 (Gesetz Nr. 89-936 vom ) eingeführt wurden, bestimmt:
"Rechtsbehelfe im Zusammenhang mit Steuern, Beiträgen, Gebühren, Abgaben, Ausgleichszahlungen und finanziellen Sanktionen aller Art, die von den Verwaltungsbeamten festgestellt oder beigetrieben werden, unterfallen der streitigen Gerichtsbarkeit, wenn sie entweder auf die Berichtigung von Fehlern bei der Feststellung oder Berechnung der Abgaben oder auf die Inanspruchnahme eines sich aus einem Gesetz oder einer Verordnung ergebenden Rechts gerichtet sind.
Nach den Vorschriften dieses Kapitels werden alle Anträge auf Erlass oder Herabsetzung einer Abgabe oder auf die Ausübung von Abzugsrechten überprüft und beurteilt, die auf die Unvereinbarkeit der zur Anwendung gekommenen Rechtsvorschrift mit einer höherrangigen Rechtsvorschrift gestützt werden.
Ist diese Unvereinbarkeit mit einer Gerichtsentscheidung festgestellt worden, so kann sich der Antrag auf Erstattung der gezahlten Beträge oder auf Zahlung für nicht ausgeübte Abzugsrechte oder der Antrag auf Ersatz des erlittenen Schadens nur auf die Zeit nach dem 1. Januar des vierten Jahres vor dem Jahr erstrecken, in dem die Unvereinbarkeit gerichtlich festgestellt worden ist."
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
5 Nach einer Verschmelzung durch Übernahme im Juni 1987 entrichtete die Klägerin am aufgrund von Artikel 816-1-I-2_ des Code général des impôts (Abgabenordnung) in seiner damaligen Fassung an das Finanzamt Béthune 757 926 FRF als proportionale Eintragungssteuer von 1,20 % auf die Einbringung von beweglichen Vermögensgegenständen im Rahmen der Fusion.
6 In seinem Urteil vom in den Rechtssachen C-197/94 und C-252/94 (Bautiaa und Société française maritime, Slg. 1996, I-505) stellte der Gerichtshof fest, dass diese Steuer, die damals in Artikel 816-I-2_ des Code général des impôts vorgesehen war, eine Gesellschaftsteuer im Sinne der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) darstellt.
7 In demselben Urteil entschied der Gerichtshof, dass Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 69/335 in der Fassung der ab geltenden Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom (ABl. L 156, S. 23) die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Kapitalerhöhungen durch das Einbringen des gesamten Vermögens einer Gesellschaft in eine andere Gesellschaft von der Gesellschaftsteuer zu befreien, und damit der Anwendung einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Satz der Eintragungssteuer auf die Einbringung von beweglichen Vermögensgegenständen im Rahmen einer Fusion weiterhin 1,20 % beträgt.
8 Die Eintragungssteuer von 1,20 % wurde durch das Haushaltsgesetz 1994 (Gesetz Nr. 93-1352 vom ), das am 1. Januar 1994 in Kraft trat, abgeschafft.
9 Am machte die Klägerin geltend, dass kein Anspruch auf den 1987 als Eintragungssteuer entrichteten Betrag bestanden habe, und verlangte von der Direction des services fiscaux du Pas-de-Calais dessen Erstattung.
10 Der Einspruch der Klägerin wurde insofern für zulässig gehalten, als er vor Ablauf der in Artikel R.*196-1 Absatz 1 Buchstabe c des Livre des procédures fiscales vorgesehenen Einspruchsfrist eingelegt worden sei, da das zu seiner Begründung geltend gemachte "Ereignis" im Sinne dieser Vorschrift das Urteil Bautiaa und Société française maritime gewesen sei.
11 Mit Bescheid vom lehnte die Finanzverwaltung den Antrag der Klägerin jedoch als unbegründet ab, weil sich ihr Erstattungsantrag gemäß Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales nur auf Abgaben erstrecken könne, die sie nach dem 1. Januar des vierten Jahres vor dem Jahr, in dem die Unvereinbarkeit gerichtlich festgestellt worden sei, also nach dem , entrichtet habe.
12 Am hat die Klägerin gegen den Directeur des services fiscaux du Pas-de-Calais beim Tribunal de grande instance Béthune Klage erhoben auf Erlass der streitigen Steuer und Erstattung des am entrichteten Betrages zuzüglich gesetzliche Zinsen.
13 Vor diesem Gericht hat die Klägerin vorgetragen, dass Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich der Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge verstoße, da er Verfahrensmodalitäten festlege, die für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollten, ungünstiger seien als für entsprechende nur nationales Recht betreffende Klagen und dazu führten, dass die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte erschwert oder gar unmöglich gemacht, zumindest aber stark eingeschränkt werde. Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales sehe ein besonderes Verfahren für auf die Verletzung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts gestützte Rechtsbehelfe vor, das von den Bestimmungen für die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen abweiche, die auf die Verletzung von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts gestützt würden.
14 Die Klägerin hat ebenfalls geltend gemacht, dass ihrem Erstattungsantrag kein Fristablauf entgegengehalten werden könne, da der Gerichtshof in seinem Urteil vom in der Rechtssache C-208/90 (Emmott, Slg. 1991, I-4269) den Grundsatz aufgestellt habe, dass ein Mitgliedstaat einer Klage, die ein Steuerpflichtiger zum Schutz der ihm durch die Bestimmungen einer Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben habe, eine Klagefrist des nationalen Rechts nicht entgegenhalten könne, solange diese Richtlinie von dem Mitgliedstaat nicht in das nationale Recht umgesetzt worden sei. Im Hinblick auf die in Artikel 816-1 des Code général des impôts vorgesehene Gesellschaftsteuer von 1,20 % sei die Richtlinie 69/335 erst durch das Haushaltsgesetz 1994 in das französische Recht umgesetzt worden.
15 Da das Tribunal de grande instance Béthune der Auffassung ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts erforderlich mache, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel L. 190 des Livre des procédures fiscales rechtmäßig? Insbesondere: Durfte die französische Regierung zwischen dem Ausschluss des Rechtsbehelfs und dem Ablauf des Zeitraums für die Erstattung eine Unterscheidung treffen, die zu einer unterschiedlichen Behandlung rein innerstaatlicher Klagen und solcher Klagen führt, die ihren Ursprung in der Feststellung des Gemeinschaftsrichters haben, dass eine nationale Vorschrift gemeinschaftsrechtswidrig ist?
Zur Vorlagefrage
16 Das vorlegende Gericht geht von der Prämisse aus, dass die nationale Vorschrift, um die es im Ausgangsverfahren geht, zwischen Klagen, die ihren Ursprung in der Feststellung eines nationalen Gerichts haben, dass eine innerstaatliche Vorschrift gegen eine höherrangige Vorschrift des nationalen Rechts verstößt, und Klagen, die ihren Ursprung in der Feststellung des Gemeinschaftsrichters haben, dass eine nationale Vorschrift gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, eine Unterscheidung trifft.
17 Wie sowohl die französische und die italienische Regierung als auch die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen und mündlichen Ausführungen vorgetragen haben, begründet der Wortlaut von Artikel L. 190 Absätze 2 und 3 des Livre des procédures fiscales keine solche Unterscheidung, da er sich allgemein auf jede Gerichtsentscheidung bezieht, mit der die Unvereinbarkeit der für die Erhebung einer Abgabe angewandten Rechtsvorschrift mit einer höherrangigen Rechtsvorschrift festgestellt wird, ohne die Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichte oder die Fälle der Unvereinbarkeit mit einer Gemeinschaftsvorschrift besonders zu erwähnen. Außerdem ergibt sich aus den Angaben der französischen Regierung gegenüber dem Gerichtshof, dass die französische Cour de cassation wiederholt entschieden hat, dass die Beschränkung des Zeitraums, auf die sich die Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge erstrecken kann, in Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales auch für Klagen auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge gilt, die ihren Ursprung darin haben, dass eine nationale Vorschrift im Hinblick auf eine höherrangige Vorschrift des innerstaatlichen Rechts für rechtswidrig erklärt worden ist.
18 Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Artikel 177 EG-Vertrag eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofes, dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben (Urteil vom in der Rechtssache C-334/95, Krüger, Slg. 1997, I-4517, Randnr. 22). Dementsprechend hat der Gerichtshof die ihm vorgelegte Frage gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil Krüger, Randnr. 23).
19 Daher ist die Vorlagefrage so aufzufassen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob das Gemeinschaftsrecht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, der zufolge sich im Bereich des Steuerrechts ein Antrag auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge, der darauf gestützt wird, dass ein nationales Gericht oder ein Gemeinschaftsgericht eine innerstaatliche Vorschrift mit einer höherrangigen nationalen Vorschrift oder mit einer Gemeinschaftsvorschrift für unvereinbar erklärt hat, nur auf die Zeit nach dem 1. Januar des vierten Jahres vor dem Jahr erstrecken kann, in dem die Unvereinbarkeit gerichtlich festgestellt worden ist.
20 Mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf dem Gebiet der Erstattung zu Unrecht erhobener nationaler Abgaben sind die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für die Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten; dabei dürfen freilich diese Bedingungen nicht ungünstiger sein als diejenigen für entsprechende nur nationales Recht betreffende Klagen, und sie dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die nationalen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machen (Urteile vom in den Rechtssachen 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5, und 45/76, Comet, Slg. 1976, 2043, Randnrn. 13 und 16, vom in der Rechtssache 61/79, Denkavit Italiana, Slg. 1980, 1205, Randnr. 25, und vom in der Rechtssache 240/87, Deville, Slg. 1988, 3513, Randnr. 12).
21 Der Gerichtshof hat insbesondere entschieden, dass die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden Rechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität) (Urteil vom in der Rechtssache C-261/95, Palmisani, Slg. 1997, I-4025, Randnr. 27). Diese Grundsätze gelten auch im Bereich der Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge.
22 Was zunächst die Vereinbarkeit einer Frist, wie sie in Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales vorgesehen ist, mit dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts angeht, so entspricht die Festsetzung angemessener Rechtsbehelfsfristen in Form von Ausschlussfristen grundsätzlich diesem Erfordernis, weil sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist (u. a. Urteile Rewe, Randnr. 5, Comet, Randnrn. 17 und 18, und Palmisani, Randnr. 28).
23 In diesem Sinn hat der Gerichtshof entschieden, dass derartige Fristen nicht als so geartet angesehen werden können, dass sie die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, selbst wenn ihr Ablauf per definitionem zur vollständigen oder teilweisen Abweisung der Klage führt (Urteil vom in der Rechtssache C-188/95, Fantask u. a., Slg. 1997, I-6783, Randnr. 48).
24 Insofern ist eine nationale Frist, die mindestens vier Jahre und höchstens fünf Jahre vor das Jahr zurückreicht, in dem die Gerichtsentscheidung verkündet worden ist, mit der die Unvereinbarkeit der der Abgabenerhebung zugrunde liegenden Rechtsvorschrift mit einer höherrangigen Rechtsvorschrift festgestellt wird, als angemessen anzusehen.
25 Wie der Generalanwalt in Nummer 33 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann die Beschränkung des Zeitraums, auf den sich der Rechtsbehelf bezieht, auf die vier oder fünf Jahre vor Erlass der Gerichtsentscheidung zwar in bestimmten Fällen zur vollständigen Abweisung des Antrags führen, aber dadurch wird den Einzelnen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte weder praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert.
26 Was ferner die Vereinbarkeit einer Frist, wie sie in Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales vorgesehen ist, mit dem Grundsatz der Gleichwertigkeit angeht, so trägt die Klägerin vor, dass die innerstaatlichen Vorschriften über den Anspruch auf Erstattung von Abgaben, die unter Verstoß gegen eine höherrangige Vorschrift entrichtet worden seien, bis 1989 nicht vom Zivilrecht abgewichen seien, so dass die dreißigjährige Verjährungsfrist des Artikels 2262 des Code civil in diesem Bereich anwendbar gewesen sei. Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales habe für Rechtsbehelfe, die auf den Verstoß einer nationalen Vorschrift gegen eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts gestützt seien, ein besonderes Verfahren eingeführt, das sich von demjenigen unterscheide, das auf einen Erstattungsantrag Anwendung finde, der auf eine Vorschrift des nationalen Rechts gestützt sei.
27 Die Klägerin führt hierzu aus, dass die Absätze 2 und 3 des Artikels L. 190 durch das Nachtragshaushaltsgesetz 1989 hinzugefügt worden seien. Dieses sei verabschiedet worden aufgrund des Urteils Compagnie Alitalia des französischen Conseil d'État vom , in dem dieses Gericht bestimmte Beschränkungen des Rechts auf Vorsteuerabzug mit der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) für unvereinbar erklärt habe, und aufgrund von siebzehn Urteilen der französischen Cour de cassation vom , in denen dieses Gericht den Anspruch auf Erstattung einer zuvor für gemeinschaftsrechtswidrig erklärten Steuer der allgemeinen dreißigjährigen Verjährungsfrist untergeordnet habe.
28 Dadurch habe der französische Gesetzgeber eine besondere Beschränkung des Zeitraums einführen wollen, auf den sich Anträge auf Erstattung einer rechtsgrundlos gezahlten Abgabe erstrecken könnten, wenn es sich um Anträge handele, die ihren Ursprung in einer Gerichtsentscheidung hätten, mit der die Unvereinbarkeit der der Abgabenerhebung zugrunde liegenden Rechtsvorschrift mit einer höherrangigen Rechtsvorschrift festgestellt werde. Denn die in Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales vorgesehene Frist solle nur in Rechtsstreitigkeiten Anwendung finden, die aufgrund einer vom Gerichtshof festgestellten Verletzung des Gemeinschaftsrechts entstanden seien. Folglich sei bei Rechtsbehelfen, die auf ein Urteil des Gerichtshofes gestützt seien, der Zeitraum, auf den sich ein im Bereich des Steuerrechts innerhalb der Frist des Artikels R.*196-1 eingelegter Einspruch beziehe, auf die vier oder fünf Jahre vor der gerichtlichen Feststellung der Unvereinbarkeit beschränkt, während er bei entsprechenden Klagen, die nur nationales Recht beträfen, dreißig Jahre betrage.
29 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes setzt die Wahrung des Grundsatzes der Gleichwertigkeit voraus, dass das nationale Verfahren in gleicher Weise für auf die Verletzung des Gemeinschaftsrechts wie für auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützte Klagen gilt, sofern es sich um dieselbe Art von Abgaben oder Gebühren handelt. Dieser Grundsatz kann jedoch nicht so verstanden werden, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, die günstigste interne Verjährungsregelung auf alle Klagen auf Erstattung von Abgaben und Gebühren zu erstrecken, die unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben worden sind (Urteile vom 15. September 1998 in den Rechtssachen C-231/96, Edis, Slg. 1998, I-4951, Randnr. 36, und C-260/96, Spac, Slg. 1998, I-4997, Randnr. 20, sowie vom in der Rechtssache C-228/96, Aprile, Slg. 1998, I-7141, Randnr. 20).
30 Somit steht das Gemeinschaftsrecht Vorschriften eines Mitgliedstaats grundsätzlich nicht entgegen, die neben einer allgemeinen Verjährungsfrist, die für Klagen gegen Private auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge gilt, bei Steuern und sonstigen Abgaben besondere, weniger günstige Beschwerde- und Klagemodalitäten vorsehen (Urteile Edis, Randnr. 37, und Spac, Randnr. 21, Urteil vom in den Rechtssachen C-10/97 bis C-22/97, In.Co.Ge.'90 u. a., Slg. 1998, I-6307, Randnr. 27, und Urteil Aprile, Randnr. 21). Dies wäre nur dann anders, wenn diese Modalitäten nur für Klagen auf Erstattung solcher Steuern oder Abgaben gelten würden, die auf das Gemeinschaftsrecht gestützt werden (Urteile Edis, Randnr. 37, Spac, Randnr. 21, und Aprile, Randnr. 21).
31 Im vorliegenden Fall ist daran zu erinnern, dass eine Frist, wie sie in Artikel L. 190 Absätze 2 und 3 des Livre des procédures fiscales vorgesehen ist, nicht so aufgefasst werden kann, als gelte sie nur für Rechtsbehelfe, die auf das Gemeinschaftsrecht gestützt seien.
32 Denn dem Wortlaut dieser Vorschrift und den Angaben der französischen Regierung gegenüber dem Gerichtshof lässt sich entnehmen, dass die darin aufgestellte Verfahrensregelung für jeden Antrag auf Erstattung einer Abgabe gilt, der auf die Unvereinbarkeit der der Abgabenerhebung zugrunde liegenden nationalen Rechtsvorschrift mit einer höherrangigen Rechtsvorschrift nationaler, internationaler oder gemeinschaftsrechtlicher Natur gestützt wird, die durch eine Entscheidung eines nationalen, internationalen oder Gemeinschaftsgerichts festgestellt worden ist. Eine Frist, wie sie in Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales vorgesehen ist, gilt daher in gleicher Weise für auf das Gemeinschaftsrecht wie für auf das innerstaatliche Recht gestützte Rechtsbehelfe.
33 Zwar hat der Gerichtshof in Randnummer 23 des Urteils Emmott entschieden, dass sich der säumige Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen kann, die ein Einzelner zum Schutz der ihm durch die Bestimmungen dieser Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben hat, und dass eine Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem Zeitpunkt beginnen kann.
34 Doch ergibt sich, wie im Urteil vom in der Rechtssache C-410/92 (Johnson, Slg. 1994, I-5483, Randnr. 26) bestätigt worden ist, aus dem Urteil vom in der Rechtssache C-338/91 (Steenhorst-Neerings, Slg. 1993, I-5475), dass die Entscheidung in der Rechtssache Emmott durch die besonderen Umstände jenes Falles gerechtfertigt war, in dem der Klägerin des Ausgangsverfahrens durch den Ablauf der Klagefrist jegliche Möglichkeit genommen war, ihren auf die Richtlinie gestützten Anspruch auf Gleichbehandlung geltend zu machen (siehe auch Urteile vom in der Rechtssache C-90/94, Haahr Petroleum, Slg. 1997, I-4085, Randnr. 52, und in den Rechtssachen C-114/95 und C-115/95, Texaco und Olieselskabet Danmark, Slg. 1997, I-4263, Randnr. 48, sowie Urteile vom in den Rechtssachen C-279/96 bis C-281/96, Ansaldo Energia u. a., Slg. 1998, I-5025, Randnr. 20, Spac, Randnr. 29, und Fantask, Randnr. 51).
35 Die Klägerin trägt vor, dass der Gerichtshof im Urteil Bautiaa und Société française maritime die Anwendung einer Frist, wie sie in Artikel L. 190 Absatz 3 des Livre des procédures fiscales vorgesehen sei, auf Klagen, die auf Erstattung der gemäß Artikel 816-1 des Code général des impôts erhobenen Gesellschaftsteuer gerichtet seien, bereits missbilligt habe, da er in Randnummer 49 dieses Urteils entschieden habe, dass kein Anlass für eine Ausnahme von dem Grundsatz bestehe, dass ein Auslegungsurteil auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ausgelegten Vorschrift zurückwirken müsse, und es folglich abgelehnt habe, die Wirkungen des Urteils zeitlich zu beschränken.
36 Hierzu ist festzustellen, dass das Recht eines Mitgliedstaats, sich gegenüber Klagen auf Erstattung von unter Verstoß gegen eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts erhobenen Abgaben auf eine nationale Ausschlussfrist zu berufen, nicht dadurch berührt wird, dass der Gerichtshof ein Vorabentscheidungsurteil über die Auslegung dieser Vorschrift erlassen hat, ohne die zeitlichen Wirkungen dieses Urteils zu begrenzen (Urteil Edis, Randnr. 26).
37 Somit ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, der zufolge sich im Bereich des Steuerrechts ein Antrag auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge, der darauf gestützt wird, dass ein nationales Gericht oder ein Gemeinschaftsgericht eine innerstaatliche Vorschrift mit einer höherrangigen nationalen Vorschrift oder mit einer Gemeinschaftsvorschrift für unvereinbar erklärt hat, nur auf die Zeit nach dem 1. Januar des vierten Jahres vor dem Jahr erstrecken kann, in dem die Unvereinbarkeit gerichtlich festgestellt worden ist.
Kostenentscheidung:
Kosten
38 Die Auslagen der französischen und der italienischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AAAAB-72876
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg