BFH Beschluss v. - VII ER -S- 1/05

Instanzenzug:

Gründe

Ansprüche aus Steuerschuldverhältnissen werden nach § 233 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. In dem beim I. Senat anhängigen Streitfall kommt als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Zinsanspruch allein die Vorschrift des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in Betracht. Wird eine festgesetzte Steuer durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen herabgesetzt, so ist nach dieser Vorschrift der zuviel entrichtete und somit zu erstattende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen.

Der VII. Senat hat diese Vorschrift in ständiger Rechtsprechung dahin ausgelegt, dass sie einen Anspruch auf Prozesszinsen nur in solchen Fällen begründet, in denen der Erstattungsanspruch auf der Herabsetzung einer festgesetzten Steuer durch oder auf Grund der jeweiligen gerichtlichen Entscheidung beruht, deren Streitgegenstand die betreffende Steuerfestsetzung war; nicht erfasst werden dagegen Fälle, in denen der Erstattungsanspruch nicht aus einer gerichtlich veranlassten Steuerherabsetzung im Festsetzungsverfahren resultiert, sondern aus einer gerichtlich entschiedenen streitigen Abrechnung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (, BFHE 150, 298, BStBl II 1987, 702; vom VII R 97/87, BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865; vom VII R 91/96, BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476; vom VII R 2/89, BFHE 160, 400, BStBl II 1990, 719, 721).

Der Senat hat diese Auffassung mit dem Wortlaut der Vorschrift begründet, der als Tatbestandsmerkmal für den Anspruch auf Prozesszinsen die Herabsetzung einer festgesetzten Steuer beschreibt, die Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gewesen ist, was mit einer im Erhebungsverfahren streitigen Überzahlung nicht vergleichbar ist, weshalb eine ausdehnende Auslegung der Vorschrift auf sich aus anderen Gründen ergebende Erstattungsansprüche wie solche, die sich auf Grund gerichtlicher Entscheidung im Erhebungsverfahren ergeben, —nicht zuletzt in Anbetracht des eindeutigen Wortlauts auch des § 233 Satz 1 AO 1977— nicht in Betracht kommt (Senatsurteile in BFHE 150, 298, BStBl II 1987, 702; in BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865). Die Auffassung des Senats wird in der Literatur geteilt (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 236 AO 1977 Rz. 12 f.; Kögel in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 236 AO 1977 Rz. 13 f.; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 236 Rz. 6, 10; Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 236 Rz. 2, 5; Pahlke/ Koenig, Abgabenordnung, § 236 Rz. 12 f.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 236 AO 1977 Rz. 6) und wurde bzw. wird ebenso vom I. Senat (Urteil vom I R 350/83, BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600), vom IV. Senat (Beschluss vom IV B 40/98, BFH/NV 1999, 1055) und vom X. Senat (Urteil vom X R 48/01, BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169) vertreten; die Finanzgerichte (FG) sind dieser Rechtsprechung gefolgt (vgl. Urteil des Hessischen , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1989, 496; , EFG 1990, 401).

Der VII. Senat sieht auch in Anbetracht des beim I. Senat anhängigen Streitfalls keinen Anlass, von dieser Rechtsansicht abzugehen. Auch wenn die Klägerin jenes Streitfalls die angestrebte Anrechnung von Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer nur durch die mit dem Urteil des I. Senats vom I R 48/97 (BFHE 196, 128) erstrittene einnahmenerhöhende Erfassung des ausgeschütteten Gewinns der Tochtergesellschaft und der darauf entfallenden anzurechnenden Körperschaftsteuer und —damit einhergehend— mit einer Heraufsetzung der gegen sie festgesetzten Körperschaftsteuer erreichen konnte, folgt der Senat gleichwohl nicht der vom I. Senat in dem Anfragebeschluss vom I R 80/04 vertretenen Ansicht, wonach der Begriff des „Herabsetzens” in § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 mehrdeutig und deshalb eine formal-rechtliche Verknüpfung von Steuerfestsetzung und dem Herabsetzen der Steuer nicht zwangsläufig ist, weshalb dieser Begriff „wirtschaftlich” mit Blick auf das angestrebte und erzielte Ergebnis der Steuerminderung verstanden werden kann. Der Senat ist vielmehr der Ansicht, dass der Wortlaut der Vorschrift („eine festgesetzte Steuer herabgesetzt”) diese „formal-rechtliche Verknüpfung” verlangt und es deshalb für den Anspruch auf Prozesszinsen nicht ausreicht, wenn die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung nicht zur Herabsetzung der Steuer, sondern aus anderen Gründen (nur) im wirtschaftlichen Ergebnis dazu geführt hat, dass der Kläger weniger Steuer zahlen muss, als er ohne diese gerichtliche Entscheidung zu zahlen gehabt hätte.

Nach Ansicht des VII. Senats lässt sich das vom I. Senat gewünschte Ergebnis auch nicht auf die zweite Regelungsalternative des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 („auf Grund” einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung) stützen. Von dieser Alternative werden —worauf der I. Senat unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung (Urteil in BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600) auch hinweist— diejenigen Fälle erfasst, in denen das Gericht nach § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung den angefochtenen Verwaltungsakt aufhebt und das Finanzamt die Steuer niedriger festsetzt (vgl. auch: Klein/Rüsken, a.a.O., § 236 Rz. 17; Schwarz, a.a.O., § 236 Rz. 5). Darüber hinaus andere mittelbare Folgen einer gerichtlichen Entscheidung in diese Regelungsalternative mit einzubeziehen, dürfte daher nicht zulässig sein. Im Übrigen würde ein in diesem Sinne mittelbarer Bezug zum Urteil des I. Senats in BFHE 196, 128 nichts daran ändern, dass mit jenem Urteil die Körperschaftsteuer der Klägerin nicht herabgesetzt worden ist.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 4 Nr. 1
TAAAB-70223