EuGH Urteil v. - C-319/96

Verbrauchsteuer auf Tabakwaren - Mischprodukt zwischen Rauchtabak und Zigarette

Leitsatz

[1] 1 Artikel 3 Absatz 1 und 4 Nummer 1 der Zweiten Richtlinie 79/32 über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer in ihrer im Mai 1990 geltenden Fassung sind dahin auszulegen, daß mit poröser Zellulose umhüllte Tabakrollen, die zum Rauchen in Zigarettenhülsen gesteckt werden müssen, als Rauchtabak gemäß Artikel 4 Nummer 1 dieser Richtlinie anzusehen sind. Da derartige Tabakrollen als solche nicht geraucht werden können, entsprechen sie nicht der Definition der Zigarette im Sinne dieser Richtlinie.

2 Ein Schadensersatzanspruch zugunsten der durch einen einem Mitgliedstaat zuzurechnenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht Geschädigten ist im Gemeinschaftsrecht anerkannt, wenn drei Voraussetzungen erfuellt sind: Die Rechtsnorm, gegen die verstossen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang. Zwar stellt es als solches einen qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, wenn keine Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie innerhalb der dafür festgesetzten Frist getroffen worden sind, um das durch diese Richtlinie vorgeschriebene Ziel zu erreichen; haben die nationalen Behörden die Vorschriften der Richtlinie unmittelbar angewendet, ist aber zu prüfen, ob diese Behörden angesichts des Ausmasses der Klarheit und Genauigkeit dieser Vorschriften in einer offensichtlich qualifizierten Weise gegen diese Vorschriften verstossen haben.

3 Ein Mitgliedstaat, dessen Behörden bei der Auslegung der Artikel 3 Absatz 1 und 4 Nummer 1 der Zweiten Richtlinie 79/32 über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer ein Erzeugnis wie mit poröser Zellulose umhüllte Tabakrollen irrtümlich als Zigarette qualifiziert und die Vollziehung dieser Entscheidung nicht ausgesetzt haben, ist nach Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet, den dem Hersteller durch diese fehlerhafte Entscheidung entstandenen Schaden zu ersetzen.

Da die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie verschiedene ernsthaft vertretbare Auslegungen zulassen, haben die nationalen Behörden nicht in einer offensichtlich qualifizierten Weise gegen diese Vorschrift verstossen, denn die Auslegung, die sie diesen Vorschriften gegeben haben, steht nicht offensichtlich im Widerspruch zum Wortlaut dieser Richtlinie und insbesondere nicht zu dem mit dieser verfolgten Ziel.

Gesetze: Richtlinie 79/32 Art. 3 Abs. 1 ; Richtlinie 79/32 Art. 3 Abs. 4 Nr. 1

Gründe

1 Der Östre Landsret hat mit Beschluß vom 4. September 1996, beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Artikel 3 Absatz 1 und 4 Nummer 1 der Zweiten Richtlinie 79/32/EWG des Rates vom über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer (ABl. 1979, L 10, S. 8; im folgenden: Zweite Richtlinie) sowie des Grundsatzes der Haftung des Staates für Schäden, die dem einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Brinkmann Tabakfabrik GmbH (im folgenden: Klägerin) mit Sitz in Bremen (Deutschland), einem Hersteller von Tabakwaren, und dem Skatteministeriet (dänisches Steuerministerium) über die Erhebung von Steuern auf Tabakwaren auf ein von der Klägerin unter der Bezeichnung "Westpoint" hergestelltes und verkauftes Tabakerzeugnis und - genauer - über die Frage, ob Westpoint als Zigarette oder als Rauchtabak zu besteuern ist, was einen niedrigeren Steuersatz zur Folge hat.

Die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften

3 Durch die Richtlinie 72/464/EWG des Rates vom über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer (ABl. L 303, S. 1) wurden die für eine Harmonisierung der Steuern auf Tabak erforderlichen allgemeinen Grundsätze struktureller Art bestimmt. Die einzelnen durch die Richtlinie erfassten Erzeugnisse sind erst durch die Zweite Richtlinie definiert worden, deren Artikel 3 Absatz 1 zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit folgendes vorsah:

"(1) Als Zigaretten gelten Tabakrollen, die sich als solche zum Rauchen eignen und nicht Zigarren oder Zigarillos im Sinne des Artikels 2 sind."

Artikel 4 Nummer 1 der Zweiten Richtlinie bestimmte:

"Als Rauchtabak gelten:

1. geschnittener oder anders zerkleinerter, gesponnener oder in Platten gepresster Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet".

4 Nach Artikel 9 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um der Richtlinie spätestens am nachzukommen.

5 Durch Artikel 2 Nummer 3 der Richtlinie 92/78/EWG des Rates vom zur Änderung der Richtlinien 72/464 und 79/32 (ABl. L 316, S. 5) wurden Artikel 3 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie geändert und als Zigaretten ausdrücklich auch Tabakstränge definiert, die durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang in eine Zigarettenpapierhülse geschoben oder mit einem Zigarettenpapierblättchen umhüllt werden.

Die dänischen Rechtsvorschriften

6 Die zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit geltende dänische Regelung war das Lov om tobaksafgifter (Tabaksteuergesetz), das kodifizierte Gesetz Nr. 614 von 1988, zuletzt geändert durch das Gesetz Nr. 825 vom (Lovt. 1989, S. 3184). In § 1 des Gesetzes wurden die u. a. für Zigaretten und für Rauchtabak geltenden Steuersätze festgelegt; Rauchtabak wurde wesentlich niedriger besteuert als Zigaretten. Für das zur Umhüllung einer Zigarette bestimmte Zigarettenpapier galt eine besondere Steuer.

7 Das Tabaksteuergesetz enthielt selbst keine Definition der verschiedenen Tabakerzeugnisse; in § 33 wurde der dänische Steuerminister aber ermächtigt, die zur Durchführung des Gesetzes erforderlichen Vorschriften zu erlassen und insbesondere dem Gemeinschaftsrecht entsprechende Definitionen der Tabakwaren festzulegen. Zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit hatte der Steuerminister aufgrund dieser Ermächtigung noch keine Vorschrift erlassen.

Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

8 1988 erwarb die Klägerin die ausschließliche Lizenz für die Herstellung und den Vertrieb eines Tabakerzeugnisses mit der Bezeichnung "Westpoint", für das ein europäisches Patent besteht.

9 Westpoint besteht aus einer in üblicher Form aufgemachten Zigarettenpackung, die 25 Gramm Feinschnittabak enthält, der in dreissig industriell hergestellte Tabakrollen mit einer Umhüllung aus poröser Zellulose aufgeteilt ist. Jede Tabakrolle ist 68,6 mm lang und besteht aus etwa 833 mg Tabak.

10 Zum Rauchen müssen die Tabakrollen zuvor mit Zigarettenpapier umhüllt werden. Dazu verkauft die Klägerin gesondert Zigarettenhülsen, in die die Tabakrollen hineingesteckt werden können. Die Tabakrollen können auch in gewöhnliches Zigarettenpapier eingehüllt werden.

11 In der dänischen Patentschrift werden die Vorteile von Westpoint wie folgt zusammengefasst:

"- Genaue Tabakdosierung schon durch die industrielle Herstellung

- stets unveränderter Geschmack

- stets gleichbleibende Rauchbedingungen (Rauchzeit, Zug)

- gleichbleibend vorausbestimmter Schadstoffanteil pro Zigarettenpapierhülse

- extrem einfache Herstellung einer mit einer industriell hergestellten Zigarette unmittelbar vergleichbaren Zigarette

- keine Tabakzylinderhülle, die weggeworfen werden muß

- günstigere Besteuerung im Verhältnis zu industriell hergestellten Zigaretten."

12 Die Klägerin verkauft Westpoint seit April 1989 in Deutschland, wo das Erzeugnis als Rauchtabak besteuert wird.

13 Auf den dänischen Markt brachte die Klägerin Westpoint im April 1990, nachdem eine regionale Zollbehörde ihr mitgeteilt hatte, daß Westpoint als Feinschnittabak besteuert werde. Auf Antrag eines Konkurrenzunternehmens der Firma Brinkmann vertrat das Momsnävn, die höchste dänische Steuerbehörde, in seiner Entscheidung vom 14. Mai 1990, bestätigt mit Entscheidung vom , jedoch die Auffassung, daß die Tabakrollen zum gleichen Satz wie Zigaretten zu besteuern seien. In diesem Rahmen wurden auch Anträge der Firma Brinkmann auf Aussetzung der Vollziehung der erlassenen Entscheidung zurückgewiesen.

Die Vorabentscheidungsfragen

14 Die Klägerin erhob daraufhin Klage beim Östre Landsret und beantragte, das Steuerministerium zu verpflichten, sowohl anzuerkennen, daß Westpoint als Rauchtabak zu besteuern sei, als auch den Schaden zu ersetzen, den sie durch die Entscheidungen des Momsnävn erlitten habe, infolge deren Westpoint vom dänischen Markt verdrängt worden sei.

15 Unter diesen Voraussetzungen hat der Östre Landsret beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist eine Ware mit folgenden Merkmalen unter Berücksichtigung der Definitionen in der Zweiten Richtlinie des Rates vom über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer (79/32/EWG) in der Fassung vom als Zigaretten oder als Rauchtabak anzusehen:

- eine Packung, die 25 g Feinschnittabak enthält, der in 30 Tabakrollen aufgeteilt ist, die industriell hergestellt sind und alle die gleiche Grösse und Festigkeit besitzen und gleichartig sind,

- jede Tabakrolle ist 68,6 mm lang und besteht aus ca. 833 mg Feinschnittabak, der von einer Hülle aus poröser Zellulose umgeben ist, die in eine dünne Platte gepresst ist,

- die Hülle ist so porös, daß sich die Tabakrolle als solche nicht zum Rauchen eignet, sondern zunächst in eine Zigarettenpapierhülse eingeführt oder mit gewöhnlichem Zigarettenpapier versehen werden muß, was in beiden Fällen ohne Hilfsmittel erfolgen kann.

Für den Fall, daß die Ware aufgrund der Antwort auf die erste Frage als Rauchtabak anzusehen ist, wird der Gerichtshof um Beantwortung folgender Fragen ersucht:

2. Hat ein Unternehmen nach dem Gemeinschaftsrecht einen Anspruch auf Erstattung für jeden Verlust, den es infolge eines Verstosses eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht erleidet, der darin besteht, daß eine Behörde, die als letzte Verwaltungsinstanz zur Entscheidung darüber befugt ist, unter welche Steuergruppe eine Tabakware fällt, eine Entscheidung erlassen hat, die gegen Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 79/32/EWG verstösst? Unter welchen Bedingungen wird der Mitgliedstaat gegebenenfalls haftbar?

3.a) Sind die Definitionen der verarbeiteten Tabakerzeugnisse in der Richtlinie 79/32/EWG in einem Mitgliedstaat ordnungsgemäß durchgeführt, wenn der Steuerminister durch Gesetz ermächtigt wird, Bestimmungen über die Definitionen von Tabakwaren in Übereinstimmung mit den Bestimmungen, die in den Europäischen Gemeinschaften erlassen werden, festzusetzen, wenn keine Rechtsvorschriften nach dem Gesetz erlassen worden sind?

Für den Fall, daß die Frage 3a verneint wird, wird der Gerichtshof ersucht, folgende Fragen zu beantworten:

3.b) Ist es für die Beantwortung der zweiten Frage erheblich, daß die in der Tabakrichtlinie enthaltenen Definitionen in dem Mitgliedstaat nicht umgesetzt wurden, wenn die nationale Behörde in ihrer Entscheidung auf die Definitionen verwiesen hat und die Parteien des Rechtsstreits vor dem vorlegenden Gericht sich darüber einig sind, daß die in der Richtlinie enthaltenen Definitionen unmittelbar anwendbar sind?

4. Ist es für die Beantwortung der zweiten Frage erheblich, daß die Behörden es abgelehnt haben, der Entscheidung der Behörde aufschiebende Wirkung zu verleihen, wie die Klägerin in der Absicht der Schadensbegrenzung beantragt hatte?

Zur ersten Frage

16 Vorab ist festzustellen, daß die Zweite Richtlinie in ihrer zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit geltenden Fassung bereits eine genaue Definition von Zigaretten enthielt, die aus den drei folgenden Unterscheidungsmerkmalen bestand: a) Tabakrollen, die b) sich als solche zum Rauchen eignen und die c) nicht Zigarren oder Zigarillos sind.

17 Unstreitig erfuellt ein Erzeugnis wie Westpoint die erste und die dritte Voraussetzung. Es erfuellt jedoch nicht die zweite Voraussetzung, da die betreffende Tabakrolle als solche nicht geraucht werden kann, sondern entweder in eine Zigarettenhülse hineingeschoben oder mit gewöhnlichem Zigarettenpapier umhüllt werden muß.

18 Ein Erzeugnis wie das im Ausgangsverfahren betroffene fällt daher in den Anwendungsbereich des Artikels 4 Nummer 1 der Zweiten Richtlinie, der Rauchtabak definiert. Denn bei den streitigen Tabakrollen handelt es sich um geschnittenen Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet.

19 Das Skatteministeriet und die finnische Regierung bestreiten jedoch, daß Westpoint als Rauchtabak anzusehen sei und berufen sich dabei auf die Definition der Zigarre in Artikel 2 der Zweiten Richtlinie, nach der es sich um Tabakrollen handeln müsse, die sich als solche zum Rauchen eigneten. Bestimmte Zigarren müssten aber vom Verbraucher angeschnitten werden, bevor sie geraucht werden könnten. Doch sei unbestreitbar, daß diese trotzdem Zigarren im Sinne von Artikel 2 der Zweiten Richtlinien blieben. Daraus folge, daß der Ausdruck "als solche" in der Zweiten Richtlinie nicht wörtlich ausgelegt werden dürfe.

20 Dieser Argumentation ist nicht zu folgen. Denn mit Tabakrollen, die sich als solche zum Rauchen eignen, sind Fertigerzeugnisse bezeichnet. Eine Zigarre ist, auch wenn sie vor dem Rauchen angeschnitten werden muß, ein Fertigerzeugnis. Dies ist dagegen bei einer Tabakrolle nicht der Fall, die wie im Ausgangsverfahren erst mit einem anderen Erzeugnis, nämlich einer gesondert vertriebenen Zigarettenhülse, zusammengefügt werden muß, bevor ein Erzeugnis entsteht, das sich als solches zum Rauchen eignet.

21 Wie die finnische Regierung und die Kommission vorgetragen haben, ergibt sich zwar aus der in Randnummer 11 des vorliegenden Urteils zitierten Patentschrift, daß das im Ausgangsverfahren streitige Erzeugnis die günstige steuerliche Behandlung des Rauchtabaks mit den Vorteilen verbinden soll, die Zigaretten dem Verbraucher bieten. Dies kann jedoch nicht rechtfertigen, die Tragweite des Artikels 3 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie über dessen Wortlaut hinaus, d. h. auf Tabakrollen auszudehnen, die keine Fertigerzeugnisse sind.

22 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die Artikel 3 Absatz 1 und 4 Nummer 1 der Zweiten Richtlinie in ihrer im Mai 1990 geltenden Fassung dahin auszulegen sind, daß mit poröser Zellulose umhüllte Tabakrollen, die zum Rauchen in Zigarettenhülsen gesteckt werden müssen, als Rauchtabak gemäß Artikel 4 Nummer 1 dieser Richtlinie anzusehen sind.

Zur zweiten, dritten und vierten Frage

23 Die zweite, die dritte und die vierte Frage des Östre Landsret, die zusammen zu prüfen sind, gehen im wesentlichen dahin, ob ein Mitgliedstaat, dessen Behörden bei der Auslegung der Artikel 3 Absatz 1 und 4 Nummer 1 der Zweiten Richtlinie ein Erzeugnis wie das im vorliegenden Fall betroffene irrtümlich als Zigarette qualifiziert und die Vollziehung dieser Entscheidung nicht ausgesetzt haben, nach Gemeinschaftsrecht verpflichtet ist, den dem Erzeuger durch diese fehlerhafte Entscheidung entstandenen Schaden zu ersetzen.

24 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß der Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden, die dem einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, nach ständiger Rechtsprechung aus dem Wesen der mit dem Vertrag geschaffenen Rechtsordnung folgt (vgl. u. a. Urteile vom in den verbundenen Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 31; vom in den verbundenen Rechtssachen C-178/94, C-179/94 und C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20, und vom in den verbundenen Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94, Denkavit u. a., Slg. 1996, I-5063, Randnr. 47).

25 In diesen Urteilen hat der Gerichtshof angesichts der Umstände des konkreten Falles entschieden, daß das Gemeinschaftsrecht einen Entschädigungsanspruch anerkennt, sofern drei Voraussetzungen erfuellt sind: Die Rechtsnorm, gegen die verstossen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang (Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, a. a. O., Randnr. 51; Dillenkofer u. a., a. a. O., Randnrn. 21 und 23, und Denkavit u. a., a. a. O., Randnr. 48).

26 Zwar ist es grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Haftung der Mitgliedstaaten für einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegen. In der vorliegenden Rechtssache verfügt der Gerichtshof jedoch über alle Informationen, die für die Beurteilung der Frage erforderlich sind, ob der hier gegebene Sachverhalt einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erkennen lässt und ob gegebenenfalls ein Kausalzusammenhang zwischen der Verletzung der dem Staat obliegenden Verpflichtung und dem eingetretenen Schaden besteht.

27 Im vorliegenden Fall ist unbestreitbar, daß die Artikel 3 Absatz 1 und 4 Nummer 1 der Zweiten Richtlinie, die die Definitionen für Zigaretten und für Rauchtabak enthalten, im nationalen Recht nicht ordnungsgemäß umgesetzt waren, da der zuständige Minister, der nach dem Gesetz zum Erlaß der erforderlichen Vorschriften ermächtigt war, aufgrund dieses Gesetzes keine Rechtsvorschrift erlassen hat.

28 Wenn keine Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie innerhalb der dafür festgesetzten Frist getroffen worden sind, um das durch diese Richtlinie vorgeschriebene Ziel zu erreichen, so stellt dies zwar als solches einen qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar (siehe Urteil Dillenkofer u. a., a. a. O., Randnr. 29).

29 Im vorliegenden Fall besteht jedoch kein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht und dem der Firma Brinkmann angeblich entstandenen Schaden. Denn die dänischen Behörden haben unmittelbar die einschlägigen Vorschriften der Zweiten Richtlinie angewendet, die genaue Definitionen für Tabakwaren enthalten. Der Umstand, daß die Definitionen der Zweiten Richtlinie nicht durch ministerielle Vorschriften umgesetzt worden sind, löst daher als solcher keine Haftung des Staates aus.

30 Weiter ist zu prüfen, ob die dänischen Behörden angesichts des Ausmasses der Klarheit und Genauigkeit der einschlägigen Vorschriften der Zweiten Richtlinie in einer hinreichend qualifizierten Weise gegen diese Vorschriften verstossen haben.

31 Dies ist im Ausgangsverfahren nicht der Fall. Wie der Generalanwalt in Nummer 21 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, entspricht Westpoint nicht völlig genau der einen oder der anderen Definition der Richtlinie. Es handelt sich vielmehr um ein Erzeugnis, das es bei Erlaß der Zweiten Richtlinie noch nicht gab und mit dem den Verbrauchern die Vorteile einer Zigarette geboten und gleichzeitig die niedrigere Besteuerung des Rauchtabaks genutzt werden sollte. Unter diesen Voraussetzungen stand die Auslegung, die die dänischen Behörden den einschlägigen Definitionen gegeben haben, nicht offensichtlich im Widerspruch zum Wortlaut der Zweiten Richtlinie und insbesondere nicht zu dem mit dieser verfolgten Ziel, um so mehr als die finnische Regierung und die Kommission für eine solche Auslegung eingetreten sind.

32 Aus dieser Sicht ist es unerheblich, daß die Behörden es abgelehnt haben, die Vollziehung der Entscheidung auszusetzen. Denn das Gemeinschaftsrecht verlangt in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht, daß die nationalen Behörden die Vollziehung einer Entscheidung aussetzen, die aufgrund einer Vorschrift erlassen worden ist, die verschiedene ernsthaft vertretbare Auslegungen zulässt.

33 Auf die zweite, die dritte und die vierte Frage ist daher zu antworten, daß ein Mitgliedstaat, dessen Behörden bei der Auslegung der Artikel 3 Absatz 1 und 4 Nummer 1 der Zweiten Richtlinie ein Erzeugnis wie das im vorliegenden Fall betroffene irrtümlich als Zigarette qualifiziert und die Vollziehung dieser Entscheidung nicht ausgesetzt haben, nach Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet ist, den dem Hersteller durch diese fehlerhafte Entscheidung entstandenen Schaden zu ersetzen.

Kostenentscheidung:

Kosten

34 Die Auslagen der finnischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BAAAB-72721

1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg