Verbraucherschutz bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Bürgschaftsverträgen, welche die Rückzahlung einer Schuld im Rahmen der Erwerbstätigkeit absichern
Leitsatz
[1] Nach Artikel 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 85/577 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, der den Verbraucherbegriff im Sinne der Richtlinie festlegt, fällt ein Bürgschaftsvertrag, der von einer nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen Person geschlossen wird, nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie, wenn er die Rückzahlung einer Schuld absichert, die der Hauptschuldner im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit eingegangen ist.
Zwar kann ein Bürgschaftsvertrag grundsätzlich unter die Richtlinie fallen, doch folgt aus dem Wortlaut von Artikel 1 der Richtlinie und dem akzessorischen Charakter der Bürgschaft, daß unter die Richtlinie nur eine Bürgschaft für eine Verbindlichkeit fallen kann, die ein Verbraucher im Rahmen eines Haustürgeschäfts gegenüber einem Gewerbetreibenden als Gegenleistung für Waren oder Dienstleistungen eingegangen ist. Da die Richtlinie ausserdem nur die Verbraucher schützen soll, kann sie nur einen Bürgen erfassen, der sich gemäß Artikel 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie zu einem Zweck verpflichtet hat, der nicht seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.
Gesetze: Richtlinie 85/577 Art. 1; Richtlinie 85/577 Art. 2 erster Gedankenstrich
Gründe
1 Der beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom betreffend den Verbraucherschutz im Falle von ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank AG (im folgenden: Klägerin) und dem Beklagten Edgar Dietzinger über die Inanspruchnahme aus einem von diesem mit der Klägerin geschlossenen Bürgschaftsvertrag.
3 Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 85/577 bestimmt:
"Diese Richtlinie gilt für Verträge, die zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher geschlossen werden:
- während eines vom Gewerbetreibenden ausserhalb von dessen Geschäftsräumen organisierten Ausflugs, oder
- anläßlich eines Besuchs des Gewerbetreibenden
i) beim Verbraucher in seiner oder in der Wohnung eines anderen Verbrauchers,
ii) beim Verbraucher an seinem Arbeitsplatz,
sofern der Besuch nicht auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers erfolgt."
4 Artikel 2 lautet:
"Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet
- "Verbraucher" eine natürliche Person, die bei den von dieser Richtlinie erfassten Geschäften zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.
- "Gewerbetreibender" eine natürliche oder juristische Person, die beim Abschluß des betreffenden Geschäfts im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, sowie eine Person, die im Namen und für Rechnung eines Gewerbetreibenden handelt."
5 Nach Artikel 4 der Richtlinie 85/577 hat der Gewerbetreibende den Verbraucher innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich über sein Widerrufsrecht zu belehren. Gemäß Artikel 5 beträgt diese Frist mindestens sieben Tage ab dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher die Belehrung über sein Recht, vom Vertrag zurückzutreten, erteilt wurde.
6 Der Vater des Beklagten betrieb ein Bauunternehmen, für das die Klägerin u. a. einen Kontokorrentkredit eingeräumt hatte. Durch schriftliche Erklärung vom übernahm der Beklagte die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Verbindlichkeiten seiner Eltern gegenüber der Klägerin bis zum Hoechstbetrag von 100 000 DM.
7 Zum Abschluß des Bürgschaftsvertrags kam es im Hause der Eltern des Beklagten, die ein Angestellter der Klägerin nach telefonischer Absprache mit der Mutter des Beklagten aufgesucht hatte. Über ein Widerrufsrecht wurde der Beklagte nicht belehrt.
8 Im Mai 1993 kündigte die Klägerin alle den Eltern des Beklagten eingeräumten Kredite, die sich damals insgesamt auf mehr als 1,6 Mio. DM beliefen, mit sofortiger Wirkung. Ausserdem nahm sie den Beklagten auf Zahlung eines Teilbetrags von 50 000 DM aus der Bürgschaft in Anspruch. Dieser widerrief die Bürgschaftserklärung mit der Begründung, er sei entgegen den Bestimmungen des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften vom (HWiG; BGBl. I S. 122), mit dem die Richtlinie 85/577 in deutsches Recht umgesetzt wurde, nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden.
9 Das Landgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben.
10 Der mit der Revision befasste Bundesgerichtshof geht davon aus, daß für die Entscheidung des Rechtsstreits eine Auslegung der Richtlinie 85/577 erforderlich sei; er hat dem Gerichtshof daher folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Gehört der Bürgschaftsvertrag deutschen Rechts, der zwischen einem Kreditinstitut und einer hierbei nicht im Rahmen einer selbständigen Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen Person geschlossen und durch den eine Kreditforderung des Kreditinstituts gegen einen Dritten abgesichert wird, zu den "Verträgen, die zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher geschlossen werden" (Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom betreffend den Verbraucherschutz im Falle von ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, 85/577/EWG, ABl. L 372, S. 31, vom )?
11 Die Frage des Bundesgerichtshofs geht dahin, ob ein Bürgschaftsvertrag, der von einer nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen Person geschlossen wird, in den Geltungsbereich der Richtlinie 85/577 fällt.
12 Der Beklagte und die Kommission vertreten die Ansicht, die Richtlinie 85/577 gelte für den Bürgschaftsvertrag; sie solle Verbraucher schützen, die als Haustürgeschäft einen Vertrag schlössen, auf den sie sich nicht hätten vorbereiten können. Ebenso wie ein Käufer übernehme der Bürge Leistungsverpflichtungen, und er sei um so schutzbedürftiger, als er hierfür keine Gegenleistung erhalte.
13 Nach Auffassung der Kommission gilt Artikel 1 der Richtlinie 85/577 für jeden Vertrag zwischen einer natürlichen Person und einem Gewerbetreibenden, der im Rahmen seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit für gewöhnlich Verbrauchern Waren liefere oder Dienstleistungen erbringe, auch wenn der fragliche Vertrag keine solche Leistung vorsehe. Der Ausdruck "Verträge, die zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher geschlossen werden" sei in der Richtlinie nur verwendet worden, damit diese sich nicht allein auf Waren liefernde Gewerbetreibende beschränke.
14 Die deutsche, die belgische, die französische und die finnische Regierung sind dagegen der Ansicht, daß der Bürgschaftsvertrag im wesentlichen deshalb nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 85/577 falle, weil er kein Vertrag sei, der im Sinne von Artikel 1 "zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher geschlossen wird".
15 Dieser Passus setze voraus, daß der Gewerbetreibende dem Verbraucher, der sich auf die Richtlinie 85/577 berufe, eine Ware liefere oder eine Dienstleistung erbringe; es reiche nicht aus, daß der Gewerbetreibende für gewöhnlich Waren verkaufe oder Dienstleistungen erbringe. Das ergebe sich besonders klar aus der englischen Fassung ("to contracts under which a trader supplies goods or services to a consumer"). In einem Fall wie dem vorliegenden stehe der vom Bürgen eingegangenen Verpflichtung keine Gegenleistung gegenüber, da der Bürge von dem Gewerbetreibenden als Gläubiger weder Waren noch Dienstleistungen erhalte.
16 Ausserdem sei die Frage der Sicherheiten in der Richtlinie 85/577 nicht geregelt; andernfalls hätte die Richtlinie eigene Bestimmungen u. a. darüber enthalten, was mit dem Vertrag, für dessen Erfuellung der Bürge einstehe, geschehe, wenn der Bürge von seinem Widerrufsrecht Gebrauch mache. Daher richte sich der Schutz des Bürgen allein nach nationalem Recht. Die französische Regierung trägt insbesondere vor, da die Richtlinie 85/577 die Auswirkungen einer Ungültigkeit des Bürgschaftsvertrags auf die Hauptverpflichtung nicht regele, müsse die Bürgschaft angesichts ihres akzessorischen Charakters vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sein.
17 Die Richtlinie 85/577 gilt gemäß ihrem Artikel 1 für "Verträge, die zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher" ausserhalb der Geschäftsräume des Gewerbetreibenden "geschlossen werden", sofern sich der Gewerbetreibende nicht auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers im Hinblick auf den Vertragsschluß an den betreffenden Ort begeben hat.
18 Für die Frage, ob ein Bürgschaftsvertrag zur Absicherung der Erfuellung eines Kreditvertrags durch den Hauptschuldner unter die Richtlinie 85/577 fallen kann, ist von Belang, daß der Geltungsbereich der Richtlinie, von den Ausnahmen in Artikel 3 Absatz 2 abgesehen, nicht nach der Art der Waren oder Dienstleistungen beschränkt ist, die Gegenstand des Vertrages sind, sofern diese Waren oder Dienstleistungen zum privaten Verbrauch bestimmt sind. Die Gewährung eines Kredits stellt eine Dienstleistung dar; der Bürgschaftsvertrag ist nur akzessorisch und in der Praxis sehr oft Voraussetzung des Hauptvertrags.
19 Überdies findet sich im Wortlaut der Richtlinie kein Hinweis darauf, daß derjenige, der den Vertrag geschlossen hat, aufgrund dessen Waren zu liefern oder Dienstleistungen zu erbringen sind, der Empfänger dieser Waren oder Dienstleistungen sein müsste. Die Richtlinie 85/577 soll nämlich die Verbraucher schützen, indem sie es ihnen ermöglicht, einen Vertrag zu widerrufen, der nicht auf Initiative des Kunden, sondern auf die des Gewerbetreibenden geschlossen wurde, so daß der Kunde möglicherweise nicht alle Folgen seines Handelns überblicken konnte. Daher kann ein Vertrag, der einem Dritten zugute kommt, nicht allein deshalb vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen werden, weil die erworbenen Waren oder Dienstleistungen für diesen Dritten bestimmt sind, der nicht Partei des betreffenden Vertragsverhältnisses ist.
20 Zwischen dem Kreditvertrag und der seine Erfuellung absichernden Bürgschaft besteht ein enger Zusammenhang, wobei derjenige, der sich verpflichtet, für die Rückzahlung einer Schuld einzustehen, Selbstschuldner oder Ausfallbürge sein kann. Daher kann die Bürgschaft grundsätzlich unter die Richtlinie fallen.
21 Ausserdem ist ein Wegfall einer Bürgschaft, die im Rahmen eines Haustürgeschäfts im Sinne der Richtlinie 85/577 vereinbart wurde, nur einer der Fälle, für die sich die Frage der Auswirkung der etwaigen Ungültigkeit eines akzessorischen Vertrages auf die Hauptverbindlichkeit stellt. Daher kann allein aus dem Umstand, daß die Richtlinie nicht regelt, was mit dem Hauptvertrag geschieht, wenn der Bürge gemäß Artikel 5 widerruft, nicht geschlossen werden, daß die Richtlinie für Bürgschaften nicht gilt.
22 Aus dem Wortlaut von Artikel 1 der Richtlinie und dem akzessorischen Charakter der Bürgschaft folgt jedoch, daß unter die Richtlinie nur eine Bürgschaft für eine Verbindlichkeit fallen kann, die ein Verbraucher im Rahmen eines Haustürgeschäfts gegenüber einem Gewerbetreibenden als Gegenleistung für Waren oder Dienstleistungen eingegangen ist. Da die Richtlinie ausserdem nur die Verbraucher schützen soll, kann sie nur einen Bürgen erfassen, der sich gemäß Artikel 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie zu einem Zweck verpflichtet hat, der nicht seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.
23 Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß nach Artikel 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 85/577 ein Bürgschaftsvertrag, der von einer nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen Person geschlossen wird, nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt, wenn er die Rückzahlung einer Schuld absichert, die der Hauptschuldner im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit eingegangen ist.
Kostenentscheidung:
Kosten
24 Die Auslagen der deutschen, der belgischen, der französischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
RAAAB-72827
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg