Berechnung von Dienstzeiten von männlichen und weiblichen Beamten in Teilzeitarbeitsverhältnissen
Leitsatz
[1] 1. Artikel 119 EG-Vertrag ist
dahin auszulegen, daß er auf öffentlich-rechtliche
Dienstverhältnisse anwendbar ist.
2. Eine
nationale Bestimmung, die vorschreibt, daß bei der Berechnung von
Dienstzeiten von Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer
Arbeitszeit von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der
regelmässigen Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden,
fällt nicht unter Artikel 119 EG-Vertrag und die Richtlinie 75/117/EWG des
Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts
für Männer und Frauen.
3. Die
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des
Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg
sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen steht einer nationalen Regelung
entgegen, die vorschreibt, daß bei der Berechnung von Dienstzeiten von
Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von
mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der regelmässigen
Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden, sofern diese Bestimmung
nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun
haben.
4 Artikel 119 des Vertrages ist dahin
auszulegen, daß er auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse
anwendbar ist. Eine andere Auslegung dahin gehend, daß der
öffentliche Dienst vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgenommen
wäre, würde gegen deren Zielsetzung verstoßen.
5 Eine nationale Bestimmung, die vorschreibt, daß bei der Berechnung von Dienstzeiten von Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden, fällt nicht unter Artikel 119 des Vertrages und die Richtlinie 75/117 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen. Da eine solche Bestimmung in erster Linie darauf gerichtet ist, den Zugang des Beamten zu einem höheren Amt unter dem Gesichtspunkt des Dienstalters zu regeln, wirkt sie sich nämlich nur mittelbar auf die Höhe des Entgelts aus, auf das der Betroffene Anspruch hat, wenn das Beförderungsverfahren abgeschlossen ist.
6 Die Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen steht einer nationalen Regelung entgegen, die vorschreibt, daß bei der Berechnung von Dienstzeiten von Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden, sofern diese Bestimmung nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Auch wenn der Umstand, daß von der Bestimmung erheblich mehr Frauen als Männer betroffen sind, grundsätzlich einen Verstoß gegen diese Richtlinie darstellt, ist dies folglich nicht der Fall, wenn - ungeachtet dessen, daß bei den insbesondere weiblichen Teilzeitbeschäftigten das Dienstalter gemessen an der Arbeitszeit anteilig günstiger berechnet worden ist - festgestellt wird, daß erstens Teilzeitbeschäftigte in der Regel Eignung und Fähigkeiten für ihre Tätigkeiten weniger schnell erwerben als Vollzeitbeschäftigte und zweitens die zuständigen Behörden nachgewiesen haben, daß die gewählten Mittel einem berechtigten Ziel der Sozialpolitik des betreffenden Mitgliedstaats dienen und zur Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich sind.
Gesetze: EG-Vertrag Art. 119;Richtlinie 75/117/EWG; Richtlinie 76/207/EWG
Gründe
1 Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach hat mit Beschluß vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag, der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19) und der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Hellen Gerster (Klägerin) und dem Freistaat Bayern (Beklagter) über die Ablehnung der Bewerbung der Klägerin für eine Beförderungsstelle durch letzteren.
3 Artikel 119 des Vertrages stellt den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit auf. Gemäß Artikel 119 Absatz 2 sind unter Entgelt in diesem Zusammenhang die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar und unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.
4 Nach Artikel 1 der Richtlinie 75/117 bedeutet der Grundsatz des gleichen Entgelts "bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen".
5 Gemäß ihrem Artikel 1 Absatz 1 hat die Richtlinie 76/207 zum Ziel, daß in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen verwirklicht wird. Dieser Grundsatz wird als "Grundsatz der Gleichbehandlung" bezeichnet. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 dieser Richtlinie "[beinhaltet die] Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung..., daß bei den Bedingungen des Zugangs - einschließlich der Auswahlkriterien - zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen - unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig - und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfolgt".
6 Gemäß Artikel 3 Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Nach dieser Bestimmung fördert der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Hinsichtlich der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, gleich, ob als Beamte, als Angestellte oder als Arbeiter tätig, bestimmt Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes: "Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte."
7 Das Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) verpflichtet die Länder zur Beachtung bestimmter Grundsätze, wenn sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen, und lässt ihnen damit hinsichtlich der nicht zwingenden Punkte einen Ermessensspielraum. Gemäß § 7 BRRG sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht u. a. auf das Geschlecht vorzunehmen.
8 In Bund und Ländern gelten für den öffentlichen Dienst Laufbahnverordnungen, also untergesetzliche Normen des Bundes oder der einzelnen Bundesländer. Sie regeln die Anstellung, die Probezeit und den Aufstieg für die verschiedenen Laufbahngruppen der Beamten.
9 Für die Beamten Bayerns gilt die bayerische Laufbahnverordnung (LbV). Danach werden Beförderungsdienstposten auf der Grundlage von Kriterien der Leistung und des Dienstalters besetzt. Nachdem der Vorgesetzte eine Beurteilung über den Beamten erstellt hat, beginnt ab dessen letzter Beförderung eine sogenannte "Mindestbewährungszeit", nach deren Ablauf er in ein Amt mit höherem Endgrundgehalt befördert werden kann. So kann ein Beamter, der die Beurteilung "sehr tüchtig" erhalten hat, nach dreieinhalb Jahren Dienstzeit in ein höherwertiges Amt befördert werden. Hätte der Beamte die Beurteilung "übertrifft erheblich die Anforderungen" erhalten, hätte diese Bewährungszeit hingegen fünf Jahre betragen. Mit dem Ablauf der Mindestbewährungszeit erreicht der Beamte den "rechnerischen Beförderungszeitpunkt" und kann tatsächlich befördert werden, wenn eine Planstelle frei ist. Nach Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit wird der Beamte in eine "Beförderungsliste" aufgenommen. In ihr sind die Beamten in der sich aus dem jeweiligen "rechnerischen Beförderungszeitpunkt" ergebenden Reihenfolge aufgeführt.
10 Nach der im maßgeblichen Zeitraum anwendbaren Fassung des § 13 Absatz 2 LbV "[bleiben] Zeiten einer Beschäftigung mit einer geringeren als der Hälfte der regelmässigen Arbeitszeit... bei der Berechnung der Dienstzeit unberücksichtigt. Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte der regelmässigen Arbeitszeit zählen bei der Berechnung der Dienstzeit zu zwei Dritteln. Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit werden bei der Berechnung der Dienstzeit in vollem Umfang berücksichtigt."
11 § 13 Absatz 2 LbV wurde 1995 geändert. Er sieht nun vor, daß ab bei der Berechnung der Dienstzeit bei Beförderungen Halb- und Vollzeitbeschäftigte gleichbehandelt werden. Die Bestimmung sieht ausserdem vor, daß bei der Entscheidung, inwieweit geringere Beschäftigungszeiten bei der Berechnung des Dienstalters zu berücksichtigen sind, alle Umstände des Einzelfalls heranzuziehen sind. Angesichts des Zeitpunkts, zu dem die Klägerin gegen die Entscheidung, mit der ihre Bewerbung abgelehnt wurde, Widerspruch einlegte, ist diese Änderung auf sie nicht anwendbar.
12 Die Klägerin trat am in die Finanzverwaltung des Beklagten ein. Sie wurde mit Wirkung vom in das Beamtenverhältnis auf Probe und mit Wirkung vom in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen und war vom bis zum ohne Bezuege beurlaubt. Seit dem letztgenannten Zeitpunkt ist sie mit der Hälfte der regelmässigen Arbeitszeit beim Finanzamt teilzeitbeschäftigt.
13 Mit Schreiben vom bewarb sich die Klägerin für eine Beförderungsstelle beim Finanzamt Nürnberg-West und beantragte, ihre Teilzeitbeschäftigung seit September 1987 für die Berechnung ihrer Dienstzeiten im Rahmen der Berwerbung voll anzurechnen.
14 Mit Bescheid vom lehnte die Oberfinanzdirektion Nürnberg die Bewerbung der Klägerin mit der Begründung ab, die zu besetzende Beförderungsstelle müsse einem Beamten vorbehalten werden, der der Klägerin in der "Beförderungsliste" vorgehe. Mit Widerspruchsbescheid vom wies die Oberfinanzdirektion Nürnberg den Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid als unbegründet zurück.
15 Am erhob die Klägerin Klage beim vorlegenden Gericht, mit der sie geltend macht, die Ablehnung ihrer Bewerbung verstosse gegen Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen Artikel 119 des Vertrages und gegen die Richtlinien 75/117 und 76/207.
16 Das vorlegende Gericht hat demgemäß das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 119 EWG-Vertrag auf Beamte anwendbar?
2. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Liegt ein Verstoß gegen Artikel 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie 75/117/EWG des Rates in Form der "mittelbaren Diskriminierung von Frauen" vor, wenn § 13 Absatz 2 Satz 2 LbV vorschreibt, daß bei der Berechnung von Dienstzeiten von Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden?
3. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Liegt ein Verstoß gegen die Richtlinie 76/207/EWG des Rates in Form der "mittelbaren Diskriminierung von Frauen" hinsichtlich des Zugangs zum beruflichen Aufstieg (Beförderung) vor, wenn § 13 Absatz 2 Satz 2 LbV vorschreibt, daß bei der Berechnung von Dienstzeiten von Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden?
Zur ersten Frage
17 Artikel 119 des Vertrages stellt den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit auf. Wie der Gerichtshof schon im Urteil vom in der Rechtssache 43/75 (Defrenne II, Slg. 1976, 455, Randnr. 12) festgestellt hat, gehört dieser Grundsatz zu den Grundlagen der Gemeinschaft.
18 Es würde gegen die Zielsetzung des Artikels 119 verstossen, wenn der öffentliche Dienst von seinem Anwendungsbereich ausgenommen wäre. Im übrigen hat der Gerichtshof im Urteil vom 21. Mai 1985 in der Rechtssache 248/83 (Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 1459, Randnr. 16) festgestellt, daß die Richtlinie 76/207 - wie auch die Richtlinie 75/117 - für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse gilt; ebenso wie Artikel 119 haben diese Richtlinien, wie es dem in ihnen niedergelegten Prinzip entspricht, allgemeine Bedeutung.
19 Auf die erste Frage ist deshalb zu antworten, daß Artikel 119 des Vertrages dahin auszulegen ist, daß er auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse anwendbar ist.
Zur zweiten Frage
20 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob Artikel 119 des Vertrages und die Richtlinie 75/117 einer Bestimmung entgegenstehen, die vorschreibt, daß bei der Berechnung von Dienstzeiten von Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden.
21 Der Gerichtshof hat im Urteil vom in der Rechtssache 149/77 (Defrenne III, Slg. 1978, 1365, Randnr. 20) festgestellt, daß die Tragweite des Artikels 119 nicht auf andere Aspekte des Beschäftigungsverhältnisses als diejenigen erstreckt werden kann, auf die er sich ausdrücklich bezieht.
22 Die Klägerin macht geltend, es handele sich im vorliegenden Fall wie in der mit Urteil vom entschiedenen Rechtssache C-184/89 (Nimz, Slg. 1991, I-297) um ein System der quasiautomatischen Einstufung in die Vergütungsgruppen, das unter den Begriff des Entgelts im Sinne des Artikels 119 des Vertrages falle und gegen die Richtlinie 75/117 verstosse.
23 Ein Beamter, der wie im Ausgangsfall in die Beförderungsliste aufgenommen wird, erhält damit keinen Anspruch auf Beförderung in ein höheres Amt und somit auf eine höhere Vergütung, sondern nur eine entsprechende Möglichkeit. Die tatsächliche Beförderung hängt von verschiedenen Faktoren ab, nämlich erstens von der Verfügbarkeit einer Beförderungsplanstelle und zweitens von der Beibehaltung der Position auf der Beförderungsliste. Eine Bestimmung wie § 13 Absatz 2 Satz 2 LbV ist also in erster Linie darauf gerichtet, den Zugang des Beamten zur Beförderungsliste und somit zu einem höheren Amt unter dem Gesichtspunkt des Dienstalters zu regeln. Sie wirkt sich folglich nur mittelbar auf die Höhe des Entgelts aus, auf das der Betroffene Anspruch hat, wenn das Beförderungsverfahren abgeschlossen ist.
24 In der genannten Rechtssache Nimz handelte es sich um einen Bewährungsaufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe aufgrund einer bestimmten Dienstzeit. Dieser Aufstieg erfolgte gleichsam automatisch, wenn der Betroffene die erforderliche Zeit abgeleistet hatte, ohne entlassen worden zu sein. Die im Ausgangsverfahren anwendbare Regelung steht zwar in einem mittelbaren Zusammenhang mit dem Entgelt, betrifft jedoch den Zugang zum beruflichen Aufstieg. Eine solche Ungleichbehandlung fällt demnach nicht unter Artikel 119 des Vertrages und die Richtlinie 75/117.
25 Auf die zweite Frage ist somit zu antworten, daß eine nationale Bestimmung, die vorschreibt, daß bei der Berechnung von Dienstzeiten von Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden, nicht unter Artikel 119 des Vertrages und die Richtlinie 75/117 fällt.
Zur dritten Frage
26 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob eine nationale Bestimmung gegen die Richtlinie 76/207 verstösst, die vorschreibt, daß bei der Berechnung von Dienstzeiten von Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden.
27 Ziel der Richtlinie 76/207 ist gemäß ihrem Artikel 1, daß in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, verwirklicht wird.
28 Gemäß Artikel 3 dieser Richtlinie ist jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei den Bedingungen des Zugangs, einschließlich der Auswahlkriterien, zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen - unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig - und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung verboten.
29 Die im Ausgangsverfahren streitige nationale Bestimmung bewirkt keine unmittelbare Diskriminierung, da die zur Berechnung der Dienstzeit der Teilzeitbeschäftigten angewandte Methode nicht auf deren Geschlecht abstellt. Demnach ist zu prüfen, ob eine solche Bestimmung eine mittelbare Diskriminierung darstellen kann.
30 Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn die Anwendung einer nationalen Maßnahme, die zwar neutral formuliert ist, tatsächlich aber wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom in der Rechtssache C-444/93, Megner und Scheffel, Slg. 1995, I-4741, Randnr. 24, und vom in der Rechtssache C-343/92, Roks u. a., Slg. 1994, I-571, Randnr. 33).
31 Gemäß § 13 Absatz 2 LbV werden Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit bei der Berechnung der Dienstzeit in vollem Umfang berücksichtigt. Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte der regelmässigen Arbeitszeit zählen bei der Berechnung der Dienstzeit zu zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit, während die Zeiten einer Beschäftigung mit einer geringeren als der Hälfte der regelmässigen Arbeitszeit bei der Berechnung der Dienstzeit überhaupt nicht berücksichtigt werden.
32 Es seht also fest, daß die im Ausgangsverfahren streitige nationale Bestimmung die Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten dadurch benachteiligt, daß ihre Dienstzeit langsamer anwächst und sie erst später befördert werden können.
33 Nach dem Vorbringen der Klägerin sind in der Dienststelle, in der sie ihre Dienstzeit zurückgelegt hat, 87 % der Teilzeitbeschäftigten Frauen. Aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts ergibt sich, daß dieser Prozentsatz auch für den bayerischen öffentlichen Dienst insgesamt gilt.
34 In einem solchen Fall diskriminieren Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren streitigen im Ergebnis die weiblichen Arbeitnehmer gegenüber den männlichen Arbeitnehmern und verstossen grundsätzlich gegen die Richtlinie 76/207. Anders wäre es nur dann, wenn die unterschiedliche Behandlung der beiden Arbeitnehmerkategorien durch Faktoren gerechtfertigt wäre, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. insbesondere Urteile vom in der Rechtssache 170/84, Bilka, Slg. 1986, 1607, Randnr. 29, vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 171/88, Rinner-Kühn, Slg. 1989, 2743, Randnr. 12, und vom in der Rechtssache C-457/93, Lewark, Slg. 1996, I-243, Randnr. 31).
35 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des innerstaatlichen Rechts allein zuständig ist, unter Berücksichtigung aller Umstände festzustellen, ob und inwieweit eine gesetzliche Regelung, die zwar unabhängig vom Geschlecht der Arbeitnehmer angewandt wird, im Ergebnis die Frauen jedoch stärker trifft als die Männer, aus objektiven Gründen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (vgl. Urteile vom 31. März 1981 in der Rechtssache 96/80, Jenkins, Slg. 1981, 911, Randnr. 14, Bilka, a. a. O., Randnr. 36, und Rinner-Kühn, a. a. O., Randnr. 15).
36 Der Beklagte macht geltend, diese Diskriminierung sei objektiv gerechtfertigt, da die fragliche Regelung auf der Notwendigkeit für die Verwaltung beruhe, in allgemeiner Form ein Zeitmaß festzulegen, um die Berufserfahrung der Beschäftigten zu beurteilen, bevor sie sie als beförderungsfähig ansehe. Der teilzeitbeschäftigte Beamte müsse seine Tätigkeit über einen längeren Zeitraum ausgeuebt haben als der vollzeitbeschäftigte Beamte, bevor er das Fachwissen und die berufliche Befähigung erlange, die der Aufstieg in ein höheres Amt voraussetze.
37 Die Klägerin hingegen macht geltend, sie habe als Teilzeitbeschäftigte während der letzten zehn Jahre ihrer beruflichen Tätigkeit Funktionen des höherwertigen Amtes, in das sie befördert werden wolle, ausgeuebt.
38 Dem Vorlagebeschluß ist zu entnehmen, daß die Beklagte vorgetragen hat, die im Jahre 1995 erfolgte Änderung der LbV "solle zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen". Der Schutz der Frau im Familienleben und zugleich im Berufsleben ist - ebenso wie der des Mannes - ein Grundsatz, der als natürliche Folge der Gleichheit von Mann und Frau in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in hohem Masse berücksichtigt wird und der vom Gemeinschaftsrecht anerkannt ist.
39 In dem genannten Urteil Nimz hat der Gerichtshof festgestellt, daß sich der Behauptung, es bestehe ein besonderer Zusammenhang zwischen der Dauer einer beruflichen Tätigkeit und dem Erwerb eines bestimmten Kenntnis- oder Erfahrungsstands, keine objektiven Kriterien entnehmen lassen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, da es sich dabei lediglich um eine verallgemeinernde Aussage zu bestimmten Kategorien von Arbeitnehmern handelt. Zwar geht das Dienstalter Hand in Hand mit der dienstlichen Erfahrung, die den Arbeitnehmer grundsätzlich zu einer besseren Erfuellung seiner Aufgaben befähigt, jedoch hängt der objektive Charakter eines solchen Kriteriums von allen Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, welche Beziehung zwischen der Art der ausgeuebten Tätigkeit und der Erfahrung besteht, die durch die Ausübung dieser Tätigkeit nach einer bestimmten Anzahl geleisteter Arbeitsstunden erworben wird.
40 Stellt das nationale Gericht fest, daß, obwohl die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Funktionen des höherwertigen Amtes, in das sie befördert werden will, schon in Teilzeitbeschäftigung ausgeuebt hat und das Dienstalter nicht strikt anteilig berechnet worden ist, Teilzeitbeschäftigte in der Regel Eignung und Fähigkeiten für ihre Tätigkeiten weniger schnell erwerben als Vollzeitbeschäftigte und daß die zuständigen Behörden nachgewiesen haben, daß die gewählten Mittel einem berechtigten Ziel der Sozialpolitik des betreffenden Mitgliedstaats dienen und zur Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich sind, so kann der Umstand allein, daß von der Bestimmung erheblich mehr Frauen als Männer betroffen sind, nicht als ein Verstoß gegen die Richtlinie 76/207 angesehen werden.
41 Wenn das vorlegende Gericht zu der Entscheidung gelangt, daß kein besonderer Zusammenhang zwischen der Länge der Dienstzeit und dem Erwerb eines bestimmten Kenntnis- oder Erfahrungsstands besteht, ist das in § 13 Absatz 2 Satz 2 LbV vorgesehene Erfordernis, daß mit der Hälfte der regelmässigen Dienstzeit beschäftigte Bedienstete eine um ein Drittel längere Dienstzeit als ein vollzeitbeschäftigter Beamter abgeleistet haben müssen, um ungefähr die gleiche Beförderungschance zu haben, als ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Richtlinie 76/207 anzusehen.
42 Die dritte Frage ist somit dahin zu beantworten, daß die Richtlinie 76/207 einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorschreibt, daß bei der Berechnung von Dienstzeiten von Beamten die Zeiten einer Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln der regelmässigen Arbeitszeit nur zu zwei Dritteln gezählt werden, sofern diese Bestimmung nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Kostenentscheidung:
Kosten
43 Die Auslagen der griechischen und der irischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
MAAAB-72551
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg