Eignung von Alleinbezugsvereinbarungen für Tankstellen zur Abschottung des Marktes, abhängig von der Laufzeit der Verträge
Leitsatz
[1] Das Verbot nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 Absatz 1 EG) ist nicht auf einen mit einem Kraftstofflieferanten geschlossenen Alleinbezugsvertrag anzuwenden, den der Wiederverkäufer jederzeit mit einer Frist von einem Jahr kündigen kann, wenn sämtliche Alleinbezugsverträge dieses Lieferanten entweder einzeln oder insgesamt in Verbindung mit dem Netz gleichartiger Verträge sämtlicher Lieferanten erheblich zur Abschottung des Marktes beigetragen haben, die Verträge mit einer Laufzeit wie der des betreffenden Alleinbezugsvertrags aber nur einen sehr kleinen Teil aller mit demselben Lieferanten geschlossenen Alleinbezugsverträge ausmachen, die überwiegend befristete Verträge sind, die für mehrere Jahre geschlossen worden sind.
Insoweit ist die ausnahmsweise vorgenommene Aufteilung des Netzes ein und desselben Lieferanten nicht willkürlich und beeinträchtigt nicht den Grundsatz der Rechtssicherheit. Sie beruht nämlich auf einer konkreten Beurteilung der Stellung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers auf dem relevanten Markt. Diese Beurteilung dient dazu, auf der Grundlage eines objektiven, besonders sachdienlichen Kriteriums - denn es berücksichtigt die Besonderheiten dieses Marktes - die Folge der Nichtigkeit auf diejenigen Verträge eines Lieferanten zu beschränken, die zusammen einen erheblichen Einfluss auf die kumulative Marktabschottungswirkung haben.
Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zum Urteil vom in der Rechtssache C-234/89 (Delimitis), das zwar die Kriterien angegeben hat, nach denen zu beurteilen ist, in welchem Umfang die nicht näher bezeichneten "Verträge" ein und desselben Lieferanten zu der kumulativen Marktabschottungswirkung beitragen, doch schließt dies nicht aus, dass dieser Beitrag aufgegliedert nach den verschiedenen Arten von Verträgen, die ein bestimmter Lieferant möglicherweise geschlossen hat, zu beurteilen ist.
(vgl. Randnrn. 37-39 und Tenor)
Gesetze: EG-Vertrag Art. 85 Abs. 1
Gründe
1 Das Tampereen Käräjäoikeus hat mit Beschluss vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 Absatz 1 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Neste Markkinointi Oy (im Folgenden: Neste) und der Yötuuli Ky (im Folgenden: Yötuuli) und den Kommanditisten dieser Gesellschaft wegen eines Tankstellenvertrages.
Der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens
3 1986 schlossen Yötuuli und Kesoil Oy, beide Gesellschaften finnischen Rechts, mit Wirkung vom einen Kooperations- und Vertriebsvertrag (im Folgenden: Vertrag), aufgrund dessen Erstere in die Vertriebskette der Letzteren eingegliedert wurde und fortan in ihren Tankstellen ausschließlich von Kesoil vertriebene Mineralöl- und Spezialerzeugnisse bezog und verkaufte.
4 Der Vertrag wurde auf 10 Jahre geschlossen und sah vor, dass das angeschlossene Unternehmen nach Ablauf dieses Zeitraums den Vertrag mit einer Frist von einem Jahr kündigen konnte.
5 Die Kesoil Oy fusionierte am mit einer Gesellschaft, die ihrerseits mit zwei weiteren Gesellschaften zur Firma Neste verschmolz, die auf diese Weise Vertragspartnerin wurde.
6 Yötuuli teilte Neste mit Einschreiben vom ihre Entscheidung mit, vom an keine Kraftstoffe mehr von ihr zu beziehen.
7 Neste nahm die ihr gehörenden Gegenstände wieder zurück und erhob beim Tampereen Käräjäoikeus Klage gegen Yötuuli und deren Kommanditisten wegen Ersatzes des Schadens, der ihr durch die Kündigung des Vertrages ohne Einhaltung der Frist von einem Jahr angeblich entstanden war.
8 Die Beklagten beantragten im Verfahren vor dem nationalen Gericht die Abweisung der Klage mit der Begründung, dass der Alleinbezugsvertrag gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstoße, so dass er gemäß Artikel 85 Absatz 2 nichtig sei.
9 Neste vertrat dagegen die Ansicht, dass der Vertrag nicht gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstoße.
10 Für das vorlegende Gericht wirft der Rechtsstreit die Frage der Auslegung und der Anwendung von Artikel 85 Absätze 1 und 2 EG-Vertrag auf. Nach Ansicht des Gerichts stellt sich in dem Rechtsstreit auch die Frage nach der Auslegung und der Anwendung der Artikel 10 und 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1984/83 der Kommission vom über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Alleinbezugsvereinbarungen (ABl. L 173, S. 5). Die Klägerin mache nämlich geltend, dass Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag wegen Artikel 10 der Verordnung auf den Vertrag nicht anwendbar sei, da dieser nicht im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung für einen unbestimmten Zeitraum geschlossen worden sei; die Beklagten verträten dagegen die Ansicht, dass der Vertrag, der sich nach 10 Jahren automatisch verlängere, als unbefristeter Vertrag einzustufen sei.
11 Das Gericht stellt jedoch klar, dass sich das Vorabentscheidungsersuchen nur auf die Auslegung von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag beziehe.
12 Es beruft sich auf die Urteile des Gerichtshofes vom 12. Dezember 1967 in der Rechtssache 23/67 (Brasserie de Haecht, Slg. 1967, 525) und vom in der Rechtssache C-234/89 (Delimitis, Slg. 1991, I-935), die im Zusammenhang mit Alleinbezugsvereinbarungen für Bier ergangen sind.
13 Den Randnummern 19 bis 27 des Urteils Delimitis sei zu entnehmen, dass die Anwendung des Verbotes in Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag zunächst voraussetze, dass der Vertrag unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Begleitumstände den Zugang zum Markt oder die Vergrößerung eines Marktanteils erschwere. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Vertrag zu einem Netz gleichartiger Verträge mit einer kumulativen Wirkung auf den Wettbewerb gehöre. Die Anwendung des Verbotes setze jedoch auch voraus, dass der Vertrag zu der durch das Netz herbeigeführten Abschottung des Marktes erheblich beigetragen habe. In welchem Maße der einzelne Vertrag dazu beitrage, hänge von der Stellung der Vertragspartner auf den relevanten Märkten und von der Vertragsdauer ab.
14 Das nationale Gericht weist darauf hin, dass ein Vertrag wie der streitgegenständliche in Verbindung mit anderen, aufgrund ihrer Dauer vergleichbaren Verträgen zur Abschottung des Kraftstoffmarktes offensichtlich nicht erheblich beitrage. Befristete Verträge, die für mehrere Jahre geschlossen würden, beschränkten den Zugang zum Markt viel stärker als diejenigen, die jederzeit unter Einhaltung einer kurzen Frist gekündigt werden könnten. Es sei daher nicht willkürlich, sie voneinander zu trennen und das auf die kumulative Wirkung des Netzes gestützte Verbot nur auf Erstere, nicht aber auf Letztere anzuwenden, sofern die Letztgenannten nur einen geringen Teil der Verträge ausmachten, die von einem einzigen Lieferanten geschlossen worden seien und erheblich zur kumulativen Wirkung beitrügen.
15 Daher ist das nationale Gericht der Ansicht, dass die Beklagten die Kündigungsfrist hätten einhalten müssen.
16 Es meint jedoch, dass das einschlägige Gemeinschaftsrecht nicht eindeutig sei, und fragt sich, ob die Lösung, die es aus dem Urteil Delimitis hergeleitet habe, nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen könnte.
17 Das Gericht erster Instanz habe in seinem Urteil vom in der Rechtssache T-7/93 (Langnese-Iglo/Kommission, Slg. 1995, II-1533) in Bezug auf Alleinbezugsvereinbarungen für Eis entschieden, dass bei der Beurteilung des Beitrags der streitigen Verträge zu der gegebenenfalls festgestellten kumulativen Wirkung das Vertragsnetz eines einzigen Herstellers nicht aufgespalten werden könne, um das Verbot auf diejenigen Verträge zu beschränken, die erhebliche Auswirkungen hätten, da die Beurteilung bei jedem Hersteller für die Gesamtheit der das Netz bildenden Einzelverträge gelte.
18 In seinem Urteil vom in der Rechtssache T-9/93 (Schöller/Kommission, Slg. 1995, II-1611), bei dem es ebenfalls um Alleinbezugsvereinbarungen für Eis gegangen sei, habe sich das Gericht erster Instanz nicht ausdrücklich zu der Behauptung der Klägerin geäußert, die Kommission habe die verhältnismäßig kurze Laufzeit der Vereinbarungen nicht hinreichend berücksichtigt, die nach Ablauf des zweiten Jahres nach ihrem Inkrafttreten zum Ende jeden Kalenderjahres kündbar gewesen seien.
19 Das Tampereen Käräjäoikeus hat aufgrund dessen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist das Verbot nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag auf einen mit einem Lieferanten geschlossenen Alleinbezugsvertrag anzuwenden, den der Wiederverkäufer jederzeit mit einer Frist von einem Jahr kündigen kann, wenn sämtliche Alleinbezugsverträge dieses Lieferanten entweder einzeln oder insgesamt in Verbindung mit dem Netz gleichartiger Verträge sämtlicher Lieferanten erheblich zur Abschottung des Marktes beigetragen haben, die Verträge mit einer Laufzeit wie der des betreffenden Alleinbezugsvertrags aber nur einen sehr kleinen Teil aller mit demselben Lieferanten geschlossenen Alleinbezugsverträge ausmachen, die überwiegend befristete Verträge sind, die für mehrere Jahre geschlossen wurden?
Zur Vorlagefrage
20 Neste macht geltend, im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag sei der Vertrag, der jederzeit mit einer Frist von einem Jahr habe gekündigt werden können, von ihren anderen für mehrere Jahre geschlossenen Verträgen zu unterscheiden. Die Laufzeit eines Vertrages sei nämlich von herausragender Bedeutung für die Beurteilung der Handlungsfreiheit, die dem durch eine Alleinbezugsverpflichtung gebundenen Vertragspartner eingeräumt werde, was durch Randnummer 26 des Urteils Delimitis bestätigt werde. Eine Kündigungsfrist von einem Jahr biete in angemessener Weise jeder Partei die Möglichkeit, sich auf einen Markenwechsel vorzubereiten, und erlaube es insbesondere dem Einzelhändler, nach seiner Entscheidung, die Mineralölgesellschaft zu wechseln, die notwendigen Änderungen vorzunehmen. Daher führe der Vertrag nicht zu einer geschäftlichen Unfreiheit des Vertragspartners des Lieferanten.
21 Somit müssten im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag Verträge, die von ein und demselben Lieferanten für ein und dasselbe Erzeugnis geschlossen worden seien, jedoch unterschiedliche Bedingungen enthielten, unterschiedlich beurteilt werden.
22 Im Übrigen hätten die von Neste geschlossenen Verträge in der Art des streitgegenständlichen auch zusammengenommen nur einen völlig geringfügigen Einfluss auf die Wettbewerbsbedingungen auf dem relevanten Markt für Kraftstoffe gehabt, da die Zahl dieser Verträge im Juli 1998 alles in allem 27 betragen habe. Folglich seien sie nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag gefallen.
23 Die französische Regierung macht geltend, es lasse sich kaum eine Rechtfertigung dafür finden, die Netze ein und desselben Marktbeteiligten nach der Laufzeit einer Gruppe von Verträgen aufzuteilen, um eine je nach Anzahl dieser Verträge unterschiedliche Behandlung vorzunehmen. Eine derartige Unterscheidung sei vielschichtig oder in bestimmten Fällen sogar schwer durchführbar.
24 Die Kommission trägt vor, die Wirkungen eines von einem Lieferanten errichteten Netzes gleichartiger Verträge auf den Wettbewerb seien in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Beschränkten diese Verträge insgesamt betrachtet den Wettbewerb in erheblicher Weise, so verstießen sie alle gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag. Eine Aufteilung der Alleinbezugsverträge oder Gruppen solcher Verträge danach, ob sie "unerheblich" seien, sei notwendigerweise willkürlich. Dies habe das Gericht in den Randnummern 129 bzw. 95 der Urteile Langnese-Iglo/Kommission und Schöller/Kommission ausdrücklich festgestellt.
25 Auch wenn Alleinbezugsverträge keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag bezwecken, ist doch zu prüfen, ob sie nicht eine Verhinderung, Einschränkung oder Fälschung des Wettbewerbs bewirken. Bei der Beurteilung der Wirkungen eines Alleinbezugsvertrags ist der wirtschaftliche und rechtliche Gesamtzusammenhang zu betrachten, in dem der Vertrag steht und zusammen mit anderen zu einer kumulativen Auswirkung auf den Wettbewerb führen kann. Somit ist zu prüfen, wie sich ein solcher Vertrag in Verbindung mit anderen gleichartigen Verträgen auf die Möglichkeiten der Mitbewerber aus dem Inland oder aus anderen Mitgliedstaaten, auf dem relevanten Markt Fuß zu fassen oder ihren Anteil an diesem Markt zu vergrößern, auswirkt (Urteil Delimitis, Randnrn. 13 bis 15).
26 Zu diesem Zweck sind Art und Bedeutung aller gleichartigen Verträge zu prüfen, die eine bedeutende Zahl von Verkaufsstellen an einige Lieferanten binden; von den übrigen Faktoren des wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhangs, in den sich die Verträge einfügen, sind diejenigen zu berücksichtigen, die die Möglichkeiten des Zugangs zum Referenzmarkt beeinflussen. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob ein neuer Mitbewerber tatsächlich konkrete Möglichkeiten einer Eingliederung in das Vertragsnetz besitzt. Ferner ist auch zu berücksichtigen, unter welchen Bedingungen der Wettbewerb auf dem relevanten Markt stattfindet (Urteil Delimitis, Randnrn. 21 und 22).
27 Ergibt die Prüfung sämtlicher vergleichbarer Verträge, dass der relevante Markt schwer zugänglich ist, so ist zu untersuchen, inwieweit die Verträge des betroffenen Lieferanten zu der kumulativen Wirkung beitragen, die diese gleichartigen Verträge zusammen entfalten. Diese Marktabschottungswirkung ist nach dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft denjenigen Lieferanten zuzurechnen, die dazu in erheblichem Maße beitragen. Die Verträge der Lieferanten, deren Beitrag zur kumulativen Wirkung nur unerheblich ist, fallen deshalb nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag. Für die Beurteilung, in welchem Umfang die Verträge eines Lieferanten zu der kumulativen Abschottungswirkung beitragen, ist die Stellung der Vertragspartner auf dem Markt zu berücksichtigen. Der Beitrag hängt im Übrigen von der Dauer dieser Verträge ab. Ist diese Dauer, gemessen an der durchschnittlichen Dauer der auf dem relevanten Markt allgemein geschlossenen Verträge, unverhältnismäßig lang, so fällt der einzelne Vertrag unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag (Urteil Delimitis, Randnrn. 24 bis 26).
28 Das nationale Gericht hat in seinem Vorlagebeschluss festgestellt, das der Vertrag zu einem Netz von Alleinbezugsverträgen gehört, die den größten Teil des Kraftstoffmarktes abschotten.
29 Daneben sind im Ausgangsverfahren folgende Angaben unbestritten:
- Am waren von den insgesamt 573 Tankstellen, die das Netz von Neste bilden, 27 durch einen Vertrag wie den streitgegenständlichen an diesen Lieferanten gebunden. Dies entspricht 5 % der Gesamtzahl oder 1,5 % der 1 799 Tankstellen in Finnland.
- Auf diese 27 Tankstellen entfielen 8 % des über das Netz von Neste verkauften Benzins und 10,48 % des von Neste verkauften Dieselkraftstoffs, mithin 2,48 % des Benzinabsatzes und 1,07 % des Absatzes von Dieselkraftstoff in ganz Finnland.
- Ein erheblicher Teil der von Neste mit anderen Wiederverkäufern geschlossenen Verträge wurde geändert, um von der Verordnung Nr. 1984/83 erfasst zu werden, oder war bereits gemäß Artikel 12 Absatz 2 dieser Verordnung befreit.
30 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Vorlagefrage wissen, ob Kraftstofflieferverträge, die jederzeit mit einer Frist von einem Jahr kündbar sind, unter den tatsächlichen Gegebenheiten, die den Markt für den Vertrieb von Kraftstoff in Finnland kennzeichnen, nur unerheblich zur kumulativen Marktabschottungswirkung beitragen und daher nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag fallen, obwohl sie zu einer Gesamtheit von Verträgen gehören, die von ein und demselben Lieferanten geschlossen worden sind und in ihrer Gesamtwirkung zu dieser Abschottung beitragen.
31 Neste und die französische Regierung weisen zu Recht darauf hin, dass sich ein Alleinbezugsvertrag für Kraftstoffe in einem Punkt erheblich von einem Alleinbezugsvertrag für andere Erzeugnisse wie Bier oder Eis unterscheidet, da rein faktisch in einer bestimmten Tankstelle nur Kraftstoffe einer einzigen Marke vertrieben werden.
32 Daraus folgt, dass für den Lieferanten entscheidender Bestandteil des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertragstyps weniger die Ausschließlichkeitsklausel an und für sich als die Dauer der vom Wiederverkäufer eingegangenen Bezugspflicht ist und diese Dauer für die Marktabschottungswirkung ausschlaggebend ist.
33 In diesem Zusammenhang ist dem vorlegenden Gericht zuzugeben, dass zeitlich beschränkte Verträge, die für mehrere Jahre geschlossen worden sind, den Zugang zum Markt stärker beschränken können als Verträge, die jederzeit unter Einhaltung einer kurzen Frist gekündigt werden können.
34 Bei Tankstellenverträgen verpflichtet sich der Lieferant im Allgemeinen zu erheblichen Investitionen, um die Verkaufsstelle dem Image der vertriebenen Marke anzupassen. Meistens erfordert daher ein Wechsel des Lieferanten aus technischen Gründen eine bestimmte Frist.
35 Angesichts dieser Besonderheiten bietet eine Kündigungsfrist von einem Jahr einen angemessenen Schutz der wirtschaftlichen und rechtlichen Belange aller Vertragsparteien und setzt der durch den Vertrag hervorgerufenen Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für den Vertrieb von Kraftstoffen enge Grenzen.
36 Wenn daher, wie im Ausgangsverfahren, die Verträge, die jederzeit unter Einhaltung einer Frist von einem Jahr kündbar sind, nur einen sehr geringen Teil aller Alleinbezugsverträge ausmachen, die von ein und demselben Lieferanten geschlossen worden sind, so tragen sie nur unbedeutend zu der kumulativen Wirkung im Sinne des Urteils Delimitis bei und fallen daher nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag.
37 Die ausnahmsweise vorgenommene Aufteilung des Netzes ein und desselben Lieferanten ist nicht willkürlich und beeinträchtigt nicht den Grundsatz der Rechtssicherheit. Sie beruht nämlich auf einer konkreten Beurteilung der Stellung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers auf dem relevanten Markt. Diese Beurteilung dient dazu, auf der Grundlage eines objektiven, besonders sachdienlichen Kriteriums - denn es berücksichtigt die Besonderheiten dieses Marktes - die Folge der Nichtigkeit auf diejenigen Verträge eines Lieferanten zu beschränken, die zusammen einen erheblichen Einfluss auf die kumulative Marktabschottungswirkung haben.
38 Entgegen dem Vorbringen der Kommission in ihren Erklärungen steht dieses Ergebnis nicht im Widerspruch zum Urteil Delimitis. Zwar hat dieses Urteil im Kontext der damals behandelten Rechtssache in den Randnummern 25 und 26 die Kriterien angegeben, nach denen zu beurteilen ist, in welchem Umfang die nicht näher bezeichneten "Verträge" ein und desselben Lieferanten zu der kumulativen Marktabschottungswirkung beitragen, doch schließt dies nicht aus, dass dieser Beitrag aufgegliedert nach den verschiedenen Arten von Verträgen, die ein bestimmter Lieferant möglicherweise geschlossen hat, zu beurteilen ist.
39 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass das Verbot nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag nicht auf einen mit einem Kraftstofflieferanten geschlossenen Alleinbezugsvertrag anzuwenden ist, den der Wiederverkäufer jederzeit mit einer Frist von einem Jahr kündigen kann, wenn sämtliche Alleinbezugsverträge dieses Lieferanten entweder einzeln oder insgesamt in Verbindung mit dem Netz gleichartiger Verträge sämtlicher Lieferanten erheblich zur Abschottung des Marktes beigetragen haben, die Verträge mit einer Laufzeit wie der des betreffenden Alleinbezugsvertrags aber nur einen sehr kleinen Teil aller mit demselben Lieferanten geschlossenen Alleinbezugsverträge ausmachen, die überwiegend befristete Verträge sind, die für mehrere Jahre geschlossen worden sind.
Kostenentscheidung:
Kosten
40 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
ZAAAB-72645
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg